Frauen

Amazone der 48er-Revolution

Sprockhövel und Hattingen ehren Mathilde Franziska Anneke

Porträt: Mathilde Franziska Anneke, auf Briefmarke von 1988.

Die rund 25 000 Einwohner zählende Kleinstadt Sprockhövel, zwischen Bochum und Wuppertal gelegen, hat etwas, dessen sich andere Städte nicht rühmen können: In einer ihrer Gemeinden ist 1817 die Schriftstellerin, Revolutionärin und Feministin Mathilde Franziska Anneke geboren worden. Zuge­ge­be­ner­maßen wurde man sich dieses ebenso erfreu­li­chen wie beden­kens­werten Umstands erst ziemlich spät bewusst.

Erst 1978 hat man durch eine Anfrage der US-amerikanischen Biographin Maria Wagner überhaupt davon erfahren, und 1984 gab es in kleinem Kreis den ersten Vortrag über sie. Als 1986 mit dem Aufbau eines Stadtarchivs begonnen wurde, beschaffte der damalige Archivar Kopien des Nachlasses der Familie Anneke aus den USA und legte damit einen Bestand an, der seitdem ständig erweitert wurde.

Nun hat die derzeitige Leiterin des Archivs, Karin Hockamp, eine kleine Biographie der prominenten Sprockhövelerin verfasst.

Ein atemberaubendes Leben wird da vorgestellt – Anneke war eine »Tochter aus gutem Hause, hungernde Poetin, revolutionäre Journalistin und Schriftstellerin, politisch verfolgte Asylantin (…), eine Mutter, die sieben Kinder gebar und fünf von ihnen begraben musste, Pädagogin aus Naturtalent, frühe Feministin und Sozialistin«. Als junge Frau ließ sie sich von ihrem gewalttätigen Ehemann scheiden und schlug sich mehr schlecht als recht als alleinerziehende Schriftstellerin mit einer kleinen Tochter durch, von der sogenannten besseren Gesellschaft verachtet.

Porträt Mathilde Franziska Anneke, sitzend mit viel Plüsch und Blumen. Fotografie in den damals üblichen Brauntönen.Als »Amazone« der 48er Revolution nahm sie an der Seite ihres zweiten Mannes, des entlassenen preußischen Offiziers Fritz Anneke, hoch zu Ross am badisch-pfälzischen Feldzug teil. Als Emigrantin in den USA verdiente sie den Lebensunterhalt ihrer Familie, indem sie eine moderne Mädchenschule eröffnete. Und als Liebende war sie zeitlebens unkonventionell.

Kein Wunder, dass sie sich, soweit sie dort überhaupt bekannt war, in ihrer früheren Heimat lange keines besonders guten Rufs erfreute. »Man könnte sagen, Mathilde Franziska Anneke entwickelte sich in der öffentlichen Meinung vom ›Flintenweib‹ zur ›Heldin‹«, resümiert Hockamp. Im Grußwort des Bürgermeisters von Sprockhövel und der Bürgermeisterin von Hattingen (in Blankenstein, heute zu Hattingen gehörig, hat die Familie Anneke lange gewohnt) heißt es: »Wir können stolz sein auf diese bedeutende Tochter unserer Heimat, auf diese ›tapfere westfälische Frau‹(…), die mutig für eine bessere Welt gekämpft hat.«

Seit zwei Jahren wird in Sprockhövel ein Anneke-Preis für besondere Leistungen in der Frauenbildung verliehen. Briefauszüge, eine Kurzchronik ihres Lebens, eine Übersicht ihrer Werke und der wichtigsten Sekundärliteratur ergänzen die vorliegende biographische Skizze.

Eine seriöse und fundierte Publikation, spannend, prägnant, gut geschrieben und mit zahlreichen Abbildungen illustriert. Und nicht zuletzt mit einer einleuchtenden aktuellen Botschaft ausgestattet. Karin Hockamp erklärt nämlich: »In Zeiten, in denen Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und gleiche Chancen auf Bildung und Wohlstand auch in unserer Gesellschaft in erschreckendem Maße zur Disposition stehen, Werte und Maßstäbe einem dramatischen Wandel unterliegen, kann nicht genügend auf den radikalen Humanismus der Mathilde Franziska Anneke und auf ihr lebenslanges Streben nach einer besseren Welt hingewiesen werden.«


Karin Hockamp: »Von vielem Geist und großer Herzensgüte«. Mathilde Franziska Anneke (1817-1884). Universitätsverlag Brockmeyer, Bochum, 64 S. m. Abb., 8,90 Euro.



Cristina Fischer
unsere zeit – Zeitung der DKP
7. Dezember 2012
Bilder: Wikipedia

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