Kultur
Kunstraub durch Privatisierung
Kunstraub
Die Privatisierung und Übernahme der Bestände des Kunstmuseums Düsseldorf durch die Stiftung «Museum Kunstpalast» und die Folgen für die Präsentation der Düsseldorfer Malerschule, namentlich des Hauptwerks von Johann Peter Hasenclever «Arbeiter vor dem Magistrat»
Durch den Wiener Kongress kam das Rheinland 1815 zu Preußen. Hier gründeten das Königreich Preußen eine Kunstakademie. Damit wollten es geistig Einfluss nehmen. Im Verhältnis zu Preußen war das Rheinland industriell weit entwickelt und politisch zu frech. Hier war das Bürgertum stark. Infolgedessen galt es, für die Leitung der Akademie feudal eingestellte Künstler zu finden. Zuerst fiel die Wahl auf den gebürtigen Düsseldorfer Peter Cornelius (1783 – 1867). Cornelius war ein Nazarener, also ein Maler, der im Sinne eines rückwärtsgewandten Katholizismus am Malstil von Raffael und anderen Renaissancekünstlern anknüpfte. Cornelius indes folgte bald einem Ruf nach München. Neuer Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie wurde 1826 Friedrich Wilhelm von Schadow (1788 – 1862). Er machte die Düsseldorfer Malerschule berühmt. Er steht für eine sehr konservative, aber auch solide akademische Ausbildung, die aus ganz Europa Künstler anzog.
Heute sind in den Gebäuden um den Ehrenhof das ehemals städtische Kunstmuseum, mittlerweile Teil der Stiftung «Museum Kunstpalast», und das private NRW-Forum untergebracht. Im Kunstpalast gegenüber dem Kunstmuseum war bis 1998 Platz für wechselnde Ausstellungen, insbesondere für die juryfreie Winterausstellung der Düsseldorfer Künstlerinnen und Künstler.
Kernstück der Sammlung des Kunstmuseums ist die große Gemäldesammlung des Kurfürsten Johann Wilhelm zu Pfalz-Neuburg, kurz Jan-Wellem, und seiner Frau Anna Maria de Medici gewesen. Die Sammlung bestand vor allem aus niederländischen und flämischen Bildern, zahlreiche Werke von Rubens darunter. Untergebracht war diese Sammlung zunächst in der 1709 bis 1714 errichteten Gemäldegalerie am Schloss (heute Burgplatz). Aus Sorge vor Napoleons Beutelust kam der größte Teil der Sammlung 1805 nach München und bildete dort den Grundstock für die Alte Pinakothek. 1870 verzichtete Preußen auf die Rückgabe. Die Reste sowie Teile der Sammlung der Kunstakademie zusammen mit eigenen Ankäufen und Spenden fanden ab 1928 Platz in den heutigen Räumen.
1979 stellte man im Gebäude des Kunstmuseums Baumängel fest. Das Museum wurde komplett erneuert, bis es 1985 wiedereröffnet werden konnte. Die Sanierung löste aber nicht die Probleme des Raummangels.
Zu allem Überfluss brannte es am 11. September 1993 im Museum. Ruß bedeckte Wände, Decken und vor allem die Exponate. Wiedereröffnung am 3. Dezember 1994. Aber es dauerte noch Monate, bis alle Bilder gereinigt waren und ausgestellt werden konnten.
Angesichts angeblich leerer Kassen dachte die Stadt 1995 über neue Pläne nach.
Im Zuge einer Public-Private-Partnership 1997 wurde sodann die Stiftung museum kunst palast gegründet. Am 1. September 2001 öffneten die Tore nach Fertigstellung des Neubaus des Kunstpalastes, gleichzeitig mit dem Neubau des Hauptsitzes von E.on (zunächst VEBA) in unmittelbarer Nachbarschaft. Der Kunstpalast geriet gewissermaßen zum Foyer des Verwaltungsgebäudes von E.on. Der Konzern übernahm die Kosten für den Neubau des Kunstpalastes, erhielt die neubarocken Gebäudeteile an der Ecke Inselstraße, die Stadt Düsseldorf hatte weiterhin für die laufenden Kosten aufzukommen. Aber der Vorsitz der Stiftung samt entscheidender Stimme im Vorstand wurde dem Energiekonzern übertragen.
