Politik

NATO-Draht um Baggerseen

Es lächelt der See, er ladet zum Bade

Baggersee, im Vordergrund Stacheldraht.

»Für uns, die Un­ter­neh­men der Che­mie- und Mi­ne­ral­öl-In­dus­trie im Köl­ner Sü­den, ist die Ein­hal­tung ei­nes ho­hen Si­cher­heits­stan­dards ei­ne be­son­de­re Ver­pflich­tung, die dem Zweck dient, Mit­ar­bei­ter, Nach­barn und Um­welt zu schüt­zen. Die Wer­ke ar­bei­ten un­ter Be­ach­tung stren­ger Si­cher­heits­vor­schrif­ten mit Stof­fen, die zum Teil hoch­ent­zünd­lich, brand­för­dernd, gif­tig oder um­welt­ge­fähr­lich sind. Bei sach­ge­mä­ßer Hand­ha­bung geht von die­sen Stof­fen kei­ne Ge­fähr­dung aus.«

Aus: »In­for­ma­tio­nen für un­se­re Nach­barn. Wie ver­hal­te ich mich rich­tig im Er­eig­nis­fall?« Ei­ne In­for­ma­ti­ons­bro­schü­re der Che­mie- und Mi­ne­ral­öl-In­dus­trie im Köl­ner Sü­den. Stand: De­zem­ber 2009. Re­dak­ti­on Pe­ter Sie­bert (Lyon­dell­Ba­sell)

Von Stacheldraht umrahmtes Verbotsschild: »Baden und angeln verboten! Gewässerbelastung…«

Von Köln nach Bonn, auf der A 555, fährt man ei­ne Wei­le zwi­schen in­ter­es­san­ten In­dus­trie­an­la­gen hin­durch, Bün­del von Roh­ren, zy­lin­dri­sche Be­häl­ter, Tanks, Si­los, Lei­tun­gen – rie­sen­haf­te Ab­wand­lun­gen der mo­le­ku­la­ren Ge­stalt von Po­ly­me­ren, die hier her­ge­stellt wer­den. Nachts sind sie ma­le­risch be­leuch­tet. Das Be­triebs­ge­län­de ge­hört Shell und Ly­on­dell­Ba­sell. Wei­te­re neun Fir­men dürf­ten aus­ge­glie­der­te Be­triebs­tei­le sein. Die Stadt­gren­ze Köln/Wes­se­ling geht mit­ten­durch.

Bewohner der Umgebung, die oben erwähnten »Nachbarn«, erleben häufig Havarien:

Am 23. März 2000 zer­stör­te ein Groß­brand ei­ne der bei­den Roh­öl­de­stil­la­ti­ons­an­la­gen in Go­dorf. Ei­ne 40 Me­ter ho­he Stich­flam­me schoss in den Him­mel. Ge­fahr für die Be­völ­ke­rung ha­be nicht be­stan­den, hieß es da­nach. Die Luft­mes­sun­gen von Feu­er­wehr und Um­welt­amt hät­ten kei­ne be­denk­li­chen Wer­te er­ge­ben. Die­se Raf­fi­ne­rie ver­ur­sacht im­mer mal wie­der Säu­re­re­gen, der den Lack von Au­tos be­schä­digt.

Seit No­vem­ber 2008 fie­len der­ar­ti­ge Schä­den auf. Shell lie­ßt sich Zeit und be­zahl­te erst im März 2010 für 500 Au­tos die fäl­li­gen Neu­la­ckie­run­gen. Am 21. März und am 9. Mai 2011 tra­ten aber­mals Säu­re­tröpf­chen aus.

Am 10. Ju­ni 2011 be­rich­tet die Köl­ni­sche Rund­schau (KR) von Roh­öl, das vom Shell-Ge­län­de auf das No­bel­vier­tel Hahn­wald ge­tropft sei. An­ge­sichts der Häu­fig­keit von Be­triebs­stö­run­gen in Go­dorf kri­ti­siert der Bund für Um­welt und Na­tur­schutz (BUND) die Be­zirks­re­gie­rung und for­dert sie auf, künf­tig al­le In­for­ma­tio­nen dar­über öf­fent­lich zu ma­chen.

