Köln

Der Matrosenaufstand 1917

Gedenkende an der Gedenkstätte.

Der Matrosenaufstand 1917

Gedenken in Porz am 25. September 2017

Vor genau 100 Jahren, am 5. September 1917, wurde der Militär-Übungsplatz in Köln-Wahn Schauplatz zweier umstrittener Hinrichtungen. Hier, weit weg von der Küste, wurden die wenige Tage zuvor verhängten Todesurteile gegen zwei junge Matrosen der Kaiserlichen Marine vollstreckt: Albin Köbis und Max Reichpietsch.

Blumensträuße, Schleife «Gegen Faschismus und Krieg» am Grabstein «Cöbis».

Das Friedensbildungswerk, die SJD / Die Falken Gruppe Robert Blum und der DGB Köln/Bonn nahmen den Jahrestag zum Anlass, um an den Matrosenaufstand zu erinnern. Kooperationspartner: AK Zivilklausel an der Universität zu Köln. Auch die VVN-BdA Köln beteiligte sich.

Zur Vorführung des Films «Matrosenmeuterei» kamen 79 Personen in das Weisshauskino. Den Vortrag von Christoph Regulski aus «Lieber für die Ehre erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen» besuchten 45 Menschen. Bei der öffentlichen Gedenkveranstaltung in Köln-Porz-Wahn waren 60 Personen anwesend.

Wir dokumentieren den Redebeitrag von Günter Baumann, VVN-BdA. Auf der Webseite des Friedensbildungswerks sind auch alle anderen Reden nachzulesen.


Sehr geehrte Anwesende!

Im Jahr 1917 wehrten sich Matrosen auf den Kriegsschiffen in gemeinsamen Aktionen gegen die massive Unterdrückung durch die Seeoffiziere. Sie wurden wie Sklaven schikaniert. Sie führten Streiks durch gegen die Hungerrationen und das oft völlig verdorbene Essen, bei gleichzeitigem Festschmaus für die Offiziere. Ihre gewählten Vertreter schickten sie in Verpflegungskommissionen, die dadurch bald zu allgemeinen Beschwerdestellen wurden.

Die Soldaten debattierten: Wofür ist dieser Krieg gut? In welchem Interesse ist er? Sie erkannten: dieser Krieg war kein Verteidigungskrieg, wie die Reichsleitung, und auch die SPD, seit 1914 behauptet hatten. Viele kamen zu dem Urteil: Baldiger Frieden, ohne Annexionen und Kontributionen, auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker! Diese Forderung hatte der Rat von Petrograd, nach dem Sturz des Zaren, aufgestellt. Die Parteien Mehrheits-SPD und die Unabhängige SPD, USPD, im April 1917 gegründet, übernahmen diesen Ruf. Aber nur die USPD lehnte weitere Kriegskredite ab.

Die Matrosen entwickelten ihre Ansichten selbstständig und waren nicht parteipolitisch gebunden. Um ihren eigenen Ruf nach baldigem Kriegsende zu stärken, wollten sie der Unabhängigen SPD größeres Gewicht geben bei der Mitte 1917  geplanten internationalen Konferenz von Sozialdemokraten in Stockholm. Mehr als 4000 Marinesoldaten unterschrieben aus diesem Grund einen Antrag auf Mitgliedschaft bei der USPD.

Diese Abwendung von Teilen der Arbeiterbewegung und der Marinesoldaten von den bisherigen expansiven Kriegszielen wollten die Machthabenden beenden. Nach einem Protestausflug von 600 Marinesoldaten am 2. August 1917 in Wilhelmshaven, gegen die willkürliche Streichung von Freizeit und stattdessen Ansetzen  von Drillübungen und  gegen die dann folgenden Bestrafungen wurden in Wilhelmshaven  fünf Soldaten rechtswidrig zum Tode verurteilt. Wegen angeblicher «vollendeter kriegsverräterischer Aufstandserregung», was der Ausflug nicht war. Auch nach Ansicht der damaligen Marinejuristen nicht, die das Urteil vor Inkrafttreten überprüfen mußten.

Max Reichpietsch und Albin Köbis wurden am 5. September 1917 hier in Köln-Wahn auf der Grundlage eines Unrechtsurteils erschossen. Die Marineleitung hatte nicht gewagt, sie in Wilhelmshaven erschießen zu lassen.

Admiral  Scheer, der später zwei Todesurteile bestätigte, schrieb vor dem Gerichtsverfahren einen Brief an den  Preußischen Kriegsminister. Er hätte Angst, daß die Wilhelmshavener Arbeiter gegen die  angestrebten Todesurteile und gegen die Hinrichtungen aufbegehrten, die dortigen Marinewerkstätten stilllegten und den U-Boot-Krieg gefährdeten. Deswegen habe er die  Erschießung, also schon Wochen vor dem Urteil, angeordnet im weit entfernten Porz-Wahn. Der Admiral bat um Zustimmung. Der Kriegsminister stimmte zu.

Gedenkende mit Forderung auf Plakaten: «Freier unbeschränkter Zugang zu der Gedenkstätte für Max Reichpietsch und Albin Köbis!».

Seit Ende 1916, Anfang 1917 hatten die Belegschaften in verschiedenen Rüstungsbetrieben selbstständige Streiks durchgeführt, gegen den Willen des Gewerkschaftsvorstandes. Ihre Forderung: Brot, Frieden, Freiheit! In Magdeburg hatten im Februar 1917 die Arbeiter im Rüstungsbetrieb von Krupp eine Woche gestreikt. Als sie die Nachricht über die  Erschießung von Max Reichpietsch und Albin Köbis erfuhren, sagten sie: «Das waren unsere Leute!».