Das Jahresbudget der Stiftung beträgt mittlerweile 15 Millionen Euro. Bei einem jährlichen städtischen Zuschuss von 7,2 Millionen Euro und des Unternehmens E.on von 1,1 Millionen Euro hat das Museum Schulden in Millionenhöhe angesammelt, die nun mit einem Sparprogramm abgebaut werden sollen. Ursache ist die ungünstige finanzielle Lage des Konzerns. Nach Verlusten 2011 beschlossen Vorstand und Aufsichtsrat Einsparungen von jährlich 1,5 Milliarden Euro. 10 000 der weltweit 80.000 Arbeitsplätze fielen weg, 60 Prozent davon in Deutschland. In der Düsseldorfer Zentrale 800 Stellen.
Am vergangenen Donnerstag war der Presse zu entnehmen, dass der Rekordverlust für E.on in 2016 sich auf «unglaubliche 16 Milliarden Euro» (FAZ 16.3.2017) summiere.
Passend dazu stellte auf Veranlassung des Konzerns im Jahre 2012 die Unternehmensberatung «Boston Consulting Group» fest, dass das Museum ineffizient wirtschafte.
Ohnehin blieb der Sammlungsflügel ab 2009 bis Mai 2011 wegen neuerlicher Renovierungsmaßnahmen geschlossen. Aus Gründen gerichtlicher Beweissicherung in Folge eines alten Wasserschadens ist gegenwärtig der zweite Stock nicht mehr zugänglich. Das spart Kosten. Zudem soll diese Sperrung in den kommenden Jahren beibehalten werden.
Seit Mai 2011 gibt es also eine neue Hängung. Opfer ist vor allem die Düsseldorfer Malerschule, aber auch Bilder der klassischen Moderne. Der Platz ist so geschrumpft, dass die Bilder des 19. Jahrhunderts nicht mehr repräsentativ gezeigt werden können. Ihr historische Entwicklung ist nicht mehr nachvollziehbar. Große und bedeutsame Werke verstauben im Magazin. Just die ästhetischen Zeugen politischer und sozialer Auseinandersetzungen des Vormärz und des Revolutionsjahres 1848 finden nur unzulänglich Platz.
Ich zeige das folgendes Bild:
Das Bild «Arbeiter vor dem Magistrat» von Hasenclever hieß ursprünglich «Bitte um Arbeit», ebenso wie die Aktion des Düsseldorfer Volksclubs. Es ist 154,5 cm mal 224,5 cm groß, und damit das größte Bild des Malers. Sicherlich aber das wichtigste. Es gehört seit 1976 zum Bestand des Kunstmuseums Düsseldorf. Das auf diesem Bild geschilderte Ereignis hat sich am 9. Oktober 1848 in und vor dem Düsseldorfer Rathaus zugetragen. Düsseldorf hatte zu dieser Zeit etwa 30 000 Einwohner.
Am 8. Oktober fand, vom Volksklub organisiert, eine große Demonstration («ein Volkszug mit Volksversammlung») in Gerresheim statt. Bei Herchenbach («Düsseldorf und seine Umgebung in den Revolutionsjahren 1848/49», Düsseldorf 1882) ist nachzulesen, dass sich etwa 2300 Menschen mittags um 13.00 Uhr auf dem Kälbermarkt, dem heutigen Schadowplatz, trafen. Sie zogen dann «von einer rothen und einer deutschen Fahne geführt» über den (Flingerer) Steinweg, heute (seit 1851) Schadowstraße, Wehrhahn und Grafenberger Allee nach Gerresheim. Auf dem Kirchhof, dem heutigen Gerricusplatz, war die Menge auf 5000 angewachsen. Es waren viele Handwerksgesellen, Stadtarbeiter und Tagelöhner vertreten.
Was bewegte die Leute?
Selbstverständlich die Empörung gegen die feudalen Mißstände, gegen die sich schon die Märzrevolution dieses Jahres gewandt hatte. Auch die Düsseldorfer wollten wie die Kölner bürgerliche Freiheiten:
- Gesetzgebung und Verwaltung durch das Volk. Allgemeines Wahlrecht und allgemeine Wählbarkeit in Gemeinde und Staat.
- Unbedingte Freiheit der Rede und Presse.
