Politik

Von den NS-Ge­heim­diens­ten bis zur NSA

Programme der herrschenden Klasse spionieren grenzenlos – Der Widerstand wächst

Tribüne, zahlreiche Demonstranten, rote Fahnen.

27.07.2013 | In zahl­rei­chen deut­schen Städ­ten wuchs am letz­ten Wo­chen­en­de die Kri­tik an den flä­chen­de­cken­den und ver­dachts­un­ab­hän­gi­gen Schnüf­fe­lei­en von Ver­fas­sungs­schutz (VS), Bun­des­nach­rich­ten­dienst (BND) und der Na­tio­nal Ser­vice Agen­cy (NSA). Die Kri­tik be­inhal­te­te vie­ler­orts nicht nur ei­ne Ver­ur­tei­lung der Spio­na­ge­diens­te. Sie wuchs zur Sys­tem­kri­tik am Ka­pi­ta­lis­mus, der den Men­schen ih­rer Rech­te auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung be­raubt hat.

Die­se Über­grif­fe ha­ben ei­ne Vor­ge­schich­te, die äl­ter ist als die 1949 aus den West­zo­nen ent­stan­de­ne BRD. Das ge­mein­sa­me Ziel der ame­ri­ka­ni­schen und deut­schen Ge­heim­diens­te war nach Kriegs­en­de das Roll­back, die Zu­rück­drän­gung des So­zia­lis­mus. Im in­nen­po­li­ti­schen Zen­trum: die Kom­mu­nis­ten­ver­fol­gung in bei­den Län­dern. Und welt­weit die Di­ver­si­on der so­zia­lis­ti­schen Län­der und Un­ab­hän­gig­keits­be­we­gun­gen. Da­zu be­durf­te es ei­ner Spio­na­ge, die auf dem je­weils höchs­ten Stand der Tech­nik ope­rier­te. Die Ko­ope­ra­ti­on und gleich­zei­ti­ge Kon­kur­renz der »Diens­te« führ­te da­zu, dass das Wort »Freun­de« so buch­sta­biert wur­de wie das Wort »Be­trü­ger«.

Plakat: »Shame on you, Mr. Obama! Man sollte Ihnen den Friedensnobelpreis aberkennen und ihn an Edward Snowden weiterreichen. #StopWatchingUs«.

Aus der deut­schen Tra­di­ti­on: Die Spio­na­ge­ab­tei­lung »Frem­de Hee­re Ost«, die be­reits im Ers­ten Welt­krieg ih­ren Vor­läu­fer hat­te und von Ge­ne­ral­ma­jor Rein­hard Geh­len von 1942 bis April 1945 ge­führt wur­de, ging nach dem Zwei­ten Welt­krieg in die »Or­ga­ni­sa­ti­on Geh­len« über und mün­de­te 1956 in den Bun­des­nach­rich­ten­dienst (BND). Die­se Ent­wick­lung er­folg­te nach den po­li­ti­schen Vor­ga­ben aus Wa­shing­ton. Die Vor­herr­schaft be­steht seit 68 Jah­ren.

Nach 1989 än­der­te sich die Si­tua­ti­on. Der äu­ße­re Feind war weg. Um­so in­ten­si­ver wur­de nach In­nen spio­niert: Der Ex-Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Wolf­gang Schäu­b­le (CDU) ließ zu Zei­ten der Gro­ßen Ko­ali­ti­on mit der SPD (Ka­bi­nett Mer­kel I) den Bun­de­stro­ja­ner wei­ter­ent­wi­ckeln. Da­mit gab es ei­nen neu­en Zu­griff auf je­den Com­pu­ter in je­der Woh­nung und an je­dem Ar­beits­platz, oh­ne dass sich die Schlapp­hü­te erst vor die aus­zu­spio­nie­ren­den Rech­ner set­zen muss­ten. Auch da­bei gab es ein Zu­sam­men­spiel zwi­schen BRD und USA, denn beim Fe­deral Bu­reau of In­ves­ti­ga­ti­on (FBI) wur­den im Jahr 2007 Er­kun­di­gun­gen zum Über­wa­chungs­pro­gramm Com­pu­ter and In­ter­net Pro­to­col Ad­dress Ve­ri­fier (CI­PAV) ein­ge­zo­gen. Die NSA ließ – eben­falls 2007 – in das Da­ten-Ver­schlüs­se­lungs­pro­gramm Du­al_EC_DRBG ei­nen „Nach­schlüs­sel“ ein­bau­en, so dass beim Ver­schlüs­seln gleich­zei­tig die an­geb­lich ge­si­cher­ten Da­tei­en wie­der ge­öff­net wur­den.

