Politik

Theodorakis ruft zum Widerstand auf

»Widerstehen Sie dem Totalitarismus der Märkte!«

Porträt: Mikis Theodorakis

An die empörten Bürger Griechenlands und Europas


Wir begrüßen die zehn­tausende, sogar hundert­tausende von Bürgern, vor allem junge Menschen, die sich auf den Plätzen aller großen Städte versammelt haben, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen  … und den Abschied der Regierung der Schande und aller poli­ti­schen Mitar­beiter zu fordern, die dem öffent­lichen Wohl dienen sollten und denen es gelungen ist, Griechen­land zu zerstören, zu plündern und zu versklaven. Anstatt ins Parlament gehören diese Leute alle ins Gefängnis.

Wir begrüßen die ersten Generalversammlungen, die in den Zentren unserer Städte stattfinden, die Formen  direkter Demokratie, die neuartige Jugendbewegung. Wir begrüßen die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, welche Demonstrationen, Streiks und Besetzungen begonnen haben. Sie verteidigen einen Staat, der, statt einer Auflösung im Rahmen des IWF, eine Verbesserung und eine radikale Reform verzweifelt benötigt. Durch ihre Proteste verteidigen die Arbeiter ... das Erbe des griechischen Volkes, das die ausländischen Banken mittels ihrer Marionetten-Regierung in Athen zu plündern gedenken.


Nach dieser Erfahrung ist nicht mehr die geringste Illusion gestattet. Der Weg, den die Regierung  unter der Aufsicht von Banken und ausländischen Unternehmen, von Goldman Sachs usw. eingeschlagen hat, führt Griechenland in die Katastrophe.

Wir wenden uns auch an die europäischen Völker. Unser Kampf ist nicht nur der Griechenlands, er strebt ein freieres, unabhängigeres und demokratischeres Europa an. Glauben Sie Ihren Regierungen nicht, wenn sie behaupten, dass euer Geld dazu dient, Griechenland zu helfen. Glauben Sie nicht die groben und absurden Lügen der kompromittierten Zeitungen, die Sie überzeugen wollen, dass das Problem von der sogenannten Faulheit der Griechen herkommt, währenddem, nach den Daten des Europäischen Statistischen Instituts, diese mehr arbeiten als alle anderen Europäer! Die Arbeiter sind nicht verantwortlich für die Krise. Der Finanzkapitalismus und ihre Politiker, sie sind es, die sie verursacht haben und die sie ausnutzen. Ihr Programm »Rettung von Griechenland« hilft nur den ausländischen Banken, und gerade denjenigen, die uns mittels Politikern und Regierungen in ihrem Sold das politische Modell aufgezwungen haben, das zur aktuellen Krise geführt hat. 

Es gibt keine Alternative zu einer radikalen Umstrukturierung der Schulden, nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa. Es ist unmöglich, dass Banken und Kapitaleigner, die die Verantwortung für die gegenwärtige Krise tragen, nicht einen Cent zahlen, um den Schaden den sie angerichtet haben, gutzumachen. Es darf nicht sein, dass Banker der einzige sichere Beruf auf der Welt ist! 

Es gibt keine andere Lösung, als das aktuelle europäische Wirtschaftsmodell zu ersetzen. Ein Wirtschaftsmodell, das entwickelt wurde, um Schulden zu erzeugen. Wir müssen zu einer Politik der Ankurbelung der Nachfrage und der Entwicklung zurückzukehren, zu einer Politik, die eine drastische Kontrolle der Finanzströme leistet. Wenn die Staaten sich nicht gegenüber den Märkten durchsetzen, so fressen diese sie auf, zusammen mit der Demokratie und den Errungenschaften der europäischen Zivilisation.

Die Demokratie wurde in Athen geboren, als Solon die Schulden der Armen gegenüber den Reichen stornierte. Man darf heute nicht zulassen, dass die Banken die europäische Demokratie zerstören, um riesige Summen aus ihnen herauszupressen, die sie selbst als Schulden herbei geführt haben. Wie kann man vorschlagen, dass ein ehemaliger Mitarbeiter von Goldman Sachs die Europäische Zentralbank führen soll? Was sind das für Regierungen? Was für Politiker haben wir in Europa? 

Wenn Ihr heute die Opferung der griechischen, irischen, portugiesischen und spanischen Gesellschaften auf dem Altar der Schulden und der Banken zulasst, wird bald die Reihe an Euch sein. Euer Wohlstand kann nicht wachsen auf den Ruinen der europäischen Gesellschaften. 

Unsrerseits sind wir spät dran, aber wir sind aufgewacht. Lasst uns zusammen ein neues Europa bauen; ein demokratisches, wohlhabendes, friedliches, das seiner Geschichte, seinen Kämpfen und seines Geistes würdig ist. Widerstehen Sie dem Totalitarismus der Märkte, die drohen, Europa zu zerschlagen und in eine Drittwelt zu verwandeln, die die europäischen Nationen gegeneinander aufwiegeln und unsern Kontinent zerstören, indem sie die Rückkehr des Faschismus fördern.

Deutsche Übersetzung: Guy Wagner
Foto: Heinrich Klaffs / Wikipedia