Jugend

Wissen nur mit begrenztem Bewusstsein

Aspekte zum florierenden
Nachhilfe-Markt in Deutschland

Sie kümmern sich alle intensiv um das milliardenschwere Geschäft  der Nachhilfe: Die konzernartigen Institute mit aufstrebender Tendenz, die vereinzelten Oberstudienräte mit Motivationsversuchen zu Latein-Defiziten. Daneben die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit kritischen Analysen und großen Bedenken. Und schließlich die LandesschülerInnenvertretungen (LSV), die die Nachhilfe-Institute als Ausdruck der Bildungsmisere sehen, mehr aber noch die Unterfinanzierung des gesamten Schulsystems als die Wurzel allen Übels ausmachen.

Eine unzulängliche Schulpolitik wird teuer für alle Betroffenen: Um die Nachhilfeinstitute bezahlen zu können, müssen die Eltern tief in die Tasche greifen. Das ist schmerzlich. Besonders für die, die diese Taschen gar nicht haben. So stieg der Nachhilfebedarf für manche Schüler bei der Umwandlung von «G 9» nach «G 8», als also der Stoff bis zum Abitur nicht mehr in neun Jahren vermittelt werden sollte – sondern nur noch in acht.

Diese Unbill lässt sich seit der Landtagswahl in NRW vor knapp zwei Wochen sogar an den Verursachern ablesen. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) und ihre Partei kassierten eine gewaltige Klatsche: Der Stimmenanteil sank auf Landesebene von 11,3 Prozent auf 6,4 Prozent für die Grünen. Ihre Erststimmen in der Heimatstadt Solingen: auf 6,52 Prozent. Es gab sogar manche Wahllokale, in denen sie an der 5-Prozent-Klausel gescheitert sind. Ihr persönliches Ergebnis war wenig anders.

Erstaunlich nur – oder auch nicht, dass sie nicht ihre Politik als Ursache für die krachende Niederlage benannte, sondern die unzureichende Vermittlung derselben. Ihre Schulpolitik, so Löhrmann uneinsichtig, habe «große Erfolge erzielt.» Das sah die LSV NRW ganz anders. Sie warf der Ministerin bei einer Kundgebung eine Woche vor der Wahl krasses Versagen vor. Diese Kritik galt auch Löhrmanns Chefin Hannelore Kraft (SPD).

Der Hintergrund: Löhrmann und auch Kraft biederten sich bei dem «Elite-Stream» unter den Eltern und den entsprechenden Kapitalvertretern an, indem sie zu vehementen Vertreterinnen von «G 8» mutierten. Letztlich ließ dieser Schwenk auch die Nachhilfe-Institute frohlocken. Der Protest und das Wahlverhalten von Eltern und Schülern trugen dazu bei, der Landesregierung das Genick zu brechen. Die Ministerpräsidentin (und SPD-Landesvorsitzende in NRW sowie stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende) und Sylvia Löhrmann in analogen Funktionen mussten den Hut nehmen.

Der Wechsel zu einer schwarz-grünen Landesregierung mit Armin Laschet (CDU) und der neoliberalen grauen Eminenz Christian Lindner (voraussichtlich bis zur Bundestagswahl am 24. September) wird den Nachhilfemarkt nicht austrocknen. Kostenlose Bildung wird es nicht geben, prophezeit die LSV.  G8 und G9 sollen unter der neuen Landesregierung gleichberechtigt im Schulgesetz verankert werden.

Das Bundesland Freistaat Bayern macht Schulpolitik anders, aber nicht unbedingt besser. Staatsminister Ludwig Spaenle (CSU) ruderte rechtzeitig zurück: Im April wurde das Turboabi («G 8») gekippt. Eingeführt wird «G 9» wieder zum Schuljahr 2018/19. Ungeachtet der Gültigkeit von «G 9» in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen und Baden-Württemberg bleibt die alte Option, alle Defizite, die die Schulen nicht beheben können, durch Nachhilfe-Institute zu kompensieren. Die GEW hat dagegen gemäß der Initiative «Bildung. Weiter denken!» auf ihrem jüngsten 28. Gewerkschaftstag in Freiburg ihre Forderung nach voller staatlicher Finanzierung der Bildung bekräftigt.

In NRW wurden die Kandidaten der DKP zur Landtagswahl mehrfach gefragt, wie sie es denn mit der Privatisierung in der Schulpolitik halten. Die einhellige Antwort lautete: Ablehnung! Das bedeutete weiteste Überreinstimmung mit der GEW, mit der LSV und zahlreichen anderen kritischen Bildungsorganisationen. Allerdings konnte die DKP andererseits auch nicht den Pessimismus der Fragesteller aufheben, was eine fortschrittliche Perspektive der weiteren Schulpolitik betrifft. «Sozialistische  Schulpolitik» steht als Schulfach nicht im Stundenplan. Das war «drüben» bis 1989. Ein weiteres Defizit aus der Vita der DDR: Profitorientierte Nachhilfe-Institute gab es zwischen Putgarten und Bad Brambach nicht.

Text und Foto: Uwe Koopmann