Politik
Volkszählung? Da war doch was?!
Mikrozensus und Volkszählung 20111
Sind Sie schwul oder verheiratet? Muslima oder Jude? Haben Sie kürzlich versucht, Arbeit zu finden? Oder sie verloren? Das Innenministerium wüsste das jetzt gerne mal genauer. Und die Aussage verweigern dürfen Sie nicht. 80 000 »Interviewer«, bis zu 186 Fragen pro Haushalt – am 9. Mai ist wieder Volkszählung.
Volkszählung? Da war doch was?! Genau! 1983 führte die geplante Volkszählung zu Massenprotesten. Tausende von Bürgerinitiativen schossen aus dem Boden. Die Folge: Verfassungsbeschwerde. Und das Bundesverfassungsgericht stoppte die Volkszählung. Sie konnte erst vier Jahre später nach erheblichen juristischen Nachbesserungen durchgeführt werden.
Im so genannten »Volkszählungsurteil« vom 15. Dezember 1983 erklärte das Bundesverfassungsgericht wesentliche Punkte des Gesetzes für verfassungswidrig und begründete dies mit dem »Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung«. Die Volkszählung musste danach neu organisiert werden und konnte erst 1987 durchgeführt werden.
Und heute? Ist die Volkszählung in Zeiten von Vorratsspeicherung, Google Street View, GPS-Handys, Gesundheitskarte, ELENA2, Personalausweis mit RFID-Funkchip3 und Facebook überhaupt noch ein Thema? Allerdings!
In 2011 wird es europaweit eine Volkszählung geben. Bisher ist der breiten Öffentlichkeit davon bislang so gut wie nichts bekannt, denn Behörden und Ämter halten sich damit zurück, die seit Jahren feststehenden Fakten zu veröffentlichen.
Die für dieses Jahr geplante Volkszählung wird aufgrund einer Richtlinie der EU nicht nur in Deutschland, sondern europaweit durchgeführt, wenn auch in jeweils unterschiedlichem Umfang.
Die vom AK-Vorrat4 am 16. Juli 2010 beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Zensusgesetz, die von 13 077 Menschen unterstützt worden ist, wurde wegen »nicht vorliegenden Annahmevoraussetzungen« abgelehnt, ohne dass die Beschwerde inhaltlich bewertet worden ist.
Der Begriff Volkszählung (von den Behörden oft auch als »Zensus« bezeichnet) ist irreführend, denn bei den heutigen Volkszählungen wird nicht einfach nur die Bevölkerung durchgezählt. Spätestens seit den Volkszählungen zu Zeiten des Faschismus ist bekannt, dass bei dieser Gelegenheit die Befragten dazu gezwungen wurden, sämtliche persönliche Daten über sich preiszugeben.
Besonders erwähnenswert erscheint in diesem Zusammenhang der Umstand, dass sowohl die sächsische als auch die hessische NPD ihre Mitglieder dazu auffordert, sich als »Volkszähler« für den »Zensus 2011« zu melden.5
Mit den Ergebnissen der statistischen Auswertungen der Daten soll eine bessere Planung staatlichen Handelns ermöglicht werden. Dabei geht es um die Organisation von Infrastruktur wie beispielsweise die Bestimmung von Kindergärtengrößen in Gemeinden und Stadtteilen, von Gas-, Wasser-, und Kommunikationsleitungen und ihrer entsprechenden regionalen Planung usw. In Deutschland hängen außerdem noch Finanzausgleichszahlungen zwischen den Bundesländern und die Wahlkreis-Zuschnitte von der tatsächlichen Verteilung der Menschen in den Städten, Gemeinden, Kreisen und Ländern ab.
Beim kommenden »Zensus« werden ca. 25 Millionen in Deutschland lebende Menschen (z.B. alle 17,5 Millionen Wohnungs- oder Hausbesitzer) von 80 000 Interviewern besucht, die mit ihnen die zum Teil ausführlichen Fragebögen über alle Lebensbereiche ausfüllen: Sind Sie homosexuell, woher stammen ihre Eltern, empfangen sie Hartz-IV und bewerben sie sich auch fleißig? »Erkundungen« im familiären und nachbarschaftlichen Umfeld zur Kontrolle der Angaben haben die Befragten im Einzelfall hinzunehmen.
Im Hintergrund werden seit 2008, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, von allen Einwohnern Deutschlands zum großen Teil persönliche und sensible Informationen zu einer neuen großen Anschrift- und Gebäudedatenbank zusammengeführt. Diese Informationen stammen aus verschiedenen Datenbanken unterschiedlicher Behörden (Melderegister, Agentur für Arbeit, Finanzamt etc.). Diese sollen später mit den Ergebnissen der Befragung zusammengeführt werden. Mit der Vorbereitung dazu wurde bereits im November 2010 begonnen.