- Aufhebung des stehenden Heeres und Einführung einer allgemeinen Volksbewaffnung mit vom Volke gewählten Führern.
- Freies Versammlungsrecht.
- Schutz der Arbeit und Sicherstellung der menschlichen Bedürfnisse für alle.
- Vollständige Erziehung aller Kinder auf öffentliche Kosten.
Indes machte sie aktuell noch eine städtische Maßnahme besonders zornig:
Laut Protokoll des Düsseldorfer Stadtrats vom 11. April 1848 war mit finanzieller Unterstützung durch die preußische Regierung ein Beschäftigungsprogramm aufgelegt worden. Es ging um Arbeiten auf der Golzheimer Insel, wo ein toter Rheinarm aufgeschüttet werden sollte. Es handelt sich dabei um die ersten Arbeiten für den heutigen Rheinpark. Im Mai hatte man noch einmal 4000 Taler aus dem «Königlichen Baufonds» locker gemacht. Diese Gelder reichten dann aus, die Arbeiter bis in den September hinein zu beschäftigen.
Aber am 7. Oktober wurde beschlossen, «wegen endgültig erschöpfter Etatmittel» die Arbeiten auf der Golzheimer Insel einzustellen. (Ratsprotokoll vom 7. Oktober 1848)
Dieser Stadtratsbeschluss wurde in Gerresheim verlesen. Es erhoben sich Proteststürme. Sie gipfelten in dem Ruf nach der «rothen Republik», der nach dem Ende der Veranstaltung auch die Losung für den Rückmarsch von 1200 Demonstranten wurde.
Ein Husar trug eine rote Fahne voran.
Es marschierten einige Prominente mit.
Der Dichter Ferdinand Freiligrath (1810-76) hatte sich nach seiner Rückkehr aus London am 14. Mai 1848 dem Düsseldorfer Volksklub angeschlossen und führte als Vorstandsmitglied dessen Kasse. Auf einer Versammlung des Volksclubs las er erstmals am 1. August sein Gedicht «Die Toten an die Lebenden». Dieses Gedicht wurde in einer Auflage von 9000 Stück als Blatt gedruckt, das für einen Silbergroschen «weg wie warme Semmeln» ging. Vier Tage nach seinem Triumph wurde er aber dem Düsseldorfer Oberprokurator Schnaase vorgeführt, der die Blätter hatte beschlagnahmen lassen. Vier Wochen später, am 28. August, kam er vor den Untersuchungsrichter und wurde auf der Stelle wegen offenen Appells zum Umsturz verhaftet. Über einen Monat blieb er in Haft. In der Anklage vor dem Geschworenengericht heißt es: «Zunächst lässt der Dichter die auf den Barrikaden in Berlin Gefallenen vor dem königlichen Schlosse dem Anblicke des Königs erscheinen, den er schmäht, verhöhnt und verflucht. Sodann spricht er seinen Tadel darüber aus, das feig verscherzt worden, was die Gefallenen trotzig errungen hätten, und fordert direct zum Kriege und zum Umsturz der Verfassung auf.»
Das Geschworenengericht indessen sprach ihn am 4. Oktober frei. Es gab stürmischen Beifall für den Freispruch schon im Gerichtssaal, eine große Menge von Menschen begleitete den Dichter zu seiner Wohnung. Abends wurde ein Fackelzug veranstaltet. Freiligraths Porträt, seine Gedichte und die Prozessgeschichte waren bald in allen Buchhandlungen zu haben. Wenige Tage nach diesen Ereignissen beteiligte sich der Dichter als Redakteur an Karl Marx’ Neuer Rheinischen Zeitung bis zu ihrem Verbot am 19. Mai 1849.
In einem Brief vom 5. April 1850 kündigte Freiligrath seinem Freund Koester einen Besuch in Düsseldorf an, bei dem er Gottfried Keller, das «malerische und romantische Düsseldorf zu präsentieren» wünschte. Die Freundschaft zwischen Hasenclever und Freiligrath führt zu einem sehenswerten Porträt des Dichters im Jahre 1851, noch kurz bevor er Asyl in England sucht.
Vier Tage nach Freiligraths triumphalem Freispruch fand die Demonstration des Volksclubs statt.
