diePille

Bayer: 100 Jahre Giftgas-Tradition

Die in Sy­ri­en ge­la­ger­ten Gift­ga­se, dar­un­ter Sa­rin, Senf­gas und VX, wur­den grö­ß­ten­teils in den La­bo­ren der Bay­er AG ent­wi­ckelt. An­läss­lich der ak­tu­el­len Dis­kus­si­on um Lie­fe­run­gen an das sy­ri­sche Re­gime do­ku­men­tie­ren wir ein Dos­sier über die 100-jäh­ri­ge Gift­gas-Ge­schich­te des Kon­zerns. Die Co­or­di­na­ti­on ge­gen BAY­ER-Ge­fah­ren for­dert, al­le Ex­por­teu­re von che­mie­waf­fen­fä­hi­gen Stof­fen of­fen zu le­gen.

Senfgas, Sarin, Agent Orange:

100 Jahre Giftgas-Tradition bei Bayer

Schmelzendes Bayerkreuz.

­Senf­gas und Phos­gen:

Kurz nach Be­ginn des 1. Welt­kriegs wur­de auf Vor­schlag des Kriegs­mi­nis­te­ri­ums ei­ne Kom­mis­si­on ins Le­ben ge­ru­fen, die sich mit der Nut­zung gif­ti­ger Ab­fall­stof­fe der Che­mie-In­dus­trie be­schäf­tig­te. Die­se un­ter­stand dem Bay­er-Ge­ne­ral­di­rek­tor Carl Duis­berg, Fritz Ha­ber vom Kai­ser-Wil­helm-In­sti­tut so­wie dem Che­mi­ker Wal­ter Nernst. Die Kom­mis­si­on emp­fahl der Hee­res­lei­tung zu­nächst die Nut­zung von Chlor­gas, wo­bei wis­sent­lich ge­gen die Haa­ger Land­kriegs­ord­nung ver­sto­ßen wur­de, die den mi­li­tä­ri­schen Ein­satz von Gift­gas seit 1907 ver­bie­tet.

­Carl Duis­berg war bei den ers­ten Gift­gas­ver­su­chen auf dem Trup­pen­übungs­platz in Köln-Wahn per­sön­lich an­we­send und pries den che­mi­schen Tod be­geis­tert: »Die Geg­ner mer­ken gar nicht, wenn Ge­län­de da­mit be­spritzt ist, in wel­cher Ge­fahr sie sich be­fin­den und blei­ben ru­hig lie­gen, bis die Fol­gen ein­tre­ten.« In Le­ver­ku­sen wur­de so­gar ei­ne Schu­le für den Gas­krieg ein­ge­rich­tet. Der ers­te Ein­satz von Chlor­gas durch das deut­sche Heer er­folg­te schlie­ß­lich im bel­gi­schen Ypern. Al­lein bei die­sem An­griff gab es schät­zungs­wei­se 2.000 bis 3.000 To­te und ein mehr­fa­ches an Schwer­ver­letz­ten.

­Un­ter Carl Duis­bergs Lei­tung wur­den bei Bay­er im­mer gif­ti­ge­re Kampf­stof­fe ent­wi­ckelt, zu­nächst Phos­gen und spä­ter Senf­gas. Duis­berg for­der­te ve­he­ment de­ren Ein­satz: »Ich kann des­halb nur noch ein­mal drin­gend emp­feh­len, die Ge­le­gen­heit die­ses Krie­ges nicht vor­über­ge­hen zu las­sen, oh­ne auch die He­xa-Gra­na­te zu prü­fen«, so Duis­berg wört­lich. Ins­ge­samt geht die For­schung von 60.000 To­ten des von Deutsch­land be­gon­ne­nen Gas­krie­ges aus.

