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Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung
Vor gut zehn Wochen hat die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ihren Tarifabschluss durchgesetzt. Zum zweiten Mal in Folge konnte die EVG das Hauptanliegen der Mitglieder nach Arbeitszeitverkürzung in Form eines Wahlmodells durchsetzen. Das Wahlmodell beinhaltet die Verkürzung der Arbeitszeit durch die Entscheidung eines Beschäftigten, bei gleichem Lohn eine Wochenstunde (ab 2020 zwei Wochenstunden) weniger zu arbeiten oder sechs Tage (ab 2020 zwölf Tage) mehr Urlaub im Jahr zu wählen. Alternativ erhält der Beschäftige die Differenz ausgezahlt. Neben Lohnerhöhungen, Erhöhung der betrieblichen Altersvorsorge und Zulagen wurden über 30 Detailforderungen durchgesetzt. Mitte Januar stimmte der Bundesvorstand den Vereinbarungen zu. Inzwischen wird die Tarifauseinandersetzung ausgewertet und an der Umsetzung gearbeitet, in der insbesondere auf den Personalausgleich geachtet wird. Es wird eine überaus positive Bilanz gezogen, und das nicht nur, weil die Mitglieder mit dem Ergebnis zufrieden sind. Die EVG hatte bereits vor der Tarifrunde 2016 begonnen, ihre Forderungsaufstellung und den Tarifkampf auf eine immer breitere Einbeziehung der Mitglieder einzustellen und auf die aktive Beteiligung zu setzen. Nach den ersten Diskussionen in Betriebsgruppen oder auf regionaler Ebene, der Durchführung von Zukunftswerkstätten, offenen Sitzungen der Tarifkommission und einer Mitgliederbefragung waren die Forderungen gesetzt und schon bei Verhandlungsbeginn eine breite Sensibilisierung vorhanden. Die Mobilisierung begann mit dem Angebot von Streikschulungen. Die Verhandlungsrunden wurden mit Aktionen begleitet. Hierbei setzte man auf Experimente, deren Ausgang nicht klar war. So rief der Vorstand beispielsweise die Mitglieder zu einem „Tag des Lärms“ zu einem bestimmten Zeitpunkt zu dezentralen Aktionen auf. Im Nachgang war aus der EVG-Zentrale zu hören, dass Unsicherheit herrschte, ob man sich auf die Eigeninitiative der Mitglieder verlassen könne. Die Resonanz war jedoch überwältigend. An über 400 Orten in Deutschland wurden kreative Aktionen dokumentiert und in Kurzfilmen an die Zentrale gesendet. Eine Viertelstunde lang wurde getrommelt, gepfiffen und getrötet, was das Zeug hielt. EVG-Mitglieder ließen auf Lokomotiven die Signalhörner erschallen und bei Werksfeuerwehren die Sirenen erklingen. Samba-Gruppen sorgten für Aufmerksamkeit, auch an und auf vielen Bahnhöfen waren Mitglieder aktiv. Dem Lärm folgten Lichtaktionen mit ähnlicher kreativer Resonanz. Auch an den Verhandlungsorten wurde die Kampfbereitschaft demonstriert. Der Höhepunkt war der Tag des Warnstreiks – aufgrund des doch sehr kleinen hauptamtlichen Apparats war auch der Erfolg des Warnstreikaufrufs von Eigeninitiativen in den Betrieben abhängig. Es wurde wahrgenommen dass in nur eineinhalb Stunden die Bahnen bundesweit zum Stillstand kamen. Und so konnten nur drei Stunden Warnstreik dem Arbeitgeberverband deutlich machen: Wenn die EVG zum Streik ruft, reicht auch kein Notfahrplan mehr. Nach jeder Verhandlungsrunde wurden Dutzende Videokonferenzen durchgeführt, in denen die Verhandlungskommission über den Verlauf informierte. Die beiden Tarifabschlüsse der EVG sind verschiedentlich kritisiert worden. Im Zentrum steht dabei das Wahlmodell, da der Beschäftigte in dem Jahr der Umsetzung zwar mit gleichem Lohn weniger arbeitet, aber keine Lohnerhöhung erhält. So beträgt der Reallohnverlust die Höhe der Inflation. Das Wesentliche an der Tarifbewegung der EVG ist jedoch, dass die Aufstellung von Forderungen und deren Durchsetzung in einem breiten demokratischen Prozess vollzogen wurde, in denen zigtausende von Mitgliedern einbezogen sind. Dies führte zur Durchsetzung von Arbeitszeitverkürzung, die seitdem in allen Gewerkschaften wieder auf der Tagesordnung ist. Früher waren die Verhandlungen fast Geheimratstagungen und die Aufstellung der Forderungen auf die Kommissionen beschränkt. Das gehört der Vergangenheit an, und so trägt die Gemeinschaft der Mitglieder das Ergebnis – mit allen Kompromissen, und dennoch ist im Kern der Mitgliederwille umgesetzt.
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Arbeitskampf bei der AWO
Die Zeichen bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in NRW stehen auf Arbeitskampf. ver.di fordert die für die etwa 65 000 Beschäftigten unter anderem in Seniorenzentren und Kitas die Erhöhung aller Monatslöhne um 10 Prozent bei einer Laufzeit des Tarifvertrages von 13 Monaten, 100 Euro mehr Ausbildungsvergütung pro Monat und die tarifgerechte Bezahlung und Teilnahme an der Tariferhöhung für alle Beschäftigten in der offenen Ganztagsschule (OGS). Die UZ sprach mit Hajo Schneider über den Arbeitskampf.
UZ: Glaubt man den Arbeitgebern, setzt ver.di bei den laufenden Tarifverhandlungen bei der Arbeiterwohlfahrt in NRW auf Scharfmacherei. Die Gewerkschaft würde ohne Not die anstehenden Verhandlungen durch überzogene Positionen verschärfen, teilten sie in einer Presseerklärung mit. Die AWO hätte bereits ein Plus von sieben Prozent mit einer Laufzeit von 30 Monaten angeboten. Das sei ein wirkliches Jahrhundertangebot. Wie sieht das die Gewerkschaft?
Hajo Schneider: Wir glauben, dass dieses „Jahrhundertangebot“ eine Mogelpackung ist, weil die Kolleginnen und Kollegen Tätigkeiten übernehmen, die klassischerweise staatliche Aufgaben sind. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Kolleginnen und Kollegen bei der AWO genau so bezahlt werden müssen wie die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Deshalb ist das weder eine überzogene Forderung noch sind 30 Monate eine Laufzeit, die wir uns vorstellen können. Wir müssen jetzt heran an den TVÖD – und nicht irgendwann. UZ: Wie hat ver.di ihre Forderungen entwickelt, wie waren die Gewerkschaftsmitglieder daran beteiligt? Hajo Schneider: Wir haben Mitgliederversammlungen durchgeführt und die Forderungen diskutiert. Die Ergebnisse werden in der Tarifkommission zusammengeführt. Die Tarifkommission beschließt auf dieser Grundlage die Forderungen. UZ: ver.di hat in den letzten Tagen zu Aktionen und Warnstreiks aufgerufen. Wie war die Resonanz in den Betrieben? Hajo Schneider: Die war überraschend gut. Wir hatten in Düsseldorf mit 1 000 bis 1 300 Kolleginnen und Kollegen gerechnet, gekommen sind fast doppelt so viele. Die Beschäftigten in den Betrieben sind kampfbereit und sind auch bereit, für ihre legitimen Forderungen einzustehen.
UZ: Die Arbeitgeber werfen der Gewerkschaft vor, dass sie durch ihre angebliche Zuspitzung lediglich auf Mitgliederfang gehe. Wie wirkt die Kampf- und Streikbereitschaft der gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen auf bisher unorganisierte aus? Hajo Schneider: Auch Unorganisierte haben sich an den Aktionen beteiligt und unterstützen die Forderung nach einer Anpassung an den TVÖD, aber die Hauptlast tragen natürlich die bei ver.di organisierten Kolleginnen und Kollegen. Und es gibt Neueintritte in die Gewerkschaft, aber das ist ja in einer Tarifrunde normal. UZ: Wie geht es jetzt weiter in eurer Tarifauseinandersetzung? Hajo Schneider: Wir haben morgen (Stand Montag, 11. Februar) die nächste Verhandlungsrunde. Wir erwarten von den Arbeitgebern ein deutlich verbessertes Angebot. Unser Anspruch ist eine Gehaltsverbesserung von 10 Prozent auf 13 Monate, und das passt nicht mit dem Arbeitgeberangebot zusammen. Wir erwarten ein deutliches Signal für die Kolleginnen und Kollegen, die im OGS-Bereich beschäftigt sind, und wir erwarten, dass die Arbeitgeber ihre Blockade hinsichtlich der Vorteilsregelungen für Gewerkschaftsmitglieder aufgeben. Da fordern wir drei zusätzliche freie Tage für ver.di-Mitglieder. Wenn sie morgen ein gutes Angebot vorlegen, werden wir uns einigen können, wenn es kein geeignetes Angebot gibt, wird ver.di am 18. Februar und vielleicht auch an anderen Tagen zu Streiks aufrufen.
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Risiko und Nebenwirkungen
Als Antwort auf den Pflegenotstand in Krankenhäusern, Altenpflegestätten und privaten Pflegeinstituten zaubern die Herrschenden mit einem Placebo die „Pflegekammer“ aus dem Hut. Ähnlich wie mit den Bundesärztekammern will man damit weitere Standesorganisation etablieren. Mit dem Motto „Die Pflege braucht endlich eine Stimme“ ebnen Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW, und Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit, der Pflegelobby den Weg zu weiteren Privatisierungen. Hintergrund: Mit den Pflegekammern sollen Berufs- und Interessenverbände, also auch die Gewerkschaften, weniger Einfluss bekommen. Die Lobbyverbände der Kammern bestehen aus Vertretern der Berufsgruppen, der Alten- und Kinderkrankenpflege und der Gesundheits- und Krankenpflegekonzerne. Die Initiatoren der Pflegekammern behaupten, so würde die Pflege verbessert. Doch das sind nichts anderes als Irrlichter für Beschäftigte und Pflegebedürftige. Bereits bestehende Pflegekammern auf Länderebene bestätigen dies. Kaum gegründet, beweist die mehrheitliche Zusammensetzung aus privaten Organisationen und Vertretern der Gesundheitskonzerne, was es zu verhindern gilt: Zum Beispiel bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne oder Einstellung von Arbeitskräften zu tariflichen Bedingungen. Selbst eine durch die Unternehmer bezahlte und während den Arbeitszeiten stattfindende Fortbildung wird verweigert. In Niedersachsen ließ man außerdem schon mal durchblicken, was Beschäftigte im Pflegebereich von diesen Kammern sonst noch zu erwarten haben. Zur Finanzierung der Verwaltung wurde extra eine Zwangsmitgliedschaft eingeführt. Jeder Beschäftigte, der mehr als 9 168 Euro brutto im Jahr verdient, zahlt einen Jahresbeitrag bis zu 280 Euro. Das brachte mehr als 48 000 Beschäftigte auf die Palme. Sie unterschrieben eine Online-Petition gegen diese zusätzliche Art von Ausbeutung, fast 3 000 beteiligten sich Ende Januar an einer Protestdemo in Hannover. Laut ver.di können Pflegekammern die jetzigen Zustände im Pflegebereich und bei den Arbeitsbedingungen nicht besser regeln als die staatlichen Stellen, die dafür eingesetzt sind. Aufgabe sei es deshalb, pflegebedürftige Menschen vor schlechter oder unsachgemäßer Pflege zu schützen. Das gehe nicht mit mehr Privat vor Staat. Die Pflege für Bedürftige kann nur verbessert werden durch gute Ausbildung, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Denn unzureichende Qualifikationen und zu wenig Personal bedeuten in der gesundheitlichen Versorgung stets große Gefahren für die Pflegebedürftigen. Der Versuch der Landesregierungen, mit den Pflegekammern mehr Einfluss auf Löhne und Gehälter, Ausbildungsrichtlinien und Fortbildungen zu bekommen, muss gestoppt werden. Dazu ist organisierter, gewerkschaftlicher und breiter Widerstand aus der Bevölkerung notwendig. Erklärungen durch ver.di und der Hinweis auf eine sozialpartnerschaftliche und parlamentarische Lösung, wie sie wohl auch in NRW mit der Landesregierung angestrebt wird, werden die Zustände bei der Pflege nicht verbessern.
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Kniefall vor Marktgesetzen
Ulf Immelt schreibt in der UZ vom 18. Januar, dass nach der großen Liberalisierung der Leiharbeit im Zuge der „Hartz“-Reformen „sofort“ gelbe „Gewerkschaften“ auf den Plan getreten seien. Die DGB-Gewerkschaften befanden sich aber bereits vorher in Verhandlungen mit den Zeitarbeitsunternehmen. Warum war das so? Warum hat der DGB 1981 in seinem Grundsatzprogramm das Verbot der Leiharbeit gefordert, um diesen Passus 15 Jahre später wieder zu streichen? In einem Interview aus dem Jahre 2002 hat der damalige DGB-Chef Sommer die Tarifverhandlungen zur Abweichung vom gesetzlich festgeschriebenen Equal-Pay-Grundsatz mit der Aussage begrüßt, dass es darum gehe, „Leiharbeit so zu gestalten, dass sie unter fairen Bedingungen als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt funktioniert“. Das klingt kaum nach hartnäckigem Widerstand gegen eines der wirksamsten Spaltungsinstrumente, welches das deutsche Kapital in den letzten Jahrzehnten gesetzlich festzuschreiben vermochte. Das klingt vielmehr nach einem symbolischen Kniefall vor den kapitalistischen Marktgesetzen. Zugegeben: Die DGB-Führung hat sich nach dem Wandel hin zur grundsätzlichen Akzeptanz der Leiharbeit zunächst dafür eingesetzt, dass die vermittelnden Unternehmen nicht profitorientiert sein dürften und später, dass die Tarifverträge nur den gesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatz „ausgestalten“ sollten. Das noch vor Auftritt der ersten gelben Scheingewerkschaften mit den Zeitarbeitsfirmen ausgehandelte Eckpunktepapier sah trotzdem deutlich schlechtere Konditionen als Equal Pay vor. Doch selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, stellt sich immer noch die Frage, warum der DGB überhaupt diese als „Flexibilisierungsinstrument“ euphemisierte Schweinerei grundsätzlich anerkannt hat. Letztlich lässt es sich nur als Versuch begreifen, durch Inkaufnahme partieller Verschlechterungen langfristig von der höheren Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitals in Form größerer Verteilungsspielräume zu profitieren. Dahingehend lässt sich die Strategie im Bereich Leiharbeit in den Kontext einer Entwicklung einordnen, in der trotz größter Angriffe auf die Rechte der Arbeiterklasse Illusionen über die vermeintliche Möglichkeit eines „fairen“, „sozialen“ oder „demokratischen“ Kapitalismus innerhalb der Gewerkschaften weiter geschürt wurden, was sich derzeit auch an den Positionen zur EU zeigt. Statt gegen die kontinuierliche Verschlechterung ihrer Kampfbedingungen Widerstand zu organisieren, wurde und wird nicht zuletzt versucht, den Umbau der Wirtschaftsstruktur im Sinne des Kapitalstandortes Deutschland „mitzugestalten“ (was nicht heißen soll, dass überhaupt kein Widerstand organisiert wurde, aber die Streikstatistik spricht über dessen Umfang Bände). Schaffen es Gewerkschaften jedoch nicht, eine gesellschaftliche Perspektive jenseits der Sisyphus-Aufgabe des Kampfes für ein besseres Leben im Kapitalismus aufzuzeigen, werden sie auf Dauer (nicht zu Unrecht) an Glaubwürdigkeit verlieren. Die Mitgliederentwicklung des DGB seit der Konterrevolution 1989/90 scheint dies zu bestätigen. Ein grundsätzlicher Strategiewechsel im Bereich Leiharbeit in Form der Aufkündigung der Tarifverträge wäre vor diesem Hintergrund ein zaghafter Schritt in die richtige Richtung.
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Bundesweite Warnstreiks
Auch die zweite Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst der Länder (TdL) ist ergebnislos zu Ende gegangen. Nach wie vor lehnten die Arbeitgeber die Lohnforderung pauschal ab. In diesen Tagen streiken Beschäftigte in Ämtern, Unikliniken und Schulen. Damit wollen die Gewerkschaften den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen. ver.di fordert für die Tarifbeschäftigten und Auszubildenden im öffentlichen Dienst der Länder Verbesserungen von sechs Prozent, mindestens aber eine Erhöhung der Tabellenentgelte um 200 Euro sowie zusätzlich 300 Euro für die Pflegebeschäftigten. Insgesamt sind von der Tarif- und Besoldungsrunde über 3,3 Millionen Menschen betroffen. ver.di führt die Tarifverhandlungen als Verhandlungsführerin mit den DGB-Gewerkschaften GdP, GEW und IG BAU sowie in einer Verhandlungsgemeinschaft mit dem dbb beamtenbund und tarifunion. Die dritte Runde findet am 28. Februar/1. März 2019 statt.
