Politik

Die Krise hat einen Namen: Kapitalismus

Offene Finanzdiktatur

UZ Nr. 42, 17. Oktober 2008, Faksimile

Die poli­ti­schen Eli­ten in Euro­pa und in den USA ste­hen fas­sungs­los vor der welt­wei­ten Fi­nanz­kri­se. Sie wis­sen nicht mehr wei­ter. Die öko­no­misch Mäch­ti­gen der Welt aus den Fi­nanz- und Bank­krei­sen schrei­ben den Staa­ten je­den Schritt vor, den sie in ih­rem In­ter­esse zu ge­hen ha­ben. Die of­fe­ne Fi­nanz­dik­ta­tur ist aus­ge­bro­chen. Eine Si­tu­a­tion, die wir welt­weit noch nicht er­lebt ha­ben und die die Lin­ken, die alle fort­schritt­li­chen Kräf­te in die­ser Welt vor neue Her­aus­for­de­run­gen stellt.

Zig Milli­ar­den Dol­lar wur­den von den Ban­kern an den Bör­sen ver­zockt. Und jetzt, wo die von ihnen ver­ur­sach­te Fi­nanz­bla­se platzt, sie Mil­li­ar­den Dol­lar ver­lie­ren, ru­fen sie laut­stark nach dem Staat. Ver­lus­te sol­len so­zia­li­siert und die Ge­win­ne pri­va­ti­siert wer­den. Die glei­chen, die ge­gen den ge­setz­li­chen Min­dest­lohn wet­tern, die ge­gen das »Recht auf Ar­beit und so­zia­le Si­cher­heit« an­schreien, ver­lan­gen jetzt für sich das »Recht auf Pro­fit«. We­gen der Er­hö­hung des Kin­der­gel­des um 10 Euro wird ta­ge­lang im Par­la­ment dis­ku­tiert. Über 26 Mil­liar­den Euro für die Hypo Real Estate Bank wur­den in einer Nacht vom Fi­nanz­mi­nis­ter und eini­gen Bank­vor­stän­den ent­schie­den: Das hat nichts mehr mit der so wohl­ge­prie­se­nen bür­ger­li­chen De­mo­kra­tie zu tun, das ist die Dik­ta­tur der Ökonomie.

Die Ursache dafür, dass unzählige Bank- und Finanzinstitute vor dem Zusammenbruch stehen, sind ihre spekulativen Geschäfte mit hohen Risiken. Und das hat System und dieses System heißt Kapitalismus.

Doch von FAZ bis Bild will man uns weismachen: diese Weltwirtschaftskrise sei allein durch die Gier einer Handvoll Manager hervorgerufen worden. Bundeskanzlerin Merkel wirbt nun in der »Bild-Zeitung« bei den Bürgern um Verständnis, dass den Banken, den Finanz- und Hedge-Fonds, die Milliarden verzockt haben, Steuergelder hinterher geschmissen werden. Doch warum sollen Steuerzahler mit Milliarden für deren Rettung aufkommen? 470 Milliarden Euro wollen Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und Finanzminister Steinbrück (SPD) den Banken aus dem Staatshaushalt zur Verfügung stellen. Eine unvorstellbare Summe. Um sie etwas zu verdeutlichen: Wer von Geburt an jede Woche eine Million im Lotto gewinnt und dies 50 Wochen im Jahr, der wird zu seinem 80. Geburtstag »nur« 4 Milliarden Euro haben.

Diese ungeheure Summe, die den Banken zum Teil direkt zufließt und andererseits als Garantien gegeben werden, sind im Eilverfahren in dieser Woche durch den Bundestag gepeitscht worden. Die brutalstmögliche Lösung im Sinne des Kapitals. Dieses Beispiel zeigt vielen Menschen: Das Geld, das angeblich für ein menschliches Gesundheitswesen, für armutsfeste Renten oder ein besseres Schulsystem fehlt, ist plötzlich im Überfluss vorhanden, wenn es darum geht, die Milliarden von Spekulationsverlusten der Banken zu sozialisieren.

Die DKP lehnt das 470-Milliarden-Programm zum Wohle der Banken- und Finanzinstitute ab. Statt des freien Zugriffs der Banken auf den Staatshaushalt, ist es erforderlich, die Großbanken unter Aufsicht und Kontrolle der demokratischen Öffentlichkeit zu stellen. Der erst vor kurzem beschlossene Bundeshaushalt muss auf den Prüfstand! Wann, wenn nicht jetzt bedarf es einer radikalen Kürzung der rund 30 Milliarden Euro Rüstungsausgaben? Die rund 911 Millionen Euro schluckenden Auslandseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan und anderswo müssen sofort beendet werden. Alle Subventionen aus dem Staatshaushalt für das Großkapital und die Banken sind zu streichen. Das, was wir jetzt brauchen, ist ein Beschäftigungsprogramm, das die Massenkaufkraft ankurbelt, durch höhere Löhne und Renten, durch Erhöhung der Arbeitslosengelder und Steuerentlastungen für die unteren Einkommen.

Diese Krise wird enorme finanzielle Lasten und unzähliges Leid für die Bevölkerung bringen …

Schon jetzt bleiben in Folge der Krise Tausende von Beschäftigten auf der Strecke. So hat die UniCredit im Juni 2008 angekündigt 9 000 Stellen in Westeuropa zu streichen. Ebenfalls 9 000 Arbeitsplätze soll die Vereinigung von Dresdner- und Commerzbank kosten. Seit Ausbruch der Krise wurden ungefähr 80 000 Arbeitsplätze gestrichen (Stand Juli 2008). Im Juni 2008 rechnete die Unternehmensberatung Boston Consulting Group damit, dass allein die Investmentbanken weltweit etwa 200 000 Jobs streichen werden. (SZ, 24.6.2008) Und das war erst der Anfang.
Der Absatz der Automobilindustrie ist weltweit eingebrochen, so wird beispielsweise bei Opel Bochum die Produktion herunter gefahren. Im Werk im belgischen Antwerpen wird darüber diskutiert, die Fabrik ganz zu schließen. In Spanien, England und Schweden werden Schichten gestrichen. Und gleichzeitig gibt es neue Hiobsbotschaften aus den USA. Dort fiel die Aktie der Konzernmutter General Motors auf den tiefsten Stand seit den 50er Jahren. Sogar eine Insolvenz des einst größten Autobauers der Welt ist nicht mehr ausgeschlossen.
Deutschland ist besonders anfällig für die Wachstumsschwäche im Ausland, denn Deutschland erzielt überwiegend sein Wirtschaftswachstum über den Export. Die Industrieunternehmen stellen sich mit massiver Arbeitsplatzvernichtung auf die wachsende Krise ein: Siemens will weltweit 17 500 Arbeitsplätze vernichten, 6 450 davon in Deutschland, Hewlett-Packard 24 600 weltweit, davon 9 300 in Europa; Volvo vernichtet 6 000 Arbeitsplätze. In Deutschland rechnen vier von fünf Unternehmen mit weiterem Personalabbau.
Dieses Gesellschaftssystem, der Kapitalismus, der Milliarden von Geldern an den Börsen verbrennt, aber angeblich kein Geld hat für den Kampf gegen den Hunger, gegen die Armut, für soziale Sicherungssysteme, für ein Leben der Menschen in Würde und Achtung, ist – dies zeigt sich gerade jetzt in aller Deutlichkeit – verkommen, überholt und muss überwunden werden. Was wir brauchen ist ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem der Mensch und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen.
Unser Ziel ist es:
»Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist …«. (Karl Marx)
Wolfgang Teuber
unsere zeit – Zeitung der DKP
17. Oktober 2008