Linker Niederrhein

Zum Tag der Befreiung vom Faschismus

Krefeld, 8. Mai 2013

Mahnmal für Krefelder Antifaschisten. Kreisförmige brunnenartige Mauer oder Schale.

Wie jedes Jahr gedenken wir am Mahnmal für die Krefelder Antifaschistinnen und Antifaschisten zusammen mit Freunden und Bündnispartnern an den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung vom Faschismus. Wir dokumentieren die Rede unseres Genossen Jürgen Lloyd:

Liebe Freunde, Liebe Kolleginnen und Kollegen, Liebe Kameradinnen und Kameraden, Liebe Genossinnen und Genossen,

ich habe das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, in der ich als Kind bereits von meinen christlichen, katholischen Eltern vermittelt bekommen habe, dass der 8. Mai, dass die militärische Niederlage des Deutschen Reichs im 2. Weltkrieg nichts ist, was wir bedauern müssen. Egal ob die Menschen dies damals bereits so verstanden, weil sie die Nazi-Herrschaft ablehnten oder ob sie 1945 noch verblendet waren von 12 Jahren Nazi-Propaganda und noch mehr Jahren Nationalismus, Militarismus, Antikommunismus, Obrigkeitsstaat und Demokratiefeindlichkeit – nach 1945 hätten alle Menschen sehen können und verstehen können, was der Faschismus an der Macht in Deutschland und Europa bedeutete. Nach 1945 gab es keine Entschuldigung mehr, betrübt zu sein, über das Ende der Verbrechen, über das Ende des von Deutschen begonnen Angriffskriegs, über das Ende des Völkermords an den in Europa lebenden Juden, über das Ende der Verschleppung und Versklavung zigtausender Zwangsarbeiter – also über das Ende der faschistischen Herrschaft in Deutschland. Für jeden, der nicht selbst von solchen Verbrechen profitieren wollte – das haben mir meine Eltern vermittelt – wäre zumindest nach 1945 begreifbar gewesen, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung war.

Wir wissen, dass dies in der Bundesrepublik für Viele nicht so war. Es dauerte vierzig Jahre, bis erstmals mit dem damaligen Bundespräsidenten Weizsäcker 1985 ein offizieller Repräsentant dieses Staats öffentlich sich zum Charakter dieses Tags als Tag der Befreiung bekannte. Und nicht wenige verweigerten ihm auch dann noch und in den Folgejahren ihre Zustimmung.

Aber wir stehen hier, wie auch bereits in den vorhergehenden Jahren, und gedenken des 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus. Als Tag, der das Ende der Nazi-Herrschaft in Deutschland und Europa markiert. Als Tag, an dem leider nicht die deutsche Bevölkerung selber sich vom Faschismus befreite – sondern es bedurfte, um uns und die Menschen in ganz Europa zu befreien, der vereinten Anstrengungen und der Opfer der Armeen der Antihitlerkoalition – allen voran der Millionenfachen Opfer der Menschen der Sowjetunion. Wir dokumentieren so, dass wir das Erste und Grundsätzlichste gelernt haben, was aus unserer Geschichte zu lernen ist: Nämlich dass die Niederlage, das Ende, die Vernichtung faschistischer Herrschaft ein Akt der Befreiung für die Menschen ist.

Es wäre gut, wenn dies auch in ganz Deutschland mit einem Feiertag dokumentiert würde, wie es bereits in einem Teil Deutschlands der Fall war und wie es für viele andere Länder in Europa gilt.

Wir stehen hier vor einem Mahnmal, das den Menschen gewidmet ist, die sich dem Faschismus widersetzten und – so steht es hier: »für ihren Freiheitswillen und ihren Widerstand ihr Leben lassen mussten«. Unter ihnen finden sich Namen aus allen Bereichen des Widerstands gegen den Faschismus: Von Sozialdemokraten wie Fritz Lewerenz, von Katholiken wie Franz Kammen und »Bibelforschern« (also Zeugen Jevovas) wie Karl Henning, von dem als Juden und wegen Unterstützung der KPD verfolgten Josef Mahler, natürlich von Gewerkschaftern wie Karl Hülser und Hans Labey, aus dem Jugendwiderstand wie Karl Wegerhoff, ein Kämpfer gegen den spanischen Franco-Faschismus wie Willi Jans, und es finden sich viele Namen von Kommunisten wie Paula Billstein und Heinrich Plum.

