Die Gewerkschaften stecken in
einer tiefen Krise. In der Gesellschafts-, Tarif- und
Organisationspolitik befinden sie sich gegenüber dem Kapital in
der Defensive. Die gewerkschaftliche Linke kritisiert seit
längerem die zunehmende Handlungsunfähigkeit, die wachsende
organisatorische Schwäche und die nach wie vor überwiegend
auf Sozialpartnerschaft ausgerichtete Politik der Mehrheit der
Gewerkschaftsführungen. Die Zeit ist mehr als reif für eine
Wende in der Gewerkschaftspolitik. Als einen Beitrag zur Diskussion in
und außerhalb der DKP veröffentlichen wir an dieser Stelle
einen Entwurf zur gewerkschaftlichen Situation und Aufgaben aus
marxistischer Sicht von Wolfgang Teuber, Mitglied des Parteivorstandes
der DKP. Wir wollen mit diesem Beitrag einen breiten Diskussionsprozess
beginnen, der nach Überarbeitung und Beschlussfassung dieses
Entwurfs im Parteivorstand der DKP seinen Abschluss finden soll.
1.
Aktuelle Situation
Die gesellschaftspolitischen
Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland verändern sich
dramatisch. Von Armut sind nach offiziellen Angaben inzwischen
12,6 Prozent der Bevölkerung betroffen. Jährlich werden
Hunderttausende Arbeitsplätze und Standorte vernichtet. Mit der
Drohung Standorte zu verlagern oder zu schließen startete das
Kapital ein Generalangriff auf die erkämpften Errungenschaften der
Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung:
Die
Arbeitszeitverlängerung, die "sanfte" Tour der Lohnkürzung
wird schrittweise durchgesetzt; die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche
und mehr wird zunehmend zur Realität; die Tarifverträge
werden immer weiter ausgehöhlt; das Betriebsverfassungsgesetz,
insbesondere die Mitbestimmung, soll bis zur Unkenntlichkeit
demokratischer Rechte entleert werden; Lohnkürzung, Kürzungen
von Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie übertariflicher
Lohnbestandteile werden zur alltäglichen betrieblichen
Auseinandersetzung für die Betriebsräte; der Abbau von
Arbeitsschutzrechten und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen
wird vom Gesetzgeber vorbereitet und von der Unternehmerseite in den
Betrieben de facto schon jetzt umgesetzt; die Unfallversicherungen und
Berufsgenossenschaften werden von der Kapitalseite zunehmend in Frage
gestellt.
Die Belastungen für die
Arbeiterhaushalte, insbesondere aber für die durch
Arbeitslosigkeit betroffenen sieben Millionen Menschen wachsen
ständig. Die Kommunen legen die Belastung, bedingt vor allem durch
die Schuldensituation, auf die Bürgerinnen und Bürger um, die
soziale Herkunft entscheidet über das Maß an Bildung und
Ausbildung. Diese und weitere Entwicklungen signalisieren die deutliche
Tendenz, dass die gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse zu
Gunsten des großen Kapitals, zu Lasten der kleinen Leute
verändert werden.
Das Ausmaß an Armut und
sozialer Ausgrenzung wächst erkennbar. Immer mehr Menschen wird
die Würde genommen. "Sachzwanglogik" des Kapitals bestimmt die
öffentliche Darstellung der Probleme. Den Menschen wird über
alle Kanäle der bürgerlichen Medien permanent ins Bewusstsein
gehämmert, dass es keinerlei Alternative zu dieser Entwicklung
gäbe. Aber es gibt Alternativen. Sie zu entwickeln, für ihre
Durchsetzung zu kämpfen, das ist die Herausforderung dieser Zeit
für die organisierte Arbeiterbewegung, besonders die
Gewerkschaften.
2.
Gewerkschaftliche Gegenwehr nötig
Doch den Gewerkschaften fehlt
heute eine gemeinsame Linie zur Gegenwehr. Eine gemeinsame Strategie
z. B. in der Arbeitszeitfrage gibt es nicht. Das Ausspielen der
Betriebe, der Standorte untereinander, findet seine Entsprechung auf
der Ebene der Einzelgewerkschaften. Nach wie vor ist die deutsche
Gewerkschaftsbewegung in einer tiefen Krise. Sie gerät immer
weiter gegenüber dem Kapital in die Defensive.
Den Angriffen des Kapitals,
den Angriffen und Erpressungen der Transnationalen Konzerne stehen die
Gewerkschaften bisher zum großen Teil hilflos gegenüber.