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Streiks in der Textilindustrie
In der westdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie haben sich seit Ende der Friedenspflicht mehr als 8 400 Beschäftigte an Warnstreiks beteiligt. Bei der dritten Tarifverhandlung fordert die IG Metall von den Arbeitgebern ein angemessenes Angebot. Die IG Metall fordert für 5,5 Prozent mehr Geld, bessere Konditionen bei der Altersteilzeit und mehr Arbeitszeitsouveränität. Die Arbeitgeber haben bisher nur ein sehr geringes Lohnplus angeboten, das nicht einmal die Inflation ausgleichen würde.
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Eisen und Stahl
Seit Ende der Friedenspflicht sind insgesamt 6 700 Stahlwerker dem Warnstreikaufruf der IG Metall gefolgt. Beim bisher größten Warnstreik in der Stahlindustrie legten in Salzgitter am 7. Februar 3 000 Beschäftigte für drei Stunden die Arbeit nieder. Bis zur vierten Verhandlung am 18. Februar ruft die IG Metall zu weiteren Warnstreiks in NRW, Bremen und Niedersachsen auf.
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Abschluss bei der Steag
In der zweiten Runde der Tarifverhandlungen beim Energieerzeuger Steag einigten sich Arbeitgeber und IG BCE auf einen Tarifvertrag. Die Beschäftigten bekommen rückwirkend zum 1. Februar 2019 2,5 Prozent mehr Geld. Ab dem 1. Februar 2020 steigen die Einkommen um weitere 3,2 Prozent. Die Ausbildungsvergütungen werden überproportional angehoben.
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90 Cent pro Brief
Nach Angaben der FAZ wird die geplante Erhöhung des Briefportos von Anfang April auf den Sommer verschoben. Dafür soll das Porto aber wesentlich teurer werden, als ursprünglich geplant. Die FAZ spricht von dem angestrebten Preis von 90 Cent für einen Brief. Die Deutsche Post darf das allerdings nicht allein entscheiden, eine Portoerhöhung ist von der Genehmigung durch die Bundesnetzagentur abhängig.
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Rentenpläne begrüßt
Die IG BAU begrüßt die Rentenpläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. „Die Pläne für eine Grundrente sind richtig. Mit den vorgestellten Schritten wird die Rente für viele Menschen mit geringem Einkommen deutlich armutsfester gestaltet. Davon profitieren insbesondere Beschäftigte in von der IG BAU vertretenen Branchen wie der Gebäudereinigung oder der Floristik. Das sind keine Geschenke, sondern Leistungen aus einer Versicherung“, sagte der IG BAU-Bundesvorsitzende Robert Feiger.
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„Gegen Neoliberalismus und Nationalismus“
UZ: Du bist Mitglied im deutschen Bundestag und eines der prominentesten Mitglieder der Partei „Die Linke“. Warum setzt du dich für „Aufstehen“ ein? Warum braucht es „Aufstehen“ zusätzlich zum Parteiensystem, zu bestehenden Organisationen und Bündnissen? Sevim Dagdelen: Angesichts der massiven Zunahme von Armut und von extrem ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen braucht es in Deutschland eine soziale Bewegung, die gegen diese dramatische Zuspitzung mobilisiert. Mit „Aufstehen“ muss der Druck wachsen, damit es endlich einen wirklichen Bruch mit Hartz IV gibt. Zugleich ist „Aufstehen“ von Anfang an gegen die massive Aufrüstung der Großen Koalition auf die Straße gegangen. Es ist gut, dass hier viele Menschen den Aufruf „Abrüsten statt Aufrüsten“ unterschrieben haben, aber wir brauchen eine gesellschaftliche Bewegung auch auf der Straße, die den Kriegstreibern und denjenigen, die den Sozialstaat komplett schleifen wollen, in den Arm fällt.
UZ: Ihr habt einen vorläufigen Vorstand gewählt, in dem vor allem Berufspolitiker vertreten sind. Formiert sich „Aufstehen“ zu einer Wahlplattform? Wie ist euer Verhältnis zu Wahlen und Mobilisierung für Aktionen auf der Straße? Sevim Dagdelen: Nein, „Aufstehen“ war nie als Wahlplattform gedacht und wird sich auch nicht zu einer entwickeln. Wir wollen allerdings Druck machen auf die Parteien, dass sie sich für soziale und friedenspolitische Positionen öffnen, insbesondere hier die SPD. UZ: „Aufstehen“ ist ein halbes Jahr alt. Wie hat sich die Sammlungsbewegung bis jetzt entwickelt? Sevim Dagdelen: Gerade in den weit über hundert Ortsgruppen, ob jetzt in Berlin, Bremen, München oder Leipzig, ist Aufstehen bereits jetzt eine Realität, allen voreiligen Grabreden zum Trotz. Sicher haben wir auch Probleme, aber das scheint mir bei einem so großen Projekt normal. Und sicher gibt es auch zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen, wohin man mit Aufstehen will. Aus meiner Sicht hat „Aufstehen“ eine größere Wirksamkeit, wenn die soziale Frage in den Mittelpunkt und radikal gestellt wird. „Aufstehen“ in Berlin ist hier aus meiner Sicht mit der Unterstützung der Aktivitäten zur Enteignung der Deutsche Wohnen und anderer Immobilienkonzerne vorbildlich. Aktuell wären zudem Aktivitäten für einen Ausbau des Sozialstaats und gegen die geplante Aufrüstung angesichts der Zuspitzung nach der Kündigung des INF-Vertrags durch Trump mit Unterstützung der gesamten NATO ein wichtiges Feld. „Aufstehen“ kann einen wichtigen Beitrag für eine soziale Friedensbewegung leisten.
UZ: Wie positioniert ihr euch im Wahlkampf zum EU-Parlament? Wie schätzt ihr die EU ein? Sevim Dagdelen: „Aufstehen“ plant keinen Wahlaufruf, ist aber deutlich positioniert gegen Neoliberalismus und Nationalismus im EU-Wahlkampf. Die EU ist ja in den letzten Jahren immer stärker in Richtung Militarismus, Antidemokratie und Neoliberalismus gegangen. Dass beispielsweise eine Mehrheit des Europaparlaments jetzt auch noch den US-Putschversuch in Venezuela unterstützt, zeigt, wie weit rechts man inzwischen angekommen ist. Und die Militarisierung hat mit dem Aufsetzen eines eigenen Verteidigungsfonds eine neue Zuspitzung erhalten. All das berührt auch die Frage des Charakters der EU und des Spielraums linker Politik. UZ: Aus der Partei „Die Linke“ wird immer wieder Kritik laut, „Aufstehen“ verabschiede sich von linken Positionen, vor allem in der Migrationsfrage. Wie siehst du das? Sevim Dagdelen: Nein, das ist wirklich Quatsch. Die Verteidigung des Asylrechts gehört zum Gründungskonsens von Aufstehen. Manchmal kann man schon den Eindruck gewinnen, dass das von einigen gebetsmühlenartig wiederholt wird, um „Aufstehen“ zu diskreditieren. Auch die gesamte Praxis von „Aufstehen“ ist doch ein Dementi dieser bösartigen Denunziation. UZ: Ihr mobilisiert zum 16. Februar in allen Landeshauptstädten zur „Aktion Bunte Westen“? Was wird da passieren? Sevim Dagdelen: Es sind Kundgebungen als Zeichen der Solidarität mit den Gelbwesten in Frankreich geplant, gegen die vom französischen Präsidenten Macron mit äußerster Brutalität vorgegangen wird. Zugleich sollen es klare Statements für soziale Gerechtigkeit und gegen die Rechtsentwicklung und den Rassismus in Deutschland sein. UZ: Wie ist eure Einschätzung der „Gelbwesten“? Sevim Dagdelen: Es ist bemerkenswert, dass gegenüber den Gelbwesten in Frankreich ähnliche Denunziationsmuster wie bei „Aufstehen“ in Deutschland zu beobachten sind. Ich finde es richtig, dass die Linke in Frankreich oder auch die Gewerkschaft CGT die Gelbwesten als Bündnispartner im Klassenkampf und gegen die neoliberale und autoritäre Politik von Macron begreifen.
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Sie wollen Krieg
Die Bundesregierung legte der NATO am Dienstag ein Strategiepapier vor, in dem sie sich verbindlich zu einer Erhöhung der Investitionen in die Bundeswehr und deren Ausrüstung bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bekennt. Zudem solle der Anstieg in den Jahren nach 2024 fortgesetzt werden. Langfristiges Ziel ist es, auf 2 Prozent des BIPs zu kommen, welches von den USA innerhalb der NATO gefordert und von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angestrebt wird. Die geplanten Militärausgaben belaufen sich für 2019 auf 43,2 Milliarden Euro. Sollten sie bis 2025 auf 1,5 Prozent des BIP steigen, wären das auf Basis aktueller Werte fast 51 Milliarden Euro. Da aber die Wirtschaft derzeit wächst, ist es möglich, dass die deutschen Militärausgaben bis 2025 auf mehr als 60 Milliarden Euro steigen werden. Neben den Verteidigungsausgaben stellt der Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag eine weitere Eskalationsstufe dar. Das Abkommen unterbindet die Produktion und den Gebrauch aller landgestützten (atomaren) Flugkörper mit kürzerer und mittlerer Reichweite (500 bis 5 500 Kilometer). US-Außenminister Mike Pompeo unterstellte der russischen Regierung, sie gefährde die Sicherheitsinteressen der USA, da die neuen russischen Marschflugkörper mit der Bezeichnung 9M729 (Nato-Code: SSC-8) einen eindeutigen Bruch des Abkommens darstellten. „Der fehlende Wille der Amerikaner, sich Argumente anzuhören und substanzielle Verhandlungen mit uns zu führen, zeigt, dass die Entscheidung, diesen Vertrag zu brechen, in Washington schon vor langer Zeit getroffen wurde“, erwiderte ein Kreml-Sprecher auf die Anschuldigungen Pompeos. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wies darauf hin, dass es selbst im Fall einer US-Kündigung noch bis August Zeit gebe, den Vertrag zu retten. In dem Abkommen ist eine Kündigungsfrist von sechs Monaten vorgesehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, Russland habe zwar den INF-Vertrag verletzt, dennoch müsse das „Gesprächsfenster“ offengehalten werden. „Leider ist Russland nicht bereit, Vertragstreue wiederherzustellen“, twitterte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und forderte „umfassende Rüstungskontrollen“. Der EVP-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), nannte das mögliche Aus des Abkommens einen „Weckruf für Europa“ und sagte: „Wir müssen unsere eigenen Sicherheitsinteressen besser und stärker in die eigene Hand nehmen.“ Während dessen rollt schweres Kriegsmaterial durch Deutschland gen Osten. Im Rahmen der US-Operation „Atlantic Resolve“ bewegen sich nach Angaben der US-Armee seit Januar Konvois mit mehr als 5 400 Soldaten und unter anderem 80 Panzer, 120 Bradley-Kampffahrzeuge, 15 Panzerhaubitzen und 80 Kampfhubschrauber in Richtung der Westgrenze Russlands. Die DKP kritisiert in einer Pressemitteilung (siehe Kasten) „die bereitwillige Haltung der Bundesregierung, den US-Militärtransport über deutsches Territorium zu bewilligen und zu unterstützen“. Die DKP schreibt in ihrem Programm für die EU-Wahl am 26. Mai: „Die EU ist auf das Engste mit dem Kriegsbündnis NATO verbunden. Die Kriegsgefahr geht heute von der Aggression der NATO und der EU gegen die Russische Föderation und die VR China aus. Die USA drohen mit der Produktion von neuen atomaren Mittelstreckenraketen. Deutsche Militärstrategen diskutieren darüber, ‚nukleare Abschreckung‘ in Europa selbst zu organisieren. Europa als Kriegsschauplatz mit atomaren Waffen – diese Gefahr für die Menschen in Europa ist heute real. Die DKP sagt: Deutschland raus aus der NATO! US-Atomwaffen raus aus Deutschland! Frieden mit Russland!“
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Konni Lopau
Die Stadtplanerin im Ruhestand ist in verschiedenen Friedensinitiativen aktiv, unter anderem der Stuttgarter Friedenskoordination und dem Friedensnetz Baden-Württemberg. Als sie noch berufstätig war, war Konni Vertrauensleutesprecherin in ihrem Betrieb und im ver.di-Bezirksvorstand aktiv. Seit 1979 ist sie Mitglied der DKP. Konni kandidiert für die DKP zum EU-Parlament, weil sie ein Zeichen gegen die „Kriegsmaschine EU“ setzen will. „Die EU steht für Hochrüstung. Mit dem Feindbild Russland im Visier haben sich die NATO-Staaten verpflichtet, bis 2024 ihre Rüstungsausgaben auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. Für Deutschland bedeutet das eine Verdoppelung des Rüstungsetats auf zirka 80 Milliarden Euro. Auch die EU hat ihre Mitglieder bereits 2007 im Lissabon-Vertrag zur Aufrüstung verpflichtet. Gleichzeitig drängen die führenden EU-Länder Deutschland und Frankreich auf die Bildung einer EU-Armee“, sagt Konni. Falls Konni in das EU-Parlament gewählt wird, will sie sich gegen die weitere Militarisierung der EU einsetzen, denn „Abrüsten statt Aufrüsten ist heute wichtig“, meint Konni. In der EU sieht sie daher keine Zukunft, sondern in einem friedlichen, demokratischen und solidarischen Bündnis der Völker Europas.
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Verfassungsschutz gegen Ulrich Sander
Der bayrische Verfassungsschutz schreibt in seinem neuesten Bericht über das Jahr 2017: „In der Sozialistischen Wochenzeitung der DKP ‚Unsere Zeit‘ (UZ) wurde am 31. März ein anlässlich des 70-jährigen Bestehens der VVN-BdA entstandener Artikel des Bundessprechers der VVN-BdA, Ulrich Sander, mit dem Titel „Das ‚Nie wieder Krieg‘ bleibt aktuell“ veröffentlicht. Darin unterstellt Sander, dass von Deutschland eine Kriegsgefahr ausgehe: ‚In dieser Situation ist von breitesten Bündnissen der Blick auf unsere deutsche Verantwortung vor der Geschichte zu richten: Abrüstung und kein Krieg von deutschem Boden aus, kein Ramstein, kein Kalkar, keine Speerspitze im Münsterland. Zutreffend die VVN-BdA-Losung mit Blick auf den Hauptfeind im eigenen Land: ‚Deutsche Großmachtträume platzen lassen‘.‘ Damit bezieht sich Sander auf eine Schrift von Karl Liebknecht, wonach die Hauptgefahr für den Frieden vom deutschen Militarismus ausgehe, weshalb der Hauptfeind im eigenen Land stehe. Die Veröffentlichung des Artikels der VVN-BdA in der Zeitung „UZ“ verdeutlicht die Akzeptanz und ideologische Nähe der VVN-BdA zur DKP.“ Ulrich Sander sieht darin den Versuch des Verfassungsschutzes, einen „Beweis“ zu konstruieren, die VVN-BdA sei „antikapitalistisch und damit verfassungsfeindlich eingegestellt“. Der Verfassungsschutz unterstelle damit der VVN-BdA, „sie wolle die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen, die sie als Vorstufe zum Faschismus ansehe. Das sind unerträgliche Verdrehungen“, sagt Sander.
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Minister zweifelt
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zweifelt an EU-Grenzwerten. Hintergrund ist die Klage der EU-Kommission im Mai 2018 gegen Deutschland und fünf weitere EU-Staaten (Frankreich, Ungarn, Italien, Rumänien und Großbritannien), da diese trotz zahlreicher Aufforderungen keine geeigneten Maßnahmen ergriffen haben, um die vereinbarten Grenzwerte für die Luftqualität einzuhalten. Im Besonderen hätten sich die Autohersteller schuldig gemacht.
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Prozess verschoben
Der Prozess gegen Angehörige der Gruppe „Oldschool Society“ in Dresden zieht sich hin. Am Montag gab das Oberlandesgericht Dresden neue Verhandlungstermine bis Ende Mai bekannt. Zunächst war das Verfahren nur bis Ende März terminiert. Den beiden Beschuldigten im Alter von 30 und 43 Jahren wird unter anderem die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Die Angeklagten sollen ab Januar 2015 Brand- und Nagelbombenanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte erwogen haben. Bevor es dazu kam, flog die Gruppe allerdings auf. Vier Beschuldigte wurden bereits im Frühjahr 2017 in München zu Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren verurteilt.
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Seehofer verbietet
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geht gegen zwei Vereinigungen vor, die zur in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gehören sollen. Das Verbot betrifft „Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH“ sowie die „MIR Multimedia GmbH“. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die deutsche Bundesregierung wiederholt aufgefordert, einen „entschlosseneren Kampf gegen die PKK“ zu führen. Laut Bundesinnenministerium hätten Behörden von Bund und Ländern seit dem Verbot der PKK 1993 über 52 der PKK zuzurechnende Organisationen verboten.
