Kultur
»Bleibe fest, halte aus!«
Zuspruch
Laß dich Schwermut nicht schwächen:
bleibe fest, halte aus!
Einst wird die Zukunft dich rächen,
kommst du auch nie mehr nach Haus.
Mag es leer um uns werden,
schwinden, was Freund einst war,
sind wir schließlich auf Erden
nur eine kleine Schar
lächerlich und verachtet,
vor dem Tanz um die Macht,
hüllt, was ihr Buntes erdachtet,
heut noch in Dunkel die Nacht –
einmal muß es tagen,
ist der Wahn nicht mehr wahr.
Soviel Jahre der Plagen
schaffen das glückliche Jahr,
das die Mörder entmachtet
und die Lügen enthüllt.
Was ihr Gutes erdachtet,
hat sich dann endlich erfüllt.
Wieder leuchten die Feuer
einem befreiten Land,
unserm Herzen teuer,
sind wir aus ihm auch verbannt,
das wir töricht lieben,
weil es uns einst gebar.
Die Standhaften blieben
stets eine kleine Schar,
doch sie bewahrt für immer,
was die Heimat besaß
einst an himmlischem Schimmer,
Geist und Freiheit und Maß,
und sie trägt es nach drüben,
kommt sie auch nie mehr nach Haus’.
Laß dich Trauer nicht trüben,
bleibe fest, halte aus!
Max Herrmann-Neiße
Der Dichter wurde am 23. Mai 1886 in Neiße geboren.
Er war unerschütterlicher Antimilitarist und Antifaschist, der von seinen jungen Jahren an und auch während seiner fruchtbaren Schaffensjahre in der Weimarer Republik sein von ihm selbst oft beklagtes Außenseitertum nie überwinden konnte.
Diese Isolierung blieb auch in der vom Hitlerfaschismus erzwungenen Emigration in Paris und später in London sein Schicksal. Dennoch hat der von Statur kleine und verwachsene Mann gerade während jener für ihn so unsagbar schweren Zeit in seiner Lyrik höchste Vollendung erreicht. Aus diesen zarten und doch so eindringlichen Gedichten spricht die tapfere Zuversicht in die Kraft der Poesie, die ihn auch unter dem Dröhnen der faschistischen Bomber über London im Winter 1940/41 nicht verließ.
Max Herrmann-Neiße hat den Tag des erhofften Sieges über die verhasste braune Barbarei nicht mehr erleben können, er starb am 8. April 1941 an einem Herzanfall.
Dirk Krüger
Foto: Bonio Wikipedia