Ihnen fehlt eine Analyse der enormen weltweiten ökonomischen
Veränderungen; eine Analyse des Zusammenbruchs des Sozialismus,
der bis hinein in die Gewerkschaften seine Wirkung hat. Es fehlt eine
gemeinsame Strategie des Widerstandes im DGB, im EGB und vor allem eine
weltweite Strategie gegen die Transnationalen Konzerne.
Gewerkschaften müssen
wieder zur Gegenmacht werden. Die Sozialpartnerschaftsillusion ist
längst durch die Praxis widerlegt. Es gibt keinen gerechten
Ausgleich zwischen Arbeit und Kapital. Die Interessen der abhängig
Beschäftigten, jener, die keine Arbeit mehr haben und von
Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe leben müssen, ihre Wünsche,
Ziele, sozialen Leistungen und Rechte müssen Maßstab
gewerkschaftlicher Politik werden. Die Durchsetzung ihrer Interessen
verlangt eine politische Begründung des Wirkens der Ziel- und
Zukunftsvorstellungen der Gewerkschaftsbewegung. Wenn es in den
zentralen Fragen gewerkschaftlicher Politik nicht zu einer
Veränderung in Richtung gemeinsamer Gegenwehr kommt, ist der
Niedergang der Gewerkschaften, das Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit
programmiert.
Die zentrale Aufgabe der
Gewerkschaften muss es daher sein, sich das politische Mandat wieder
zurückzuerobern. Ohne einen Politikwechsel für mehr
Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit, ohne Veränderung der
politischen Rahmenbedingungen wird es den Gewerkschaften nicht
gelingen, die Defensive zu überwinden.
3.
Veränderte ökonomische Bedingungen
Seit den 70er Jahren
entwickeln sich gravierende ökonomische Veränderungen auf
Weltmarkt. Das transnationale Kapital - kurz: die Multis - sind das
strukturbestimmende Kapitalverhältnis des heutigen globalen
Kapitalismus geworden. Sie sind die treibende Kraft der Globalisierung.
Die Transnationalen Konzerne (TNK´s) beherrschen die
Weltwirtschaft. Ein Viertel der Weltwirtschaftsleistung wird von den
200 größten Multis erzeugt. Sie bestimmen den Welthandel,
sie entscheiden über Investitionen, sie beherrschen Forschung und
Entwicklung. Die Multis haben ein über die ganze Welt gestreutes
Netzwerk von Produktionsstätten aufgebaut. In diesem Netzwerk
beschäftigen z. B. die 100 größten Multis knapp
13 Millionen Arbeitskräfte. Diese weltweit verteilten
Entwicklungs- und Produktionsnetzwerke führen dazu, dass sich die
Produktionskosten nicht mehr im nationalen Maßstab berechnen,
sondern im Bezug auf die Produktionsbedingungen im weltweiten
Zusammenhang. Aber nur die Multis sind in der Lage, diesen Vorteil zu
nutzen.
Auf der ganzen Welt wollen
diese Konzerne die Arbeitskraft billiger haben. Sie erpressen die
jeweiligen Belegschaften mit Verlagerung. Weltweit steht ihnen
dafür ein Heer an Arbeitskräften zur Verfügung. Erstmals
erlauben moderne Kommunikationstechnologien und Transportmittel sowie
die weltweit gleiche angewandte Technologie dem transnationalen Kapital
weltweit die billigsten Arbeitskräfte, die besten
Absatzmärkte und die günstigsten Bedingungen zu kombinieren.
Auf dieser Basis setzt sich eine globale Entwertung der Arbeitskraft
durch. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen sollen auf die weltweit
niedrigsten Niveau gebracht werden. Das Kapital geht dorthin wo der
geringste Organisationsgrad der Gewerkschaften (oder gar keine) sind,
wo die schlechtesten Arbeitsbedingungen herrschen und die geringsten
Löhne gezahlt werden und machen dies zum Maß aller Dinge in
den weltweiten Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit.
4. Es
gibt kein zurück zum Sozialstaat
Viele Funktionäre in den
Gewerkschaftsführungen glauben es gäbe ein Zurück zum
sogenannten Sozialstaat in der Bundesrepublik der 70-er Jahre, doch
dies wird nicht möglich sein. Da wird zum einen der Sozialstaat im
Nachhinein mit seinen Mängel und Defekten idealisiert, aber
zweitens wird überhaupt nicht beachtet, dass es eine ganz
bestimmte historische Konstellation war - geprägt von den inneren
ökonomischen Bedingungen wie auch die äußeren der
Systemkonkurrenz, auf deren Basis der sozialstaatliche
Klassenkompromiss möglich war. Beide Aspekte treffen heute nicht
mehr zu.
