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BAYER startet durch

Leseprobe aus Stichwort BAYER (SWB) 2/2022

Der BAYER-Konzern nutzt die Ungunst der Stunde und bedient sich der mRNA-Impfstoffe als Türöffner für gentechnische Behandlungsmethoden, die wegen ihres Gefährdungspotenzials bisher unter Akzeptanz-Problemen litten.

Von Jan Pehrke

«Hätten wir vor zwei Jahren eine öffentliche Umfrage gemacht und gefragt, wer bereit dazu ist, eine Gen- oder Zelltherapie in Anspruch zu nehmen und sich in den Körper injizieren zu lassen, hätten das wahrscheinlich 95 Prozent der Menschen abgelehnt. Diese Pandemie hat vielen Menschen die Augen für Innovationen in einer Weise geöffnet, die vorher nicht möglich war», hielt BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich Ende Oktober 2021 in Berlin auf dem «World Health Summit» fest. Und der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann sprach auf der Bilanzpressekonferenz am 1. März 2022 gar von einer Bio-Revolution.

Ähnlich enthusiastisch hatte sich das angehört, als der Leverkusener Multi vor Jahrzehnten seinen Einstieg in die Genmedizin bekannt gab. Aber nach so einigen Rückschlägen blieb davon außer dem Blut-Präparat KOGENATE und dem Augenmittel EYLEA nichts übrig.

Einen zweiten Anlauf nahm der Konzern dann im Jahr 2016. Er wollte die Gentechnik 2.0 für sich erschließen, die sich mit Genscheren wie CRISPR-Cas angeblich präziser am Erbgut zu schaffen macht als frühere Methoden. Die Verfahren bedienen sich dabei eines Abwehr-Mechanismus’ von Bakterien zum Aufspüren von Fremd-DNA, um bestimmte Gen-Abschnitte anzusteuern, und nutzen dann das Cas-Enzym zur Auftrennung der Genom-Sequenz. Anschließend setzt CRISPR-Cas entweder mitgeführte neue Erbgut-Stränge ein oder bringt die Zellen dazu, per Mutagenese selbst Veränderungsprozesse einzuleiten.

Das erschien der Aktien-Gesellschaft aussichtsreich, weshalb sie eine Kooperation mit CRISPR THERAPEUTICS einging. «Es wird sehr spannend, unsere Stärken bei Technologie-Führerschaft, wissenschaftlicher Exzellenz und Patenten zu kombinieren. Wir haben hier die Chance, einen echten Fortschritt für Patienten mit schweren genetischen Krankheiten und für unser Geschäft zu erzielen», erklärte ein BAYER-Manager damals. Drei Jahre später erfolgte jedoch schon der Abschied auf Raten von der Firma, welche die lange als CRISPR-Cas-Mitentdeckerin geltende und spätere Nobelpreis-Trägerin Emmanuelle Charpentier mitgegründet hatte (1).

 

BAYER kauft ein

Stattdessen übernahm der Konzern das Unternehmen BLUEROCK THERAPEUTICS ganz, das er gemeinsam mit der Investment-Gesellschaft VERSANT VENTURES ins Leben gerufen hatte. Mit einer «zell-basierten» Parkinson-Behandlungsart auf der Grundlage von «induzierten Pluripotenten Stammzellen» (iPSC), welche die Wissenschaftler*innen durch eine «Rückprogrammierung» normaler Körperzellen gewinnen, stand das Unternehmen zu dem Zeitpunkt bereits kurz vor der klinischen Erprobung. Inzwischen laufen die Tests, bei denen Mediziner*innen den Kranken Neuronen implantieren, die aus pluripotenten Stammzellen gewonnenes Dopamin enthalten.