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Hilfe statt Show
Am Montag präsentierte sich der Putschist Juan Guaidó stolz in einem Video auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Endlich seien erste Hilfsgüter im Land angekommen, die umgehend an schwangere Frauen und unterernährte Kinder verteilt würden. Dabei hielt er kleine Tütchen mit „Mikronährstoffen in Pulverform“ und Schwangerschaftsvitamine in die Kamera. Wie die angeblichen „Hilfslieferungen“ nach Venezuela kamen, in welchem Versteck er sie präsentierte und wie er die Verteilung organisieren will, bleibt das Geheimnis des Möchtegernpräsidenten. Der Krieg gegen die bolivarische Revolution wird derzeit neben wirtschaftlichen und diplomatischen vor allem mit medialen Waffen geführt. Besondere Aufmerksamkeit wurde der angeblich zur Verhinderung von Hilfsgüterlieferungen von der venezolanischen Regierung gesperrten Brücke Tienditas zuteil. Aber selbst der „Faktenfinder“ von „tagesschau.de“ musste inzwischen zugeben, dass sie niemals eröffnet und für den Verkehr freigegeben worden ist. Statt der Brücke wird den aus dem nahen und fernen Ausland herbeigekarrten Journalisten nun ein Lager auf der kolumbianischen Seite der Grenze präsentiert, in dem angeblich 46 Tonnen Lebensmittel als „Hilfslieferungen“ nach Venezuela auf Abholung warten. Die US-Botschaft in Kolumbien und die Regierung in Washington brüsten sich damit, dass durch die „Hilfe“ 5 000 Venezolaner ganze zehn Tage lang mit Pflanzenöl, Mehl, Linsen und Reis versorgt werden könnten. Für 6 700 Kinder sollen Nahrungsergänzungsmittel zur Verfügung stehen, für weitere 10000 Energieriegel. Für die „humanitäre Hilfe“, zu der auch ein Zehn-Tages-Vorrat an Seife, Zahnbürsten und anderen Produkten der persönlichen Hygiene für 7 500 Venezolaner gehören soll, veranschlagt USAID, eine Abteilung des US-Außenministeriums, 20 Millionen US-Dollar. 20 Millionen Dollar Hilfe – ein Witz im Vergleich zu den geschätzten 30 Millionen US-Dollar pro Tag, die das neue US-Ölembargo Venezuela in diesem Jahr kosten wird. Die jüngste Runde der US-Wirtschaftssanktionen untersagt Unternehmen, die unter US-amerikanischer Gerichtsbarkeit stehen, den Erwerb von Öl der Ölgesellschaft PDVSA. Nach Angaben von US-Sicherheitsberater Bolton entgeht dem venezolanischen Staatsunternehmen damit ein Umsatz von 11 Milliarden US-Dollar allein in diesem Jahr. Zudem wurde die in Houston ansässige PDVSA-Tochtergesellschaft CITGO, deren Wert bei 7 Milliarden US-Dollar liegt, „eingefroren“. Dem Wirtschaftskrieg gegen das Land zum Trotz subventioniert die venezolanische Regierung weiter Lebensmittel, die dann zu vergünstigten Preisen verkauft werden. Sechs Millionen Familien mit im Schnitt vier Mitgliedern werden so jeden Monat durch die „Lokalkomitees für Versorgung und Produktion“ (CLAP) versorgt, das sind rund 24 Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner. In den Paketen enthalten sind Pflanzenöl, Mehl, Reis, Nudeln und Linsen. Der Putschist Guaidó forderte derweil auf Twitter, alles zu tun, „um Menschenleben zu retten“, und meint damit eine US-Militärintervention, die ihm an die Macht verhelfen soll. Die US-Regierung will eine Resolution im UN-Sicherheitsrat verabschiedet sehen, in der die volle Unterstützung für das venezolanische Parlament als „einzige demokratische gewählte Institution“ festgehalten wird. Im Parlament hat die Opposition gegen Maduro die Mehrheit. Bereits in der Woche nach dem Putschversuch durch Guaidó hatte UN-Generalsekretär António Guterres durch einen Sprecher bestätigt, dass für die Vereinten Nationen weiterhin Nicolás Maduro der legitime Präsident Venezuelas ist. Nur 40 von 193 UN-Mitgliedsstaaten haben Guaidó anerkannt. Am vergangenen Sonntag stellte sich auch die Staatengemeinschaft des südlichen Afrikas (SADC) hinter die Regierung Maduro und rief die internationale Gemeinschaft auf, die Ergebnisse der Parlaments- und Präsidentenwahlen im Dezember 2015 und Mai 2018 zu respektieren. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags stellt inzwischen die Rechtmäßigkeit der Anerkennung Guaidós durch die deutsche Regierung in Frage. In einem Gutachten stellte er fest, dass es „starke Gründe“ für die Annahme gibt, dass es sich dabei um eine „Einmischung in innere Angelegenheiten“ handelt.
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Gefahr für die „öffentliche Ordnung“
Die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich lässt sich nicht unterkriegen. Trotz des harten Vorgehens der Polizei gegen Demonstranten gingen sie am vergangenen Wochenende wieder im ganzen Land gegen die Politik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf die Straße. Schätzungen gehen von 70000 bis 116 000 Teilnehmern aus. Sie sahen sich zum wiederholten Mal den gepanzerten Einheiten der Spezialpolizei CRS gegenüber, die äußerst brutal gegen die Gelbwesten vorgingen. In Paris riss eine von der Polizei abgefeuerte Tränengasgranate einem 30-Jährigen mehrere Finger ab. Laut Gelbwesten gab es bis Ende Januar mehr als 1 900 Verletzte durch Polizeigewalt. Das Innenministerium gab an, dass die Polizei 9 200 Mal mit Gummigeschossen auf Demonstranten geschossen habe. Dabei zielt sie offenbar auch die Gesichter von Demonstranten, mit der Folge, dass bisher 20 Menschen ein Auge bei den Protesten verloren haben sollen. Die französische Zeitung „Libération“ berichtet in ihrem „Faktencheck“ von 182 bestätigten Fällen schwerer Verletzungen. Um die eskalierende Polizeigewalt macht sich Macron allerdings keine Sorgen. Während er durch Frankreich tourt, um mit leeren Versprechungen sein Volk zu besänftigen, wird mit dem „Anti-Randalierer-Gesetz“ eine handfeste Einschränkung des Demonstrationsrechts auf den Weg gebracht. Pünktlich zur „Verbrüderung“ („Luzerner Zeitung“) der Gewerkschaft CGT mit den Gelbwesten bei gemeinsamen Protesten am Dienstag letzter Woche stimmte die Nationalversammlung in erster Lesung dem Gesetzesvorhaben zu, das Demonstrationsverbote im Fall einer „besonders schweren Gefahr für die öffentliche Ordnung“ vorsieht. Macron hat mehrfach durchblicken lassen, dass er die Gelbwesten-Proteste als eine solche Gefahr ansieht. Das Gesetz sieht außerdem hohe Strafen für Verstöße gegen das Vermummungsverbot vor: ein Jahr Haft und 15000 Euro Geldstrafe. Zudem sollen „notorische Unruhestifter“ (von deutschen Politikern gerne „Berufsdemonstranten“ genannt) an der Teilnahme an öffentlichen Kundgebungen gehindert werden. Ein Haftung für Schäden, die während einer Demonstration entstehen, soll zusätzlich abschreckend auf deren Organisatoren wirken. Während die Regierung auf Unterdrückung und Abschreckung setzt, verändert sich der Charakter der Gelbwesten-Proteste. Der spontane Aufstand gegen die Benzinpreise ist zu einem sozialen Protest geworden, der seine ursprünglich propagierte Distanz zu den Gewerkschaften abgelegt zu haben scheint. Dem gemeinsamen Aufruf mit der CGT, für Lohnerhöhungen und niedrige Studiengebühren auf die Straße zu gehen und zu streiken, folgten allein in Paris 30000 Menschen, darunter Schülerinnen und Schüler. Schulen und Ämter blieben geschlossen, der öffentliche Verkehr wurde bestreikt und Eric Drouet, einer der Initiatoren der Gelbwesten-Bewegung, twitterte: „Frankreich pausiert.“ Auch der Generalsekretär der CGT, Philippe Martinez, wertete den Aufruf zum gemeinsamen Protest als richtigen Schritt und Erfolg: „Abgesehen von der Farbe der Westen sehe ich nicht viele Unterschiede.“
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Kriegsgespräche
„Die Kernstücke der internationalen Ordnung werden umgeworfen, ohne dass klar ist, ob sie jemand wieder aufstellen kann – oder will“, sagt der Leiter der „Münchner Sicherheitskonferenz“, Wolfgang Ischinger. Mit über 100 Staatschefs und -ministern stelle die Konferenz einen wichtigen Ort des Dialogs für den „neuen Systemwettbewerb“ dar. „Nicht nur Krieg und Gewalt spielen wieder eine größere Rolle. Auch ein neuer Systemwettbewerb scheint sich anzubahnen. Die liberale Demokratie und das Prinzip offener Märkte sind – anders als Anfang der 1990er-Jahre – heute nicht mehr konkurrenzlos“, schreibt Ischinger in der „Berliner Morgenpost“ und nennt China und Russland als die Opponenten in der „neuen Ära des Großmächtewettbewerbs“. Auf der Konferenz werden der russische Außenminister, Sergej Lawrow, und das Politbüro-Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas Yang Jiechi erwartet. Yang war unter Präsident Hu Jintao von 2007 bis 2013 Außenminister. Daneben nimmt der Zusammenhalt der Europäische Union einen zentralen Platz auf der Konferenz ein. „Wenn sich Frankreich und Deutschland einigen können, wird der Rest Europas folgen“, steht im „Munich Security Report 2019“, der am Montag von den Veranstaltern der Konferenz veröffentlicht wurde. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron sollten auf der Konferenz zusammen auftreten, um Einigkeit in einer sich auseinanderdividierenden EU zu zeigen. Aber Macron sagte ab.
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Ein Brexit des Volkes
Der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn forderte in einem Brief an die Regierung May, die politische Erklärung zu überarbeiten, die die künftigen Beziehungen Britanniens zur EU festlegt. Diese Verhandlungsziele sollen dann im britischen Recht verankert werden, so dass künftige Regierungen sie nach dem Brexit nicht wieder rückgängig machen können. Konkret fordert Corbyn die Aufnahme von fünf Punkten: eine „permanente und umfassende Zollunion“ mit der EU, die sich auch auf künftige Handelsabkommen auswirkt, eine enge Angleichung an den Binnenmarkt, gestützt durch „geteilte Institutionen“, eine „dynamische Angleichung an Rechte und Schutzmaßnahmen“, damit britische Standards nicht hinter denen der EU zurückbleiben, klare Zusagen über die künftige Beteiligung Britanniens an EU-Agenturen und Finanzierungsprogrammen und eindeutige Vereinbarungen über zukünftige Sicherheitsvorkehrungen, zum Beispiel über die Anwendung des europäischen Haftbefehls. Theresa May antwortete ebenfalls per Brief und erteilte den Forderungen Corbyns eine Absage, vor allem die permanente Zollunion mit der EU lehnt sie ab. Die Kommunistische Partei Britanniens (CPB) hat auf ihrer ersten Parteivorstandstagung nach dem 54. Parteitag im November letzten Jahres festgestellt, dass der eigentliche Kampf für einen „Brexit des Volkes“ jetzt erst beginnt. Beim Referendum im Juni 2016 haben 17, 4 Millionen Menschen mit einem Vorsprung von einer Million für den Austritt Britanniens aus der Europäischen Union gestimmt. Nach Einschätzung der CPB haben sie sich nicht einschüchtern lassen von Unternehmern, „Wirtschaftsexperten“, Pro-EU-Medien, von NATO und Geheimdienstchefs und stimmten dafür, dass Britannien die volle Souveränität über die eigene Zukunft wiedererlangt. In seinem Referat auf der Parteivorstandstagung führte Robert Griffith, Generalsekretär der CPB, aus, warum ein „Brexit des Volkes“ der einzige Weg aus der derzeitigen politischen Krise Britanniens sei, der im Interesse der Arbeiterklasse und des Volkes Britanniens liegt. Zu den Gründen gehöre unter anderem die Möglichkeit, Entscheidungsgewalt nicht nur zurück nach Britannien zu verlegen, sondern in die lokalen Regierungen, die Kommunen und in die schottischen und walisischen Regierungen. Ohne die Beschränkungen durch den EU-Binnenmarkt und die Zollunion könne es für eine künftige linke Regierung möglich sein, die Interessen der Arbeiterklasse-Mehrheit statt die der kapitalistischen Minderheit zu vertreten, so Griffiths in seiner Einschätzung. Ein „Brexit des Volkes“ würde bedeuten, dass die Vorschriften und Richtlinien der EU keine Politik zur Förderung von Infrastrukturinvestitionen, Produktion, Wirtschaftsplanung, öffentlichem Eigentum und regionaler Entwicklung mehr verbieten würden. Ein Austritt aus der EU ermögliche volle Rechte für Arbeiter in Britannien, unabhängig von ihrer Herkunft oder Nationalität. Anstelle der „Freiheit“ der EU, „Wanderarbeiter“ auszubeuten, sollen die Arbeitsmärkte durch Tarifverhandlungen und progressive Gesetze geregelt werden. Gleiche Rechte für alle seien am besten durch die Stärke der Gewerkschaften geschützt, nicht durch die arbeiterfeindlichen Entscheidungen des EU-Gerichtshofs. Die CPB lehnt die Mitgliedschaft in einer militarisierten, imperialistischen Europäischen Union ab. Ein Austritt aus der EU müsse auch dazu führen, dass Großbritannien sich vollständig von allen durch den Vertrag von Lissabon genehmigten militärischen Strukturen und Programmen zurückzieht. Dies sei nicht nur die Alternative zur Mitgliedschaft in der antidemokratischen, pro-monopolistischen, pro-NATO „Festung Europa“, sondern auch die zu einem neoliberalen und fremdenfeindlichen Brexit.
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Kontrolle geht weiter
US-Präsident Trump sorgte im Dezember für einen Knalleffekt, als er verkündete, die US-Truppen würden „innerhalb von wenigen Wochen“ aus Syrien abgezogen. Geschehen ist noch nichts – doch der Bühnenzauber wirkt nach. Der US-Senat sprach sich in einer parteiübergreifenden großen Mehrheit aus Republikanern und Demokraten gegen den Rückzug der US-Truppen aus. Der Führer der republikanischen Mehrheit im Senat, Mitch McConnell, warnte, der IS und Al-Kaida seien noch nicht besiegt und ein Abzug der USA schade den nationalen Sicherheitsinteressen. Auch Ilham Ahmed, die die politischen Interessen der „Demokratischen Kräfte Syriens“ (SDF) vertritt, sprach in einem Interview in Washington davon, dass der Islamische Staat noch nicht besiegt sei und ein amerikanischer Rückzug Auswirkungen auf den Krieg hätte. Sie war in Washington, um Abgeordnete und Regierungsbeamte zu drängen, die Entscheidung zurückzunehmen oder zumindest zu verschieben. Zugleich bestätigte sie Gespräche zwischen kurdischen Vertretern und der Regierung in Damaskus. „Wenn türkische Milizen unser Gebiet angreifen, haben wir keine Wahl, als uns mit dem syrischen Regime zu arrangieren.“ Trump, der eher zufällig mit ihr zusammentraf, versicherte ihr, man werde die Kurden nicht töten. Das Pentagon hat eine gewichtige Stimme, wenn es um den Abzug der US-Truppen geht. Unmittelbar nach der Ankündigung Trumps hieß es, die Truppen würden innerhalb von 30 Tagen abgezogen, im Januar meldete ein Sprecher des Pentagon, der Abzug habe bereits begonnen. Doch später hieß es, die Truppen würden im Verlauf von mehreren Monaten abgezogen werden. Eine konkrete Zeitplanung hat es nie gegeben. In seiner Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress verteidigte Trump seine Entscheidung. Doch der Widerstand im Pentagon scheint noch stärker geworden zu sein. Ein hoher Beamter aus dem Pentagon erklärte in einer Senatsanhörung, er verstehe die Strategie hinter der Entscheidung nicht. Und Verteidigungsminister Mattis habe mit seinem Rücktritt wegen des Abzugs richtig gehandelt. Ähnlich äußerte sich Joseph Votel, Chef des US-Central Command, der von Trump nicht um seine Meinung zu einem Rückzug gefragt worden war. Diese Bemerkungen waren die letzten in einer ganzen Reihe von Warnungen vor einem „übereilten“ Rückzug. Auch der türkische Präsident Erdogan versteht Trumps Strategie nicht. Die Türkei will nach wie vor eine Besatzungszone im Norden Syriens schaffen, doch ohne Unterstützung der USA ist das nicht möglich. Und die Russische Föderation hat andere Interessen. So bleibt vorerst alles beim Alten. Fast. Denn um einen möglichen Abzug vorzubereiten, werden die US-Truppen zunächst einmal aufgestockt. Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, ein Konvoi aus 150 Fahrzeugen habe Humvees, Generatoren und anderes Material an US-Logistikzentren im Norden Syriens geliefert. Entgegen den Ankündigungen von Trump werden die US-Truppen wohl vorerst weiter den Norden Syriens kontrollieren. Den Reichtum an Landwirtschaftsflächen und Bodenschätzen inbegriffen.