Hans Beckers, dessen Todesstrafe in eine Haftstrafe umgewandelt worden war, schrieb in seinem Buch von 1928, Wie ich zum Tode verurteilt wurde: «In unserer Hand lag es, dem Völkermorden Einhalt zu gebieten und der bedrängten Menschheit den langersehnten Frieden zu geben. So glaubten wir. – Und doch waren wir nur ein winziges Teilchen , ein schwacher Hauch jener großen Kraft, die schließlich die blutige Flamme des Krieges erstickte.»

Wir möchten die letzten Briefe von Albin Köbis und Max Reichpietsch vorlesen. In der Fassung, wie sie in dem Buch von Christoph Regulski abgedruckt sind: »Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen.» Marixverlag, 2014, S. 228 und S.230f.) In dem Brief von Albin Köbis sind die Terminangaben um 7 Tage vordatiert:

 

«Liebe Eltern!

Ich bin heute, den 11.9.1917 zum Tode verurteilt worden, nur ich und noch ein Kamerad, die andern sind zu 15 Jahren Zuchthaus begnadigt worden. Warum es mir so ergeht, werdet Ihr ja gehört haben. Ich bin ein Opfer der Friedenssehnsucht, es folgen noch mehrere. Ich kann der Sache nicht mehr Einhalt gebieten; es ist jetzt 6 Uhr morgens, um 6.30 Uhr werde ich nach Köln gebracht. Mittwoch den 12.9. 4 Uhr morgens falle ich, ein Opfer der Militärjustiz. Ich hätte Euch gern noch einmal die Hand zum Abschied gedrückt, aber ich werde stillschweigend erledigt. Tröstet Paula und meinen kleinen Fritz. Ich sterbe zwar nicht  gern so jung, aber ich sterbe mit einem Fluch auf den deutschen Militärstaat. Das sind meine letzten Zeilen. Vielleicht bekommst Du und Mutter diese einmal zugesandt.
Auf immer Euer Sohn.»

Der Brief von Max Reichpietsch, geschrieben am 30.8.1917: Max Reichpietsch war Mitglied der Neuapostolischen Kirche. Die Marineleitung schickte seinen Brief an die Familie nicht weiter, sondern übersandte ihn erst Wochen nach der Hinrichtung. Sie verhinderte damit die Stellung eines Gnadengesuchs, um das Reichpietsch seine Familie in dem Brief bat.

«Geliebte Eltern!

Ich hätte Euch schon lange geschrieben, was mit mir los ist, aber ich wollte erst mein Urteil abwarten. Nun ist dieser Tag gewesen, und er ist noch schlimmer ausgefallen, als ich gedacht habe. Es ist ein Todesurteil geworden. Ob es vollstreckt wird, oder ob es durch die Gnade des Kaisers verhindert wird, liegt in Gottes Hand. Ich habe keine Hoffnung mehr und habe mit dem Leben abgeschlossen. Das hatte wohl keiner gedacht, als wir im Juni Abschied nahmen, daß es das letztemal sein sollte. Nun bitte ich Euch, liebe Eltern, verzeiht mir diese letzten Vergehen, damit ich ruhig in die andere Welt hinübergehen kann, wo wir uns alle einmal wiedersehen. Auch danke ich Euch für all das Gute, was Ihr an mir getan habt … Teilt mir bitte die Adresse und den Namen des Vorstehers oder Apostels der Gemeinde von hier mit … Und wenn Ihr noch mehr und Näheres über mein Vergehen wissen wollt, so schreibt an den, der Euch auf meinen Auftrag hin zum erstenmal geschrieben hat. Nun entschuldigt, daß ich nicht mehr schreibe; aber mir ist das Herz so schwer, daß es mir unmöglich ist, noch weiter zu schreiben. Denn es ist traurig, als junger Mensch in der Blüte der Jahre, mit einem Herzen voll Hoffen und Sehnen, schon sterben zu müssen, sterben durch harten Richterspruch. Grüßt Willy und Gertrud, und Euch selbst umarmt und küßt zum letzten Male

Euer Sohn Max

Alles, was Ihr für mich machen könnt, ist, wenn Ihr durch einen Rechtsanwalt oder durch den Stammapostel ein Gnadengesuch an den Kaiser macht, in dessen Hand augenblicklich mein Leben ruht, und dessen Hand auch hier mildtätig wirken wird.

M.»

Die Bundeswehr muss nicht länger in einer unwahren Tradition verharren! Sie sollte anerkennen, dass die Hinrichtung von  Max Reichpietsch und Albin Köbis ein politischer Justizmord war. Vollzogen in Köln-Wahn. Es ist richtig und begründet, die Aufhebung der Todesurteile zu fordern.

Die Bundeswehr sollte nicht länger den Zugang zu der Gedenkstätte einschränken. Eine Lösung muss gefunden werden für einen freien unbeschränkten Zugang zu der Gedächtnisstätte der Matrosen Max Reichpietsch und Albin Köbis. Sie steht auf einem städtischen Grundstück, dem öffentlichen Friedhof der Stadt Köln!

Reichpietsch und Köbis mahnen uns, gerade in der jetzigen Zeit, aufzutreten  – gegen die geplante Ausweitung der deutschen Militär- und  Kriegspolitik.

Text und Fotos: VVN-BdA e.V., Kreisvereinigung Köln
Venloer Straße 440 (Toskana Passage), 50825 Köln


Eine weitere Veranstaltung zum Thema findet am Sonntag, den 5.11.2017 um 17.00 Uhr im Schauspielhaus, Außenspielstätte Offenbachplatz, Köln-Innenstadt statt: «Feuer aus den Kesseln». Zur Aktualität des Kampfes gegen den Krieg – Auszüge   aus Ernst Tollers Stück mit anschließender Podiumsdiskussion.