Im Oktober 2020 schließlich erwarb der Global Player die US-Firma ASKLEPIOS BIOPHARMACEUTICAL (ASKBIO). Zwei Milliarden Euro zahlte der Konzern sofort, weitere zwei Milliarden stellte er bei erfolgreichen Arznei-Kreationen in Aussicht. Als potenzielle Kandidaten dafür gelten bei dem Biotech-Betrieb Pharmazeutika gegen Parkinson, Herz-Insuffizienz und die Stoffwechsel-Erkrankung Morbus Pompe, welche zurzeit die klinische Entwicklung durchlaufen. An anderen Medikamenten arbeitet ASKBIO nicht selbst weiter. Aber die Verträge, die es mit anderen Firmen abgeschlossen hat, garantieren Lizenz-Einnahmen, sollten die Mittel Marktreife erlangen. Überdies gehen durch den Deal 500 Patente in den Besitz des Leverkusener Multis über. Auch eine Tochtergesellschaft, die für externe Auftraggeber Viren zu Gen-Fähren präpariert, gehört zum Paket. «Als einem aufstrebenden Unternehmen auf dem Gebiet der Gentherapien werden uns die Expertise und das Portfolio von ASKBIO bei der Etablierung hochinnovativer Behandlungsoptionen für Patienten unterstützen und unser Portfolio stärken», frohlockte BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich.

Bereits zwei Monate später gab der Pillen-Riese dann die Zusammenarbeit mit dem US-Unternehmen ATARA BIOTHERAPEUTICS bekannt, das Krebstherapien auf der Basis von CAR-T-Zellen entwickelt. Dabei werden körpereigene oder fremde Immunzellen im Genlabor mit sogenannten Chimären Antigen-Rezeptoren (CAR) ausgestattet, die Tumor-Zellen anhand bestimmter Eiweiße auf deren Oberfläche orten und  zerstören sollen.

Im Jahr 2021 ging die Einkaufstour weiter. Anfang August akquirierte BAYER die US-Firma VIVIDION für 1,5 Milliarden Dollar. Zusätzlich stellte der Global Player noch Erfolgsprämien bis zu einer Höhe von 500 Millionen Dollar in Aussicht. Vor allem hatte er es dabei auf eine von VIVIDION entwickelte Technologie zum Aufspüren krankheitserregender Proteine, an die bisher nicht heranzukommen war, abgesehen. Der Leverkusener Multi erhofft sich davon Durchbrüche bei der Entwicklung von Pharmazeutika gegen Krebs, immunologische Erkrankungen und Reizdarm.

Anfang 2022 schließlich vereinbarte er eine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen MAMMOTH, dessen Geschichte der von CRISPR THERAPEUTICS gleicht, denn hinter jenem steht mit Jennifer Doudna die andere vermeintliche CRISPR-Cas-Entdeckerin und Nobelpreis-Trägerin (2). Und um die Genscheren geht es dem Konzern dann auch. «Die Partnerschaft, die zusätzlich mit einer weiterführenden Option für BAYER kombiniert ist, zielt auf den Einsatz von MAMMOTH BIOSCIENCES CRISPR-Systemen zur Entwicklung von In-vivo-Geneditierungstherapien ab», ließ er verlauten. Bei diesen In-vivo-Verfahren, die der Pharma-Riese zunächst bei Lebererkrankungen zur Anwendung bringen will, handelt es sich um solche, bei denen die MedizinerInnen die zu behandelnden Zellen nicht außerhalb des Körpers (ex-vivo) genmanipulieren, sondern direkt vor Ort.

«Mehr als zwei Dutzend Allianzen und Akquisitionen» vermeldete der Leverkusener Multi auf seiner Bilanz-Pressekonferenz Anfang März und eine Beteiligung an «mehr als 50 innovativen Biotech-Startups». «Wir treiben seit drei Jahren eine grundlegende Transformation unseres Innovationsmodells konsequent und sehr erfolgreich voran», lautete das Resümee.

Diesen Strategie-Wechsel leitete das Unternehmen Ende 2018 ein – und nicht ganz freiwillig. In dem Jahr musste es nämlich die ersten millionen-schweren Schadensersatz-Urteile in Sachen «Glyphosat» hinnehmen und sah sich mit zehntausenden weiterer Klagen konfrontiert. Infolgedessen setzte die Aktie zum Dauertiefflug an, was den Finanzmarkt nervös machte. BLACKROCK & Co. mahnten Handlungsbedarf an – und der Global Player lieferte. Er gab die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen bekannt. Im Zuge dessen strich die Aktien-Gesellschaft nicht weniger als 900 Jobs in der Pharma-Forschung und erklärte, in Zukunft «eine verstärkte Ausrichtung auch auf externe Innovationen» vornehmen zu wollen. Auch die jüngste Ankündigung, wieder mehr in hiesige Labore zu investieren, dürfte daran nichts ändern.