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Keine Alternative für die Ukraine
Am 31. März finden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt. Von der zentralen Wahlkommission wurden 44 Kandidatinnen und Kandidaten zugelassen. Auch der bisherige Amtsinhaber Pjotr Poroschenko ist unter den Kandidaten. Ein Ende der Politik des Kriegs, des militanten Antikommunismus, des Ausverkaufs des Landes, der Feindschaft mit Russland und der Unterdrückung von Minderheiten und Andersdenkenden ist nicht zu erwarten. Nach Umfragen wird Poroschenko wohl unter den ersten fünf sein, genauso wie die für einen scharfen Kriegskurs stehende und bereits wegen Korruption verurteilte ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko, der Vorsitzende der „Oppositionsplattform – für das Leben“, Jurij Bojko, der heute bereits der Obersten Rada im „Oppositionsblock“ angehört, einer Fraktion, bei der von wirklicher Opposition jedoch nie die Rede sein konnte. Russische Wahlbeobachter sind durch einen Parlamentsbeschluss grundsätzlich von der Wahlbeobachtung ausgeschlossen, auch im Rahmen der OSZE-Beobachterdelegation. Ein Mittel, den gewünschten Wahlausgang zu sichern, besteht darin, dass Millionen ukrainischer Wähler, die in Russland leben, von der Wahl ausgeschlossen sind, da die ukrainischen Konsulate in Russland keine Wahllokale mehr einrichten. Um den ukrainischen Wählern schließlich jede Möglichkeit zu nehmen, für eine Alternative zum Kiewer Regime zu stimmen, wurde der Kandidat der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU), der Parteivorsitzende Pjotr Simonenko, von der Zentralen Wahlkommission nicht als Kandidat zugelassen. Eine dagegen eingereichte Klage führte in erster Instanz nicht zum Erfolg. Die KPU ist in der Ukraine nicht verboten, das Verbotsverfahren zieht sich seit Jahren hin. Aufgrund des Gesetzes über die „Dekommunisierung“ wurde für die Partei jedoch schon vor Jahren ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen, darauf bezieht sich nun die Wahlkommission. Die KPU hat dennoch eine Klage beim Obersten Gerichtshof der Ukraine eingereicht und bezeichnet das Vorgehen der Zentralen Wahlkommission als eine „äußerst grobe Verletzung der Rechte und Freiheiten der Menschen“. „Dies ist ein gesetzes- und verfassungswidriger Angriff auf die Rechte von Millionen unserer Bürger, die unsere Ansichten teilen, sich zu den Prinzipien des Sozialismus, zu den Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bekennen“, hieß es in der Erklärung weiter. Protest aus den Reihen der Bundesregierung oder der EU zu diesem Vorgehen gibt es nicht. Um aber wirklich sicher zu gehen, dass es weder jetzt noch bei den Parlamentswahlen im Herbst zu ernsthaften Veränderungen kommen kann, hat das Parlament der Ukraine am 7. Februar eine Verfassungsänderung beschlossen. In der Präambel der Verfassung ist nun „die europäische Identität des ukrainischen Volks und die Unumkehrbarkeit des europäischen und euroatlantischen Kurses“ festgeschrieben. In Artikel 102 werden die Vollmachten des Präsidenten geändert, er wird nun „zum Garanten der Realisierung des strategischen Kurses des Staates auf die Erlangung einer vollwertigen Mitgliedschaft in der EU und in der NATO“. Der Vorschlag war von Poroschenko eingebracht worden. Er erhielt mit 311 von 450 Stimmen die notwendige Zweidrittelmehrheit, die für eine zukünftige Änderung auch wieder notwendig sein wird.
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Hilfe nach Kuba
Die venezolanische Regierung hat inmitten des Putschversuchs eine Hilfslieferung nach Kuba geschickt. Rund 100 Tonnen an Baumaterialien und Fahrzeugen erreichte am Freitag den Hafen Havannas. Kuba wurde am 27. Januar von einem heftigen Tornado getroffen. Sechs Menschen kamen dabei ums Leben, rund 200 weitere wurden verletzt, etwa 4 800 Wohnhäusern wurden beschädigt.
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Proteste in Haiti
n Haiti sind bei Demonstrationen gegen die Regierung vier Demonstranten getötet und Dutzende weitere verletzt worden. Die Demonstranten fordern den Rücktritt von Präsident Jovenel Moise und hatten am Donnerstag letzter Woche Straßensperren und Autos in der Hauptstadt Port-au-Prince in Brand gesteckt. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Demonstranten ein. Die Demonstranten werfen der Regierung vor, Geld aus einem Hilfsfonds veruntreut zu haben, das eigentlich für den Wiederaufbau nach dem Erdbeben 2010 verwendet werden sollte. Auch in den Städten Delmas, Pétionville und Mirebalais gingen Hunderte Menschen auf die Straßen.
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Klage gegen Litauen
Litauen muss sich in einem weiteren Fall vor dem Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu einem geheimen CIA-Gefängnis verantworten. In einer Beschwerde hat ein inzwischen im illegalen USA-Gefangenlager Guantánamo auf Kuba internierter Bürger Saudi-Arabiens geltend gemacht, in einem Geheimgefängnis in dem baltischen EU- und NATO-Staat misshandelt worden zu sein. Das EGMR hatte Litauen 2018 wegen Menschenrechtsverletzungen zu einer Geldstrafe an einen staatenlosen Palästinenser verurteilt. Nach Auffassung der Richter hatte Litauen die Folter des Gefangenen ermöglicht, indem es dem USA-Geheimdienst CIA erlaubte, auf seinem Staatsgebiet ein geheimes Gefängnis zu betreiben. Litauen dagegen bestreitet bis heute, dass es ein CIA-Gefängnis beherbergte.
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Solidarität in Irland
Am vergangenen Samstag gingen in Dublin zehntausende Pflegekräfte und ihre Unterstützer auf die Straßen und brachten den Verkehr in der irischen Hauptstadt zum Erliegen. Die Demonstration bildete den ersten Höhepunkt eines zweitägigen Streiks für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen und war zugleich ein Protest gegen Angriffe der bürgerlichen Medien auf die streikenden Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Der Protest ist Ausdruck einer tiefgehenden Unzufriedenheit der Beschäftigten angesichts einer seit mehr als einem Jahrzehnt andauernden Austeritätspolitik, die von der Europäischen Union diktiert und von der gegenwärtigen und den vorangegangenen Regierungen ausgeführt wurde und wird. Die Kommunistische Partei Irlands (CPI) unterstützt das Pflegepersonal und brachte in einer Erklärung ihre Sympathie zum Ausdruck, weil die Streikenden ungeachtet des Drucks des Establishments und der Desinformation der Massenmedien unbeirrt zu ihren Forderungen stehen. Der Arbeitskampf braucht die Unterstützung aller Gewerkschaften und aller Lohnabhängigen, betont die CPI. Die Kommunisten rufen dazu auf, standhaft zu bleiben und sich weder von der Teile-und-herrsche-Politik der Regierung noch von irreführenden Machenschaften gewisser Leute in einigen Gewerkschaftsführungen beirren zu lassen. Für diese Woche (nach Redaktionsschluss der UZ) haben die Pflegekräfte drei weitere Streiktage geplant.
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Akkumulation und Krieg
100 Jahre nach der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg fand dieses grauenhafte Ereignis große Beachtung auch in den historischen Rückblicken der Mainstream-Medien. Bis dahin war es fast ausschließlich ein Thema sozialistischen Gedenkens gewesen. Fast schon sensationell muss es wirken, dass sogar in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland“ im Januar 2019 ein ehemaliger Autor der „jungen Welt“, Uwe Soukup, die Frage aufwerfen konnte, ob der sozialdemokratische Politiker Gustav Noske nicht nur – was unbestritten ist – an der Niederwerfung der Revolution im Allgemeinen, sondern auch an der Vorbereitung des Mordes an Liebknecht und Luxemburg im Besonderen beteiligt war. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles neigte in einer Stellungnahme dieser Vermutung ebenfalls zu, verband sie aber mit der Bemerkung, dass ein letzter quellenmäßiger Beweis nicht vorliege. Letzteres dürfte zutreffend sein, ist aber üblich: einen rauchenden Colt findet man selten einmal. Nahles‘ Manöver erfolgte aus einer Defensive heraus, denn es handelt sich wieder einmal um einen – diesmal gedenkpolitischen – Angriff auf ihre Partei. In der FAZ gab es sogar eine Überlegung, ob auch der spätere Reichspräsident Ebert in Verbindung mit dem Mordfall gebracht werden müsse. Im selben Blatt hatte allerdings der sozialdemokratische Historiker Heinrich August Winkler bereits im November 2018 befunden: „Dass die Volksbeauftragten den Putsch unterbinden mussten, verstand sich freilich nicht nur für sie von selbst. Wäre der Januaraufstand nicht niedergeschlagen worden, hätte die Wahl zur Nationalversammlung nicht stattfinden können.“ Der gegenwärtige geschichtspolitische Frontverlauf auf dem Oberdeck lässt sich so nachziehen: Darüber, dass die Niederwerfung der radikalen Linken 1919 eine gute Sache gewesen sei, sind sich äußerste Rechte, Konservative, Liberale und Sozialdemokraten einig, nicht aber über die Verantwortung für den Mord an Liebknecht und Luxemburg. Gegenwärtig ist es in den Medien der herrschenden Klasse schick, die SPD niederzuprügeln. Da passt es, ihren einstigen Führern auch noch eine kriminelle Handlung anzuhängen. Im Gegensatz dazu möchte Frau Nahles in der Mordsache die Hände der Partei, deren Vorsitzende sie ist, in Unschuld waschen. Zugleich erklärt sie Noske zum Widerstandskämpfer gegen den Faschismus nach 1933 und beansprucht Rosa Luxemburgs Erbe für sich. Die zweite Unappetitlichkeit hat immerhin für sich, dass sie die Mitgründerin der KPD nicht nur als Mordopfer behandelt. Noch wichtiger als die Frage, wie Rosa Luxemburg gestorben ist, muss eine andere sein: wie sie gelebt hat und inwieweit ihr wissenschaftliches und politisches Wirken auch für die Gegenwart aktuell sein kann. Das soll im Folgenden untersucht werden.
Die Akkumulation des Kapitals 1913 erschien Rosa Luxemburgs wissenschaftliches Hauptwerk „Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus“. Zu dessen zeitgeschichtlichen Voraussetzungen gehört eine Diskussion, die längere Zeit vorher in der revolutionären Bewegung Russlands über die Perspektiven des Kapitalismus in diesem Land geführt wurde. Russisch war die erste Sprache, in die Marx‘ „Kapital“ übersetzt worden war. In den so genannten Reproduktionsschemata des zweiten Bandes, in denen die Beziehungen unter anderen zwischen der Produktionsmittel- und der Konsumgüterindustrie dargestellt wurde, sahen Liberale im Zarenreich eine harmonische Zukunft vor sich. Die so genannten „Volkstümler“ hielten sich stattdessen an die Schilderung der Gräuel der Ursprünglichen Akkumulation im ersten Band und suchten nach Möglichkeiten, diese Phase der kapitalistischen Entwicklung zu überspringen – für diese bestehe im überwiegend agrarischen Russland ohnehin keine Basis: Mehrwert könne dort nicht mit der Chance auf ausreichenden Absatz investiert werden. Hiergegen wandte sich Lenin in seinem Werk „Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland“ (1899). Rosa Luxemburg war hierin mit ihm grundsätzlich einverstanden, behauptete aber, Marx‘ Reproduktionsschemata seien unvollständig. Arbeite man sie weiter aus, ergebe sich tatsächlich aus der Mehrwertproduktion ein Überschuss, der auf dem Binnenmarkt nicht mehr verkauft werden könne. Daraus folge der Zwang zu ständiger Ausdehnung des Kapitalismus in noch nicht industrialisierte Regionen, Kolonialismus, Konkurrenz der Metropolen untereinander und deren militärische Austragung: Imperialismus. 1910 hatte Rudolf Hilferding seine eigene Sicht der Dinge veröffentlicht: in seinem Buch „Das Finanzkapital“. Hier führte er aus, wie Industriemonopole und Banken zu einem neuen Komplex verschmolzen. Lenin hat diese Theorie in seiner 1916 geschriebenen, 1917 veröffentlichten Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ aufgegriffen: Der finanzkapitalistische, mit dem Staat verbundene Machtkomplex betreibt Waren- und Kapitalexport, koloniale Expansion und Krieg. Im Ergebnis unterscheiden sich Lenin und Luxemburg nicht. Für Letztere allerdings sind die Monopole keine zentrale Ursache: nicht diese, sondern die Überakkumulation von Anfang an, die in der Gegenwart auf die Spitze getrieben sei, führe in den Imperialismus. Luxemburg wurde – auch von Marxisten – vorgehalten, dass sie die Absorptionsfähigkeit des Binnenmarkts übersehen habe. So lautete später auch die Kritik von Keynesianern. Doch selbst wenn es dem Kapital gelingen sollte, immer neue Anlagesphären für sich zu erschließen, so handelt es sich doch um die „Inwertsetzung“ (wie der 2018 verstorbene Elmar Altvater das später nannte) von bisher nicht kapitalistisch ausgebeuteten Bereichen: zum Beispiel natürlicher Ressourcen oder unbezahlter weiblicher Arbeitskraft. „Frauen, die letzte Kolonie“ – so lautet der Titel eines 1983 erstmals erschienenen Buchs von Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies und Claudia von Werlhof. Rosa Luxemburg war keine Feministin und keine Ökologin, aber ihre Theorie der Überakkumulation erwies sich als anschlussfähig, inspirierend und klärend für Teile dieser Bewegungen. Der logische Endpunkt der von ihr diagnostizierten letztlich permanenten Überakkumulation ist ein Zusammenbruch, der in dem Moment unausweichlich ist, in dem das Kapital keinen nichtkapitalistischen Bereich mehr findet, in den hinein es sich ausbreiten kann. Ob er jemals erreicht werden wird, bleibt ungewiss. Im Vergleich zur Zusammenbruchs-Theoretikerin Rosa Luxemburg war Karl Marx ein Transformationstheoretiker. In seiner Schrift „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ schrieb er 1859: „Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind.“ Ist dies ein Gegensatz zu derjenigen Rosa Luxemburgs? Nur scheinbar. Für Rosa Luxemburg können die Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise schon vor deren Zusammenbruch erreicht und genutzt werden, ja, sie müssen dies sogar, soll die Zivilisation nicht in einer Katastrophe untergehen. Damit verlassen wir allerdings die – von ihr ebenso wie von Marx nie akzeptierte – Beschränkung auf eine ausschließlich ökonomische Analyse und betreten das Feld der Klassenkämpfe.
