Kultur

Die erschossene Frau

Blumenschmuck am Gedenkstein mit -tafel: »Am 12. April 1945, wenige Tage vor dem Einmarsch amerikanischer Truppen, wurden hier zwei Soldaten wegen Fahnenflucht von einer Heeresstreife erschossen. Die Mitbürgerin Else Gores wurde dabei wegen angeblicher Beihilfe brutal ermordet.«.

Else Gores ermordet am 12.04.1945

Die erschossene Frau lag im Park und rief: «Man hat mich erschossen», Frauen, die Holz sammelten, die den Satz erst gar nicht verstanden, liefen in die Richtung des monotonen, sich gleichmäßig wiederholenden Satzes: «Man hat mich erschossen», liefen in Richtung eines Gebüsches und fanden dort Die erschossene Frau.

Sie trugen sie ins ehemalige Parkcafé, das ausgeräumt und ausgebombt wie eine romantische Ruine zwischen zerfetzten Bäumen stand, legten sie auf eine Matratze, und Die erschossene Frau, die aus der Nase und dem Mund blutete und hinten im Genick ein rotes Loch hatte, sagte: «Man hat mich erschossen.» Sie erzählte bei vollem Bewusstsein, dass sie einen Fahnenflüchtigen versteckt habe, das sei entdeckt worden, dann hätten Soldaten sie aus der Wohnung geholt und hier im Park mit einem Genickschuss erschossen, zusammen mit zwei anderen Soldaten, und die lagen auch da und waren tot, aber sie lebte und sagte immerzu: «Man hat mich erschossen.»

Die erschossene Frau hätte noch ein langes Leben gehabt, wenn nicht einer, der noch an Ordnung glaubte, der nicht begriffen hatte, dass nur die Unordnung Leben retten konnte, der Polizei ordnungsgemäß den Fall gemeldet hätte. Die Polizei rief ordnungsgemäß die Heeresstreife an, die Heeresstreife als Garant der Ordnung kam mit einem Feldwebel, der eine Beinprothese trug, er hinkte und schwenkte seine Prothese dabei in einem Halbkreis nach vorne, das gab ihm etwas Mechanisches, Unerbittliches. Mit seinem Totenschritt kam er näher, pinkelte erst einmal, ließ dann die Frau herausholen, und dieselben Männer, die die Frau erschossen hatten, nahmen sie wieder mit, zwängten sie in einen Wagen, sie wehrte sich und schrie, aber sie nahmen sie ordnungsgemäß mit. Die erschossene Frau wurde nie mehr gesehen, keiner wusste, wer sie war, sie blieb in Erinnerung als Die erschossene Frau.

Volker Goetz las aus dem
Roman «Tagundnachtgleiche» von Dieter Forte

Einige Düsseldorfer aus VVN, DKP, Partei Die Linke, SPD, DFG-VK und Naturfreunde waren gekommen um Else Gores zu gedenken, die am 12. April 1945 von der Heeresstreife Kaiser im Eller Forst niedergeschossen und anschliessend im Wagen weggebracht wurde. Sie war 26 Jahre alt und wurde noch wenige Tage vor dem  Einmarsch der amerikanischen Truppen in Düsseldorf – wie so viele andere – von der Heeresstreife ermordet.

Text und Foto: I.Lang