Die Logik des heutigen,
globalisierten Kapitalismus ist inkompatibel mit sozialstaatlicher
Regulierung. Die Erfahrungen der sozialen Kämpfe in Europa in der
zurückliegenden Zeit zeigen, dass es selbst bei großen
sozialen Bewegungen außerordentlich schwierig ist, soziale Rechte
zu verteidigen.
Gescheitert ist
außerdem der Versuch der keynesianischen Wirtschaftspolitik der
Sozialdemokratie der 70-er Jahre, die darauf hinauslief, das Geld, das
sie dem Kapital nicht wegnehmen wollte - denn wirkliche Umverteilung
war Tabu - das sie aber trotzdem für Sozial- und
Beschäftigungspolitik brauchte, aus dem wirtschaftlichen Wachstum
und durch Staatsverschuldung zu finanzieren. Finanziert wird dieser
gewaltige Schuldendienst durch Sozialabbau und Ausverkauf
öffentlichen Eigentums. Wachstumszuwächse stehen nicht mehr
zur Verfügung. Dies zeigte, die Verteilungsfrage lösen zu
wollen, ohne die Eigentumsfrage zu berühren, hat nicht
funktioniert.
Das macht vor allem deutlich:
weitere wesentliche Unterschiede heutiger Reformpolitik zur
sozialdemokratischen Reformpolitik der 70er Jahre besteht darin, dass
Reformpolitik der politischen Konfrontation mit der Macht des
Großkapitals, vor allem der Multis, nicht ausweichen kann,
sondern sogar auf sie orientieren muss; dass mit Stellvertreterpolitik
nichts mehr zu erreichen ist, sondern ein demokratisches,
partizipatives, kämpferisches Politikverständnis erforderlich
ist; dass über die Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise
hinausgedacht werden muss, um Fortschritte innerhalb des Kapitalismus
zu erreichen.
Sozialstaatliche Regulierung
wird sich, wenn überhaupt, nur noch durchsetzen lassen, wenn die
sozialen Bewegungen, vor allem die Gewerkschaften und die arbeitende
Klasse den Klassenkampf mit antikapitalistischem Charakter entwickeln
und strukturelle antimonopolistische Reformen durchsetzen.
5. SPD
und Gewerkschaften
Das alte Band zwischen der
SPD und den Gewerkschaften zerfasert, wird dünner und steht vor
einem endgültigen Bruch. Die Gewerkschaften stehen damit vor einer
völlig neuen Situation: der politische Partner ist abhanden
gekommen. Ja, er hat die Fronten gewechselt. Dies führt
verständlicherweise zu Orientierungsschwierigkeiten.
Doch Teile der Gewerkschaften
werfen sich - in der Hoffnung, Einfluss zu retten - auch dieser
SPD-Politik an den Hals. Wenn die Anbindung der Gewerkschaftsbewegung
an die SPD und deren Regierungspolitik fortgesetzt wird, wird dies
über kurz oder lang zu einer Existenzkrise der Gewerkschaften
führen. Sie muss aufgebrochen werden. Die SPD ist inzwischen wie
die Grünen eine auswechselbare Variante zur CDU/CSU und FDP
geworden. Wenn die Gewerkschaften eine Zukunft haben wollen, dann
müssen sie sich konsequent von der Unterordnung unter die SPD
lösen, eine autonome Interessenvertretung betreiben, selbst
politisch und Teil einer Massenbewegung gegen Arbeitslosigkeit und
neoliberale Zerstörung werden.
6.
Innergewerkschaftliche Demokratie
In vielen Gewerkschaften
liegt die Vertrauensleutearbeit am Boden. Sie neu zu intensivieren muss
innergewerkschaftlich vorrangige Aufgabe sein, auch weil dies eine
Voraussetzung ist die Gewerkschaften stärker in den Betrieben zu
verankern und den Mitgliederrückgang zu stoppen. Der in der
letzten Zeit zunehmende Orientierung des gewerkschaftlichen Apparates
auf die Arbeit der Betriesräte kann damit ein notwendiges
Korrektiv entgegen gesetzt werden. Die Rolle gewerkschaftlicher
Vertrauenskörper muss genau so gestärkt und weiter entwickelt
werden wie regelmäßige Mitgliederversammlungen in jenen
Orten, in denen es keine Großbetriebe gibt. Die in einigen
Bezirken stattfindende gewerkschaftliche Stadteilarbeit ist
flächendeckend auszuwerten und ihre Erfahrungen für die
gewerkschaftliche Arbeit nutzbar zu machen, um vor allem
gesellschaftspolitische Positionen der Gewerkschaften unter breiten
Teilen der Bevölkerung an Hand ihrer unmittelbaren
Alltagsproblemen deutlich zu machen.