Sa­rin und Ta­bun:

­Die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on von Gift­ga­sen, Stof­fe wie Sa­rin und Ta­bun, ge­hört zur Grup­pe der Or­ga­no­phos­pha­te. Sie ent­stammt eben­falls den La­bo­ren von Bay­er. Ent­wi­ckelt wur­den die Sub­stan­zen 1936 bzw. 1938 in Wup­per­tal von Dr. Ger­hard Schra­der (das »S« in Sa­rin steht für Schra­der). Bis Kriegs­en­de wur­den in der Gift­gas-Fa­brik in Dy­hern­furt rund 12.000 Ton­nen Ta­bun pro­du­ziert. Ger­hard Schra­der lei­te­te nach dem 2. Welt­krieg die Pes­ti­zid-Ab­tei­lung von Bay­er.

­Nach dem En­de des Drit­ten Rei­ches un­ter­nah­men die Al­li­ier­ten nichts, um die Wis­sen­schaft­ler ei­ner Stra­fe zu­zu­füh­ren. Sie ver­such­ten viel­mehr, von ih­rem ge­fähr­li­chen Wis­sen zu pro­fi­tie­ren. Die Mi­li­tärs zo­gen da­für die gan­ze Wis­sen­schafts­eli­te auf Schloss Krans­berg im Tau­nus zu­sam­men. Schra­der, Hein­rich Hör­lein und die üb­ri­gen Kol­le­gen von der Dy­hern­fur­ther Che­mie­waf­fen-Fa­brik, de­ren Un­ter­la­gen spä­ter auch so­wje­ti­sche Wehr­wis­sen­schaft­ler sys­te­ma­tisch aus­wer­te­ten, stell­ten da­bei das grö­ß­te Kon­tin­gent. »Die che­mi­schen Ner­ven­kampf­stof­fe stie­ßen bei den Eng­län­dern und Ame­ri­ka­nern auf grö­ß­tes In­ter­es­se, Ver­gleich­ba­res be­sa­ßen sie in ih­ren Ar­se­na­len nicht. Schra­der und Kon­sor­ten muss­ten des­halb in Krans­berg bis in die kleins­ten De­tails Auf­zeich­nun­gen über die Syn­the­se ih­rer Ul­tra­gif­te an­fer­ti­gen«, schrei­ben Eg­mont R. Koch und Mi­cha­el Wech in ih­rem Buch »Deck­na­me Ar­ti­scho­cke«. Schra­der war den US-Ex­per­ten so­gar so wert­voll, dass sie ihn mit in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten nah­men. In Diens­ten des »Che­mi­cal Corps« der US-Streit­kräf­te tat er dann ge­nau das, was er wäh­rend der NS-Zeit auch ge­macht hat.

VX-Kampf­stof­fe:

In den 50er Jah­ren kehr­te Schra­der nach Deutsch­land und zu Bay­er zu­rück. Sei­ne Ver­gan­gen­heit stell­te für den Che­mie-Mul­ti kein Hin­der­nis für ei­ne Wie­der­ein­stel­lung dar. Und er­neut ar­bei­te­te Schra­der auch an Kampf­stof­fen: Zu­sam­men mit den Bay­er-For­schern Ernst Schegk und Hans­hel­mut Schlör reich­te er 1957 (zwei Jah­re spä­ter auch in den USA) Pa­ten­te zur Her­stel­lung von Phos­phor­säu­rees­ter-In­sek­ti­zi­den ein. Die­se soll­ten ge­gen Flie­gen, Mil­ben und Blatt­läu­se ein­ge­setzt wer­den. In sei­nem Ar­ti­kel »Die Ent­wick­lung neu­er Phos­phor­säu­rees­ter« führ­te Schra­der aus, wie man aus der all­ge­mei­nen For­mel Stof­fe mit ho­her »Warm­blü­ter-To­xi­zi­tät« ge­win­nen kann, die die­je­ni­ge von Sa­rin oder Ta­bun weit über­steigt.

