Politik

Krise, Griechenland, Ukraine, Flüchtlinge

REP-Plakat: »Für Kitas ist kein Geld mehr da, das kriegen Asylbetrüger aus Afrika.«.

 

Ei­ni­ge An­mer­kun­gen zur ge­gen­wär­ti­gen La­ge und Kri­sen­ent­wicklung

In der Handlungsorientierung des Bezirks stellen wir fest, dass die Hypertrophie des Finanzsektors die konjunkturelle Erholung verhindert. Im Februar berichtete die Presse von einer Untersuchung von McKinsey, nach der die Schulden der 47 reichsten Länder insgesamt 175 Billionen Euro betragen. Eine Summe, die dreimal so hoch ist wie ihre Wirtschaftsleistung.

Demonstranten mit Transparenten u.a. Bild eines Panzers »Fluchtursachen made in Germany«.

Sie repräsentiert vor allem Vermögensansprüche von Gläubigern, die eine entsprechende Verzinsung und Tilgung erwarten. Diese Schulden bzw. Vermögensansprüche werden nicht weniger, sondern wachsen. McKinseys untersucht sie auf Dollar-Basis. Von 142 Billionen Dollar im Jahr 2007 sind sie auf 199 Billionen Dollar im Jahr 2014 geschnellt, von 269% im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf 286%. Von den 199 Billionen Dollar entfallen 40 Billionen auf Privathaushalte, 56 auf Unternehmen, 58 auf Regierungen, 45 auf Finanzinstitute. An den Zahlen von McKinsey ist nachzuweisen, dass insbesondere die Finanzinstitute der USA (um 24%) und Deutschlands (um 16%) sich ihrer faulen Kredite haben entledigen können, indem sie sie auf den Fiskus überwälzten.

Griechenland ist mit 317% des BIP verschuldet und steht damit hinter Portugal, Belgien und den Niederlanden an siebter Stelle, es folgen Frankreich und Italien. USA steht mit 233% auf Platz 16, die Bundesrepublik mit 188 % auf Platz 24 der 47 reichsten Länder.

Aber auch in Griechenland kommt der Trick mit der Abwälzung der privaten Schulden auf den Fiskus zur Anwendung. Die faulen Kredite der Banken werden verstaatlicht, in unserem Fall weitgehend europäisiert. Insofern konnte Schäuble und die Finanzwelt ganz gelassen um die Schulden Griechenlands pokern. Im schlimmsten Fall zahlt die Öffentliche Hand. Privates Kapital ist raus aus dem Risiko, beutet im Gegenteil durch die freigiebige Politik der EZB noch die Risiken aus.

Schon am 10. Januar, noch vor den griechischen Wahlen, konnte die FAZ ihre Leser beruhigen: »Die Gesamtschuld Griechenlands liegt derzeit bei rund 320 Milliarden Euro. Davon befinden sich 260 Milliarden Euro, also 80 Prozent, in der Hand öffentlicher Gläubiger.«

Demonstrant mit SDAJ-Umhängetasche.

Um Banken vor dem Bankrott zu bewahren, kauft die EZB unbegrenzt Staatsanleihen überschuldeter Staaten auf. Monat für Monat werden dafür 60 Mrd Euro ausgegeben. Jetzt sammeln sich die faulen Papiere bei den öffentlichen Finanzinstituten Europas. Der Bankenstressbericht der EZB vom Ende November 2014 zählte schon faule Papiere in Höhe von 879 Mrd Euro, 9% des BIP der gesamten Eurozone. Die Geldschwemme hält die Zinsen niedrig und den Euro billig. Das soll die Konjunktur ans Laufen bringen. Aber das Geld wird nicht in die Produktion investiert, weil sich mit der Herstellung von Waren zu wenig verdienen läßt. Vage droht eine Zinserhöhung der FED. Sie soll schon im September kommen, angesichts der chinesischen Flaute indes wird von einer Verschiebung auf einen Dezembertermin gesprochen. Tatsächlich würde eine Zinserhörung weitreichende Folgen, nicht nur für überschuldete Städte und Gemeinden haben. Das Gegenteil eines Schuldenschnitts. Die Schulden würden erst recht uneinbringlich werden.

