Köln

»Keupstraße ist überall«

Am 9. Juni jährt sich der Na­gel­bom­ben­an­schlag der NSU zum zehnten Mal

Demonstranten mit Regenschirmen und Transparent: »Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen. Keine Toleranz für Nazis!«

Kut­lu Yurtse­ven von Mi­cro­pho­ne Ma­fia wohnt in der Ke­up­stra­ße in Köln-Mül­heim. Er sagt:

Nur auf Grund der Tat­sa­che, dass man nicht Ur­sprungs­deut­scher ist, wird man zum Op­fer und ge­rät ins Vi­sier. Und dar­an kann man nichts än­dern. Das hei­ßt: ich bin po­ten­ti­el­les Op­fer in der Zu­kunft. Dar­auf zielt der Ter­ro­ris­mus hin: Un­ge­wiss­heit, Angst, Ohn­macht und nichts an die­ser Si­tua­ti­on än­dern zu kön­nen. Es kann im­mer wie­der pas­sie­ren. Sie sa­gen: Ver­schwin­det hier. Das war der Plan der NSU. Mit Ter­ror will man Angst schü­ren. Da­zu kommt die Angst, dass man nach­her als Schul­di­ger da­steht.

Z­um Angst­herd soll­te die Ke­up­stra­ße wer­den.

Am Nach­mit­tag des 9. Ju­ni 2004 war hier ei­ne Na­gel­bom­be ex­plo­diert, ge­füllt mit über 5 kg Spreng­stoff und 800 Zim­mer­manns­nä­geln. Zweck war ein Blut­bad un­ter den Men­schen aus der Tür­kei, die hier woh­nen und ar­bei­ten. Mehr als 22 Men­schen wur­den ver­letzt. Nur mit Glück kam nie­mand ums Le­ben. So­gleich war klar, dass Na­zis am Wer­ke ge­we­sen wa­ren. Von der Po­li­zei wur­de ge­nau das aus­ge­schlos­sen.

Drei Ta­ge da­nach hieß es: »Nach wie vor gibt der An­schlag der 20-köp­fi­gen Mord­kom­mis­si­on gro­ße Rät­sel auf. Et­li­che Ver­sio­nen der Tat wer­den durch­ge­spielt. Auch bei den In­nen­mi­nis­te­ri­en in Ber­lin und Düs­sel­dorf. Be­reits am Frei­tag­mor­gen schlie­ßen die Par­tei­ge­nos­sen Ot­to Schi­ly und Fritz Beh­rens ein po­li­ti­sches oder frem­den­feind­li­ches Mo­tiv aus. Wo­her sie ih­re Er­kennt­nis­se be­zie­hen, bleibt in­des ihr Ge­heim­nis«. (Köl­ner Stadt-An­zei­ger, 12. Ju­ni 2004)

­Der Ter­ror der Na­zis in der Ke­up­stra­ße währ­te nicht lang. Aber ihm folg­te sie­ben Jah­re lang der Ter­ror der Er­mitt­lungs­be­hör­den und der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung. Von Schutz­geld­er­pres­sung war die Re­de, von Kon­flik­ten zwi­schen Tür­ken und Kur­den, von or­ga­ni­sier­ter Kri­mi­na­li­tät im Rausch­gift- und Rot­licht­mi­lieu. Dem Ras­sis­mus des An­schlags folg­te der Ras­sis­mus der Er­mitt­lun­gen.

­Die er­mit­teln­den Be­hör­den un­ter­stell­ten den Op­fern die Tat. Das en­de­te erst mit dem 4. No­vem­ber 2011, als Uwe Böhn­hardt und Uwe Mund­los er­schos­sen auf­ge­fun­den wur­den. Bea­te Zschä­pe ver­säum­te es, ih­re Woh­nung voll­stän­dig ab­zu­fa­ckeln, hin­ter­ließ Hin­wei­se auf den NSU, die wei­te­re Er­mitt­lun­gen über­flüs­sig er­schei­nen lie­ßen.

In Köln grün­de­te sich im März 2013 ei­ne In­itia­ti­ve »Ke­up­stra­ße ist über­all«. Sie wird nach Mün­chen rei­sen und dort ge­mein­sam für die 20 Ne­ben­klä­ger de­mons­trie­ren, wenn über den An­schlag in der Ke­up­stra­ße ver­han­delt wird. Die In­itia­ti­ve will wis­sen, wer al­les zum NSU ge­hört. Die Köl­ner pla­nen Ver­an­stal­tun­gen und Ak­tio­nen und wer­den im Ge­richt prä­sent sein. Sie ver­bin­den das mit In­for­ma­tio­nen über die spe­zi­el­le Ge­schich­te des At­ten­tats und der jah­re­lan­gen Drang­sa­lie­run­gen.