Auch Ferdinand Lassalle (1825-64) war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Lassalle hatte sich als Rechtsanwalt der Gräfin Hatzfeld, die damals noch das Schloß Kalkum bewohnte, in ihrem Scheidungsprozess zur Verfügung gestellt. Lassalle war der Anstiftung zum Diebstahl angeklagt worden, weil er zwei Freunde (Oppenheim und den Arzt Arnold Mendelssohn, Vetter von Felix Mendelssohn Bartholdy) veranlasst hatte, eine Kassette mit Dokumenten des Grafen Hatzfeld zu entwenden. Lassalle spielte zu dieser Zeit im Volksklub eine führende Rolle. Wie Freiligrath war er aktives Mitglied im Bund der Kommunisten, hatte engen Kontakt zu Karl Marx, übrigens auch zu Heinrich Heine. 15 Jahre später, im Mai 1863 gründete er den ADAV, Vorläufer der SPD.
Am 11. August 1848 kam Lassalle frei. So hatte auch er Gelegenheit zur Teilnahme an der Demonstration.
Auch die Droschke mit der Gräfin von Hatzfeld begleitete zeitweise den Zug.
In Düsseldorf angekommen, veranlassten drei Stadtarbeiter, die dem Volksklub angehörten, Weyers, Hosse und Leven, ihre Kollegen zu einer eigenen Demonstration. Die Stadtarbeiter zogen zum Rathaus «unter Vortragung einer deutschen Fahne» und beauftragten die drei Volksklubmitglieder, «beim Gemeinderath die Fortsetzung der Arbeit zu erwirken.» (Zitate aus Polizeiakten des Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchivs)
Der Gemeinderat tagte aber nicht. Stattdessen bestellte ein Beigeordneter die Arbeiter in den Hofgarten. Dort erklärte er «in großer Offenheit», dass die Entlassungen aus Gründen der kommunalen Haushaltsnot erfolgt wären. Der gleichzeitig anwesende kommissarische Bürgerwehrchef, der Maler Lorenz Clasen (Historienmaler und Herausgeber der Düsseldorfer Monathefte), warnte vor neuerlichen Demonstrationen und kündigte im Falle der Zuwiderhandlung das Eingreifen der Bürgergarde an. Diese Drohung zeigte aber keinerlei Wirkung. Vielmehr zogen die Arbeiter am Abend mit der Forderung nach Weiterbeschäftigung erneut zum Rathaus. Hier fühlten sich die versammelten Stadtverordneten durch das beharrliche und massive Auftreten der Demonstranten so unter Druck gesetzt, dass sie die Zusicherung gaben, dass am nächsten Tag «näher beschlossen werden würde».
Am darauffolgenden Tag zogen die Arbeiter «vor das Rathaus, drangen in den Sitzungssaal und forderten in ungestümer Weise, beschäftigt zu werden. Der Gemeinderat konnte Ihnen nichts weiter sagen, als dass die Mittel erschöpft seien.» (Herchenbach, S. 103).
Am 10. Oktober kamen sie dann doch zu der Entscheidung, für die Vollendung der Arbeiten auf der Golzheimer Insel erneute finanzielle Unterstützung durch den Regierungspräsidenten zu ersuchen und, um möglichst vielen der Betroffenen «einen Verdienst» zu geben, «dieselben mit einem Tagelohn von 10 Silbergroschen abwechselnd nur drei Tage in der Woche zu beschäftigen.»
Die Stadtarbeiter starteten nun auf Initiative von Julius Wolff, dem Vorsitzenden der Volksklubs, eine eigene Kampagne unter dem Motto «Bitte um Arbeit». Der Aufruf ist ebenfalls vom 10. Oktober datiert und hat folgenden Wortlaut:
«Bitte um Arbeit.
Es ist jedem Düsseldorfer schon bekannt geworden, dass die früher auf der Golzheimer Insel und zuletzt im Hofgarten beschäftigt gewesenen Arbeiter vergangenen Samstag plötzlich entlassen worden sind. Unter diesen Arbeitern sind viele Familienväter, deren hungernde Weiber und Kinder um Brod schreien.