Dabei ist die organisierte Vernichtung von Kapital in Form von Schuldenschnitten angesagt, aber unter den Bedingungen imperialistischer Konkurrenz nicht zu erwarten, allenfalls zu erkämpfen. Aber auch der Krieg ist eine organisierte Form der Kapitalvernichtung, die dazu noch für die Herrschenden den Vorteil der Systemstabilisierung hat. Kriege sind also eher zu erwarten. Der 1. September sollte ein Anlass sein, darauf aufmerksam zu machen und sich an den fälligen Friedensaktivitäten zu beteiligen, ebenso wie der 3. Oktober, wo wieder eine Aktion in Kalkar ansteht.

Es bläht sich der Finanzmarkt. Die Blasen werden irgendwann aus geringfügigem und zufälligem Anlass platzen.

Ich möchte Euch in diesem Zusammenhang auf zwei Artikel von gestern aufmerksam machen. Die FAZ von gestern titelt auf der Wirschaftsseite: »Chinas Konjunktur belastet die Börsenkurse. Die Kursverluste an den Märtken setzen sich fort. Immer mehr wird die Wachstumsschwäche in China zur Bedrohung für die Weltwirtschaft.« Im Text wird festgestellt, dass der Dax im Verlauf dieser Woche um 6,5% gesunken ist und damit die Kursverluste der vergangenen Woche fortgesetzt hat. Insbesondere Autowerte waren davon betroffen. Auch Rainer Rupp schreibt in der jW von gestern über die gegenwärtige wirtschaftliche Lage. Titel: »Eine Minute vor Zwölf. Billige Rohstoffe, extreme Verschuldung, kollabierende Finanzmärkte: Die neoliberale Globalisierung ist in die eigene Falle geraten.«

Die kurzfristigen Verwertungsinteressen heftig konkurrierenden fiktiven Kapitals richten sich gegenwärtig schon diametral gegen die Lebensgrundlagen des griechischen Volkes. Hier waltet indes kein ökonomischer Sachzwang. Es wird ein mörderisches Exempel statuiert. Widerstand gegen die Austeritätspolitik von EU, IWF und EZB soll mit Blick auf wachsenden Widerstand in Spanien, Portugal, Italien, Frankreich als aussichtslos erfahren werden. Und diese Lektion wird auch unserer Arbeiterklasse erteilt.

Dr. Giannis, Professor Uni Leipzig, kennzeichnete die Lage so (ND, 30. Juli 2015): »Mehr als drei der insgesamt rund 11 Millionen Griechen sind momentan ohne Krankenversicherung und also ohne Zugang zu medizinischen Leistungen und Medikamenten. 3,8 Millionen Griechen leben an der Armutsgrenze mit rund 430 Euro pro Monat und weitere 2,5 Millionen unterhalb derselben. Letztere versuchen mit durchschnittlich 230 Euro pro Monat zu leben und überleben. Das bedeutet: Rund 60 Prozent der griechischen Bevölkerung leben in Armut oder an der Grenze derselben.« Tatsächlich schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 21.600 Euro im Jahre 2008 auf 16.300 Euro im Jahr 2014. Das verfügbare Einkommen ist von 2008 bis 2013 um 40 Prozent gesunken.