Theorie und Praxis der Politik Rosa Luxemburgs ökonomisches Hauptwerk erschien zwar erst 1913, aber ihren im engeren Sinn politischen Schriften, auch den viel früheren, lagen deren Thesen schon zugrunde – vielleicht aber umgekehrt: Es ist denkbar, dass ihr Engagement und ihre Erfahrungen in Tageskämpfen sie veranlasst haben, die wirtschaftlichen Triebkräfte aktueller Entwicklungen zu erforschen und in Zürich, nachdem sie schon lange vorher in der polnischen sozialistischen Bewegung aktiv gewesen war, von ihrem Studium der Naturwissenschaften zu dem der Politischen Ökonomie überzugehen. Die Zerstörungskräfte der ständigen Akkumulation des Kapitals lösen für sie einen zweiten Prozess aus: die Entstehung und Entwicklung einer revolutionären Arbeiterbewegung. Diese ist international wie die Kapitalbewegung ja auch. Rosa Luxemburg war eine konsequente Internationalistin. Der erste von ihr mitverfasste Text in deutscher Sprache war der Bericht der polnischen Delegation an den Dritten Internationalen Arbeiterkongress in Zürich 1893. Von Anfang an bekämpfte sie den Nationalismus – auch in der Arbeiterbewegung selbst, sehr früh gegen Józef Pilsudski, einen der Führer der Polska Partia Socjalistyczna (PPS), den späteren Diktator Polens. Wie bereits Marx und Engels, überschätzte sie die Fähigkeit des Proletariats, die ihm zugeschriebene objektive historische Subjekt-Funktion auch aktiv wahrzunehmen. Umso schärfer war ihr Blick auf Tendenzen in Sozialdemokratie und Gewerkschaften, die darauf abzielten, die Massen nicht auf ihre revolutionären Möglichkeiten hinzuführen, sondern sich den kapitalistischen Gegebenheiten anzupassen. So entstand 1899 Rosa Luxemburgs Schrift „Sozialreform oder Revolution?“ gegen Eduard Bernsteins Revisionismus. Vom Vertrauen in die Selbstmobilisierung des Proletariats war sowohl ihre Kritik an Lenins Parteikonzept (in ihrer Arbeit „Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie“, 1904) als auch an der Brems-Taktik der deutschen Gewerkschaften und den Zähmungsversuchen der SPD noch vor 1914 bestimmt. Sie kämpfte in der russischen Revolution von 1905/06 und trat nach ihrer Rückkehr für Massenstreiks als Konsequenzen einer sich auch in Deutschland anbahnenden revolutionären Situation ein. Die andere Folge einer sich zuspitzenden Krisensituation war die Kriegsgefahr, die durch revolutionäre Masseninitiative gebannt werden müsse. Die deutsche Klassenjustiz schickte sie nach einer antimilitaristischen Rede in Frankfurt/Main ins Gefängnis. Rosa Luxemburg hatte keine Illusionen über die Chancen eines bürgerlichen Pazifismus und europäischer Einheitsbestrebungen. Letztere, so schrieb sie 1911, seien „stets eine imperialistische Missgeburt“ gewesen. Mit der Zustimmung der meisten sozialdemokratischen Parteiführungen zum Krieg 1914 brach für Rosa Luxemburg eine Welt zusammen. Sofort begann sie mit dem Kampf um die Reorganisation der Internationale und dem Neuaufbau einer revolutionären Organisation in Deutschland: in der „Gruppe Internationale“ und in der Spartakusgruppe. Jahrelang war sie in Haft. Die russische Revolution 1917 hat sie begrüßt, zugleich aber das Dekret über die Unabhängigkeit der Nationen im ehemaligen Zarenreich wegen der Gefahr des Nationalismus und die Aufteilung des Großgrundbesitzes in kleine private Bauernwirtschaften als Ursache künftiger Konflikte kritisiert. „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ – diese Maxime, in Krieg und Bürgerkrieg von keiner Seite praktizierbar, erwies sich im Nachhinein als bedenkenswerte Kritik an staatlichem Machtmissbrauch in sozialistischen Gesellschaften. Erst im November 1918 aus der Haft befreit, schrieb Rosa Luxemburg das Programm des Spartakusbundes (so hieß nun die bisherige Spartakusgruppe). Auf dem Gründungsparteitag der KPD an der Jahreswende 1918/1919 warnte sie vor ultralinkem Voluntarismus. Auf sie und Karl Liebknecht konzentrierte sich die Hetze der reaktionären und auch der sozialdemokratischen Presse. Über ihren gewaltsamen Tod am 15. Januar hinaus sind bis heute immer wieder neue Aspekte ihres theoretischen und politischen Erbes aktuell geworden. Gegenwärtig gilt dies vor allem für ihre zutreffende Analyse des Akkumulationsprozesses des Kapitals und die Notwendigkeit, gegen dessen Konsequenz zu kämpfen: die Gefahr eines imperialistischen Krieges jetzt, im 21. Jahrhundert.
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Kai Degenhardt
Er ist einer der profiliertesten politischen Liedermacher deutscher Provenienz, der in seiner künstlerischen Arbeit eine klare antifaschistische Haltung einnimmt und dabei selbstverständlich auf das konkret Gesellschaftliche und die darin wirkenden Herrschaftsverhältnisse Bezug nimmt. Kai Degenhardt spielt in seinem aktuellen Programm Stücke seiner neuen CD „Auf anderen Routen“, die, wie auch die beiden Vorgängeralben, mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde. Es werden aber auch ein paar ältere und auch Lieder aus dem Werk seines Vaters auf der Setliste stehen.
Aktuelle Konzerte von Kai Degenhardt Freitag, 15. Februar 2019, Hamm, Hoppegarden – Kulturwerkstatt, 20.00 Uhr Samstag, 16. Februar 2019, Warburg, Kulturforum, 20.00 Uhr Donnerstag, 21. Februar 2019, Hamburg, Polittbüro, 20.00 Uhr
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Système K
Die 69. Ausgabe der „Internationale Filmfestspiele Berlin“ bietet insbesondere abseits des Wettbewerbs wieder einmal die durchaus interessanteren Beiträge. Besonders hervorzuheben ist Renaud Barrets Film „Système K“, der in der Sektion „Panorama Dokumente“ zu sehen ist. Der Filmemacher lenkt die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf die in Kinshasa lebenden Straßenkünstler. Die Bevölkerung der Demokratischen Republik Kongo, dem rohstoffreichsten Land Afrikas, lebt unterhalb der Armutsgrenze. Westliche Konzerne lassen dort Kupfer, Nickel und den seltenen Rohstoff Kobalt abbauen. Dieser ist ein Schlüsselelement für die Elektromobilität, ohne welches es die E-Autos nicht geben würde. Die Menschenrechtsverletzungen werden konsequent ignoriert und die Arbeitsbedingungen gleichen moderner Sklaverei. Die Einnahmen landen bei Warlords, die mit dem Geld Waffenkäufe finanzieren. Es gibt weder ausreichend Trinkwasser, noch genug Nahrungsmittel. Barrets Film begleitet neun Künstler, die auf diese katastrophalen Lebensbedingungen im Land, jeder auf unterschiedlichste Weise, aufmerksam machen wollen. Sie heißen Freddy, Béni Baras, Kongo Astronaute, Yas Ilunga, Flory und Junior, Strombo, Yann Majestik Makanka, Kokoko! und Géraldine Tobe. Mit ihren Skulpturen, Bildern, Auftritten und Interventionen betreten sie den öffentlichen Raum, abseits der Weltöffentlichkeit und abseits des internationalen Kunstmarkts. Ihre Materialien: gebrauchte Patronenhülsen, Plastikmüll, Elektroschrott, Affenschädel, Rauch, Wachs, Blut und ihre eigenen Körper. Der Restmüll aus vergangenen bewaffneten Konflikten. Ihre Kunst behandelt Themen wie die Ausbeutung ihrer Heimat, die Privatisierung von Wasser, den Einfluss evangelikaler Kirchen, die Massaker im Osten und darüber hinaus weitere soziale und politische Zustände des Landes, die durch den Kapitalismus verursacht wurden. So lassen sie eine lebendige Subkultur entstehen, indem sie Kinshasa als offene Bühne nutzen. In einer Metropole, in der die eigene Bevölkerung keinen Zugang zur Kunst hat. Der bekannteste unter den kongolesischen Künstlern ist Freddy Tsimba. Er arbeitet als Bildhauer und besitzt sein eigenes Studio. Die Kamera begleitet ihn auch bei der Erstellung und Präsentation einer seiner eindrucksvollsten Arbeiten, welche er mitten auf einer Straßenkreuzung errichten lässt. Ein offenes Haus, erbaut aus den Macheten der Bruderkriege. Es dauert jedoch nicht lange, bis die ersten Helfer von Tsimba von der Polizei verhaftet werden und der Platz geräumt wird. Kurze Zeit später verlässt er die Stadt und taucht sicherheitshalber für eine Weile unter. Der radikalste unter ihnen ist Majestik. Mit seiner Kunst will er ausschließlich provozieren und die Internationale Staatengemeinschaft und ihr Verhalten direkt angreifen. Bei einem seiner öffentlichen Auftritte lässt er sich in einer Badewanne auf Rädern durch die Straßen der Stadt fahren. Die Wanne ist voll mit Blut, von dem er sogar trinkt. Eine lebensgefährliche und selbstaufopfernde Aktion, und ein offensichtliches Sinnbild für ein Land, das der Westen kolonialisiert und danach hat verbluten lassen.
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Kultursplitter
Nachruf Der französische Zeichner und Buchillustrator Tomi Ungerer ist tot. Der international bekannte Künstler starb in der letzten Woche im Alter von 87 Jahren in Irland, wo er seit den 1970er Jahren seinen Lebensmittelpunkt gefunden hatte. Der 1931 in Straßburg geborene Ungerer hatte sich unter anderem als Autor und Illustrator von Kinderbüchern einen Namen gemacht – bekannte Werke sind unter anderem „Der Mondmann“ und „Die drei Räuber“. Außerdem schuf er scharfzüngige Bilderbücher für Erwachsene. In Deutschland ist „Das große Liederbuch“ – eine illustrierte Sammlung von Volks- und Kinderliedern – seit vielen Jahren ein Verkaufsschlager. Nach Angaben seiner Internetseite veröffentlichte er mehr als 140 Bücher, die in 28 Sprachen übersetzt wurden. Ungerer wanderte in den 1950er Jahren in die USA aus, es verschlug ihn auch nach Kanada. Seit 1976 lebte er mit seiner Familie in Irland – blieb seiner elsässischen Heimatstadt aber immer treu. In Straßburg gibt es ein Tomi-Ungerer-Museum – mit Tausenden Zeichnungen, die er seiner Geburtsstadt überlassen hat. Er erhielt diverse Preise und Auszeichnungen, kassierte aber auch nicht wenige Strafanzeigen wegen Verleumdung, Beleidigung und Blasphemie. Beides „ertrug“ er mit bissigem Humor, obwohl ihm oft „mehr zum Kotzen war als zum Zeichnen“, so seine Haltung.
Mühsame „Reform“ Nach langem Feilschen um Begriffe und Formulierungen ist eine Einigung bei der „Reform“ des Urheberrechts auf EU-Ebene gefunden worden. Lange Zeit war es besonders zwischen der Bundesrepublik und Frankreich strittig, wie die Vergütung für Kunst- und Medienproduzenten aussehen soll, deren Inhalte auf Online-Plattformen wie Youtube veröffentlicht werden. Hauptsächlich ging es um den Artikel 13 des EU-Urheberrechts, der die Plattformen verpflichten soll, Kunst- und Medienschaffende für ihre Inhalte besser zu vergüten, und der sie verpflichtet, Inhalte zu entfernen, für die von den Urhebern keine Lizenz erteilt wurde. Deutschland wollte erreichen, dass Kleinunternehmen und Start-ups von der Pflicht ausgenommen werden, bei ihnen bereitgestellte Inhalte zu filtern. Dies lehnte Frankreich ab. Nach dem Kompromiss müssen Firmen für Ausnahmen drei Kriterien erfüllen: Sie müssen mindestens drei Jahre bestehen, ihr Umsatz muss weniger als zehn Millionen Euro betragen und die Nutzerzahl muss unter fünf Millionen pro Monat liegen. So weit, so schön, viel wichtiger wird, wer die Rechteinhaber dabei unterstützen wird, diese neue, wenn in nationales Recht umgesetzte, Vorgabe auch durchzusetzen.
Aus der Provinz Seit Januar gibt es eine Anti-Rassismus-Klausel für Theaterverträge, entworfen von der Juristin und Dramaturgin Sonja Laaser und der Regisseurin Julia Wissert. Das Theater Oberhausen ist die erste Bühne, an der Künstler die Klausel in ihren Vertrag aufnehmen wollen. Intendant Florian Fiedler begrüßt sie, doch die Verwaltung sperrt sich. Dabei soll es gar nicht darum gehen, mit der Anti-Rassismus-Klausel jemanden an den Pranger zu stellen, sagt Fiedler: „Der Leidensdruck muss schon sehr groß sein, bis jemand sagt, er bringt eine Premiere nicht raus. Am Theater werden Verträge nicht nur von der Intendanz gemacht, sondern vor allem eben auch von der Verwaltung.“ Ein Problem scheint zu sein, dass das Wort „Rassismus“ bei einigen Leuten starke Abwehrreaktionen hervorruft, sodass so eine eigentlich selbstverständliche Klausel abgewehrt wird. Das Theater Oberhausen ist das erste, das konkret mit der neuen Klausel konfrontiert wird und bei dem das auch öffentlich zum Thema wird. Nicht nur Theaterleute scheinen erkannt zu haben, dass unsere Gesellschaft an sich – und nicht einzelne Theater – strukturell rassistisch ist. Und wenn man bereit ist, das anzuerkennen, dann kann so eine Klausel natürlich auch helfen als Zeichen dafür, dass man bereit ist, sich damit auseinanderzusetzen. Herbert Becker
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Diskriminierung
In vier Monaten beginnt die Frauen-Fußballweltmeisterschaft in Frankreich (7. Juni 2019). Die Marketingabteilung der FIFA hat bereits jetzt eine erste Kampagne gestartet. Stars wie Nadine Keßler oder Lotta Schelin („Lotta Lightning“) werden darin zu Comic-Superheldinnen und wirbeln in den kommenden Monaten durch die sozialen Netzwerke. Macarena Sanchez wird nicht mit von der Partie sein, dabei wäre die Fußballerin aus Buenos Aires als Superheldin viel besser geeignet, denn sie nimmt es gerade mit sehr mächtigen Gegnern auf: mit den Funktionären ihres Klubs und des argentinischen Verbandes AFA. Und mit dem weit verbreiteten Machismo im Land.
Sanchez‘ Geschichte hat in Argentinien bereits für viel Aufmerksamkeit gesorgt, seit sie sich Mitte Januar mit einer Pressemitteilung über ihre Anwälte an die Öffentlichkeit gewandt hat. Sie hat rechtliche Schritte gegen ihren Klub, den Erstligisten Deportivo UAI Urquiza aus Buenos Aires, eingeleitet. Die 27-Jährige wurde suspendiert, nachdem sie verlangt hatte, als Profi-Fußballerin anerkannt zu werden, mit entsprechender Bezahlung und entsprechenden Rechten. Sanchez spricht in der Mitteilung von „betrügerischen Methoden“, in ihrem Klub und im gesamten argentinischen Profi-Fußball, die vor allem dem Zweck dienen, Spielerinnen den Status als Profisportlerin zu verweigern. „Die Arbeitnehmerrechte von argentinischen Fußballerinnen werden systematisch verletzt - aus dem einzigen Grund, dass sie Frauen sind.“ Macarena Sanchez spielt bei einem Spitzenklub, der auch in der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions-League, antritt. Sanchez bekommt 400 Pesos, umgerechnet 9 Euro im Monat als Zuschuss für Reisekosten. In anderen Erstligaklubs müssen die Spielerinnen Fahrtkosten und Ausrüstung sogar komplett selbst zahlen. Der Fußballerin geht es nicht nur um bessere Bezahlung und mehr Anerkennung in einem Land, in dem Fußball auch bei Frauen und Mädchen die Sportart Nummer eins ist. Sondern auch um grundlegende Rechte als Profisportlerin: medizinische Versorgung und Versicherung bei Verletzungen, sichere Anreise zu Spielen, Aufnahme in die Spielergewerkschaft. Weil ihr Klub Urquiza ihre Forderungen bislang ignoriert, ist Sanchez auf die Tribüne verbannt - und bleibt es noch mindestens bis zum Sommer, weil sie auch mitten in der Saison aufgrund der Regularien nicht zu einem anderen Verein wechseln darf. Sie will auch den argentinischen Verband rechtlich belangen, sollte er nicht die - auch in den FIFA-Regularien verankerten - Rechte zur Gleichstellung und gegen Diskriminierung umsetzen. Niemand soll glauben, hierzulande sei das alles viel besser geregelt. Klar erkennbar erhalten die Kickerinnen wesentlich weniger Aufmerksamkeit als ihre männlichen Kollegen. Und im Herrenfußball steckt entsprechend mehr Geld. Fernsehgelder, Sponsoringverträge und Kartenverkäufe – bei keiner dieser Einnahmequellen kann der Frauenfußball mit dem der Männer mithalten. Und mit dieser Sichtweise wird begründet, dass die Frauen auch in ihren deutschen/europäischen Vereinen weniger einnehmen. Als Spitzenverdienerin gilt Dzsenifer Marozsán, Spielführerin der DFB-Elf: Bei ihrem französischen Club „Olympique Lyon“ soll Marozsán mehr als 10 000 Euro im Monat verdienen. Damit liegt das Gehalt einer der bestbezahlten Fußballerinnen Europas allerdings noch ein gutes Stück unterhalb dessen, was männliche Drittligaspieler in Deutschland verdienen. Die meisten Fußballerinnen können von einem Einkommen wie Dzsenifer Marozsán nur träumen. Im Schnitt sind es weniger als 1 000 Euro im Monat, was die Bundesliga-Spielerinnen in Deutschland verdienen. Ein zweites Standbein ist daher wesentlich wichtiger als bei den Männern, die mit gut bezahlten Profi-Verträgen nach ihrer Fußball-Karriere schon ausgesorgt haben können. Und so studiert Torhüterin Almuth Schult an der Deutschen Sporthochschule in Köln, um nach der aktiven Laufbahn nicht mit leeren Händen dazustehen. Kolleginnen wie Verteidigerin Babett Peter oder Mittelfeldspielerin Lena Goeßling (ausgebildete Einzelhandelskauffrau) beziehen Sold bei der Bundeswehr, sie dienen als Soldatinnen in der Sportfördergruppe. Die USA waren das erste Land, in dem der Frauenfußball professionalisiert wurde. Allerdings sind bislang zwei Versuche gescheitert, Berufsfußball für Frauen dauerhaft zu etablieren. Die derzeitige Profi-Liga „National Women’s Soccer League“ existiert seit 2013, und besonders bemerkenswert: Während die US-Herrenfußballer nur im Mittelfeld der FIFA-Weltrangliste stehen, belegen die Fußballerinnen Platz 1 – und verdienen dennoch bedeutend weniger als die Männer. Sogar ein Streik der Frauenfußballerinnen stand zur Debatte, denn der US-Verband verdient durch den Frauenfußball mehr als durch den Männerfußball. In den USA greift die europäische Marketing-Begründung also nicht, die Diskriminierung, getragen von strukturellen Phänomenen der Unterdrückung der Frauen, führt zu den Gehaltsunterschieden zwischen den Geschlechtern. Es gibt ein weltweites Problem – nicht zuletzt im professionellen Sport. Und wenn dann noch der Machismo, den es nicht nur in Lateinamerika gibt, dazu kommt, wird es richtig ärgerlich.