Am Sams­tag, den 21. Ja­nu­ar 2012, 6.00 Uhr, kommt es auf dem Ge­län­de von Ba­sell Po­lyo­le­fi­ne zu ei­ner Ex­plo­si­on in ei­ner Po­ly­mer­an­la­ge, sie­ben Mit­ar­bei­ter wer­den ver­letzt. Ba­sell ver­ab­reicht das üb­li­che Se­da­ti­vum. »Mes­sun­gen, die un­mit­tel­bar nach der Ex­plo­si­on durch­ge­führt wur­den, zeig­ten kei­nen Stoff­aus­tritt. Ei­ne Ge­fähr­dung der Nach­bar­schaft be­steht nicht«, hei­ßt es in der Pres­se­er­klä­rung zwei Stun­den nach dem Vor­fall.

Im Fe­bru­ar 2012 tritt ei­ne Mil­li­on Li­ter Ke­ro­sin in Wes­se­ling aus. Die Be­zirks­re­gie­rung spricht von ei­nem un­ter­ir­di­schen Ke­ro­sin­see. Noch in ei­ner Ent­fer­nung von 175 Me­ter von der Aus­tritts­stel­le sei das Flug­ben­zin mess­bar. Sie ver­fügt, daß Shell das Zeug aus dem Grund­was­ser zu fil­tern ha­be.

­Am 2. Ok­to­ber 2012 strö­men 3300 Ki­lo ben­zol­hal­ti­gen Heart­cuts aus ei­nem ober­ir­di­schen Rohr in Go­dorf. Shell be­rich­tet der Be­zirks­re­gie­rung erst drei Ta­ge spä­ter von dem Vor­fall. Am 10. Ok­to­ber schlägt ein wei­te­res Rohr leck: Es tritt leich­tes Heiz­öl aus. Am 19. Ok­to­ber tre­ten Öl­ver­ar­bei­tungs­rück­stän­de aus.

Am 23. Ok­to­ber lau­fen rund 100 Li­ter des roh­ben­zin­hal­ti­gen Ge­mischs Naph­ta in ei­nen un­be­fes­tig­ten Gra­ben. Da­mit wer­den al­lein seit An­fang Ok­to­ber vier Lecks an Shell-Roh­ren in Go­dorf be­kannt. Der Staats­an­walt er­mit­telt. Mit Un­ter­su­chun­gen in Sa­chen Shell ist auch die Stabs­stel­le Um­welt­kri­mi­na­li­tät beim Lan­des­um­welt­mi­nis­te­ri­um be­fasst.

Warnschild: »Vorsicht Sicherheitsdraht, Verletzungsgefahr!«.

Die KR vom 25. Ok­to­ber 2012: »Der Shell-Spre­cher wies die Vor­wür­fe um­ge­hend zu­rück. Er sag­te, es ge­be ›kla­re Re­geln‹ zum Be­trieb von An­la­gen wie de­nen in Go­dorf und Wes­se­ling. Shell hal­te sich an die Vor­ga­ben. ›Dum­mer­wei­se‹ ge­be es gleich­wohl ei­ne ›Häu­fung von Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten‹. Die Vor­komm­nis­se wer­de Shell un­ter­su­chen und aus ih­nen ler­nen.«

An die­sem Tag be­sucht Um­welt­mi­nis­ter Rem­mel die Raf­fi­ne­rie. Er ist durch die öf­fent­li­che Dis­kus­si­on alar­miert. Rem­mel wür­de ger­ne das be­schä­dig­te Rohr 7 durch ein dop­pel­wan­di­ges Rohr er­setzt se­hen. Doch nach gel­ten­dem Recht be­ste­he für die Lei­tung aus dem Jahr 1942 Be­stands­schutz. »Ein Rechts­streit macht kei­nen Sinn«, sagt der Um­welt­mi­nis­ter.

Am 2. De­zem­ber, ein Sonn­tag­mor­gen, wird ein wei­te­res Leck an ei­ner Lei­tung, die ein Ge­misch aus Öl und Was­ser trans­por­tiert, ent­deckt. Shell kommt im Ja­nu­ar 2013 der dro­hen­den Schlie­ßung ei­nes Teils sei­ner Raf­fi­ne­rie­an­la­gen zu­vor und er­ar­bei­tet ein Sa­nie­rungs­kon­zept für 300 Rohr­lei­tun­gen.