Wovon leben eigentlich die Griechen? Der Primärsektor inklusive der Landwirtschaft schafft 6,4% des BIP, 22 Prozent des Ausfuhr sind Agrarprodukte. Die Industrie schafft 22,2% des BIP, hauptsächlich kleine und mittelständische Industrie. Sie bringt es auf 59% des Exports. Der größte Bereich ist der Dienstleistungssektor mit 70%. Selbstverständlich gehört dazu der Tourismus, vor allem verbirgt sich dahinter die Schiffahrt. Ich habe nicht herausbekommen können, wie hoch der Anteil der griechischen Schiffahrt am BIP des Landes ist. Es dürfte auch schwer sein, hier eine echte Zahl zu bekommen – denn 69% der Tonnage sind ausgeflaggt. 4000 Schiffe werden von griechischen Reedern kontrolliert, das entspricht 20% der gesamten internationalen Seefahrt. Griechenlands Handelsflotte ist die größte der Welt. So schreibt die TAZ am 11. Juli. Allein im Krisenjahr 2010, als das Land erstmals unter den Eurorettungsschirm schlüpfte, sei die Flotte um über 13 Prozent gewachsen. Und sie wachse weiter. Aktuell hätten Griechenlands Reeder über 250 Riesenpötte vornehmlich bei Werften in Südkorea und China geordert. Nummer eins seien griechische Reeder mit weitem Abstand vor allem im lukrativen Tankergeschäft: Jedes fünfte Schiff, das Rohöl oder Erdgas über die Weltmeere transportiert, gehöre einem Griechen. Sie zahlen aber so gut wie keine Steuern. Die geringfügige Tonnagesteuer beträgt nur wenige Cent pro 100 Tonnen Ladung. Als Abgeltungssteuer befreit sie aber alle anderen Einkünfte aus Schiffahrtsgeschäften von sonstigen Zahlungen an den Fiskus, einschließlich der Gewinne aus Schiffsveräußerungen. Eine Consulting-Firma nennt noch andere Zahlen: Danach besteht die griechische Handelsflotte Ende April 2014 aus 4894 Schiffen mit einer Leistungskraft von 290 Millionen Tonnen Tragfähigkeit. Und sie nennt auch die Namen der Reeder. Jannis Aggelikousos steht auf Platz 1, verfügt über 114 Schiffe mit einer Tonnage von 20 Millionen, es folgt der Reeder Jorgos Oikonomou mit 16 Mio Tonnen, Angeliki Frankou und Jorgos Prokopiou mit mit je 12 Mio Tonnen. Die TAZ ließ sich ihre Informationen über die Steuerfreihet vom griechischen Generalkonsulat in Hamburg bestätigen. Die maritime Wirtschaft in Deutschland und der EU betrachte die Tonnagesteuer – wie weitere Zuwendungen des Staates – als Lebensgrundlage in der extrem zyklischen Schifffahrt und als angemessenen Ausgleich zur öffentlichen Förderung in Korea, Japan oder China. Kritiker sähen in der Nullsteuer eine milliardenschwere Subvention. Zu diesen Kritikern gehört offenbar nicht die Troika, denn hätten wir je von ihrer Forderung nach Besteuerung der griechischen Reeder gehört? Stattdessen sollen Häfen und Airports versilbert werden. Aber man hört über die fällige Besteuerung der Handelsschifffahrt überhaupt wenig. Unsere Medien schweigen dazu. Aber ich kenne dazu auch keine Äußerung aus Griechenland, selbst von den linken Parteien nicht. Hier wird eine ökonomische Tatsache, vor allem aber ein Herrschaftsverhältnis ausgeblendet.