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Der rote Kanal
Jodorowsky‘s Dune Frank Herberts Science-Fiction-Romanzyklus „Der Wüstenplanet“ gilt als Klassiker des Genres. 1975 plante der chilenische Regisseur Alejandro Jodorowsky, Herberts Werk zu verfilmen. Als Darsteller schwebten ihm Orson Welles, Mick Jagger und Salvador Dalí vor, die Ausstattung sollte vom Maler H.R. Giger stammen. Aus dem Projekt wurde jedoch nichts, weil sich die Geldgeber zurückzogen. Die US- Dokumentation zeichnet die Pläne und Produktionsprozesse sorgfältig nach. Fr., 15.2., 21.45 Uhr, arte
Kommissarin Heller Zum mittlerweile 9. Mal irrt die psychisch zumindest angeschlagene Wiesbadener Kommissarin zu Tatorten, Verdächtigen und ihrer Therapeutin. Ihr Filmpartner wurde aus der Serie herausgeschrieben, Winnie Heller muss es jetzt mit wechselnden Kolleginnen hinkriegen. Diesmal ist ein verurteilter Straftäter ausgebrochen, wer hat ihm geholfen, wer versteckt ihn? Die Psychotante hilft und mit großen Augen und herabgezogenen Mundwinkeln schafft es Lisa Wagner pünktlich nach 90 Minuten, alles zu erklären und aufzulösen. Sa., 16.2., 20.15 Uhr, zdf
Biester Ein Meisterstück des französischen Filmemachers Claude Chabrol, der ein wichtiger Vertreter der „Nouvelle Vague“ war. In diesem Film findet die wohlhabende Familie Lelièvre in der ruhigen Sophie, gespielt von Sandrine Bonnaire, die perfekte Haushälterin. Aber irgendwann entwickelt sie ungeahnte kriminelle Energie. Chabrol gelang eine gelungene Abrechnung mit der Upper Class. Das Thriller-Drama hat auch heute noch nicht an Wert verloren und brachte Isabelle Huppert ihren ersten César als beste Schauspielerin ein. Das Drehbuch schrieb Ruth Rendell, eine hervorragende Autorin klassischer britischer Kriminalromane. So., 17.2., 20.15 Uhr, arte
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Termine@unsere-zeit.de
FR • 15. FEB Würzburg: Gruppenabend der DKP-Unterfranken. Buchhandlung „Neuer Weg“, 1. Stock, Sanderstraße 23–25, 19 Uhr
Hamm: Kai Degenhardt – Auf anderen Routen, Lieder gegen den rechten Aufmarsch, Hoppegarden – Kulturwerkstatt, Oberonstraße 20–21, 20 Uhr
SA • 16. FEB München: Proteste gegen die NATO-„Sicherheits“konferenz, Frieden statt Aufrüstung, Nein zum Krieg, Stachus (Karlsplatz), 13 Uhr
Fulda: Demonstration „Wir sind Fulda #wirsindmehr“, Fulda stellt sich quer, Innenstadt, 16 Uhr
Warburg: Kai Degenhardt – Auf anderen Routen, Lieder gegen den rechten Aufmarsch, Kulturforum, Klockenstraße 3, 20 Uhr
MO • 18. FEB Münster: PAG – Gefahr für die Bürgerrechte?! Mit Gerd Dorka, DKP Münster, ODAK – Türkisches Kulturzentrum, Wolbecker Straße 1, 20 Uhr
DI • 19. FEB Essen: Die aktuelle Situation in Venezuela, mit Günter Pohl, DKP Essen-Steele, Haus der DKP, Hoffnungstraße 18, 19.30 Uhr
MI • 20. FEB München: Treffen der DKP München-Südost, KommTreff, Holzapfelstraße 3, 19 Uhr
DO • 21. FEB Nürnberg: Gruppenabend der DKP Nürnberg, Kommunalpolitik, Rotes Zentrum, Reichstraße 8, 19 Uhr
Fürth: Gruppenabend der DKP Fürth, Bildungszeitung zur EU, Infoladen Benario, Nürnberger Straße 82, 19.30 Uhr
Hamburg: Kai Degenhardt – Auf anderen Routen, Lieder gegen den rechten Aufmarsch, Polittbüro, Steindamm 45, 20 Uhr
FR • 22. FEB Frankfurt a. M.: Chile heute, mit Michael Roth aus Chile, DGB-Haus, Willi-Richter-Saal, Wilhelm-Leuschner-Straße 69-73
München: Kreisabend der DKP München, Viva Cuba socialista? mit Teilnehmern der UZ-Leserreise nach Kuba, KommTreff, Holzapfelstraße 3, 19 Uhr
DI • 26. FEB Fellbach: 70 Jahre NATO – 70 Jahre zuviel, Der neue Kalte Krieg, DKP Rems-Murr, Weinstube Rose, Bahnhofstraße 5, 18 Uhr
DO • 28. FEB Nürnberg: Gruppenabend der DKP Nürnberg, Schwerpunktthema: Kommunalpolitik, Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme Marienberg (StEM), Rotes Zentrum, Reichstraße 8, 19 Uhr
SO • 3. MÄR Essen: Frauentagsveranstaltung: Erzählt uns keine Märchen!, DKP-Frauenarbeitskreis, Zeche Carl, Wilhelm-Nieswandt-Allee 100, 12 Uhr
Terminankündigungen von Gliederungen der DKP gehören auch in die UZ! Bitte so schnell wie möglich, spätestens am Freitag eine Woche vor dem Erscheinungstermin der entsprechenden Ausgabe der UZ, möglichst auch mit Angabe des Themas der Veranstaltung an termine@unsere-zeit.de oder UZ-Redaktion, Hoffnungstraße 18, 45127 Essen.
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Nicht gegen die NATO
Das Weltwirtschaftsforum in Davos als – wie es im Artikel ironisch heißt – die „Zusammenkunft gieriger alter Männer“ durfte am zweiten Sitzungstag den Ausführungen der Bundeskanzlerin Merkel lauschen. Sie betonte die Machtinteressen der deutschen Monopolbourgeoisie. Diese will es sich einerseits nicht mit dem US-Imperialismus verderben, andererseits aber endlich aus der Rolle des „Juniorpartners“ herauswachsen. Originalton Merkel: „Wir wollen in Zukunft auch unsere Verteidigungsfähigkeiten zusammenlegen. Das ist auch eine Frage des Selbstverständnisses. Diese gemeinsame, strategische Verabredung, Verteidigungspolitik gemeinsam zu denken, ist nicht gegen die Nato gerichtet. Es kann der Nato sogar die Sache erleichtern, denn wir haben heute über 170 Waffensysteme, die Vereinigten Staaten von Amerika haben, glaube ich, unter 60, und Sie können sich vorstellen, was das für ein Effizienzverlust ist bei Training, Ausbildung, Wartung. Und die Entscheidung zum Beispiel von Deutschland und Frankreich, in Zukunft gemeinsam Kampfflugzeuge zu bauen, gemeinsam Panzer zu bauen, ist natürlich eine strategisch sehr, sehr wichtige Entscheidung.“ Die Rüstungsindustrie darf sich angesichts dieser klaren Auftragslage freuen – und die Kriegsgefahr steigt.
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Das Kapital geht über Leichen
Dass das „Recht auf Rasen“ hierzulande ein „Grundrecht“ ist, das walte „unsere“ Auto-Industrie. Deren Verdikt ist Befehl für den regierigen Ausschuss dieses Landes, der sich selbst Regierung nennt. Der Fall ist klar: das Kapital hierzulande (und nicht nur hier) geht über Leichen. Kaltlächelnd. Und das ist ein neuerlicher Beweis dafür. Noch hält sich das Rauten-Mutti bedeckt, wer letztlich für die Betrügereien der Auto-Industrie zahlen wird. Aber das Ergebnis kennen wir jetzt schon. Genauso wie die Gewissheit, dass die Regierigen dieses Landes lieber jedes Jahr die Bevölkerung einer Kleinstadt durch (vermeidbare) Unfälle ausrotten, anstatt den betrügerischen Moloch der Industrie in die Schranken zu weisen, zum Beispiel durch ein Tempo-Limit.
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Souverän ignoriert
Der Leserbriefschreiber irrt gewaltig, indem er behauptet, der Rezensent Franz Anger habe die „vorhandenen Leistungen des Buches“ von Kurt Bayertz „nirgendwo gewürdigt“. Denn durch Angers Rezension des marxologischen Meisterwerkes „Interpretieren, um zu verändern. Karl Marx und seine Philosophie“ wird deutlich, dass es einer irrwitzigen Leistung des Buchautors bedarf, um aus dem analysierenden Kapitalismuskritiker Karl Marx einen spekulierenden Philosophen zu machen, der einem metaphysischen Glauben anhängt. Irrwitziges muss Bayertz, emeritierter Professor für „Praktische Philosophie“, auch leisten, um die Praxis der revolutionären Arbeiterbewegung à la Marx für gescheitert erklären zu können. Der leistungsstarke Marxologe muss nämlich souverän ignorieren, dass es in Deutschland und anderswo kommunistische Parteien gibt, die der kapitalistischen Produktionsweise den Garaus machen wollen und sich deshalb für die Stärkung der revolutionären Arbeiterbewegung engagieren.
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Falsche Zahlen
Die Gelbwesten-Bewegung beklagt nachvollziehbar, dass Zahlen der beteiligten Aktivistinnen und Aktivisten vom französischen Innenministerium (!) übernommen werden. Die „ND“, „junge Welt“ und jetzt auch die UZ haben die Zahlen des Innenministeriums übernommen. Mögliche fehlende Kommunikation mit den französischen Genossinnen und Genossen zu den Aktivitäten und Teilnehmerzahlen bitte beheben.
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Es bleibt Kapitalismus
Was in der BRD als „soziale Marktwirtschaft“ bezeichnet und gar von Professoren der Volkswirtschaftslehre so gelehrt wird, ist und bleibt profitorientierter Kapitalismus, der sich im übrigen seit der Wende insbesondere im Zuge von Privatisierungen und des Ausbaus des Niedriglohnsektors sowie des schikanösen Hartz-IV-Systems mehr und mehr gegen die eigene Bevölkerung richtet.
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Nie wieder
Der Artikel „Kultur des Ausblendens“ von Christoph Hentschel stimmt voll und ganz mit meinen Erfahrungen in der politischen Praxis überein und spricht mir aus dem Herzen. Wir stellen uns dieser „Kultur des Ausblendens“ hier am Ort in Bergisch Gladbach mit allen Kräften entgegen. Die VVN, der DGB und die Schülervertretung sowie viele Demokraten unserer Stadt führen seit 1990 in Bergisch Gladbach anlässlich der Pogromnacht vom 9. November 1938 eine Mahnwache „Gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, für Toleranz und soziale Gerechtigkeit“ durch. An einem ehemaligen „wilden KZ“ der Nazis in Bergisch Gladbach erkämpften Antifaschisten der Stadt eine Gedenktafel, die 1990 (!) angebracht und eingeweiht wurde. Auf ihr steht: „Hier auf dem ehemaligen Gelände des Stella-Werkes wurden 1933 durch die SA Kommunisten gefangen gehalten und misshandelt. Jüdische Bürger wurden 1941 hier zwangsinterniert und anschließend in Konzentrationslager deportiert.“ Seit 1990 werden an dieser Gedenktafel jährlich am 9. November, in diesem Jahr zum 29. Mal, von der VVN/BdA im Bündnis mit dem DGB und der Schülervertretung Mahnwachen zum obengenannten Thema durchgeführt. Dabei gedenken wir aller Menschen, die unter den Nazi-Schergen gelitten haben und umgebracht wurden. Wir skizzieren die gegenwärtige politische Situation, gehen auf die Gefahr ein, die von den Rechtsradikalen, den Neonazis und der AfD ausgeht, und fühlen uns als Antifaschisten, Demokraten mit unserem Handeln verantwortlich, dass so etwas nie wieder geschieht.
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Gewusst wie
Es gab keine Kraft-Wärme-Kopplung und es gab keine Heizungsthermostate und die Wärme war (scheinbar!) billig (Warmmiete?) und deshalb hat niemand an sparsamen Umgang gedacht? Ich stimme bedingt zu. Geheizt wurde teilweise wirklich ziemlich sorglos, in meiner Schule wurden im Winter lieber die Fenster geöffnet, statt den Heizer um etwas mehr Zurückhaltung zu bitten. Andererseits wurde vom Staat/der Partei einiges unternommen, um ein Bewusstsein zu schaffen. Es gab da eine ganz gute Sendung im Fernsehen: „Gewusst wie – spart Energie!“ Und die Braunkohle haben wir ja nicht aus Jux und Dollerei verstromt. Was hatten wir für Alternativen? Aber ich muss offen zugeben: Klima- und Umweltschutz standen anno dunnemal wirklich nicht großartig auf dem Plan. Das konnte sich nur der „reiche“ Westen leisten.
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Die DDR ist schuld?
Ganz abgesehen davon, dass Herr Utsch nur die CO2-Statistik anführt, die angeblich für die DDR galt (und die für die BRD gar nicht erwähnt). Braunkohle war bis zu den Pipelines Öl nach Schwedt und Erdgas nach Lubmin aus der Sowjetunion fast unsere einzige Energiequelle. Der CO2-Ausstoß wurde technisch so gut es ging reduziert. Die DDR ist also am Klimawandel schuld. Herrlich! Und was ist mit der einen Million LKW, die täglich auf den Straßen der jetzigen BRD sausen? Mit Diesel angetrieben. Sind die alle sauberer als die VW-Diesel? Von denen spricht kaum jemand, wenn es um dieses Thema geht. Und außerdem: Mit Regierungsbeschluss, der auch streng durchgesetzt wurde, durften in der DDR nur 20 Prozent der Güter mit LKW transportiert werden. Heute sind die dafür nötigen Neben- und Anschlussgleise weg oder verfilzt. Großhandelslager werden auf der grünen Wiese gebaut, ohne Gleisanschluss. Wenn man schon solche Urteile fällt, sollte man sich erst mal zur Sache erkundigen. (…)
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Gottgegebener Hinterhof
Warum Washington seit Jahren Regime-Change in Venezuela betreibt: Das Land besitzt die größten Erdöl- und die viertgrößten Erdgasreserven des Planeten. Die jetzige, demokratisch gewählte Regierung in Caracas will diesen immensen Reichtum selbst verwalten und dem eigenen Volk zugute kommen lassen. Venezuela verfolgt eine eigenständige, nicht Washington hörige Außenpolitik. Venezuela will eine multipolare Weltordnung. Es möchte Gesundheit, Bildung und Kultur für die gesamte Bevölkerung und nicht nur für die Oberschicht. Venezuela hat den Mut, offen den US-Imperialismus zu kritisieren. Das sind die wahren Gründe der US-geführten Umsturzversuche. Die USA betrachten ganz Lateinamerika, inklusive seiner Bodenschätze und Märkte, als ihren gottgegebenen Hinterhof, den sie nach Gusto ausbeuten und verwalten dürfen – siehe Monroe-Doktrin. Wer sich dieser Doktrin entgegenstellt, muss entfernt werden.
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Nicht überzeugend
Ich bin nicht überzeugt“, erklärte der damalige Außenminister Fischer auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2003 zu den Vorwürfen, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen. Er tat es nicht aus eigener Überzeugung. Millionen Menschen demonstrierten damals weltweit gegen den Krieg und drängten Fischer zu seinem zaghaften Ausruf. Sie wussten: Die Massenvernichtungswaffen waren – eine Lüge. Ganz anders beim Krieg um Syrien. Der Einsatz von Chemiewaffen hat die Geschichte dieses Krieges wesentlich mitbestimmt, weil ihr Einsatz das Ausland mobilisiert – gegen die syrische Regierung. Die Regierungen des Westens waren von vornherein einig: Eingesetzt wurden chemische Waffen von den syrischen Streitkräften. Und dieser Konsens reicht weit über die Regierungen hinaus bis in die Reihen der Friedensbewegung und der Linken. Gegen den Aufruf zum „Regime Change“ wäre ein „Nicht überzeugt“ lange Zeit fast ein Akt des Widerstandes gewesen. Internationale Aufmerksamkeit erregten Chemiewaffen in Syrien auch am 4. April 2017, als in Khan Sheikhoun bei einem Angriff bis zu 100 Menschen durch Sarin getötet wurden. Die USA bombardierten in der Folge den Flughafen, der Ausgangspunkt des Angriffs gewesen sein soll. Der Chemiewaffeneinsatz vom 4. April 2017 wurde vielfach untersucht. Die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) entsandte eine „Fact Finding Mission“ (FFM), der „Joint Investigative Mechanism“ (JIM), der gemeinsame Untersuchungsausschuss von OPCW und UN, sollte später nicht nur weitere Fakten ermitteln, sondern auch einen Schuldigen finden. Seymour Hersh, Robert Parry, Scott Ritter und Theodore Postol widersprachen dem Grundkonsens. Die ersten beiden sind erfahrene Journalisten, die beiden anderen sind ausgewiesene Experten. Sie meinen: Es war ein von Dschihadisten inszenierter Vorfall. Doch vor mehr als einem Jahr übermittelte JIM den offiziellen und autoritativen Abschlussbericht an den UN-Generalsekretär, der das Geschehen vom 4. April 2017 klärte. Das Urteil über die Syrische Arabische Republik: Schuldig!
