Kultur

Neil Young will nicht mit dem Krieg leben

Die Wut ist noch da

25. April 1970: US-Präsident Nixon befiehlt die Invasion Kambodschas und weitet damit den mörderischen Krieg der USA gegen Vietnam auf das Nachbarland aus. Es kommt landesweit zu massiven Protesten, auch an der Kent State University in Ohio. Der Bürgermeister erklärt den Ausnahmezustand und setzt die Nationalgarde gegen die protestierenden Studenten ein. Dieser gelingt es tagelang nicht, die Proteste zu unterdrücken. Am 4. Mai eröffnet ein Teil der Truppen das Feuer auf die Studenten, ohne bedroht gewesen zu sein. Vier Studenten sterben im Kugelhagel der Soldaten, weitere neun werden zum Teil schwer verletzt. Dieser Tag geht in die Geschichte als der Tag des Kent State Massacre ein. Aus Protest dagegen treten acht Millionen Studenten in den Streik, es ist der größte Studentenstreik der US-Geschichte. Hunderte Universitäten, Highschools, selbst Grundschulen mussten zeitweise geschlossen werden.

Vier junge Musiker, deren erster gemeinsamer Live-Auftritt beim Woodstock-Festival ein Jahr zuvor für Aufsehen gesorgt hatte, antworten mit Wut im Bauch und einem Song auf den Terror der Nationalgarde. Das Lied entwickelt sich schnell zu einer Hymne der Antikriegsbewegung, ähnlich wie "I ain't marching anymore" von Phil Ochs und "Bring them home" von Pete Seeger zuvor: Der Song heißt "Ohio" und die Musiker sind David Crosby, Stephen Stills, Graham Nash und Neil Young. Die Band nennt sich nach den Initialen der beteiligten Musiker ganz einfach CSNY. Im gleichen Jahr noch veröffentlicht die Band mit riesigem Erfolg ein Album unter dem Titel Déjà Vu.

USA wieder im Krieg 

36 Jahre nach Ohio, Sommer 2006: Der Präsident heißt jetzt Bush, die USA sind wieder im Krieg, diesmal gegen Afghanistan und gegen den Irak. Und die Wut von Neil Young auf den Krieg und gegen die Regierung die ihn führt ist immer noch da. Innerhalb von zwei Wochen schreibt er neun Songs und stellt sie komplett ins Internet. Der Titel des Albums ist "Living with war". Und darin nimmt Neil Young kein Blatt vor den Mund. In einem der Songs fordert er die Amtsenthebung von Bush, Let's impeach the president: "Lasst uns den Präsidenten wegen seiner Lügen anklagen / und weil er unser Land in den Krieg führte ... Wer ist dieser Mann, der die ganzen Kriminellen anheuerte / Die Schatten des Weißen Hauses, die sich hinter verschlossenen Türen verbergen ... Lass uns den Präsidenten anklagen für die Bespitzelung / der Bürger in ihren eigenen vier Wänden / Der jedes Gesetz im Land bricht / Wenn er unsere Telefone und Computer anzapft ..." Binnen einer Woche greift eine Million Menschen auf die Website zu, die Botschaften der Songs beginnen ein Massenpublikum zu erreichen.

Gegen Bushs Kriege 

Die Konsequenz, mit der Neil Young sich gegen Bushs Kriege stellt ist bemerkenswert. Unter dem Eindruck des 11. Septembers 2001 hatte er sich noch für den Patriot Act ausgesprochen, ein Gesetz, das demokratische Bürgerrechte beschränkte wie nie zuvor. Die Parallele zur Bruce Spring steens Position ist verblüffend. Springsteen hatte ein Jahr nach 9/11 das "Rising"-Album veröffentlich, musikalisch ein Meilenstein im Werk des "Boss", aber inhaltlich sehr patriotisch geraten. Nicht wenige US-Künstler, die sonst für linke und liberaldemokratische Meinungen bekannt waren, nahmen unter dem Eindruck der gigantischen Gehirnwäsche zunächst eine defensive, wenn nicht gar "patriotische" Position ein. Die Dixie Chicks, eine prominente Frauenband aus Texas, durchbrach schließlich bei einem Konzert in London den Bann und kritisierte Bush öffentlich.

"Freedom of speech"-Tournee

Young beließ es nicht bei der "Living with war"-CD. Im Sommer 2006 mobilisierte er seine alten Freunde David Crosby, Stephen Stills und Graham Nash für eine "Freedom of speech"-Tournee quer durch die USA. Es hätte eine richtig schöne Oldie-Tour werden können, das Durchschnittsalter der Musiker liegt bei immerhin 62 Jahren. Die Band spielte eine Mischung aus CSNY-Klassikern wie "Find a cost of freedom", "Teach your children", "Wooden ships", "Ohio" und anderen Songs. Stephen Stills intonierte seine unvergessliche Antikriegshymne "For what it's worth" aus den 60ern, aktuell noch immer.

