Kultur

Hartz-IV-Beziehern droht Internet-Beobachtung durch Jobcenter

Internetverhalten von Leistungsbeziehern soll überwacht werden

 

hartz IV Demo UZ12.12.2013 | Viel­leicht er­in­nert sich der ei­ne oder an­de­re noch: Im Ju­li des Jah­res wur­de ge­mel­det, dass die Ar­beits­agen­tur Pin­ne­berg (Schles­wig-Hol­stein) ih­ren »Kun­den« in­no­va­ti­ve Spartips als Hand­rei­chung ge­ge­ben hat­te. Hartz-IV-Be­zie­her soll­ten Ve­ge­ta­ri­er wer­den, Stei­ne in Spül­käs­ten le­gen, Du­schen statt ein Voll­bad zu neh­men oder Mö­bel vom Dach­bo­den ho­len und im In­ter­net ver­stei­gern. Das öde ziel­lo­se Rum­ge­sur­fe im In­ter­net soll­te ein En­de ha­ben. Ak­ti­ves Han­deln im In­ter­net sei an­ge­sagt. »So ver­kau­fen die Fi­schers ein­fach zwei elf Jah­re al­te Mö­bel­stü­cke für 350 Eu­ro. Die pass­ten oh­ne­hin nicht mehr in die klei­ne­re Woh­nung rein«, hei­ßt es in der Bro­schü­re. Der Er­lös der Auk­ti­on sei zu­dem un­schäd­lich, d.h. er wird nicht ein­mal auf die Be­zü­ge an­ge­rech­net.

 

Gute Idee – hat sich vielleicht der eine oder andere gedacht, diesen Ratschlag beherzigt und in die Tat umgesetzt. Jetzt hat die Bundesagentur für Arbeit es aber offensichtlich mit der Angst bekommen, dass aus  Hartz-IV-Beziehern nun peu à peu Internethändler werden könnten. Mitte November wurde publik, dass die Bundesagentur künftig das Internetverhalten von Leistungsbeziehern überwachen möchte, um Nebeneinkünfte, z.B als Ebay-Händler, aufzudecken. Wer also tatsächlich seine Möbel vom Speicher bei Ebay verkauft, soll sich künftig den wachsamen Augen der Agenten von der Agentur nicht mehr entziehen. Darüber hinaus möchte sie per Internetspionage zudem Zugriff auf Vermögensanlagen bei Versicherungen, Daten der Grundbuchämter sowie die Vermögensdaten sämtlicher Mitglieder einer »Bedarfsgemeinschaft« erhalten.

 

Umgesetzt werden könnte die Internet-Fahndung nach den Vorstellungen der Bundesagentur vom Bundeszentralamt für Steuern, das mit dem Programm »Xpider« bereits für die Finanzämter im Web nach Steuersündern sucht. In Schleswig-Holstein ständen somit 220.000 Personen als Hartz-IV-Leistungsbezieher auf der Fahndungsliste des Spähprogramms.

 

In dem am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte, weltweit in Zeitungen veröffentlichten Aufruf von über 500 Schriftstellern rufen diese zum Widerstand gegen die Zerstörung der Freiheitssphäre des Einzelnen und der Gefährdung der Demokratie durch Totalüberwachung auf. Das Kernargument ihres Textes lautet:

»Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine Demokratie mehr. Deshalb müssen unsere demokratischen Grundrechte in der virtuellen Welt ebenso durchgesetzt werden wie in der realen.«

Dieses demokratische Recht muss auch für Hartz-IV-Bezieher gelten.

 

Ob der Ausspäh-Vorschlag der Bundesagentur für Arbeit, der einer von insgesamt 124 Vorschlägen »zur Reform der Hartz-IV-Gesetzgebung« ist, Realität wird, entscheidet die künftige Bundesregierung. Der Koalitionsvertrag schweigt sich dazu aus. Hier heißt es lediglich, dass die Regierung eine Rechtsvereinfachung in der Grundsicherung für Arbeitssuchende plane und dazu auf die Ergebnisse der in 2013 eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe zurückgreifen wolle. Dazu stellt der Paritätische Wohlfahrtsverband fest:

»Das Ziel einer Vereinfachung des komplizierten Leistungs- und Verfahrensrecht im SGB II ist grundsätzlich richtig, jedoch enthalten die bislang diskutierten Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vielfach Verschärfungen zulasten der Leistungsberechtigten. Der Umstand, dass Arbeitslosigkeit heute in der Mehrzahl der Fälle mit dem Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende einhergeht, soll offenbar nicht gezielt bearbeitet werden. Der Paritätische hatte sich für eine Stärkung der Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung ausgesprochen.«

 

Wer also bestimmte Erwartungen an die SPD als Teil der zukünftigen Regierung im Jahre 10 ihres Kindes »Agenda 2010« gehegt hatte, dass sie diesem ganzen Übel der Hartz-IV-Gesetze endlich den Garaus macht, sieht sich enttäuscht oder bestätigt – was immer man erwartet hatte. An dem neoliberalem Konsenz »Arm durch Arbeit« als Billiglöhner oder »Arm durch Gesetz« als Hartz-IV-Empfänger hält die große Koalition unbeirrt fest.

 

Die wegen ihrer Kritik am Hartz-IV-System vom Dienst freigestellte Hamburger Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann wirbt im Internet und auf der Straße um Unterstützung für ihre Petition zur Abschaffung der Sanktionsparagraphen im Sozialrecht. Online zeichneten bisher 35 000 Menschen diese Petition; bis zum 18. Dezember muss ein Quorum von 50 000 Stimmen erreicht werden, damit der Bundestag in dieser Sache angehört werden muss.

Der Kampf gegen das Hartz-IV-System muss auf der Tagesordnung bleiben.

 

Text: gst
Quelle:
kommunisten.de

 


Weitere Infos: hartz-iv.info/news