Zusätzlich werden drei weitere Bevölkerungsgruppen mit Fragebögen zur Auskunft zwangsweise verpflichtet:
- Alle Eigentümer von Wohnungen und Gebäuden (auch Wohnungsbau- gesellschaften o.ä.) müssen einen Fragebogen mit ausführlichen Fragen zu den Wohnungen, deren Ausstattung und deren Bewohnern ausfüllen. Der Fragebogen wird per Post zugesendet und kann schriftlich oder auch über das Internet beantwortet werden. Erste so genannte »Vorbefragungen sind in einigen Bundesländern bereits im Sommer 2010 versendet worden.
- Knapp 10% aller Einwohner Deutschlands werden per Zufallsgenerator ausgewählt und müssen einen weiteren Fragebogen mit persönlichen Fragen beantworten. Darunter auch Fragen nach Migrationshintergrund, zur Religionszugehörigkeit sowie eine (mehr oder weniger freiwillige) Frage nach der persönlichen Weltanschauung. Die betroffenen Haushalte erhalten Besuch von einem »Erhebungsbeauftragten«, der die Fragen direkt überträgt. Alternativ können die Fragen aber auch schriftlich oder telefonisch beantwortet werden. Werden Fragebögen falsch oder gar nicht ausgefüllt, drohen Nachbefragungen. Sollten sich Bürger entschließen, einfach »nicht da« zu sein, dürfen Nachbarn oder Vermieter befragt und zusätzliche »Begehungen« durchgeführt werden.
- Schließlich werden noch alle Einwohner von so genannten »Sonderbereichen« zur Angabe sensibler Daten gezwungen. Das betrifft Langzeit-Bewohner bzw. Insassen von Gefängnissen, Studentenwohn- und Altersheimen, Psychatrien, Kliniken usw. Auch alle Obdachlosen werden per Gesetz diesen Sonderbereichen zugeordnet und somit erfasst. Bei nicht auskunftsfähigen Menschen oder in »sensiblen« Bereichen werden die Betroffenen nicht selber befragt, sondern die Heimleiter.
Erste Resultate sollen Ende 2012 vorliegen. Insgesamt rechnet das Statistische Bundesamt mit 88 Millionen Datensätzen aus Melderegistern, acht Millionen aus der Haushaltsstichprobe und 17,5 Millionen von Gebäudeeigentümern. Das alles muss ausgewertet werden. Die Länder zahlen davon 625 Millionen, bekommen vom Bund aber 250 Millionen Zuschuss. Der Bund selbst zahlt 85 Millionen, sodass Gesamtkosten von 710 Millionen Euro erzielt wird.
Dazu Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein: »Für mich ist es nicht einsichtig, wieso eine so teure und aufwendige Aktion überhaupt durchgeführt wird. Statistiken sind heute allgegenwärtig und in der Regel ausreichend. Politische Fehlplanungen lassen sich am besten durch weniger Einfluss von Lobbyisten und transparente Verfahren mit einer starken Bürgerbeteiligung vermeiden.«6
Damit die befragte Person hinter dem angeblich anonymisierten Fragebogen nicht verloren geht, werden die persönlichen Daten unter einer eindeutigen Ordnungsnummer gespeichert. Aber genau das hatte das Bundesverfassungsgericht bei der letzten Volkszählung ausdrücklich verboten. Verboten, damit nicht künftig vielleicht mitregierende deutsche Geert Wilders oder Jörg Haiders die Daten für ihre Zwecke nutzen können:
- Die Daten werden nicht – wie sonst bei statistischen Angaben üblich – anonym verarbeitet. Im Gegenteil: durch so genannte »Ordnungsnummern« lässt sich noch bis zu vier Jahre später zurückverfolgen, welche Angaben gemacht wurden.
- Die Daten werden zweckentfremdet. Obwohl die persönlichen Daten (darunter auch Angaben zur Religionszugehörigkeit) beim Meldeamt zu ganz anderen Zwecken angegeben wurden, werden diese Informationen nun (ohne dass man darüber ausreichend informiert hat) der Volkszählung zugeleitet und zentral gespeichert.
- Die Befragten werden gezwungen, mitzuarbeiten. Einerseits werden sie zwangsverpflichtet, Auskunft über sich und ihre Familie zu erteilen. Tut der Befragte das nicht, droht ein Bußgeld. Andererseits ist es auch möglich, dass der Befragte die Anweisung erhält, als »Volkszähler« zu arbeiten und damit gezwungen wird, Informationen über andere Menschen einzuholen.
- Die Befragten werden diskriminiert, wenn sie einer so genannten »Minderheit« angehören. Die zwangsweise Erfassung von Obdachlosen, die sehr weitgehenden Fragen nach dem Migrationshintergrund und der Religionszugehörigkeit bzw. der Weltanschauung grenzen nicht nur aus sondern werden in diesem Umfang von der europäischen Richtlinie gar nicht verlangt. Warum wird danach gefragt, welcher genauen islamischen Glaubensrichtung man angehört, wenn gleichzeitig jedoch auf eine Unterscheidung der zahlreichen christlichen Kirchen verzichtet wird?