Die anderen Pillen-Produzenten schlugen einen ähnlichen Weg ein. Statt Mega-Deals einzufädeln und Konkurrenten zu schlucken, was (siehe MONSANTO) immer auch das Risiko birgt, sich daran zu verschlucken, konzentrieren sie sich lieber auf Kooperationen ohne längerfristige Verpflichtungen. «Solche Pakte bieten großen Unternehmen die Möglichkeit, sich in aufregenden, aber unerprobten Technologien auszuprobieren, ohne einen großen Einsatz zu leisten», konstatiert die Nachrichten-Agentur Bloomberg. Aus dem Mund von PFIZER-Boss Albert Bourla hört sich das die Zusammenarbeit des Global Players mit BIONTECH betreffend dann so an: «Partnerschaften geben uns genau das, was wir wollen, ohne so viel Kapital aufwenden zu müssen, wie es nötig wäre, wenn wir die Unternehmen erwerben wollten.»

Und wenn die Konzerne sich doch zu Akquisitionen entschließen, pflegen sie einen anderen Umgang mit ihren Neuerwerbungen als früher. Sie integrieren sie nicht mehr länger in ihre Strukturen, sondern lassen sie an der langen Leine selbstständiger operieren. Das «arm’s length»-Prinzip nennt der Leverkusener Multi das in Bezug auf ASKBIO und VIVIDION. «Um den Unternehmer-Geist als wesentliche Grundlage für erfolgreiche Innovation beizubehalten, wird VIVIDION als Tochter-Gesellschaft von BAYER weitgehend unabhängig agieren. VIVIDION wird weiterhin für die Weiterentwicklung seiner Technologie und seines Portfolios verantwortlich sein, profitiert dabei aber von der Erfahrung, Infrastruktur und Reichweite von BAYER als globales Pharma-Unternehmen», hieß es in der Pressemeldung zu der Transaktion.

 

Gentherapie-Tote

«Wir erfinden uns neu », sagt BAYERs Forschungschef Christian Rommel angesichts der Projekte mit CRISPR-Cas, den Gentherapien sowie den CAR-T- und pluripotenten Stammzellen: «Wir sehen heute ganz anders aus als noch vor einem Jahr.» Nur das mRNA-Verfahren, das in einigen Corona-Impfstoffen zur Anwendung kommt, fehlt da noch im Gentech-Sortiment – vorerst. «Wir werden unseren bisherigen Kurs, was Zukäufe und Allianzen angeht, fortsetzen. Dabei werden wir unter anderem auch neue Technologien wie mRNA im Auge behalten», bekundete Stefan Oelrich im Handelsblatt.

Der Euphorie des Leverkusener Multis zum Trotz hat sich am Risiko-Potenzial der Genmedizin jedoch nichts geändert. Von Gentherapien, wie ASKBIO sie in Sachen «Parkinson» erprobt – die ForscherInnen führen mittels Erkältungsviren ein Gen in das Gehirn der PatientInnen ein, das eine «Regeneration von Mittelhirn-Neuronen» anstoßen soll – hatte die Industrie nach einer Reihe von Zwischenfällen lange die Finger gelassen. Der spektakulärste ereignete sich im Jahr 1999 bei einer Studie. Der 18-Jährige Jesse Gelsinger litt an einer seltenen Stoffwechsel-Krankheit, und die Mediziner wollten in seine Leber ein Enzym einschleusen, das diese Gesundheitsstörung behob. Aber die Milliarden als Gen-Fähren benutzten Adeno-Erkältungsviren infizierten nicht nur wie vorgesehen die Leber-Zellen, sondern griffen auch Abwehr-Zellen an. Diesem Ansturm zeigte sich das Immunsystem des Jungen nicht gewachsen;  es kam zu einem multiplen Organ-Versagen.