­Die von der US-Ar­mee her­ge­stell­ten Kampf­stof­fe VX, VE, VM, VS und 33SN ba­sie­ren zum Teil auf die­sen Pa­ten­ten. Zwar be­stritt Bay­er, nach die­sen For­meln sel­ber Che­mie-Waf­fen her­ge­stellt oder das Recht da­zu dem US-Mi­li­tär ge­gen Li­zenz-Ge­büh­ren ab­ge­tre­ten zu ha­ben. Wie es den­noch zur Pro­duk­ti­on von VX-Waf­fen kom­men konn­te, er­klär­te der da­ma­li­ge Un­ter­neh­mens­spre­cher Jür­gen von Ei­nem mit ei­nem Aus­nah­me-Pas­sus im US-ame­ri­ka­ni­schen Pa­tent-Recht. Wenn ein über­ge­ord­ne­tes In­ter­es­se be­ste­he, er­lau­be es den zwangs­wei­sen Zu­griff auf das geis­ti­ge Ei­gen­tum Drit­ter, oh­ne die­se zu in­for­mie­ren und zu ent­schä­di­gen. Ob dies der Rea­li­tät ent­spricht oder ob es ei­ne for­ma­le Zu­sam­men­ar­beit der US-Ar­mee mit Bay­er gab, ist bis heu­te un­klar.

Agent Oran­ge:

Auch an der Her­stel­lung des im Viet­nam-Kriegs ein­ge­setz­ten Ent­lau­bungs­mit­tels Agent Oran­ge war Bay­er be­tei­ligt. Die Pro­duk­ti­on des Gift­stoffs er­folg­te un­ter an­de­rem bei der ge­mein­sa­men Bay­er/MONS­AN­TO-Toch­ter­fir­ma Mo­Bay. Der ge­naue Lie­fer­um­fang von Mo­Bay liegt je­doch im Dun­keln.

A­gent Oran­ge be­steht aus den Wirk­stof­fen 2,4-D und 2,4,5-D, die her­stel­lungs­be­dingt auch Di­oxin ent­hiel­ten. Bay­er pro­du­zier­te in der frag­li­chen Zeit jähr­lich 700 bis 800 Ton­nen 2,4,5-D und ver­kauf­te ei­nen Teil der Pro­duk­ti­on an die fran­zö­si­sche Fir­ma PRO­DIL. Die­se wie­der­um ver­ar­bei­te­te die Che­mi­ka­lie wei­ter und lie­fer­te sie nach Viet­nam. Ein Ak­ten-No­tiz der der Bo­eh­rin­ger AG, die eben­falls mit PRO­DIL Ge­schäf­te mach­te, be­legt dies: »Bay­er und PRO­DIL ha­ben auf dem 2,4,5-D-Sek­tor seit Jah­ren (Viet­nam) zu­sam­men­ge­ar­bei­tet«.

Das 2,4,5-D, von dem das Pen­ta­gon 1967 und 1968 in den USA al­le Be­stän­de auf­kauf­te, fand zu­sätz­lich noch im Rein­zu­stand Ver­wen­dung. AGENT GREEN lau­te­te sei­ne Be­zeich­nung. Der für ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on AGENT ORAN­GE-ge­schä­dig­ter Viet­nam-Ve­te­ra­nen ar­bei­ten­de Mar­tin H. Kroll nennt in sei­ner Auf­stel­lung der 58 im Krieg ein­ge­setz­ten Che­mi­ka­li­en un­ter AGENT GREEN des­halb auch Bay­er als Her­stel­ler.