Im Sinne der
Weiterentwicklung innergewerkschaftlicher Demokratie wäre es
notwendig, wenn über Strategie und Taktik, aber auch über
eine notwendige neue Programmatik und Zukunftsvorstellungen, ein
umfassender Meinungsaustausch organisiert wird. Die Verständigung
der Mitglieder ist zunächst das Ziel, um dann auch eine
stärkere Massenwirkung für die politischen Ziele und
Forderungen erreichen zu können.
Die Umsetzung von
Gewerkschaftstagsbeschlüssen muss verbindlich und abrechenbar
organisiert werden. Dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft muss wieder
Geltung verschafft werden. Voraussetzung dafür ist, dass dem
Parteienproporz von SPD und CDU in den Gewerkschaftsführungen ein
Ende bereitet wird. Die Auswahl in die gewerkschaftliche
Führungsarbeit ist nach den fähigsten Köpfen und nicht
nach Parteibüchern vorzunehmen.
7.
Gewerkschaftliche Bildungsarbeit
Die gewerkschaftliche
Bildungsarbeit verliert immer weiter an Bedeutung. Die politische
Bildungsarbeit wurde zusehends zerstört. Bildungsthemen zunehmend
dem kapitalistischen Mainstream angepasst und dabei den Argumenten des
Kapitals in die Hände gearbeitet, wie beispielsweise das
gemeinsame Positionspapier der Hans-Böckler-Stiftung und der
Bertelsmann-Stiftung gezeigt hat. An betrieblich relevanten Themen, an
wichtigen Feldern der betrieblichen Auseinandersetzung ist die
gewerkschaftliche Bildungsarbeit nicht mehr dran und kann daher keine
Hilfe, Antworten und Alternativkonzepte zu den Kapitalstrategien
vermitteln. Aufgabe gewerkschaftlicher Bildungsarbeit muss es wieder
sein, den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit aufzuzeigen und
Bewusstsein für die eigenen Interessen zu entwickeln.
8.
Gewerkschaftliche Aufgaben
Wichtigste Aufgaben der
Gewerkschaften ist zur Zeit den Widerstand der Beschäftigten und
Arbeitslosen gegen die Angriffe des Kapitals zu organisieren.
Voraussetzung dafür ist die Entwicklung von gewerkschaftlichen
Gegenstrategien zur kapitalistischen Globalisierung,
einzelgewerkschaftsübergreifend, europa- und weltweit.
Notwendig ist daher
beispielsweise, dass der Kampf gegen Betriebsverlagerungen verbunden
werden muss mit dem Kampf um die Kontrolle des Kapitals (denn das
Kapital darf eben nicht frei sein überall dahin zu gehen, wo die
höchsten Profite winken):
- für wirksame Mitbestimmung der
Belegschaften und der Gewerkschaften über Investitionen,
- für staatliche
Kapitalverkehrskontrollen,
- für eine staatliche Politik, die
sich den Anforderungen der Multis widersetzt und für die die
Interessen der Mehrheit der Bevölkerung und der arbeitenden Klasse
Priorität hat.
Dabei werden die
Belegschaften multinationaler Konzerne eine hegemoniale Rolle für
die gesamte Arbeiterbewegung spielen. Ihre Haltung und ihre Kämpfe
haben eine Ausstrahlung, die weit über den direkt betroffenen
Betrieb hinausgeht. Die Belegschaften der Multis sind der Teil der
Klasse, der am engsten mit der modernen kapitalistischen Produktion
verbunden ist, sie sind der Teil, bei dem objektiv die Herausbildung
des internationalen Charakters der Klasse am weitesten fortgeschritten
ist. Und sie bilden den Teil, der die kapitalistische Produktion am
empfindlichsten treffen kann. Das zeigen die europaweiten Kämpfe
der GM-Belegschaften 2000 zur Erhaltung des Produktionsstandortes Luton
in England, das zeigte vor allem der zeitgleiche Streik der
Hafenarbeiter in 14 Häfen Europas im März und
September 2003 der entscheidend dazu beigetragen hat, die
Port-Package-Richtlinie der EU zu verhindern, das machte aber auch der
spontane Streik der Opel-Arbeiter in Bochum deutlich, durch den
innerhalb kurzer Zeit die Standorte in Belgien, Schweden und anderen
deutschen Werken betroffen waren.