Im Jahr 2002 dann diagnostizieren die MedizinerInnen bei einem der zehn Kinder, die in Frankreich an einem Gentherapie-Test zur Behandlung ihrer Immunschwäche-Krankheit X-SCID teilgenommen haben, Leukämie. Später erkranken zwei weitere VersuchsteilnehmerInnen. Das eingeschmuggelte Gen hatte den Krebs ausgelöst.

Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA reagierte schließlich und empfahl, Gentherapie-Versuche auf bislang unheilbare Krankheiten zu beschränken. Das alles bremste die Euphorie merklich. Aber die Forscher*innen gaben nicht auf. So setzen sie jetzt statt auf Adeno-Viren vermehrt auf bloß noch adeno-assoziierte Viren (AAV), wie sie nun auch ASKBIO nutzt.

Trotzdem sterben immer wieder PatientInnen. AUDENTES informierte im August 2020 über den dritten Todesfall bei einer Versuchsreihe mit Kindern, die aufgrund eines defekten MTM1-Gens an der neuromuskulären Erkrankung «Myotubuläre Myopathie» leiden. Erste Tests mit adeno-assoziierten Viren, die eine korrekte Version des Gens in die Muskelzellen einbrachten, verliefen vielversprechend. Daraufhin hob AUDENTES die Dosis an und schraubte sie auf eine bisher bei solchen Erprobungen nur selten erreichte Höhe. Drei der 17 Probanden vertrugen die Injektion nicht und entwickelten eine Sepsis. Ihr Immunsystem identifizierte die AAV als fremde Eindringlinge und mobilisierte alle Abwehrkräfte. Dabei konnte es nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden und zerstörte so den ganzen Organismus.

Zwei Monate danach meldete LYSOGENE den Tod einer Fünfjährigen, die gemeinsam mit 19 weiteren ProbandInnen an einer Arznei-Prüfung mit dem Gentherapie-Präparat LYS-SAF302 teilgenommen hatte. Das Mädchen litt an der Erbkrankheit Mucopolysaccharidose.

Aufgrund eines defekten SGSH-Gens produzierte ihr Körper ein Enzym, das in den Zellen bestimmte Stoffe abbaut, nicht in ausreichendem Maße, so dass es zu Ablagerungen kam, die den zellulären Stoffwechsel störten. Die Prozedur aber, dieses Gen mittels adeno-assoziierten Viren durch ein funktionstüchtiges zu ersetzen, vertrug die Patientin nicht. Sie verstarb einige Monate nach der Gabe des Pharmazeutikums.

 

Tote bei CAR-T-Therapien

Auch die immunologischen Krebstherapien auf der Basis von CAR-T-Zellen sind nicht ohne. Bei den Verfahren, die vorerst nur bei solchen PatientInnen zur Anwendung kommen, denen kein anderes Mittel geholfen hat, ereignen sich immer wieder schwere Zwischenfälle. So starb im Februar 2022 ein Proband, der an einer Brustfellkrebs-Studie von BAYERs Neuerwerb ATARA teilgenommen hatte. Er war der erste von sechs PatientInnen, der nach einem reibungslosen Durchlauf mit 1x106 Zellen/kg bzw. 3x106 Zellen/kg eine höhere Dosis erhalten hatte. Das mit der Durchführung der Tests beauftragte «Memorial Sloan Kettering Cancer Center» stoppte die klinische Prüfung daraufhin. Eine CAR-T-Versuchsreihe im selben Monat, die CELYAD verantwortete, forderte sogar zwei Todesopfer. Und bei Erprobungen von JUNO und CELLECTIS ließen ebenfalls ProbandInnen ihr Leben. Die Steuerung von CAR-T-Zellen fällt nämlich schwer. Sie greifen mitunter auch intaktes Gewebe an, da sich die Eiweiße, die ihnen als Andock-Stelle dienen, nicht nur auf den Tumor-Zellen finden. Zudem ist die Reaktion des Körpers auf die Zellen schwer vorhersehbar. Nicht selten lösen sie einen lebensgefährlichen Zytokin-Sturm im Immunsystem aus, das sogenannte cytokine release syndrome (CRS).