Ro­nald Po­fal­la (CDU) ist ak­tu­ell als An­ge­la Mer­kels Kanz­ler­amts­mi­nis­ter zu­stän­dig für die »Über­wa­chung« der deut­schen Ge­heim­diens­te. Er hat das pro­le­ta­ri­sche Mi­lieu sei­ner Her­kunft ab­ge­schüt­telt. Sein Va­ter war Ar­bei­ter, sei­ne Mut­ter Rei­ni­gungs­kraft. Der Ent­sor­gungs­un­ter­neh­mer Schön­ma­ckers fi­nan­zier­te über Jah­re mit 1200 bis 1300 DM pro Mo­nat(!) sein Stu­di­um. Po­fal­las »Ge­gen­leis­tung« be­stand dar­in, für den Un­ter­neh­mer »po­li­ti­sche Kon­tak­te« zu knüp­fen und An­ge­le­gen­hei­ten aus dem Ar­beits- und Miet­recht zu be­ar­bei­ten und die Er­wei­te­rung des Un­ter­neh­mens po­li­tisch zu un­ter­stüt­zen.

Als Sprach­rohr sei­ner Che­fin be­herrscht er das Re­gis­ter der Rhe­to­rik: Er kann sich dumm stel­len, zur pas­sen­den Zeit nichts­sa­gend schwei­gen, auf ei­ne ge­ra­de­zu ein­ma­li­ge Wei­se ab­len­kend nä­seln, sich vor Jour­na­lis­ten auf blan­kem Par­kett aus dem Staub ma­chen. Und er kann zu­schla­gen. Po­fal­la zu MdB Wolf­gang Bos­bach (Vi­ze­frak­ti­ons­chef der CDU), als der das zwei­te »Grie­chen­land-Hilfs­pa­ket« ent­ge­gen der CDU-Par­tei­li­nie ab­lehn­te: »Ich kann dei­ne Fres­se nicht mehr se­hen!« – Nicht je­der frü­he­re CDU-Ge­ne­ral­se­kre­tär wur­de an­schlie­ßend CDU-Kanz­ler­amts­mi­nis­ter… Grund­vor­aus­set­zung: Sie müs­sen Meis­ter sein in der Durch­set­zung je­der je­weils herr­schen­den Ideo­lo­gie. Po­fal­la bringt es zur Zeit auf zwei Sät­ze: Die deut­schen Nach­rich­ten­diens­te ar­bei­ten nach Recht und Ge­setz. Und: Der Da­ten­schutz wird »zu 100 Pro­zent ein­ge­hal­ten«.

Der Ex-Kanz­ler­kan­di­dat Frank-Wal­ter Stein­mei­er (SPD) war Chef des Kanz­ler­am­tes von Ger­hard Schrö­der und da­mit sie­ben Jah­re »zu­stän­dig« für die Ge­heim­diens­te. Er ar­bei­te­te auch mit dem NSA zu­sam­men. Zu sei­ner Zeit, so Stein­mei­er, gab es »Prism« und »Tem­po­ra« noch nicht. Das flä­chen­de­cken­de Aus­spä­hen sei neu. »Prism« gibt es seit 2005. Die CDU fragt, wel­che Ver­bin­dun­gen es zwi­schen Stein­mei­er, den deut­schen und den US-Spio­na­ge­diens­ten nach dem 11. Sep­tem­ber 2001 gab.

Zur Er­in­ne­rung: 1998 bis 2005 war der mit »re­al­po­li­ti­schen Po­si­tio­nen« be­haf­te­te Jo­seph Mar­tin (Josch­ka) Fi­scher (Grü­ne) Au­ßen­mi­nis­ter im Ka­bi­nett Schrö­der I und II. Er war zu­stän­dig für die po­lit-in­ti­men Be­zie­hun­gen zur US-Au­ßen­mi­nis­te­rin Ma­de­lei­ne Al­b­right.

Hans-Chris­ti­an Strö­be­le (Grü­ne), seit 1998 MdB, ist das dienst­äl­tes­te Mit­glied des PKG (seit 2002), da­mit als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter dienst­äl­tes­ter »Kon­trol­leur« der Ge­heim­diens­te. Er war auch Mit­glied im BND-Un­ter­su­chungs­aus­schuss.

Protest auf Domstufen. Plakat vorn: »Brechreiz! EU-Staaten knicken vor USA ein. Kotz! Würg!«.

CSU-In­nen­mi­nis­ter Hans-Pe­ter Fried­rich (seit 2011) ver­höhnt die Bür­ger: Sie soll­ten sel­ber für ih­re Da­ten­si­cher­heit sor­gen. Gleich­zei­tig ver­tei­dig­te er die »Diens­te« we­gen ih­rer flä­chen­de­cken­den Aus­späh­ak­tio­nen.

Die Glaub­wür­dig­keit der bür­ger­li­chen Par­tei­en, auch die der Pi­ra­ten, als par­la­men­ta­ri­sche Op­po­si­ti­on ge­gen NSA, VS, BND, Prism und Tem­po­ra zu über­zeu­gen, zeigt kei­ne si­gni­fi­kan­ten Früch­te: Sie düm­peln in der Wäh­ler­gunst auf an­ge­stamm­ten Plät­zen. Pa­trik Kö­be­le, Vor­sit­zen­de der DKP: »Das ist nicht ver­wun­der­lich. Sie ha­ben sich im Par­la­men­ta­ris­mus ein­ge­rich­tet. Ge­heim­diens­te im Ka­pi­ta­lis­mus be­kommt man nur weg, wenn man auch den Ka­pi­ta­lis­mus weg­ha­ben will.«

Uwe Koopmann
Fotos: Bettina Ohnesorge