Am 28. März 2013 gibt es ei­nen er­neu­ten Zwi­schen­fall. »Bei War­tungs­ar­bei­ten an ei­ner Ver­la­de­brü­cke ist am Don­ners­tag­mor­gen Ben­zol aus­ge­tre­ten – über die Men­ge mach­te das Un­ter­neh­men kei­ne An­ga­ben. Weil der Stoff gif­tig ist, wur­den drei Mit­ar­bei­ter vor­sorg­lich vom werks­ei­ge­nen Arzt un­ter­sucht.« (KR 30.3.13)

Im Nord­os­ten die­ser bro­deln­den In­dus­trie­an­la­gen liegt Im­men­dorf, der süd­lichs­te Zip­fel von Köln. In un­mit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft dö­sen Bag­ger­se­en. Hier herrscht Ru­he. Fried­hofs­ru­he. Die Se­en sind mit­ Na­to-Sta­chel­draht ab­ge­sperrt. Man kommt nicht ran, soll es auch nicht. Denn die­se Se­en sind mit PFT be­las­tet, mit per­fluo­rier­ten Ten­si­den. Krebs­er­re­gen­des Gift. Es wur­de in den Se­en und im Grund­was­ser im Mai 2010 nach­ge­wie­sen. Als Ver­ur­sa­cher gilt die Ba­sell-Werks­feu­er­wehr, die bei Übun­gen be­las­te­te Lösch­schäu­me ein­ge­setzt ha­be. Meh­re­re Men­schen hat­ten ver­seuch­te Fi­sche aus den Se­en ver­zehrt. Kies­ab­bau, An­geln und Ba­den sind seit­dem un­ter­sagt. Um­welt­de­zer­nen­tin Hen­ri­et­te Reker ver­si­chert, dass kei­ne Ge­fahr für Men­schen be­ste­he, das PFT auf­zu­neh­men, so­fern das An­gel- und Ba­de­ver­bot be­ach­tet wer­de (sie­he Köl­ner Stadt­an­zei­ger 25.9.13.

Die Be­zirks­re­gie­rung hat die Sa­nie­rung ver­an­lasst. Sie ist auf­wen­dig und teu­er, be­schränkt sich aber auf die Stel­len, wo »bei meh­re­ren Übun­gen auf ei­nem Raf­fi­ne­rie­ge­län­de« (Ge­sund­heits­aus­schuss des Köl­ner Stadt­rats, 12.3.2013) bis 2004 PFT-hal­ti­ge Lösch­schäu­me ins Erd­reich ge­si­ckert sind.

Das Grund- und Se­en­was­ser in­des kann nicht sa­niert wer­den. Es soll sich viel­mehr mit den Jah­ren selbst rei­ni­gen, in­dem das be­las­te­te Was­ser all­mäh­lich durch sau­be­res nach­flie­ßen­des Was­ser er­setzt wird. Mit den Jah­ren…

­Die Ver­gif­tung von Bag­ger­se­en und Grund­was­ser zwi­schen Im­men­dorf und Me­sche­nich mit per­fluo­rier­ten Ten­si­den (PFT) wird kein straf­recht­li­ches Nach­spiel ha­ben. »Das Che­mie­un­ter­neh­men Ly­on­dell Ba­sell weist ei­ne An­er­ken­nung der Schuld zu­rück. Die Lösch­schäu­me sei­en zum Zeit­punkt ih­res Ein­sat­zes durch die Feu­er­wehr zu­läs­sig ge­we­sen.« (KS­tA 25.9.13) Mög­li­che Kla­gen rich­ten sich nach Mit­tei­lung der Stadt nicht ge­gen die Fir­ma als ju­ris­ti­sche Per­son, al­len­falls ge­gen die in ih­rem Auf­trag han­deln­den Men­schen. Die Staats­an­walt­schaft ha­be folg­lich ge­gen Mit­ar­bei­ter der Werks­feu­er­wehr er­mit­telt. Das Ver­fah­ren sei je­doch ein­ge­stellt wor­den.

Text: Klaus Stein, 2. Oktober 2013
Fotos: Klaus Franke, Arbeiterfotografie


Galerie Arbeiterfotografie Reportage Köln-Immendorf, 20.8.2013 – PFT-Verseuchung von Kölner Grundwasser und Baggerseen (Fotos: Klaus Franke)