Dieses CRS ist dann auch die häufigste tödliche Nebenwirkung der schon zugelassenen CAR-T-Therapien von NOVARTIS und GILEAD. Zu diesem Ergebnis kam ein chinesisches ForscherInnen-Team um Changjing Cai von der «Central South University» in Hunan, das sich dabei auf die Datenbanken der Weltgesundheitsorganisation und die Zahlen aus den Zulassungsstudien stützte. Am zweithäufigsten sterben die PatientInnen an Störungen des Nervensystems, konstatieren die WissenschaftlerInnen in ihrem Aufsatz «A comprehensive analysis of the fatal toxic effects associated with CD19 CAR-T cell therapy». «Wir beobachteten eine hohe Sterblichkeitsrate bei einigen toxischen Wirkungen und frühe Todesfälle aus unterschiedlichen Gründen, was es erforderlich erscheinen lässt, dass das an der Umsetzung der CD19-CAR-T-Zelltherapie beteiligte Klinik-Personal der Beobachtung und Behandlung dieser tödlichen Effekte mehr Aufmerksamkeit schenkt», lautet ihr Resümee.

Bei neueren Forschungsprojekten zur Krebsbehandlung mit gen-veränderten Immunzellen setzen die Unternehmen jetzt auf Genscheren wie CRISPR-Cas oder Talen, weil sie präziser arbeiten. Ob das jedoch die Risiken der CAR-T-Therapien senkt, steht noch dahin.

 

Genscherereien

Der BAYER-Konzern will diese Technologie über die Kooperation mit MAMMOTH «mit einem ersten Schwerpunkt bei Zielstrukturen in der Leber» anwenden. Dabei baut er vor allem auf die ultrakleinen CRISPR-Cas-Scheren, die das US-Unternehmen entwickelt hat, da diese angeblich «hoch spezifische» Schnippeleien «in Kombination mit gezielter systemischer Anwendung» erlauben. Allerdings tun sich auch bei CRISPR-Cas so einige Risiken und Nebenwirkungen auf. So führte der Versuch, mittels dieser Methode defekte Embryo-Zellen zu reparieren, zu einem Verschwinden ebendieser, wie eine im Dezember 2020 in der Zeitschrift Cell veröffentlichte Studie dokumentierte. Zudem schnitt die Genschere nicht nur an dem eigentlich vorgesehenen Ort, sondern tat sich auch in der Umgebung um. «Off Target» lautet die Bezeichnung für diese unbeabsichtigte Ausweitung der Schnippelzone. Die ForscherInnen rieten deshalb dringend davon ab, diese Technologie weiter an Embryonen zum Einsatz kommen zu lassen.

Aber es gibt nicht nur richtige Schnitte an falschen Orten, sondern auch falsche Schnitte an richtigen Orten. Solche «On Target»-Effekte können das ganze Innenleben der Zelle durcheinanderwirbeln. Und just eine solche drastische Veränderung – eine Chromothripsis – haben WissenschaftlerInnen jüngst an Embryonen beobachtet und in der Zeitschrift Nature Biotechnology beschrieben. Sie machten «eine extrem schädliche Form der genomischen Umstrukturierung, die aus der Zertrümmerung einzelner Chromosomen und dem anschließenden Wiederzusammenfügen der Teile in einer zufälligen Reihenfolge resultiert» aus und warnten vor einer Krebs-Gefahr.

Eine andere Studie nennt dieses Phänomen einen «katastrophalen Mutationsprozess», der nie ganz vermeidbar und umso problematischer ist, da er an der eigentlich beabsichtigten Stelle auftritt, weshalb in diesen Fällen auch kein Nachschärfen der Genschere hilft. In der endgültigen Fassung der Untersuchung fehlt diese Formulierung allerdings. Dort heißt es lediglich: «Da Genome Editing in der Klinik eingesetzt wird, sollte das Potenzial für umfangreiche chromosomale Veränderungen berücksichtigt und überwacht werden.»