Dass hier ein so hoher Anteil der eingravierten Namen von Kommunistinnen und Kommunisten stammt, findet seinen Grund darin, dass in Krefeld – wie in anderen Städten Deutschlands – die Kommunisten zu den als Ersten und am rücksichtslosesten Verfolgten gehörten. Diese Tatsache – das möchte ich bewusst als Vertreter der kommunistischen Partei klarstellen – bedeutet aber nicht, uns Kommunisten stände heute deswegen eine herausgehobene Rolle im Kampf gegen den Faschismus zu. Dazu legitimieren uns die Opfer aus unseren Reihen nicht. Aber die hohe Zahl von verfolgten Kommunistinnen und Kommunisten hat für uns selber eine wichtige Bedeutung. Nicht wenige G&G sind wegen ihnen zu uns gekommen. Ihr Beispiel, Widerstand entschlossen und von Anfang an zu leisten, spielt eine wichtige Rolle für unser Selbstverständnis und als Verpflichtung für unseren Antifaschismus. Diese Bedeutung für unser Selbstverständnis – das hoffen wir – wird von unseren Freunden und Bündnispartnern verstanden. Und wir meinen auch, dass wir dies erwarten dürfen – zumal die inhaltliche Bedeutung, die das Erbe unserer verfolgten Genossinnen und Genossen für uns hat, nicht ausgrenzend ist, sondern zur Einheit ruft: Es besagt nichts anderes, als dass wir gefordert sind, mit allen, die ebenso wie wir ein Interesse an der Verhinderung jeden Faschismus haben, zusammen zu kämpfen und alleine Eins dabei in den Mittelpunkt stellen: Dem Faschismus entgegenzutreten und von Anfang an Widerstand zu leisten – so wie sie es uns vorgetan haben!

Dazu ist jede Aktion in diesem Sinn richtig und wichtig: So, wenn wir, wie zuletzt am 21. März vor den Unterkünften am Siemesdyk zusammen standen. Das Bündnis für Toleranz und Demokratie, Gewerkschaften, die VVN/Bund der Antifaschisten, Mitglieder der SPD, der Grünen, der Partei die Linke, der DKP, der Piraten, Christen wie der Pfarrer Cornelius Schmidt und viele weitere demonstrierten, dass wir nicht wegschauen und schweigen, wenn faschistische, rassistische Hetze – diesmal von dem Pro-NRW-Haufen – verbreitet werden soll.

Nicht zufällig wurden von den Pro-NRW-Faschisten im März am Siemesdyk neben uns insbesondere die Vertreter der Gewerkschaften, von VerDi und IG-Metall attackiert. Den Gewerkschaften kommt im Widerstand gegen den Faschismus eine besondere Verantwortung zu. Genau letzten Donnerstag vor 80 Jahren – am 2. Mai 1933 – wurden von den SA- und SS-Schergen die Gewerkschaftshäuser besetzt, aktive Gewerkschafter in »Schutzhaft« genommen und die Gewerkschaften als Organisationen der Arbeiterbewegung zerschlagen. Und das, nachdem der damalige ADGB seine Mitglieder noch zur Teilnahme an dem von den Nazis nur einen Tag zuvor veranstalteten »Tag der nationalen Arbeit« aufgerufen hatte und nachdem die ADGB-Führung in den drei Monaten seit dem 30. Januar versucht hatte, durch opportunistische Anpassung einem Verbot zu entgehen.