Der Angriff Das Geschehen, das in einem Einsatz von chemischen Kampfstoffen endete, begann mit einer Offensive der terroristischen Organisation Hayat Tahrir al-Sham (HTS) aus Idlib in Richtung Hama. Die syrische Armee hatte nach einigen Tagen die Kontrolle über die Gebiete zurückerlangt, die sie zunächst an HTS verloren hatte, und war tief in die Gebiete der Dschihadisten vorgedrungen. Zur gleichen Zeit schien sich die US-Regierung von den Dschihadisten abzuwenden und sich mit Assad als syrischem Präsidenten abzufinden, wie Seymour Hersh beschreibt. Mehrere Vertreter der US-Regierung erklärten zu dieser Zeit sinngemäß, die USA würden „Realitäten“ akzeptieren müssen. Die Dschihadisten standen mit dem Rücken zur Wand. Hersh berichtet von seinen Quellen, dass nach ihren Informationen ein Treffen hochrangiger Militärführer der Dschihadisten in Khan Sheikoun nach einem Ausweg aus der verzweifelten Situation suchte. War ein inszenierter Angriff mit Chemiewaffen dieser Ausweg? Der 4. April 2017 war ein gewöhnlicher Tag in Khan Sheikoun. Das Wetter war klar, der Wind wehte mäßig. Das begünstigte den Einsatz von chemischen Kampfstoffen. Es gab Verletzte und Tote, die Verletzten wurden in eines von fünf Krankenhäusern in Khan Sheikoun aufgenommen. Andere kamen in Krankenhäuser in 30 bzw. 125 Kilometern Entfernung. Die ersten Opfer des Chemieangriffs wurden gegen 6 Uhr früh in Krankenhäuser aufgenommen. Das Flugzeug mit seiner tödlichen Fracht stand da noch auf der Rollbahn. In mindestens 57 Fällen wurden Patienten als Opfer eines Chemiewaffenangriffs in ein Krankenhaus eingeliefert, bevor der Angriff überhaupt stattgefunden hatte. So beschreibt es JIM in dem Bericht an den UN-Generalsekretär. Und fragt: War es inszeniert oder dokumentierten die Krankenhäuser im Chaos des Ansturms eine falsche Zeit? Die Antwort: Das ist gleichgültig und wir prüfen das nicht weiter. Die OPCW prüfte auch etwas anderes nicht weiter. Da das Sarin nur sehr langsam in seiner Wirkung nachlässt, ist die Behandlung von Vergiftungen mit derartigen Kampfstoffen außerordentlich schwierig. Nicht in Khan Sheikoun. Als nach vier Tagen die ersten Beobachter der FFM in türkischen Krankenhäusern eintrafen, mussten sie überrascht feststellen: Die meisten Verletzten hatten das Krankenhaus bereits verlassen. Genau genommen wurden bis zu zwei Drittel der Patienten bereits nach einer Stunde wieder entlassen. Wie man dem Bericht der FFM entnehmen kann, hatte ein Krankenhaus in Idlib dokumentiert: 50 von 75 Patienten wurden schon nach einer Stunde heimgeschickt. Und was war mit den Schwerverletzten, die mit Sarin-Vergiftung noch nach vier Tagen in einem türkischen Krankenhaus lagen? Die Blutproben von drei der Verletzten zeigten: Sie waren Sarin nicht ausgesetzt. War das Ganze also Teil des Versuchs, die Bedeutung des Vorfalls zu übertreiben, wie JIM an einer anderen Stelle fragt – und nicht beantwortet? Auch die Zahl der Toten ist nicht wirklich bekannt. Die FFM sammelte medizinische Unterlagen, Sterbeurkunden und ähnliches im gesamten Norden Syriens, wie es in ihrem Bericht heißt. Hilfreich waren dabei sogenannte NGOs wie die „Syria Civil Defense“, besser bekannt unter dem Namen Weißhelme. Was auch immer man über die Weißhelme sagen mag, eines sind sie mit Sicherheit nicht: eine NGO. Schließlich wurden bzw. werden sie von einer Vielzahl von Regierungen von NATO-Staaten finanziert. Auch die deutsche Regierung ist mit Millionenbeträgen dabei. So gab die OPCW den Weißhelmen die Möglichkeit „im gesamten Norden Syriens“ Sterbeurkunden zu sammeln – und womöglich zu übertreiben. Wir wollen keineswegs die Bedeutung des Vorfalls herunterspielen. Vielmehr müssen wir uns fragen: Welchen Hinweis auf die eingesetzte Waffe gibt es, wenn drei von zehn Erkrankten keinem Sarin ausgesetzt waren und zwei Drittel der Patienten umgehend aus dem Krankenhaus entlassen werden?
Das Flugzeug Wie gelangte das Gift nach Khan Sheikoun? Die Fact Finding Mission der OPCW fand keinen materiellen Hinweis auf irgendeinen Mechanismus, der das Sarin freigesetzt hätte. Der Joint Investigative Mechanism fand auch keine „Bombenreste“, meinte aber, dass eine Bombe, die von einem Flugzeug abgeworfen wurde, die gefundenen Fakten am besten erkläre. Deshalb ging JIM im Detail der Frage nach, ob ein Flugzeug Khan Sheikoun angegriffen habe. Zeugen wurden benannt, Videos diskutiert, Aufzeichnungen gesammelt, alles sehr akribisch und professionell. Radaraufzeichnungen sahen ein Flugzeug in fünf Kilometer Entfernung, ein syrischer Pilot erklärte, er habe sich Kahn Sheikoun bis auf acht Kilometer genähert. Und ein Experte teilte mit, die richtige Höhe, Flugrichtung und Geschwindigkeit vorausgesetzt sei es möglich, aus fünf Kilometer Entfernung eine Bombe abzuwerfen und Khan Sheikoun zu treffen. Es ist offensichtlich, dass ein Flugzeug mit der richtigen Höhe, Richtung und Geschwindigkeit eine Bombe auf ein beliebiges Ziel wird abwerfen können. Die Frage aber ist: Flog das Flugzeug in der richtigen Höhe, in die richtige Richtung und mit passender Geschwindigkeit? Dieser Frage geht JIM nicht nach. Was also bleibt als Ergebnis all dieser Diskussionen? Die FFM fand keine Bombe und JIM kein Flugzeug: „Der Mechanismus hat bis heute keine spezifische Information, ob oder ob nicht eine Su-22 der syrischen Luftwaffe einen Luftangriff auf Khan Sheikoun durchgeführt hat.“
Der Krater Es gibt den materiellen Beweis eines Angriffs: Den Krater. Aus seinen Spezifika – Tiefe, Gestalt und ähnliches – schließt JIM: Dieser Krater kann nur von einer Bombe erzeugt worden sein, die mit hoher Geschwindigkeit und geringer Sprengwirkung auftraf. Mangels anderer materieller Beweise nimmt der Krater eine zentrale Rolle in der Argumentation von JIM ein. JIM zitiert viele Experten, die einen Bombenabwurf aus einem Flugzeug für wahrscheinlicher hielten als eine andere Ursache – obwohl kein Angriff eines Flugzeugs identifiziert wurde. Vor allem die syrische Regierung schlug dagegen vor, dass der Krater von einem IED, einer improvisierten Bombe, erzeugt wurde, der Sprengsatz habe Sarin aus einem Behälter freigesetzt. Diese Hypothese wurde von JIM nicht als unmöglich, aber als weniger wahrscheinlich zurückgewiesen. Nach einer Reihe von Simulationen und Berechnungen meint Theodore Postol, ein Artilleriegeschoss habe den Krater erzeugt. In Computersimulationen konnte er zeigen, dass solch ein Geschoss einen Krater erzeugen würde, der die gleichen Spezifika aufweist wie der reale Krater in Khan Sheikoun. Ein Artilleriegeschoss aber bedeutet: Dschihadisten.
Das Urteil Die FFM fand keine Bombe und JIM kein Flugzeug. Die Anzahl der Opfer ist nicht wirklich bekannt. Doch das Urteil lautet: „Die Leitung des JIM kommt zu dem Schluss, dass die Syrische Arabische Republik verantwortlich für den Angriff ist. Auffälligkeiten, die es gegeben hat, stehen dem nicht entgegen.“ Freilich wurden die Auffälligkeiten nicht untersucht. Eine Inszenierung durch Dschihadisten, für die es eine Reihe von Indizien gibt, wird von JIM ausgeschlossen. Doch das gelingt nur, indem man Wahrscheinlichkeiten zu Gewissheiten umdeutet, unpassende Fakten ignoriert – und indem man die eigenen Vorschriften ignoriert. Bei derartigen Untersuchungen muss die OPCW – als externer Akteur – die Kontrolle ausüben. Sie muss Zeugen auswählen, Bodenproben entnehmen und unter Kontrolle halten, Aufzeichnungen auf Echtheit und Richtigkeit prüfen. Im Falle von Khan Sheikoun geschah das nicht. Hier wurden Vertreter oder zumindest Unterstützer einer Konfliktpartei – die Weißhelme und andere Gruppen – beauftragt, Proben zu entnehmen, Dokumente zu sammeln und Zeugen zu benennen. Der Joint Investigative Mechanism muss die Fakten übermäßig strapazieren, um zu seinem Urteil zu gelangen. So endet die Untersuchung im Nebel, gerade weil JIM und FFM sich nicht an die eigenen Vorschriften hielten. Doch es funktioniert. Bis weit in die Linke hinein wird das Verdikt akzeptiert.
Die Wirkung Die Wirkung einer Untersuchung wie der des Joint Investigative Mechanism beruht natürlich in erster Linie auf dem Grundkonsens: Assad war es. Dieser Grundkonsens wird geteilt von Regierungen und einem modernen grünen Milieu, das für „Regime Change“ von außen steht und bis in die Linke und die Friedensbewegung reicht. Die russische Delegation bei den UN lehnt die Schlussfolgerungen des JIM zu Recht ab. Doch erreicht ihre Darstellung der Fakten bei weitem nicht die Professionalität der Darstellung und Selbstdarstellung wie der Bericht des JIM. Professionell, unparteiisch, exzellent, hingebungsvoll, entsprechend internationaler Standards – so beschreibt JIM die eigene Arbeit. Ausführlich werden Flugpfade diskutiert und erklärt, wo und wann Triebwerke von Flugzeugen zu hören waren. Aufzeichnungen von Krankenhäusern werden studiert; akribisch und von exzellenten Labors werden Boden- und Blutproben analysiert. Doch wie ein Zauberer seine Zuschauer verwirrt und vom Wesentlichen ablenkt, verbirgt dieser Aufwand den grundlegenden Fehler der Untersuchung: Dass die Kontrolle über wichtige Teile des Prozesses bei den Weißhelmen lag und nicht bei der OPCW. Die OPWC betrachtet die Weißhelme als Partnerorganisation. Und hat recht damit: Die Weißhelme werden von den Staaten finanziert, die am Regime Change arbeiteten. Die Kontrolle über einen Teil der Untersuchung an die Weißhelme und andere Gruppen zu übergeben, die sich als NGO beschreiben und von Staaten finanziert werden, hat den Wert der Untersuchung zerstört. Im Krieg um den Regime Change gibt es keine „unpolitische“, an Fakten orientierte Untersuchung.
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Autoritär, neoliberal, deutsch
Eine sehr aktuelle und seriöse Meinungsumfrage ergab, wie die Franzosen derzeit über die Europäische Union denken. Auf die ihnen gestellte Frage: „Zu welcher geografischen Einheit gehören Sie Ihrer Meinung nach vor allem? In der Umfrage antworteten 39 Prozent der Befragten: „Frankreich“, 23 Prozent nannten ihre „Stadt“, 18 Prozent ihre „Region, Provinz oder Departement...“. , 11 Prozent „die Welt“ (die ganze!) und zu guter Letzt „Europa“ für … nur 6 Prozent. Die Vorstellung, die wir in Frankreich vom europäischen Ideal haben würden, würde daher genau der Situation entsprechen, in die der Prozess des gemeinschaftlichen Aufbaus derzeit eintaucht: die totale Flaute.
Das „Nein“ der Franzosen Es ist so, dass die Mehrheit der Franzosen immer an ein Ereignis denkt, das für sie von grundlegender Bedeutung ist. Am 29. Mai 2005 sagten 54,68 Prozent der Wähler „Nein“ bei der Volksabstimmung über den Vertrag über eine „Verfassung für Europa“. Dies trotz der Flut von proeuropäischer Medienpropaganda und der Mobilisierung vieler schwärmerischer Intellektueller. In vielen Teilen des französischen „Sechsecks“ lag die Ablehnung sogar weit über 60 Prozent: im Norden und Süden des Landes, aber auch in den unterbevölkerten Regionen der „Diagonale der Lücke“, von der Maas bis in die Landes. Tatsächlich hatten nur die Departements – die zu den reichsten Frankreichs gehören – Bas-Rhin (an der Grenze zu den Bundesländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz), Yvelines, Hauts-de-Seine und Paris – ganz zu schweigen von den Karibischen Antillen und dem südamerikanischen Guyana – ihre Unterstützung für das „Ja“ deutlich zum Ausdruck gebracht. Doch durch eine schändliche und besonders gewalttätige Verweigerung der Demokratie unterzeichneten die herrschenden Eliten – Präsident Nicolas Sarkozy unterstützt von den hohen europäischen Behörden – 2007 den Vertrag von Lissabon, der alle Bestandteile des zuvor abgelehnten Verfassungstextes enthielt, und ließen dann 2008 die Revision der französischen Verfassung ratifizieren. Dieser Akt des Verrats an dem Willen des französischen Volkes wurde am 4. Februar 2008 im Schloss von Versailles symbolisch vollbracht – genau dort, wo Präsident Emmanuel Macron vor wenigen Tagen gerade die großen Bosse der mächtigsten multinationalen Unternehmen empfangen hat, um sie von „Choose France“ zu überzeugen und sich dort niederzulassen. Gegebenenfalls wird nachgewiesen, dass die Konsolidierung der Europäischen Union auf eine Weise erfolgt, die alles andere als demokratisch ist. Es ist wahr, dass auf französischer Seite die „Gründerväter Europas“ keine wirklich großen Fortschrittlichen waren: Jean Monnet, aus tiefstem Herzen Antiparlamentarier, war die Schlüsselfigur in den angloamerikanischen politisch-finanziellen Netzwerken; Robert Schuman, ein ultrakonservativer und antisäkularer Politiker, diente Stahlmagnaten und war ein leidenschaftlicher Bewunderer der christlichen Unternehmensfaschisten Dollfuß und Horthy; Maurice Lagrange, bevor er 1951 den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl entwarf, war knapp zehn Jahre zuvor unter Vichy einer der bekannten Inspiratoren und eifrigen Vollstrecker der antijüdischen Gesetze der „Nationalen Revolution“.