­Ex­per­ten von Bay­er und Hoechst stan­den der US-Ar­my aber auch di­rekt vor Ort mit Rat und Tat zur Sei­te, wie Sey­mour M. Hersh in sei­nem Buch »Che­mi­cal and Bio­lo­gi­cal War­fa­re« mit Be­ru­fung auf ei­nen Ar­ti­kel der Eas­tern World schreibt. Als me­di­zi­ni­sche Hel­fer ge­tarnt, ar­bei­te­ten sie dem US-ame­ri­ka­ni­schen Pla­nungs­bü­ro für B- und C-Waf­fen­ein­sät­ze in Sai­gon zu. Die trans­at­lan­ti­sche Ko­ope­ra­ti­on konn­te sich da­bei auf al­te Ver­bin­dun­gen stüt­zen: Die Ab­stim­mung zwi­schen den US-ame­ri­ka­ni­schen und bun­des­deut­schen Che­mie-Fir­men über­nahm die ehe­ma­li­ge IG FAR­BEN-Toch­ter GE­NE­RAL ANI­LI­NE AND FILM COR­PO­RA­TI­ON. Der Zei­tung zu­fol­ge stell­te Bay­er über­dies in Spa­ni­en und Süd­afri­ka selbst che­mi­sche Kampf­stof­fe her – die au­to­ri­tä­ren Re­gie­rungs­for­men bei­der Län­der dürf­ten bei der Stand­ort-Wahl für ein so heik­les Un­ter­neh­men wohl ei­ne nicht un­er­heb­li­che Rol­le ge­spielt ha­ben.

Krie­ge in Nah­os­t

­Der Irak be­kämpf­te 1987/88 auf­stän­di­sche Kur­den mit Ta­bun, Sa­rin und S-Lost. Die­sel­ben Sub­stan­zen ver­wen­de­te das Land im Krieg ge­gen den Iran als Waf­fen.

­Der Iran sei­ner­seits be­gann in den acht­zi­ger Jah­ren mit Pla­nun­gen zu ei­nem gro­ßen Che­mie-Kom­plex mit an­ge­schlos­se­ner Pes­ti­zid-Pro­duk­ti­on na­he der Stadt Ghas­win – an das An­wen­dungs­ge­biet »Land­wirt­schaft« ha­ben die Po­li­ti­ker in den Kriegs­zei­ten kaum vor­ran­gig ge­dacht. 1984 ver­kauf­te Bay­er dem Iran Li­zen­zen zur Fer­ti­gung von Azin­phos-Me­thyl und Fe­ni­trot­hion, ei­ner che­mie­waf­fen-fä­hi­gen Sub­stanz aus der be­rühmt-be­rüch­tig­ten Grup­pe der Phos­phor­säu­rees­ter. Die Auf­sicht­be­hör­den ge­neh­mig­ten den Deal, rie­ten dem Kon­zern aber von wei­te­ren Ge­schäf­ten im Zu­sam­men­hang mit Ghas­win ab. Der Le­ver­ku­se­ner Che­mie-Mul­ti hielt sich nicht dar­an. Ab 1987 lie­fer­te er ei­ne An­la­ge zur Pes­ti­zid-Pro­duk­ti­on in den Iran. Für al­le Bau­ten konn­te der für die tech­ni­sche Ko­or­di­na­ti­on in Ghas­win zu­stän­di­ge LUR­CHI-Kon­zern Ge­neh­mi­gun­gen vor­le­gen, nur für die Bay­er-Fa­brik nicht – aus gu­tem Grund. »›Das End­pro­dukt‹ könn­te ›auch zur Be­kämp­fung von Warm­blü­tern‹ ein­ge­setzt wer­den und ›da­mit als Kampf­gas die­nen‹«, zi­tier­te der SPIE­GEL aus ei­nem Schrei­ben der Köl­ner Ober­fi­nanz-Di­rek­ti­on. Die Be­hör­den lei­te­ten aus die­sem Grund Er­mitt­lun­gen ein. En­de 1989 führ­ten Fahn­der Raz­zi­en in den Dor­ma­ge­ner, Le­ver­ku­se­ner und Mon­hei­mer Bay­er-Nie­der­las­sun­gen durch und stell­ten drei Dut­zend Ord­ner mit Kon­struk­ti­ons­plä­nen si­cher. Der Staats­an­walt stell­te das Ver­fah­ren spä­ter ein – wie so vie­le mit Bay­er auf der An­kla­ge­bank.

Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG)
eMail info@CBGnetwork.org
Internet CBGnetwork.org