Die ForscherInnen lassen wohl nicht zuletzt deshalb Vorsicht walten, weil es sich schon längst nicht mehr um einen Fachdisput handelt. Wissenschaftliche Arbeiten zu CRISPR-Cas & Co. haben mittlerweile wirtschaftliche Auswirkungen, da diese «Zukunftstechnologie» an den Börsen hoch gehandelt wird. So warnt dann der Investment-Informationsdienst SEEKING ALPHA auch davor, dass die neuen Daten zur Chromothripsis die langfristigen Aussichten von Unternehmen mit Aktivitäten auf dem Genscheren-Gebiet beeinträchtigen könnten, wie GMWATCH berichtete. «Angesichts der unsicheren Aussichten sollten Anleger ihre Positionen in Unternehmen, die DNA-Doppelstrangbrüche zur Bearbeitung des Genoms einsetzen, neu bewerten», rät die Firma.

 

Hohe Umsätze

Die in letzter Zeit entwickelten Gentech-Pharmazeutika kosten Unsummen. So verlangt der NOVARTIS-Konzern für seine CAR-T-Therapie 320.000 Euro pro PatientIn und für sein Medikament zur Behandlung einer seltenen Muskel-Erbkrankheit sogar noch mehr. Mit 2,1 Millionen Dollar schlägt ZOLGENSMA zu Buche. Solche Beträge möchten auch alle anderen Pillen-Riesen einfahren. Darum verstärkt die ganze Branche seit einiger Zeit ihre Anstrengungen auf diesem Gebiet massiv. Und BAYER durfte da natürlich nicht fehlen. «Wir werden keine laufenden klinischen Studien abbrechen und mit dem Faktor-IX-Programm auch noch eine weitere große Studie mit sehr hohen Patienten-Zahlen starten. Aber tendenziell werden sich die Prioritäten in Richtung hochspezialisierter Therapien verschieben», sagte Stefan Oelrich dem Handelblatt.

Noch dazu locken bei den sogenannten Orphan Drugs nicht nur geldwerte Vorteile. Die klinischen Prüfungen erfordern keinen so großen Aufwand. Sie können – unter Inkaufnahme vieler Risiken (s. o.) – mit einer kleineren ProbandInnen-Zahl erfolgen und wegen der kürzeren Behandlungszeiten schneller abgewickelt werden, wie BAYERs Pharma-Chef der Zeitung erläuterte. Damit nicht genug, räumen die Zulassungsbehörden diesen Mitteln dann auch noch einen Sonderstatus ein und ermöglichen beschleunigte Genehmigungsverfahren.

Aber vielleicht kommen «dank Corona» bald schon viel mehr Präparate in diesen Genuss. Mit Verweis  auf den angeblich großen Erfolg der in Windeseile entwickelten und auf den Markt gebrachten Covid-Impfstoffe dringt Big Pharma nämlich darauf, eine solche Verfahrensweise auf Dauer zu stellen und auszuweiten. «Für klinische Studien ist es wichtig, dass die Politik Rahmenbedingungen schafft, dass es von der Planung bis zur Studie schneller losgehen kann», sagt etwa BAYER-Managerin Heike Prinz. Und der vom Leverkusener Multi gegründete «Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller» sekundiert: «Die Vielzahl der nötigen Genehmigungen und Zustimmungen, insbesondere bei Datenschutz und Ethik, macht alles sehr bürokratisch, aufwendig und manchmal auch langsam.»

Die Ungunst der Stunde bzw. «die riesigen Chancen der Biorevolution» (O-Ton BAYER) bescheren dem Leverkusener Multi also viele Gelegenheiten, sich neue lukrative Geschäftsfelder zu erschließen, Akzeptanz-Probleme zu lösen und Deregulierungen zu erreichen. Und die Aussichten für weitere Corona-Gewinnmitnahmen stehen gut. «2022 wird mutmaßlich wieder ein aufregendes Pharma-Jahr», konstatierte die FAZ im Januar.


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