Ähnlich sachte wie mit den Reedern, den griechischen Oligarchen, geht das Finanzkapital mit denen aus der Ukraine um. Aber damit sind die Gemeinsamkeiten schon am Ende. Denn die Ukraine wird wegen ihrer Schulden nicht unter Druck gesetzt, im Gegenteil. Die mit Faschisten durchsetzte Regierung ist gegenüber EU und USA sehr gefügig. Ukraine erhält endlos Kredite und Waffenhilfe. Es geht um Kriegsvorbereitung. Ende Juni beschlossen die NATO-Verteidigungsminister die Aufstockung der Eingreiftruppe Response Force von 13 000 auf 40 000 Mann, ihre gegen Russland gerichtete Speerspitze mit 5000 Soldaten, derzeit von der Bundesrepublik und den Niederlanden geführt, soll innerhalb von wenigen Tagen im Krisengebiet einsatzbereit sein. Die Lagerung von schwerem Militärgerät in Estland, Lettland und Litauen sowie in Polen, Rumänien und Bulgarien geplant. Stoltenberg, der NATO-Generalsekretär, drängt auf die Erhöhung der Verteidigungsaufgaben. Auf der NATO-Beratung Ende Juni ging es auch um die »Anpassung« der NATO-Nuklearstrategie. Drei Wochen vorher hat Poroschenko ein Gesetz verabschieden lassen. Es betrifft »die Bedingungen der Streitkräfte anderer Staaten auf dem Territorium der Ukraine«. In Artikel 4 heißt es: »Potentielle Träger von Kernwaffen und anderen Arten von Massenvernichtungswaffen werden nach internationalen Abkommen der Ukraine für eine Stationierung auf Zeit in der Ukraine erlaubt, sofern die geeignete Steuerung hinsichtlich der Stationierung auf dem Territorium der Ukraine durch die Ukraine selbst gesichert ist.« (nach Ralph Hartmann im »Ossietzky« 16/2015)

In der UZ vom Freitag zitiert Nina Hager eine Analyse, nach der die Manöver der NATO und die Russlands zunehmen. Im Mai gab es eine zweiwöchige NATO-Luftwaffenüberung am Polarkreis mit 100 Flugzeugen und 4000 Soldaten. Ihr antwortete Russland mit einer Übung am Ural und in Westsibirien, für die 250 Flugzeuge und 12000 Soldaten mobilisiert wurden. Am 31. August beginnt das NATO-Marinemanöver »Sea Breeze« im Schwarzen Meer. Die Russen bereiten sich auf eine Antwort namens »Center« vor. Derartige Aktivitäten zählt ein Dossier des »European Leadership Network« (ELN, Sitz London) auf. Die NATO nahm dazu Stellung und behauptete, dass die Analyse in irreführender Weise NATO-Manöver mit denen Russlands gleichsetzen würde. Das ELN stellt aber fest, dass beide Seiten mit Blick auf die Fähigkeiten der jeweils anderen Seite und vermutlich sogar mit Kriegsszenarien im Hinterkopf trainierten.

Solche Ereignisse und Tatsachen erhalten in unseren Medien nur geringe Aufmerksamkeit. Demgegenüber fällt auf, wie umfangreich über Flüchtlinge berichtet wird. Bislang indes ist die Deutung die Fluchtbewegung nur subtil rassistisch, politische Schlußfolgerungen werden noch zurückgehalten. Als Problem erscheint allenfalls, wie in der Nachbarschaft der Unterkünfte die Flüchtlinge aufgenommen werden. Es ist aber schon zu ahnen, in welche Richtung die Aufmerksamkeit des Publikums gelenkt wird – weniger auf die Ursachen der Flucht, etwa auf den Zusammenhang mit deutschen Rüstungsexporten oder auf die militärische und politische Unterstützung der imperialistischen Aggressionen gegenüber Syrien, Libyen und überhaupt dem Nahen Osten. Der von der neoliberalen Freihandelspoltik verursachte Hunger kommt nicht in den Blick. Stattdessen machen sich faschistische Lösungen auf unseren Bildschirmen breit. Am Samstag vor einer Woche warben 12 Republikaner für ihren OB-Kandidaten auf dem Heumarkt unter einem Transparent mit der Losung: »Für Kitas ist kein Geld mehr da, das kriegen Asylbetrüger aus Afrika.« Etwa 150 Antifaschisten hielten dagegen, immerhin.

Klaus Stein
auf der Bezirksvorstandssitzung am 23. August 2015