Die menschliche Gesellschaft hat offenbar die Verpflichtung, Dem, der arbeiten will, Arbeit zu geben, sowie Dem, der nicht mehr arbeiten kann, Unterstützung angedeihen zu lassen. Die Pflicht, Arbeitsunfähige zu unterstützen, ist von jeher anerkannt und ausgeübt worden. Die Pflicht, Arbeitsfähigen Arbeit zu geben, ist nicht minder gebietend, ist von der Stadt Düsseldorf bisher für unabweisbar angesehen worden. Die Stadt Düsseldorf hat bisher den Arbeitslosen Arbeit gegeben. Im Widerspruch hiermit hat heute Abend der Gemeinderath erklärt, dass keine Mittel mehr vorhanden seien, um noch ferner in dem bisherigen Maße Arbeit geben zu können, dass er aber mit Beginn der künftigen Woche von 5-600 brodlosen Arbeitern circa 160 auf 3 Tage per Woche beschäftigen wolle. Es liegt auf der Hand, dass dies schlechte Aussichten sind, dass mehrere hundert Menschen einem trostlosen, elenden Zustande anheimfallen, dass mehreren hundert Menschen der Hungertod droht. Außerordentliche Fälle erheischen außerordentliche Mittel. Die verzweiflungsvollen Arbeiter sehen sich deßhalb veranlaßt, die Güte ihrer wohlhabenden Mitbürger in Anspruch zu nehmen. Sie haben eine Deputation aus ihrer Mitte gewählt, bestehend aus den Unterzeichneten, welche sich in die Häuser der wohlhabenden Bürger zu begeben und dieselben zu bitten haben, irgend eine Summe zu zeichnen und zur Disposition des Gemeinderaths zu stellen, welcher Letztere die so gezeichneten Summen einziehen und verwenden wird, um den brodlosen Arbeitern wiederum Arbeit zu geben. Düsseldorf, den 10. Oktober 1848.
Leven. Weyers. Hosse.»
Dietmar Niemann schreibt in seiner Arbeit («Die Revolution von 1848/49 in Düsseldorf», Düsseldorf 1993, S. 167 ff.), dass bei der Durchführung dieses damals vermutlich einzigartigen Arbeitsbeschaffungsversuches sich neben der gewählten Stadtarbeiterdelegation auch andere, nicht identifizierbare Kräfte beteiligt hätten. Infolgedessen sei die Aktion außer Kontrolle geraten und es sei zu einigen Übergriffen gekommen. Ein anderer Autor charakterisiert die Aktion als «Zwangsanleihe», die «recht dürftig» als freie Spende getarnt gewesen sei. Herchenbach behauptete 1882, dass Arbeitergruppen gewaltsam in die Häuser eingedrungen wären. Man hätte Polizeibeamte «mit Steinen beworfen», sowie Fenster und Türen «demolirt». Das ist aber durch keine weitere Quelle belegt.
Die Sammlungsaktion indessen nahm der kommissarische Oberbürgermeister Wilhelm Dietze zum Anlass, mit Unterstützung des provisorischen Bürgerwehrchefs Lorenz Clasen und des Polizeiinspektors Zeller, die Freiheiten der Düsseldorfer Bevölkerung in der Weise einzuschränken, dass mit Schlagen des Generalmarsches jeder «sofort» die Straße zu verlassen hatte und bei Zuwiderhandlungen «vorläufige» Festnahmen ausgesprochen werden konnten.
Dagegen richtete sich wieder die unverzüglich einberufene Protestversammlung des Volksklubs. Es wurde die Notwendigkeit und die Rechtmäßigkeit der Aktion betont und einstimmig die Fortsetzung der Kampagne proklamiert.
Im Gegenzuge sah sich der Regierungspräsident Freiherr von Spiegel veranlasst, eine Sonderkonferenz einzuberufen, «um die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrecht zu erhalten». Die sammelnden Stadtarbeiter wurden «wegen des unbefugten Collectierens» verwarnt, ihre Handlungen als ungesetzlich charakterisiert. Auch die Auflösung des Volksklubs wurde erwogen. Der Regierungspräsident wollte wenigstens weitere Beweise gegen den Volksklub sammeln und als Warnschuss dessen rote Fahne konfiszieren lassen. Das Tragen von roten Fahnen sei ein Mittel zur Aufregung.