- Die erhobenen Daten werden dem Risiko des Datendiebstahls ausgesetzt. Die zentrale Speicherung sensibler Persönlichkeitsdaten weckt Begehrlichkeiten und birgt die Gefahr des Datendiebstahls. Die Auswirkungen eines derartigen Datenklaus wären gewaltig. Zusammen mit anderen Informationen entsteht ein klares Bild jeder einzelnen Person. George Orwell lässt grüßen.
- Wir wurden nicht genügend informiert. Obwohl dies im – mit den Stimmen der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD im Jahr 2009 beschlossenen – Zensusgesetz ausdrücklich betont wurde, gab es bisher kaum Öffentlichkeitsarbeit von Seiten der zuständigen Behörden. Die Frist zur Abgabe einer Verfassungsbeschwerde ist inzwischen abgelaufen.
Ob und wie die versprochene Datensicherung und Anonymisierung dieser Datenmassen gelingen wird, ist zumindest fraglich. Denn der legale und illegale Handel mit persönlichen Daten blüht. Die wirtschaftlichen Nutznießer und ökonomischen Triebkräfte sind alle möglichen Unternehmen und andere Institutionen (z.B. der Verband der Hauseigentümer, Immobilienmakler, die Werbewirtschaft, Marktforschungsunternehmen, Krankenkassen sowie Versicherungs- und Finanzkonzerne). Wie Hans-Peter Brenner in der UZ vom 25. Februar 2011 richtig schrieb: »Volkszählung und Kapitalinteressen – das ist das eigentliche Problem.«7
Wir sollten in unserem politischen Umfeld Bündnispartner finden, die unser gemeinsames Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch mit zivilem Ungehorsam verteidigen wollen. Schließlich gilt nach wie vor: »Wer nicht kämpft, hat schon verloren!«
1 Verena Rottmann, Mikrozensus und Volkszählung 2011, Berlin 2011
2 http://www.das-elena-verfahren.de/was-ist-elena. ELENA (Elektronischer Entgeltnachweis), durchgeführt durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Rund drei Millionen Arbeitgeber stellen Jahr für Jahr etwa 60 Millionen Bescheinigungen in Papierform aus. Diese Nachweise benötigen ihre Beschäftigten, um gegenüber öffentlichen Stellen die Voraussetzungen für den Bezug einer bestimmten Leistung nachweisen zu können. So ermittelt beispielsweise die Arbeitsverwaltung auf der Grundlage der vom Arbeitgeber ausgestellten Arbeitsbescheinigung den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Zwischen der elektronischen Personalverwaltung des Arbeitgebers und der elektronischen Sachbearbeitung in den Behörden klafft eine Lücke, die weiterhin durch den traditionellen Informationsträger Papier überbrückt wird. Dieser Medienbruch wird durch das ELENA-Verfahren beseitigt. Durch das ELENA-Verfahren werden die Unternehmen ab 2012 um jährlich 85,6 Millionen Euro von Bürokratiekosten entlastet. (zitiert nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie).
3 Am 18. Dezember 2008 hat der Deutsche Bundestag die Einführung des elektronischen Personalausweises beschlossen, der ab 1. November 2010 den bisherigen Personalausweis ablösen soll. Neu ist das Scheckkartenformat, ein Chip mit PIN (einmalige Zusatzgebühr) und die digitale Speicherung der Fingerabdrücke des rechten und linken Zeigefingers, wobei der Bürger die Wahl haben soll, ob seine Fingerabdrücke gespeichert werden. Damit unterscheidet sich der ePA klar vom ePass, in dem die Abgabe des Fingerabdrucks Pflicht ist. Der elektronische Personalausweis ist weiterhin zehn Jahre lang gültig. Bei Personen unter 24 Jahren beträgt die Gültigkeit sechs Jahre. Quelle: Wikipedia
4 Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK-Vorrat) ist ein deutschlandweiter Zusammenschluss verschiedenster Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen sowie unabhängigen Bürgern, die sich gegen jegliche Formen der unverhältnismäßigen Totalüberwachung, Beschneidung von Freiheitsrechten und der Erhaltung der Demokratie in Deutschland einsetzen (aus der Selbstdarstellung des AK-Vorrat).
5 http://www.npd-sachsen.de/index.php?s=28&aid=831; http://www.npd-hessen.de/
7 UZ (unsere zeit) vom Freitag, 25. Februar 2011, S. 6: »Wem gehören unsere Daten?«
destag die Einführung des elektronischen Personalausweises beschlossen, der ab 1. November 2010 den bisherigen Personalausweis ablösen soll. Neu ist das Scheckkartenformat, ein Chip mit PIN (einmalige Zusatzgebühr) und die digitale Speicherung der Fingerabdrücke des rechten und linken Zeigefingers, wobei der Bürger die Wahl haben soll, ob seine Fingerabdrücke gespeichert werden. Damit unterscheidet sich der ePA klar vom ePass, in dem die Abgabe des Fingerabdrucks Pflicht ist. Der elektronische Personalausweis ist weiterhin zehn Jahre lang gültig. Bei Personen unter 24 Jahren beträgt die Gültigkeit sechs Jahre. Quelle: Wikipedia