Umwelt

Verkehrsregeln für den Canale

Kapitalinteressen am Canale della Giudecca

 Frachtboot im Kanal, daneben zerbröselndes Mauerwerk.

Dem Canale della Giudecca, der die gleichnamige Insel von Venedigs Stadtteil Dorsoduro trennt, hat das Verwaltungsgericht von Venetien Verkehrsregeln verpasst. Nicht für einen der etwa 500 Gondolieri – und kaum zu seinem Schutz: Ozeanriesen über 96.000 BRT, 300 Meter Länge und 15 Stockwerke Höhe dürfen weiterhin passieren. Es dürfen auch mehr als fünf Schiffe pro Tag sein, die über 40.000 BRT haben. Die Größe, gemessen in Bruttoregistertonnen (BRT), hat Einfluss auf Tiefgang, Strömung und Wellen bis hin zum Uferbereich.

Nicht nur in den engen Gassen herrscht Gedränge – auch auf den vermutlich 175 Kanälen mit 38 Kilometer Länge. Die Tageszeitung «Corriere della Serra» zählte 3.500 Schiffe, Wassertaxis (Vaporetti) und Gondeln. Der Chef der Gondolieri-Gewerkschaft, Aldo Rato, versicherte dem Blatt nach einem tödlichen Unfall auf dem Canal Grande: «Ich habe schon oft gesagt, dass der Verkehr zu viel und zu schnell ist.» Die 425 Gondolieri (BILD) lehnen den Vorschlag ab, den Gondelverkehr zu beschränken. Von den anderen Schiffen gehen die Gefahren aus. Commissario Guido Brunetti und die CGL, die Gewerkschaft mit kommunistischen Wurzeln, könnten dem zustimmen.

Wenn Schiffe in dieser Größenordnung wegen der Beschränkungen Venedig nicht mehr anlaufen dürften, dann bedeutet dies ein Minus von 200.000 bis 300.00 Passagieren pro Jahr. Die Passagiere sind Tagestouristen. Die Angaben schwanken für ein Jahr zwischen 20 (Italia Nostra) und 30 Millionen Besuchern (Unternehmer und Bürgermeister Luigi Brugnaro). Das sind mehr als die rund 60.000 der registrierten Bewohner (1970: 120.000). Etwa 40.000 Pendler kommen hinzu. Sie wohnen nicht in der Lagunenstadt, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können. Während die Einwohnerzahl drastisch abnahm, steigerte sich die Zahl der Kreuzfahrtpassagiere nach Angaben der Neuen Zürcher Zeitung seit 1997 um 440 Prozent auf heute 1,6 Millionen pro Jahr.

Seit 2014 sollte die Anzahl der Kreuzfahrtschiffe mit mehr als 40.000 BRT von 1.639 auf 1.300 auf dem Canale della Giudecca vermindert werden. Eine Alternative zu dieser Route wurde vorgestellt: Die Schiffe fahren nicht mehr durch den Giudecca-Kanal, sondern durch die «Südtrasse» (Canale Contorta Sant’ Angelo). Die Passagiere der mehr als 700 dieser Ozeanriesen hätten nach Recherchen des «Tagesspiegels» dann aber keinen Blick mehr auf Dogenpalast, Markusplatz und Campanile. Das Gericht entschied anders: Die großen Schiffe dürfen weiterhin den Canale della Giudecca passieren. Diese Erlaubnis gilt aber nur, bis der Canale Contorta Sant’ Angelo fertig ist. Kosten? 100 Millionen Euro werden genannt.

Und eine weitere Alterative ist in der Diskussion: Die Duferco-Gruppe, ein Schweizer Stahlkonzern mit Reederei-Aktivitäten, hat den Bau einer künstlichen «Insel» angeregt. Das Projekt heißt «Venis Cruise 2.0», wird auf 128 Millionen Euro Baukosten geschätzt und liegt östlich von Venedig zwischen Punta Sabbioni und dem Flughafen von Lido. An einer 940 Meter langen Pier sollen fünf Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig abgefertigt werden können. Zubringerboote mit Elektroantrieb übernähmen mit jeweils 800 Personen die Passage in die Stadt.

Die Klassenfronten: Tourismusunternehmen und der venezianische Kreuzfahrt-Terminal VTP (Venezia Terminal Passeggeri) forderten die Durchfahrt für die Megaliner. Ebenso die Reedereien Costa, MCS, Carnival, Celebrity, Royal Caribbean, Princess und Norwegian. Bevor das Verwaltungsgericht das Verbot der traditionellen Durchfahrt aussetzte, hatten die Reedereien ihre größten Pötte bereits in andere Häfen umgesteuert. Die Hafenbetreiber sehen 430 Millionen Euro an Einnahmen für die Stadt und 5.000 Arbeitsplätze gefährdet, wenn die Ozeanriesen Venedig nicht mehr anlaufen können.

Die Venezianer dagegen fordern das Verbot der Durchfahrt zwischen den venezianischen Inseln Giudecca und Dorsoduro, denn von den Ozeanriesen werden die Fassaden der Häuser (Weltkulturerbe!) angegriffen, die Luft wird dezent durch Feinstaub, Schwefel und Stickoxide verpestet, und das Wasser ökologisch beeinträchtigt. Die «Queen Mary 2» hat einen Stromverbrauch, der einer Stadt von 200.000 Einwohnern entspricht – auch dann, wenn sie im Hafen festgemacht hat. Der Dreck eines Kreuzfahrtschiffes entspricht dem von 14.000 Autos sagen die Umweltschützer der Initiative «No grandi navi». Wörtlich zu nehmen ist der Hinweis, dass die Stadt sinkt.

Wer zum Beispiel mit der «AIDAbella» (Meyer-Werft Papenburg/Ems) nach Fahrplanänderung von Venedig aus ins östliche oder westliche Mittelmeer stechen möchte, der weiß, dass es neben, über und unter seiner Kabine noch 1.024 weitere für 2.050 Passagiere gibt, die angeblich alle gekommen sind, um die Reproduktion ihrer Ware Arbeitskraft zu erreichen – während andere ihre Arbeitskraft verkaufen: 607 Kolleginnen und Kollegen gehören zur Besatzung der «AIDAbella». Das mag wenig erscheinen im Vergleich zur «Allure of the Seas» (Royal Caribbean), die für maximal 6.296 Passagiere auf eine Crew von 2.165 Personen kommt. Die Arbeitsverdichtung zur Steigerung des Mehrwerts variiert eben auch auf einem Erholungsdampfer. Das gilt ebenso für die Profiterwartungen.

Uwe Koopmann
Foto: Bettina Ohnesorge