Indessen wurde auf dieser Konferenz deutlich, dass die Düsseldorfer Bürgergarde in Sinne des Regierungspräsidenten wohl nicht als zuverlässig gelten konnte. Lorenz Clasen beispielsweise musste bekennen, dass wohl nur eine Minderheit zum Einschreiten bereit sei und selbst diese Minderheit «ein Einschreiten gegen politische Demonstrationen, gegen Träger der rothen Fahne … und einen Haufen Arbeiter auf Verschaffung von Arbeit oder Unterstützung verweigern würde.» So jedenfalls vermeldet es das diesbezügliche Protokoll und verrät damit, dass die Mehrheit der Bürgerwehrmänner hinter der Volksklubaktion «Bitte um Arbeit» stand.
Jedenfalls wurden am 13. Oktober 1848 die Erdarbeiten auf der Golzheimer Insel wieder aufgenommen.
Das Gemälde zeigt den Ratssaal. Links tragen die Arbeiter ihre Forderungen stehend vor, während die Ratsherren rechts um einen mächtigen Tisch sitzen. Die Längswand des Ratssaales verläuft etwas schräg. Der Betrachter wird mit perspektivischen Mitteln auf die linke Seite an den Platz der Arbeiter gestellt.
Sie stehen im Gegenlicht des Fensters, das vor allem den Tisch mit den 22 Ratsherren erfasst. Das Fensterlicht erfasst noch die Büste des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. auf der rechten Wand sowie ein kleineres gerahmtes Porträt des Reichsverwesers Erzherzog Johann. Da sind indessen Sprünge im Glas zu erkennen.
Die Mittelsenkrechte bildet die rechte Laibung des geöffneten Fensters, ein uns zugewandter Ratsherr sowie ein über einen Stuhl gehängter roter Mantel. Die meisten Köpfe befinden sich auf der Höhe der Mittelwaagerechten. Das ist möglich, weil er Raum abgestuft ist und die meist sitzenden Ratsherren durch die Stufe höher platziert werden. Die Arbeiter hingegen stehen. Die rechte wie die linke Bildhälfte werden jeweils durch eine weitere Senkrechte noch einmal geteilt. So betont Hasenclever einerseits den Sprecher der Arbeiter und auf der Gegenseite einen stehenden Ratsherren sowie einen weiteren besonders hell beleuchteten, wohlbeleibten und offenbar wohlhabenden Bürger, der sich mit schreckweiten Augen den Schweiß von der Stirn wischt.
Hinter dem Versammlungsleiter sieht man in der Ecke des Sitzungssaals eine Ritterrüstung mit Hellebarde, die von den Ratsherren als Kleiderständer missbraucht wurde. Auf dem Helm sitzt schief ein Zylinder, an linken Arm hängt ein Regenschirm.
Während die obere Bildhälfte Symbole ungebrochener feudaler Traditionen mit bekränzten Herrscherporträts und barocken Stuckaturen zeigt, wird die untere Bildhälfte von der Darstellung der Konfrontation der Arbeiter mit dem bürgerlichen Stadtrat beherrscht.
Der Sprecher der Arbeiter streckt seinen linken Arm mit der Petition in den zentralen Bereich des Bildes. Es ergibt sich nicht nur ein eigenes Binnenmotiv: drei fast parallel angeordnete Ratsherren sehen sich unmittelbar mit der vorgetragenen Bitte konfrontiert. Die Wiederholung von kurzen Diagonalen an dieser Stelle und an anderen am Tisch der Ratsherren suggeriert uns die Bewegung des Zurückweichens vor den auf der linken Seite stehenden sechs Männern. Bis auf den einen dunkel gekleideten Bürger tragen sie Kleidung von Arbeitern oder einfachen Handwerkern. An zwei Hüten ist die schwarz-rot-goldene Kokarde zu erkennen. Der bärtige Bürger redet offenbar auf einen ihm zugeneigten Arbeiter mit einer roten Joppe ein, der sich die Stadtverordneten betrachtet und dabei amüsiert den Bart zwirbelt. Aus seiner Joppentasche lugt eine Schnapsflasche. Sein älterer Nachbar im blauen Kittel ist wohl ein Fuhrmann. Er wendet sich etwas zurück. Zwischen den beiden und hinter ihnen sind Kopf und Arm eines dritten zu sehen. Dieser Mann funkelt mit Augen und Zähnen und droht dem Stadtrat mit der Faust. Rechts vom Fuhrmann wendet sich der vierte Arbeiter in hellbrauner Jacke und Schaftstiefeln dem Stadtrat zu, er hat seine Rechte auf die Brust gelegt und weist mit der Linken energisch nach draußen.
