Kultur
Kultur in Zeiten der Krise
Marxistische-Blätter
Ausgabe: 4-09
Die neoliberalistischen Umgestaltungsbestrebungen hatten von Beginn an den Charakter eines Kulturkampfes. Schon der Wahrnehmung elementarer alltagskultureller Angebote wird den Krisenopfern durch eine Strategie systematischer Einkommensabsenkung ein Riegel vorgeschoben: Nicht nur den Hartz-IV-Empfängern und den „arbeitenden Armen“, auch fast allen Familien mit mehreren Kindern sind aus finanziellen Gründen selbst Kino-, Schwimmbad- und Zoobesuche kaum noch möglich. Für Bildungsausgaben wurden den Hartz-IV-Kindern 2008 zusätzliche 100 Euro (pro Jahr!) bewilligt – die jedoch auf 10 Schuljahre beschränkt sind. Ihnen wird also offiziell zu verstehen gegeben, dass für sie ein Haupt- und Realschulabschluss reichen muss.
Die „Verteidigung der Kultur“ ist somit wieder von existenzieller Bedeutung. Die Frage jedoch, welche Kräfte mit dieser Forderung angesprochen werden könnten, ist mittlerweile nicht mehr so einfach zu beantworten. Zwar sind im herrschenden Kulturbetrieb die krisenhaften Gesellschaftsentwicklungen durchaus ein Thema. Doch fraglich ist, ob die Art ihrer Behandlung dem dramatischen, zunehmend antizivilisatorischen Charakter der Sozialentwicklung angemessen ist. Zwar demonstrieren viele Kunstproduzenten und Theaterregisseure, die sich mit den gesellschaftlichen Widerspruchsentwicklungen beschäftigen, ein „kritisches“ und „subversives“ Selbstverständnis. Jedoch bleiben sie häufig hinter den eigenen Ansprüchen zurück.
Reicht die neue Art der „Wirklichkeitsthematisierung“ auf den Theaterbühnen durch den Einsatz „richtiger“ Arbeitsloser und Prekarier, wirklich aus, um den Problemen ein Profil zu geben, wenn ansonsten, die gesellschaftlichen Verhältnisse als statisch und alternativlos dargestellt werden? Unterstützt bildende Kunst eine antikapitalistische Grundstimmung, wenn sie nur spröde auf skandalöse „Zustände“ verweist (indem beispielsweise Arbeitslose in einen Müll-Container gestellt werden), ohne eine weitere gestalterische (und damit inhaltliche) Bearbeitung des Problemfeldes vorzunehmen?
Weil solche Vorgehensweisen hinter den Möglichkeiten künstlerischer Gestaltung zurück bleiben, leistet sie keinen Beitrag zur Fundierung der Vorstellungen über die Alternativen zur Krisengesellschaft und den Horizont einer „anderen Welt“, sondern bestätigt vielmehr herrschende Resignation. Eine progressive Kultur dagegen, müsste fähig sein, jene Selbstachtung und jenes Selbstbewusstsein zu restabilisieren, die durch die Verallgemeinerung sozialer Abstiegsängste bei vielen Menschen auf der Strecke geblieben sind.
Quelle: Neue Impulse Verlag