"Let's impeach the president"

Das Gerüst der Konzerte bildeten die Songs der "Living with war"-CD. Damit spaltete die Band das Publikum, vor allem in den Staaten des Mittleren Westens und im Süden der USA. Auf "Let's impeach the president" gab es die heftigsten Reaktionen. Neil Young kommentiert: "In dieser Show haben wir einige Regeln verletzt. Unsere Verantwortung den Zuschauern gegenüber ist es nicht mehr, sie schön einzulullen. Die Verantwortung dieser Show ist es, die Zuschauer fühlen zu lassen. Punkt.". Erst nach der Tournee gibt er bekannt, dass die Band Morddrohungen erhalten hatte.

Krieg ist das letzte

Es ist die Direktheit der Botschaft dieser "Freedom of speech"-Tour, mit der CSNY, so wie fast vierzig Jahre vorher, ihr Publikum konfrontierten und die lautet: Krieg ist das letzte, was man machen kann. Die Songs haben eine unglaubliche Energie, weil die Texte authentisch und ehrlich gemeint sind, es ist mitunter direktes Sloganizing, mit dem Young seinen Zorn ausdrückt. Viele Besucher ließen bei den Konzerten ihren Emotionen freien Lauf. Es gab riesige Begeisterung, Tränen der Trauer bei Songs wie "Families" oder "Roger and out", bis hin zu Buhrufen und Stinkefingern, unberührt ließen die Konzerte niemanden. Da spielt es keine Rolle, dass der Sound teilweise so klingt, als hätte die Band ohne Mischpult gespielt. Geschenkt auch, dass beispielsweise "Wooden ships" 36 Jahre vorher in Woodstock von den gleichen Musikern erheblich dynamischer gespielt wurde. Die Entschiedenheit, mit der die Band hinter der Botschaft ihrer Lieder stand, ließ alles andere bedeutungslos werden.

Déjà Vu

Unter seinem Pseudonym Bernard Shakey hat Neil Young eine kritische Dokumentation über die Tournee gedreht. Der Titel: Déjà Vu, in Deutschland erstmals bei der Berlinale 2008 aufgeführt und seither in verschiedenen Programmkinos zu sehen. Mit dabei war der Journalist Mike Cerre, zu Beginn seiner Laufbahn als Reporter im Vietnamkrieg eingesetzt und aktuell mehrfach im Irak. Er kam sozusagen als "embedded journalist" mit auf die Tour. Es ist kein Musikfilm, bei dem die Band im Mittelpunkt steht. Die Protagonisten sind Konzertbesucher, Veteranen des Vietnam-und Irakkrieges. Es sind Leute wie Tammy Duckworth, die als Soldatin im Irak beide Beine verlor und deren Mann erneut in den Irak geschickt wurde. Oder der Marine Corps Corporal Josh Hisle, mehrfach im Irak im Einsatz, der heute mit anderen Veteranen Antikriegslieder spielt, um sein Trauma zu überwinden. Der Einsatz von Stephen Stills, der in den freien Tagen der Tour die örtlichen Spendengeldsammler für die Demokratische Partei unterstützte, wird gezeigt und die Bandbreite derer, die zu Wort kommen, reicht vom Deserteur bis zum Offizier. Der Film ist seit November als DVD erhältlich. Von der Tournee gibt es eine CD unter dem Titel "CSNY / Déjà Vu / Live". Darauf sind 16 Songs versammelt, die die Power der Band während der Tournee glänzend rüberbringen. Allerdings: Dass Neil Young das "Living with war"-Thema gleich dreimal auf die CD gepackt hat, zweimal als Studioversion mit Pianobegleitung, ist ein bisschen viel des Guten. Schade, dass "Ohio" hingegen fehlt.

"Living with war"

Neil Young beließ es nicht dabei. Nur fünf Monate nach Erscheinen der "Living with war"-CD legte er eine komplett überarbeitete Fassung der gleichen Songs unter dem Titel "Living with war - In the Beginning" vor. Hatte er bei der ersten Fassung noch einen hundertköpfigen Chor dabei, der besondern bei "America the beautiful" einen grauenhaften Eindruck hinterließ, so verzichtete er diesmal auf alle Schnörkel. Das Album klingt dadurch viel rockiger, passend zu den Inhalten der Songs. Das Highlight ist jedoch eine beiliegende DVD. Zu jedem Song gibt es einen im CNN-Stil aufgemachten Videoclip mit thematisch entsprechenden Aufnahmen. Gezeigt werden die Musiker während der Proben. Die Songs auf der DVD von "In the Beginning" sind mit Chor aufgenommen, so hat man, Young sei Dank, beide Versionen der "Living with war"-Scheibe.

Wie heißt es in "Lookin' for a Leader" schließlich? "... America is beautiful / But she has an ugly side / We're lookin' for a leader / In this country far and wide ... Someone walks among us / And I hope he hears the call / And maybe it's a woman / Or a black man after all ..." Amerika hat einen neuen Leader, wie wir mittlerweile wissen. CSNY werden mit ihren Songs auch weiterhin für eine neue Politik einstehen.

Randolph Oechslein
unsere zeit - Zeitung der DKP
26. Dezember 2008


Ohio
auf Youtube

Let's impeach the president
auf Youtube

Die Living With War - Website


Living with war - In the beginning: CD und DVD, Warner; CSNY / Déjà Vu Live: CD, Soundtrack des gleichnamigen Films; Crosby Stills Nash & Young - Déjà Vu: DVD zur Freedom of speech-tour 2006