Einen Schritt vor dieser Gruppe trägt der Sprecher der Deputation ihre Forderungen vor. Auf dem Schriftstück ist zu lesen: «An den wohllöblichen Stadtrat dahier…(unleserliche Fragmente) Gesuch um Arbeit.» Der Sprecher steht schon unmittelbar vor der Stufe, die den Bezirk der Ratsherren abgrenzt. Seine Figur wird durch die kannelierte Wandvorlage als linke Begrenzung des Fensters in barocker Porträttradition kompositorisch hervorgehoben. Links davon fehlt auch nicht das ebenso traditionell gebauschte Tuch in Gestalt des republikanischen schwarz-rot-goldenen Banners.
Der Blick aus dem Fenster zeigt den Rathausvorplatz. Das ist nun offenkundig nicht der Düsseldorfer Marktplatz. Solch hohe giebelständige Stadthäuser standen dort nicht.
Es tobt die Menge. Ein Redner hat sich mit einem Manuskript auf den Rand des Stockbrunnens gestellt. Der Stockbrunnen wird von einem heiligen Michael oder Georg gekrönt, am Spieß, der sich in den Drachen bohrt, weht die Republik-Fahne. Links davon trägt einer der Demonstranten die rote Fahne. Aus einem gewittrigen Himmel kommt das grelle Licht, welches auch die Szenerie im Ratssaal beleuchtet.
In anderen Städten hat es ähnliche Ereignisse gegeben. Schon am 3. März beispielsweise waren in Köln unter maßgeblicher Beteiligung des von Marx beeinflussten Kölner Arbeitervereins 5000 Demonstranten mit dem Armenarzt Andreas Gottschalk an der Spitze ins Rathaus eingedrungen und hatten dem Gemeinderat eine Adresse mit den oben genannten Forderungen überreicht.
Das Bild gibt es in fünf Fassungen.
Karl Marx kannte die große Fassung und schrieb dazu im Juni 1853:
«Diejenigen Ihrer Leser, die meine Artikel über die Revolution und Konterrevolution in Deutschland gelesen haben, welche ich vor etwa zwei Jahren für die ‹Tribune› schrieb und die von ihr ein anschauliches Bild gewinnen möchten, werden gut daran tun, sich das Gemälde des Herrn Hasenclever anzusehen, das jetzt im New-Yorker Kristallpalast ausgestellt ist. Es stellt die Überreichung eine Arbeiter-Petition an den Magistrat von Düsseldorf im Jahre 1848 dar. Der hervorragende Maler hat das in seiner ganzen dramatischen Vitalität wiedergegeben, was der Schriftsteller nur analysieren konnte.» (Marx/Engels: «Revolution und Konterrevolution in Deutschland» in Marx/Engels Werke Band 8, S. 99)
Diese Fassung war vorher von Freiligrath nach London mitgenommen und 1851 dort ausgestellt worden, ein Jahr später auf Anregung von Friedrich Engels in Manchester.
Bis 1976 galt das Werk als verschollen. Erst dann wurde es gefunden und vom Düsseldorfer Kunstmuseum erworben.
Quellen:
Wolfgang Hütt, Die Düsseldorfer Malerschule, Leipzig 1984
Kurt Soiné, Johann Peter Hasenclever. Ein Maler im Vormärz, Neustadt/Aisch 1992
Dietmar Niemann, Die Revolution von 1848/49 in Düsseldorf, Düsseldorf 1993
Katalog zur Ausstellung «Johann Peter Hasenclever (1810-1853)», Bergisches Museum Schloß Burg an der Wupper, Solingen 2003
Ein Wort zu dem Hallenser Kunstwissenschaftler Wolfgang Hütt (* 1925 in Wuppertal): Er promovierte 1957 über «Die Düsseldorfer Kunst und die demokratische Bewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts». Aus der Dissertationsschrift des DDR-Wissenschaftlers ist 1964 die erste Monographie über die Düsseldorfer Malerschule hervorgegangen. Es erwies sich als Standardwerk zu diesem Gegenstand. Eine erweiterte Auflage erschien 1984 sowie eine noch einmal veränderte Neuauflage 1995. Die Ausstellung des Kunstmuseums Düsseldorfer Malerschule im Jahr 1979 stand noch unter dem Eindruck der erstmals von Wolfgang Hütt formulierten Sichtweise auf die widersprüchliche Entwicklung der Düsseldorfer Malerschule. Eine weitere Ausstellung «Die Düsseldorfer Malerschule und ihre internationale Ausstrahlung (1819-1918)» im Kunstpalast 2011 relativierte die Bedeutung des «sozialen Genres», schon gar die Leistung Hasenclevers. Sein Hauptwerk «Bitte um Arbeit» wurde als «weitgehend deutungsoffene Pattsituation» (Katalog Band I, S. 204) fehlinterpretiert.