Von daher besteht für
die Arbeiterbeiterbewegung die Herausforderung, nicht nur das
koordinierte Handeln der nationalen Gewerkschaftsverbände zu
organisieren, sondern auch die Organisierung der Belegschaften
grenzüberschreitend entlang der Wertketten der modernen Produktion
rund um den Globus voranzutreiben. Ein Konzept der internationalen
Zusammenarbeit der Gewerkschaften muss entwickeln werden. Es geht also
auch darum, innerhalb der Multis eine handlungsfähige Gegenmacht
aufzubauen. Dabei muss die Eigentumsfrage stärker in den
Mittelpunkt gestellt werden. Voraussetzung dafür ist, die
Beendigung der Stellvertreterpolitik und die Entwicklung eines
demokratischen, partizipativen, kämpferischen
Politikverständnisses, womit neue Formen der Einbeziehung der
Beschäftigten entwickelt werden können. Dabei müssen
erfolgreiche und gescheiterte Kämpfe ausgewertet und neue
Kampfformen erprobt werden.
9.
Gewerkschaften und die soziale Bewegung
Angesichts der umfassenden
Angriffe des Kapitals ist es notwendiger denn je, dass die
Gewerkschaften die Zusammenarbeit mit Bündnispartnern weiter
entwickeln. Eine unmittelbar wichtige Aufgabe ist dabei aus unserer
Sicht, die Zusammenarbeit mit der sozialen und
globalisierungskritischen Bewegung zu verstärken. Diese neue
Bewegung gegen den Neoliberalismus, die kapitalistische Globalisierung
und den imperialistischen Krieg kann die Arbeiter- und
Gewerkschaftsbewegung stimulieren. Aber umgekehrt braucht diese
Bewegung auch die organisierte Kraft der Arbeiter- und
Gewerkschaftsbewegung für die Schaffung einer sozialen und
politischen Alternative. Nur mit einer sich entwickelnden
außerparlamentarischen Bewegung, in der die Gewerkschaften ein
wichtiger Motor sein können, kann das Kräfteverhältnis
national und international verändert werden.
In Europa hat sich der
Widerstand gegen die transnationale Agenda der Demontage des
Sozialstaats in der Vergangenheit nur national formiert. Mit der
Angleichung der Politik des Sozialabbaus der Regierungen der
Mitgliedsländer der Europäischen Union eröffnet sich
auch die Chance für einen europaweiten Kampf für die
Verteidigung der sozialen Rechte. Die sozialen Bewegungen, die
Gewerkschaftsbewegung, die systemalternative Linke müssen eine
europäische Dimension annehmen. Ansonsten werden sie in den
sozialen und politischen Auseinandersetzungen der nächsten Jahre
untergehen.
10.
Wende in der Gewerkschaftspolitik
Die Zeit ist reif für
eine Wende in der Gewerkschaftspolitik. Das 1996 angenommene
DGB-Programm passt nicht in diese Zeit und gibt keine
überzeugenden Antworten auf die Herausforderungen von morgen. Real
spielt es in der Gewerkschaftsbewegung keine Rolle. Das Ziel der
Gewerkschaftsbewegung muss es sein, fortschrittliche Politik in der
Gesellschaft hegemoniefähig und damit durchsetzbar zu machen.
Niemand sollte sich Illusionen machen. Selbst ein Stopp der jetzigen
Entwicklung wird nur durchsetzbar sein durch eine breite Mobilisierung
der Belegschaften in den Betrieben. Der dringend notwendige Prozess der
Reorganisation der Gewerkschaftsbewegung wird vermutlich längerer
Zeit bedürfen. Es gibt allerdings keine Alternative dazu, wenn man
nicht die Existenz der Gewerkschaften riskieren will.
Daher rufen wir Marxistinnen
und Marxisten, die in den Gewerkschaften, in Betrieben und Verwaltungen
tätig sind, alle Kolleginnen und Kollegen zu einer gemeinsamen
Kraftanstrengung auf. Lasst uns die Gewerkschaften wieder zu
Organisationen der Interessenvertretung der arbeitenden Klasse machen.
Lasst uns solidarisch mit einander streiten, Ideen entwickeln,
gemeinsam kämpfen. Solidarität ist unsere Kraft.
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