­Die In­itia­ti­ve hat sich zum Ziel ge­setzt, die be­trof­fe­nen Men­schen aus der Ke­up­stra­ße im Ge­richt zu un­ter­stüt­zen. Sie will den Mut der Zeu­gin­nen und Zeu­gen stär­ken, wenn sie den An­ge­klag­ten ge­gen­über tre­ten. Die Na­zis und ih­re Hel­fer in Ge­sell­schaft, Po­li­zei und Ge­heim­diens­ten sol­len ih­re Zie­le – Angst und Ver­trei­bung – nicht er­rei­chen.

»Ke­up­stra­ße ist über­all« hat die rich­ti­gen Fra­gen ge­stellt und die Stim­mung in der Stra­ße wen­den kön­nen. Die­se gro­ßar­ti­ge Ar­beit mün­det in­des an­läss­lich des 10. Jah­res­tags des An­schlags in ein Rie­sen-Event zu Pfings­ten. Es sind zahl­rei­che Ver­an­stal­tun­gen ge­plant. Zu fürch­ten ist, dass de­mo­kra­ti­sche und an­ti­fa­schis­ti­sche In­ten­tio­nen der An­woh­ner im kom­mer­zi­el­len Rum­mel und po­li­ti­schen Schul­ter­klop­fen ver­lo­ren ge­hen.

Künstler auf der Bühne mit erhobener Faust vor begeistertem Publikum.

­So wer­den in der Um­ge­bung der Ke­up­stra­ße zu ei­ner Rei­he von kul­tu­rel­len Er­eig­nis­sen an­nä­hernd 100 000 Be­su­cher er­war­tet. Ver­an­stal­ter ist Arsch huh. Mot­to »Bir­lik­te – Zu­sam­men­ste­hen. Ge­gen Neo­na­zis, Ras­sis­mus und Aus­gren­zung. Für ei­ne ge­rech­te und so­li­da­ri­sche Ge­sell­schaft.« Als Hö­he­punk­te sind an­ge­kün­digt: Udo Lin­den­berg, Pe­ter Maf­fay und BAP. Sertab Ere­ner & De­mir De­mir­kan, Sie­ger im Eu­ropean Song­con­test 2003, wer­den auf­tre­ten, aber auch Zül­fi Li­va­ne­li, der sich an den Ge­zi-Park-Pro­tes­ten be­tei­ligt hat. Bläck Fööss, Brings, Höh­ner, Ka­sal­la, Ar­no Stef­fen mit Eko Fresh und nicht zu­letzt Mi­cro­pho­ne Ma­fia tre­ten auf. Tom Buhrow, Har­dy Krü­ger, Ser­dar So­mun­cu, Ca­ro­lin Ke­be­kus, Isa­bel Scha­ya­ni und Wil­fried Schmick­ler wer­den das sechs­stün­di­ge Pro­gramm mit Wort­bei­trä­gen er­gän­zen. Kund­ge­bungs­ort ist das ehe­ma­li­ge Draht- und Ka­bel­werk in Köln Mül­heim an der Schan­zen­stra­ße, na­he der Ke­up­stra­ße.

A­ber cha­rak­te­ris­tisch für die po­li­ti­sche Sto­ß­rich­tung die­ses Fes­tes er­scheint die ge­plan­te Po­di­ums­dis­kus­si­on, un­ter an­de­rem mit dem SPD-Vor­sit­zen­den Sig­mar Ga­bri­el, die Hans-Ul­rich Jör­ges, Mit­glied der STERN-Chef­re­dak­ti­on mo­de­rie­ren (»mä­ßi­gen«) soll. »Wird es uns ge­lin­gen, mit­ein­an­der ehr­lich dar­über zu strei­ten und zu dis­ku­tie­ren, in wel­chem Land wir le­ben wol­len? Nicht Men­schen ab­zu­wer­ten und klein zu ma­chen? Sind wir in der La­ge, uns selbst­kri­tisch Fra­gen zu stel­len, und ge­nau hin­zu­hö­ren?« Hin­ter der­ar­ti­gen Fra­gen (»sind wir nicht al­le ir­gend­wie ras­sis­tisch?«) dürf­ten sich sol­che nach wei­te­ren Hel­fern und Tä­tern des NSU, des Bei­trags von Ver­fas­sungs­schutz und Po­li­zei an der Mord­se­rie ver­flüch­ti­gen. Wer wird dar­an er­in­nern, dass Sig­mar Ga­bri­el an ei­ner Re­gie­rung be­tei­ligt ist, die in der Ukrai­ne Fa­schis­ten ho­fiert?

Text: Klaus Stein
Fotos: Klaus Müller