Es folgen zwei Bilder, die nach Wolfgang Hütt eine Wende in der Entwicklung der Düsseldorfer Malerschule markieren:
Der Reformator Jan Hus wurde trotz Zusicherung freien Geleits anlässlich des Konzils in Konstanz 1415 aus Gründen der Ketzerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Folge waren Aufstände seiner Anhänger, der Hussiten, in Böhmen – Ritter, Bauern und Kleinbürger.
Es sind Malerkollegen porträtiert worden: der Reiter links ist Schirmer, August Becker der reichgekleidete Betende rechts, Hildebrandt der Kniende mit dem Schwert links und der Krieger mit Helm und Lanze, Emil Ebers, vermutlich der mit verbundenem Auge Kniende links.
Zu dieser unzeitgemäß aufrührerischen Historienmalerei gab womöglich der Kölner «Bischofsstreit» Anlass. Dabei ging es darum, welcher Kirche die Kinder von Eltern unterschiedlicher Konfession zuzuordnen seien. Hier hatten die protestantischen Preußen andere Vorstellungen als der katholische Klerus.
Lessing war mit Schadow aus Berlin gekommen und Lehrer an der Akademie. Aber sein Bild passte nicht mehr in den politischen und ästhetischen Auftrag, dem sich der Akademierdirektor verpflichtet fühlte. Es war allemal zu kontrovers, wie man heute formulieren würde.
Auf die Geste des Hussitenpredigers, mit der er den Pokal dem Betrachter entgegenstreckt, spielt Johann Peter Hasenclever in seiner «Atelierszene» ironisch an. Das Bild wird Hasenclever zugeordnet, indes sollen alle Dargestellten daran gearbeitet haben.
Der kleinwüchsige Greven reckt gegenüber dem nachlässig gekleideten Wilms eine Weinflasche hoch. Das zeichnet Grashof, der links sitzt. Demonstrativ schleppt Hasenclever in offenkundig programmatischer Absicht eine Gliederpuppe weg. Es geht den Kommilitonen sichtlich um den Realismus, die idealistische Haltung der Nazarener lehnen sie ab.
Ein großformatiges Gemälde ist in abfälliger Absicht als Windfang zur Wand gekehrt. Die Künstler in diesem Atelier fühlen sich als Akademieopposition. Sie bevorzugen die mittleren und kleineren Formate der Genremalerei. In der Hierarchie des Akademismus sind sie Außenseiter, sie fühlen sich nach «Sibirien» verbannt. Der Titel «Sibiria» auf dem aufgeschlagenen Buch spielt darauf an. Der Realismus hindert Hasenclever aber nicht an einer schulmäßigen Komposition des Bildes. Er ordnet die Bildfläche so virtuos wie die Choreographie der Figuren auf dieser Bühne.
Die Geste, mit der eine schlichte Weinflasche dargeboten wird, wird mehrfach wiederholt. Sie persifliert das Pathos, mit dem der protestantische Hussitenprediger das «Abendmahl in beiderlei Gestalt» fordert. Protestantisch waren in Düsseldorf zu dieser Zeit nicht nur die meist jungen preußischen Beamten, zu denen wir die Lehrer der Akademie zu zählen haben, die Schadow aus Berlin mitgebracht hatte, sondern auch das wohlhabende Bürgertum in Düsseldorf.
Text und Fotos: Klaus Stein
Hattingen, 18. März 2017