Kultur

Jürgen Kuczynski

Ein großer Wissenschaftler
und Kommunist

Jürgen Kuczynski beim X. Schriftstellerkongress 1987. 

6.08.2017 | Mit Mitte zwanzig ist Jürgen Kuczynski der KPD beigetreten. Davor leitete er das Forschungsinstitut der amerikanischen Gewerkschaftszentrale. Als Redakteur der Parteizeitung Rote Fahne war er für die Wirtschaftsanalysen zuständig und arbeitete auch der sowjetischen Botschaft zu. Seine Analysen über die wirtschaftliche und soziale Situation wurden von der Reichsleitung der Kommunistischen Partei ausgewertet und genutzt. Wenige Jahre später kamen die Faschisten an die Macht und Kuczynski ging 1936 ins Exil nach Großbritannien. Davor kam er für zwei Wochen kurz in Moskau unter, wo er beim Ökonom der KI, Eugen Varga, Zuflucht fand. In England dann koordinierte er Genossinnen und Genossen im Widerstand und knüpfte Kontakte zu Sozialdemokraten zur Etablierung einer Einheitsfront der Arbeiterklasse und außerdem auch AntifaschistInnen verschiedenster Standpunkte zur Schaffung einer breiten Volksfront gegen den deutschen Faschismus.

Als Statistiker arbeitete er dann für die USA. Zwar wurde er nach Kriegsausbruch als Deutscher interniert, doch setzte er auch hier seine antifaschistische Vernetzungsarbeit fort. Aufgrund des Drucks einiger US-amerikanischer Promis wurde er wieder frei gelassen. Zusammen mit seiner Schwester konnten in dieser Zeit wichtige Informationen an die Rote Armee gegeben werden. Als er 1945 im Rang eines US-Oberstleutnant nach Deutschland kam, nahm er persönlich den Chef des Industriekartells IG Farben fest und trat später als Gutachter im Auschwitz-Prozess auf. Doch sein Gutachten über das Zusammenwirken der SS mit der IG Farben beim Aufbau und Betreiben des Vernichtungslagers hat den wirtschaftsfreundlichen Machthabern im Westen nicht gepasst.

Im befreiten Deutschland war er anfangs in der sowjetischen Besatzungszone für Finanzen zuständig, wenn auch aus Walter Ulbrichts Wunsch ihn in der DDR zum Wirtschaftsminister zu machen, nichts wurde. Er gründete und leitete dann das Institut für Wirtschaftsgeschichte an der Berliner Uni. Außerdem war er Mitglied des Parlaments, der Volkskammer, und Vorsitzender der späteren Freundschaftsgesellschaft DDR-UdSSR. Er war außenwirtschaftspolitischer Berater der Staatsratsvorsitzenden.

Kuczynski war Träger zahlreicher Auszeichnungen, mehrfach für den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften nominiert und zum auswärtigen Mitglied der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion ernannt. Unter seinen über 4.000 Veröffentlichungen sind vor allem seine 40-bändige Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, seine 10-bändige Studien zur Geschichte der Gesellschaftswissenschaften und seine 5-bändige Geschichte des Alltags des deutschen Volkes bekannt.

Er schrieb früher für die Weltbühne und bis zuletzt für die Tageszeitung jungeWelt. Er besaß die vielleicht größte Privatbibliothek Europas, welche seine deutsch-jüdische Familie über sechs Generationen zusammentrug und welche zum Großteil vor den Nazis gerettet werden konnte. Zusammen gut 70.000 Bücher plus ca. 35.000 Hefte und Zeitschriften. Darunter auch eine Erstausgabe des Kommunistischen Manifests oder auch von Hegel und von Kant; aber auch Originalhandschriften von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Ludwig Feuerbach, Heinrich Heine und Theodor Fontane. Daneben finden sich unzählige Briefkorrespondenzen mit unzähligen DDR-Bürgern und -Politikern, aber auch mit Schriftstellern wie Hermann Kant, Anna Seghers, Stephan Hermelin und Lion Feuchtwanger sowie auch mit Albert Einstein, Thomas Mann und Karl Jaspers. Er gehörte zu der Generation, die noch in persönlichem Kontakt zu Kautsky, Kollwitz, Liebknecht, Luxemburg, Radek oder auch Lenins Sekretärin standen.

Der Kommunist Kuczynski hat viel allgemeinverständliche Werke beschrieben. Darunter z.B. auch sein historisch-materialistisches Buch über die Geschichte der menschlichen Gesellschaft «Vom Knüppel zur automatischen Fabrik» oder aber auch «Das große Geschäft. Die Verbrechen des deutschen Imperialismus». Vor 20 Jahren ist der große Jürgen Kuczynski gestorben.

SDAJ München
Foto: UZ