Die Gewerkschaften wurden zerschlagen und die Gewerkschafter verfolgt, weil sie im Gegensatz zu aller, angeblich »antikapitalistischen« Demagogie der Nazis, reale Organisationen der Kapitalismuskritik waren. Noch im März 1933, als den Nazis bereits alle staatlichen Mittel und dank massiver Spenden der gesamten Großindustrie nahezu unbegrenzte finanzielle Mittel zur Propaganda zur Verfügung standen, als Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter bereits mit Terror verfolgt wurden, konnten bei den Betriebsrätewahlen die faschistischen NSBO-Listen lediglich knapp 12 % der Stimmen erreichen. So klar war in der Arbeiterbewegung die Unterscheidungsfähigkeit zwischen Demagogie und realer Interessenvertretung noch vorhanden. Und diese Fähigkeit musste von den Nazis zerschlagen werden, wenn sie ihren Auftrag erfüllen sollten, den sie vom Großkapital erhalten hatten. Freie Gewerkschaften konnten nie und können nie in den faschistischen Staat integriert werden. Ihr Antifaschismus entspringt ihrem Charakter. Und darum ist es gut, richtig, konsequent und notwendig, dass auch heute wieder Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter an dieser Veranstaltung zum 8. Mai beteiligt sind.

Gewerkschafter und Sozialdemokraten, Grüne, Linke und Kommunisten, religiöse Menschen, Pazifisten, Frauenrechtlerinnen, Migranten, christliche und liberale Demokraten – egal aus welcher Überzeugung und mit welchen Ideen wir uns dies selber bewusst machen, ob wir es uns nur verschwommen oder ganz klar bewusst machen: Wir teilen das Interesse an einer Welt ohne Faschismus! Deswegen dürfen wir nicht und werden wir nicht schweigen, wenn Faschisten ihre Hetze verbreiten, wenn Antisemitismus oder Rassismus propagiert wird, wenn Krieg verherrlicht oder auch nur zur Sicherung der Profite Einiger gerechtfertigt wird, wenn Menschen wegen ihrer Abstammung, wegen ihres Geschlechts oder sexuellen Orientierung, wegen ihres Glaubens oder Überzeugung diskriminiert werden; wir dürfen und wir werden nicht schweigen, wenn wochenlang über die Sitzplatzvergabe beim NSU-Prozess in München breit und lang berichtet wird – aber nicht über die Komplizenschaft dieses Staates und seiner Geheimdienste, darüber, dass eine faschistische Bande offensichtlich nicht alleine, sondern Hand in Hand, mit Unterstützung, Geld und Organisation der Geheimdienste unseres Staats über Jahre hinweg Morde und Banküberfälle begehen konnten. Und wir werden auch nicht darüber schweigen, dass diejenigen, die bereits 1929 erklärten, »Die Wiederherstellung der Rentabilität in den Betrieben und die Eigenkapitalbildung in den Unternehmungen sind entscheidend für die Wiederbelebung und den Aufstieg der deutschen Wirtschaft.« und dazu »die Halbheiten« der Parteien für unzureichend hielten und »ein Ermächtigungsgesetz« befürworteten, die Herren vom Reichsverband der deutschen Industrie, die Herren von Thyssen, IG-Farben, Siemens und Krupp, von Röchling, Vögler, Flick und Haniel, von der Deutschen und Dresdener Bank, die dann von Hindenburg die Einsetzung der Hitler-Faschisten-Regierung forderten und später von Aufrüstung, Zerschlagung der Arbeiterbewegung und Ausbeutung von Zwangsarbeitern profitierten, dass sie alle – wenn sie denn überhaupt in den Nürnberger Prozessen verurteilt wurden – in der Bundesrepublik sogleich begnadigt wurden, ihren Besitz zurück erhielten und erneut Einfluss bekamen.

Weil wir nicht schweigen und zusehen dürfen, so lange der Faschismus nicht für immer besiegt ist, zitiere ich, was die Gefangenen des KZ Buchenwalds nach ihrer Selbstbefreiung im April 1945 geschworen haben:

Wir Buchenwalder,

Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slovaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslaven und Ungarn kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung.

Uns beseelte eine Idee: Unsere Sache ist gerecht – Der Sieg muß unser sein!

Wir führten in vielen Sprachen den gleichen, harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende.

Noch wehen Hitlerfahnen!

Noch leben die Mörder unserer Kameraden!

Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum!

Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Apellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:

Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.

Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.

Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.


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