Antidemokratisch und unsozial Die extreme Härte der von der Europäischen Union ständig angewandten antisozialen Politik ist zu bekannt, als dass lange Ausführungen notwendig wären. Die Menschen sind seit vier Jahrzehnten Gewalt ausgesetzt: Deregulierung und Zurückfahren des Staates, Lohnsparmaßnahmen, Kürzung der Haushaltsausgaben, Abbau der Sozialsysteme, Flexibilität des Arbeitsmarktes, Verarmung und Arbeitslosigkeit, Liberalisierung von Kapitaltransfers etc. Alle Schritte zur Verwirklichung des neoliberalen Programms wurden von hohen Beamten und ohne die Beteiligung der Menschen konzipiert und umgesetzt. Die Terminologie, die die Brüsseler Bürokratie in solchen Fällen üblicherweise verwendet, um von Regierungen zu sprechen, die taub gegenüber Forderungen aus dem Volk sind und das Urteil der Wahlurne nicht respektieren, ist „autoritär“ (wenn ihr Regime rechts ist) oder „diktatorisch“ (wenn es linksgerichtet ist). Lassen Sie uns daher sagen, dass die Regierungsform der Europäischen Union seit ihren Anfängen „autoritär“ ist. Das europäische Geschenkpaket wurde der Öffentlichkeit in einer schönen blauen Verpackung mit goldenen Sternen und in wohlwollende und pazifistische Slogans gehüllt präsentiert. Das vorrangige Ziel war jedoch klar: transnationalen Unternehmen aus den Partnerländern exorbitante Macht auf europäischem Boden zu bieten, mit dem zusätzlichen Bonus eines juristischen Werkzeugkastens, der darauf abzielt, Privateigentum zu heiligen und jeden Übergang zum Sozialismus strikt illegal zu machen. Mit dem Ziel, allen Europäern die Führung eines kapitalistischen Marktes aufzuzwingen, der von Oligopolen beherrscht wird, die von der Rechenschaftspflicht gegenüber den Völkern (oder ihren Parlamenten) befreit sind, verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der Union 1986 die „Einheitliche Akte“ – nachdem sie alle ein Jahr zuvor zum Klang von Beethovens Neunter Symphonie die köstlichen Zeilen von Schiller gesungen hatten: „Deine Zauber binden wieder/Was die Mode streng geteilt; Alle Menschen werden Brüder/Wo dein sanfter Flügel weilt“. Die Falle schloss sich für die Völker völlig, als sie dazu gebracht wurden, an die große Absurdität zu glauben, dass eine einheitliche Währung ohne einen Staat geschaffen werden könnte und dass selbst ein politisches Europa nicht wirklich existiert hätte. Dies war ein ursprünglicher Fehler in diesem Europa, das behauptet, mit Gewalt extrem unterschiedliche Volkswirtschaften zusammenzuführen, ohne die politischen Institutionen auf regionaler Ebene zu stärken oder die soziale Harmonisierung von oben zu fördern, was nichtsdestotrotz wünschenswert wäre. Es ist daher durchaus logisch, dass sich dieses „schlechte Europa“, das sich gegen seine eigenen Völker wandte, von Natur aus antidemokratisch und unsozial, die nationalen Gesetze und Rechtssysteme seiner vollständigen Hierarchie und damit alle Wirtschaftspolitiken der Mitgliedsländer der Eurozone seiner gnadenlosen Ordnung unterwirft, sich zunehmend offen und massiv abgelehnt sieht.
Das Frankreich des kleinen Königs Einige träumten eine Weile, auf beiden Seiten des Rheins – vor allem an seinem Westufer –, dass Präsident Emmanuel Macron die lang erwartete Führungspersönlichkeit sein würde, der es endlich gelingen werde, ein inzwischen angestaubtes und umstrittenes europäisches Projekt wieder in Gang zu bringen. Was könnte besser sein als ein ehemaliger Investmentbanker, um das Vertrauen in die herrschenden Klassen wiederherzustellen und ihre Begehrlichkeiten zu erfüllen? Die hübsche „föderalistische Leuchtrakete“ des französischen Präsidenten startete im September 2017 an der Sorbonne, musste aber ein Jahr später unter dem Buhrufen gelber Westen auf den Boden zurückkehren. Der kleine Napoleon der „französischen Startup-Nation“ („La Tribune“), der „ein Reich“ erobern wollte, um die Formulierung seines Wirtschafts- und Finanzministers Bruno Le Maire zu verwenden, nicht einmal von seinen Bettlern respektiert! Glücklicherweise ist die Polizei noch immer für ihn da (nur, wie lange noch?), um sie zum Schweigen zu bringen, mit Schlagstöcken, Tränengas, Hochdruck-Wasserwerfern und Blitzgeschossen. Ergebnisse der Unterdrückung: mehr als 2 000 Verletzte, darunter etwa 100 Schwerverletzte (Verstümmelungen, Entstellungen usw.), 6 475 Verhaftete, 5 339 in Polizeigewahrsam, mehr als tausend Verurteilungen (vom 17. November 2018 bis 7. Januar 2019). Das ist das Frankreich des kleinen Königs Macron. Der legitime Zorn des Volkes wird nicht ruhiger werden: Er wurzelt in der radikalen, endgültigen Ablehnung von Ungerechtigkeiten.
Die Deutsche Mark heißt nun Euro Zu sagen, dass Emmanuel Macron die deutschen Eliten enttäuscht hat, ist eine Untertreibung. Vielleicht haben nur Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Wirtschaftsminister Peter Altmaier Großmut gezeigt – man muss hoffen, das zu retten, was noch vom europäischen Projekt zu retten ist. Die anderen zeigten weniger Mitleid und griffen denjenigen an, der sich für einen Monarchen hielt. Man hörte, wie der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, dem französischen Präsidenten seine Haushaltsschwächen und die (angebliche) Großzügigkeit gegenüber den gelben Westen vorwarf. Aber welche genau? Denn den Demonstranten ist fast nichts zugestanden worden. In einem Leitartikel im „Spiegel“ heißt es, dass der vermeintlich übergroße französische Sozialstaat zur Besinnung kommen und den Mindestlohn, die Rente und das Arbeitslosengeld kürzen sollte; in den Kolumnen der „Bild“, dass es nicht möglich ist, „weniger zu arbeiten und mehr zu verdienen“; oder in denen der „Welt“, dass Frankreich zu einem „Risikofaktor“ geworden sei. Müssen wir Inseln verkaufen, um aus den Schulden herauszukommen? In diesem einzigartigen Kontext wurde gerade der Vertrag von Aachen unterzeichnet – damit wir glauben sollen, dass die europäische Integration, die durch den Schock des Brexits traumatisiert und von besorgniserregenden Zentrifugalkräften (Italien, Polen, Ungarn, …) schlecht behandelt wurde, weiter vorangekommen ist. Emmanuel Macrons Weitblick sieht die mögliche Rettung der europäischen Idee nur durch eine immer umfassendere Unterwerfung Frankreichs unter Deutschland vor. Hier die Wahrheit zu sagen, die alle Kapitalisten kennen, wird weder Deutschland noch die Deutschen beleidigen: Die neoliberale Europäische Union ist in erster Linie ein Raum für die Hegemonie der deutschen Oligopole (Konzerne), die, um die Interessen der nationalen herrschenden Klassen zu durchsetzen, die neue Deutsche Mark, nämlich den Euro, verteidigen. Aus diesem Grund – und wegen des angeborenen Atlantizismus – hat sich Großbritannien immer dafür entschieden, außerhalb der Eurozone zu bleiben und hat kürzlich trotz sehr starker innerer Spannungen als Ausweg seine nationale Souveränität wieder aktiviert. Und aus dem gleichen Grund sind alle Völker Europas – das deutsche Volk eingeschlossen – zum neoliberalen Fegefeuer verurteilt. Am 21. Januar 1793 enthaupteten die Franzosen auf der Place de la Révolution in Paris einen König, zehn Monate später eine Königin. Nach mehr als zehn Wochen der Mobilisierung gelber Westen erklärte Präsident Macron vor 150 Big-Bosses der glücklichen kapitalistischen Globalisierung: „Wenn sie (Ludwig XVI. und Marie-Antoinette, Anmerkung des Autors) ein solches Ende gefunden haben, dann deshalb, weil sie auf Reformen verzichtet hatten.“ Er fügte hinzu, dass „Frankreich auf dem Weg zur Reform ist.“ Mit „Reformen“, übersetzt „Zerstörung“: die des Staates und öffentlicher Maßnahmen, Arbeitslosenversicherung, Renten und im Grunde genommen Frankreichs. Dies begann, als Emmanuel Macron, ehemaliger Wirtschaftsminister von Präsident François Hollande, den Verkauf ganzer Sektoren der heimischen Industrie – von der Energieabteilung von Alstom über Alcatel, Technip oder STX – an ausländische transnationale Unternehmen genehmigte und dabei in den USA beheimatete Konzerne bevorzugte.
Linke EU-Illusionen Auf der linken Seite des politischen Spektrums in Frankreich glauben die meisten Verantwortlichen von Partei- und Gewerkschaftsorganisationen, dass es einen Weg gibt, „ein anderes Europa“, das „gute Europa“, aufzubauen. Die fortschrittlichen Kräfte werden sich jedoch eines Tages darauf verständigen müssen, dass diese Hoffnung im derzeitigen Rahmen des Vertrags über die Europäische Union vergeblich ist, der per Gesetz jede auch nur geringfügige Änderung seiner Regeln verbietet, bis sie zuvor einstimmig angenommen und dann in jedem der 28 Mitgliedstaaten ratifiziert wurde. Mit anderen Worten, die europäischen neoliberalen Diktate können nicht abgeschwächt werden, weil sie nicht dazu da sind, diskutiert, geschweige denn in Frage gestellt, sondern ausgeführt zu werden. Ihre generellen Sparmaßnahmen und die systematische Zerschlagung der öffentlichen Dienste, die jetzt anstehen, um den Kapitalismus in der Krise zu retten und das Wachstum wiederzubeleben, sind nicht nur destruktiv, sondern auch absurd. Sie sind der sicherste Weg, diese Krise weiter zu verschärfen und das System in den Abgrund zu treiben. Dies geschieht durch politische Förderung des Aufstiegs von rechtsextremen Demagogen, Rassisten. Sie sind Komplizen der etablierten Ordnung – weil sie pro-kapitalistisch sind. Niemand weiß genau, was die Folgen sein würden, wenn man den Euro und/oder die Europäische Union verlassen würde. Aber es ist sicher, dass es besser ist frei zu leben als in Ketten. Was die Franzosen wissen, ist, dass ihnen die Kontrolle über ihre Währung und ihren Haushalt entzogen wurde, beschlagnahmt von einer Brüsseler technokratischen Elite, die ohne einen Finger zu rühren die Befehle von deutschen Entscheidern befolgt, die selbst seit 74 Jahren – trotz der zaghaften Autonomie-Versuche eines ehemaligen Kanzlers – US-amerikanischen Oligarchen in der Finanzierung des Krieges gegen Arbeiter im Norden und die Völker des Südens strikt folgen. Das ist, schonungslos gesagt, die wahre Pyramide der Macht. Seit dem Abend des 9. November 1989 verfolgt ein Gespenst die Linken Europas: das der Niederlage. Es wird bald 30 Jahre her sein; 30 Jahre, seit die Anführer der fortschrittlichen europäischen Organisationen unter den Trümmern der Mauer begraben wurden, 30 lange Jahre, seit sie das Wort „Sozialismus“ nicht mehr ausgesprochen haben, dass sie es vermieden haben, an eine kollektive postkapitalistische Zukunft durch den sozialistischen Übergang zu denken. Aber gibt es eine andere Möglichkeit, die Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen? Wir sollten den linken Führern von unten helfen, neue, elementare soziale Perspektiven ohne Tabus oder Komplexe zu überdenken: die Verstaatlichung des Bankensystems und der strategischen Sektoren der Wirtschaft, die Neudefinition der politischen Rolle der Zentralbanken, die Wiederherstellung der Wechselkurskontrollen über die Finanzströme, der teilweise Erlass von öffentlichen Schulden, die umfassende Umverteilung des Reichtums, der Wiederaufbau hochwertiger öffentlicher Dienstleistungen, die Ausweitung der Beteiligung der Bevölkerung oder (warum nicht?) eine andere fortschrittliche und respektvolle europäische Regionalisierung des Südens.
Übersetzung aus dem Französischen: Andreas Spector, www.ueber-setzer.de
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Hand in Hand
Deutsche Banken, die während der Weltwirtschaftskrise von 2008 mit Milliarden-schweren Rettungspaketen, bezahlt von den Steuerzahlern, am Leben erhalten wurden, leihen heute Milliarden an deutsche Rüstungsunternehmen, die von den Rüstungsvorhaben der EU in Zukunft Milliarden Euro Gewinne erwarten können. Im Rahmen von PESCO, dem neuen Verteidigungsbündnis der EU (mit Ausnahme von Dänemark, Malta und Großbritannien) planen mehrere Rüstungsprojekte, an denen die oben genannten Firmen beteiligt sein werden. Die drei größten Projekte im Überblick:
1. Eurodrohne (European MALE RPAS) Die Eurodrohne soll bis 2025 einsatzbereit sein. Bei der Entwicklung ist maßgeblich Airbus beteiligt. Allein die Definitionsstudie hat 85,79 Millionen Euro gekostet, es wird mit einer Milliarde Euro Entwicklungskosten gerechnet, aber wirklich absehbar sind die Kosten noch nicht. Die Eurodrohne wurde am 19. November 2018 offiziell in die PESCO überführt. Deutschland übernimmt die Führungsrolle bei dem Projekt.
2. Kampfpanzer (MGCS) Für die Kampfpanzer Leclerc aus Frankreich und Leopard 2 aus Deutschland soll in Kooperation eine Nachfolge gemeinsam entwickelt werden. Auch hier wird Deutschland wieder die Führungsrolle übernehmen. Beauftragt werden soll der Zusammenschluss aus der deutschen Panzerschmiede Kraus-Maffei-Wegman und der französischen Nexter. Verbunden mit dem Panzer soll ein Verbundsystem entwickelt werden, das aus dem bemannten Kampfpanzer und anderen unbemannten Subsystemen bestehen soll (Main Ground Combat System, MGCS). Die ersten Exemplare sollen 2050 vom Band rollen. Die Kosten bis dahin werden auf rund 100 Milliarden Euro geschätzt.
3. Kampfflugzeug (NGWS im FCAS) Das geplante Kampfflugzeug mit dem Projektnamen „Next Generation Weapons System“ (NGWS) im Rahmen des „Future Combat Air System“ (FCAS)-Projektes der EU soll ab 2035 in Produktion gehen. Die geschätzten Kosten liegen zwischen 80 und 100 Milliarden Euro. „De facto bestimmen Deutschland und Frankreich über die Industrieführerschaft für die begehrtesten militärischen Großaufträge Europas. Sie dürften den beteiligten Firmen bis 2040 zusammen Umsätze im dreistelligen Milliardenbereich bescheren. Der Verkauf des FCAS wird laut Schätzungen aus der Branche einen Umsatz von 500 Milliarden Euro bringen“, schrieb das Handelsblatt am 26. 11. 2018. Heute steht schon fest, das Rheinmetall und Krauss-Maffei-Wegmann daran maßgeblich beteiligt sein werden.
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„Äksbädde“
Wo kommen die kleinen Experten her? Es gibt sie in täglich wachsender Zahl, sie quetschen sich vor die Kameras der Fernsehsender und die Mikros der Rundfunkreporter, sie füllen die Spalten der Zeitungen und sondern Gewichtiges ab. Das Wort „Experte“ stammt aus dem Mittelhochhessischen, als „Äksbädde“ wurden dort früher Menschen bezeichnet, die auf Jahrmärkten gegen geringes Entgelt mit autoritativer Gestik dem Kunden Dinge erzählten, die seine Meinung bestätigten. Wie wird man nun heutzutage Experte? Das beleuchtet eine Meldung aus der Wissenschaft: Forscher der Universitäten Cambridge und Witten-Herdecke untersuchten den Wahrheitsgehalt der Volksweisheit „Wein auf Bier, das rat‘ ich dir, Bier auf Wein, das lass‘ sein“. 90 menschliche Laborratten wurden erst in der einen Reihenfolge mit den Alkoholika abgefüllt, eine Woche später in der anderen. Das unerwartete Ergebnis: Die Reaktionen glichen sich bis aufs i-Tüpfelchen. Die Probanden neigten nach einer anfänglichen Phase gesteigerten Wohlbefindens zum Verlust der Sprach- und Körperkontrolle, einige sogar zum Erbrechen und zu einem gesteigerten Schlafbedürfnis. Wieder erwacht, klagten die meisten über Kopfschmerzen (wissenschaftlich: Brummschädel) und allgemeines Unwohlsein. Das wissen wir jetzt also: kein Unterschied. Was aber wird aus den Wissenschaftlern, die für uns diesen Gipfel der Erkenntnis erklommen haben? Ist doch klar: Sie sind jetzt Experten!
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Fessel der Arbeiterbewegung
Besonders in den Krisenjahren ab 2008 hat die EU dem deutschen Kapital einen grandiosen Nutzen erwiesen. Schwächere Ökonomien hatten keine Mittel gegen die „Exportwalze“ – weder Zollschranken noch Währungskursänderungen. Die „Exportwalze“ Deutschland fußt wesentlich auf der Agendapolitik, die Deutschland im Verhältnis zu seiner hohen Produktivität zu einem Niedriglohnland gemacht hat. Eine ideale Basis, um schwächere Ökonomien auszubluten. Denn, was in den Medien Außenhandelsbilanz genannt wird, ist ja nichts anderes als eine Abrechnung des Kampfes zwischen stärkeren und schwächeren Ökonomien. Diese Situation hat der deutschen Wirtschaft „Extraprofite“ gebracht. Diese spielen im Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase eine wichtige Rolle. Einerseits, weil sie die nationalen Abteilungen der Arbeiterklasse in schwachen Ökonomien in besondere Verelendung stürzen – siehe den dramatischen Kahlschlag in Griechenland (Renten, Gesundheitswesen, Privatisierung). Diese Extraprofite dienen nicht nur dazu, das Kapital wie eine Gans zu mästen. Diese Extraprofite versetzen das Monopolkapital Deutschlands in die Lage, wichtigen Teilen der Arbeiterklasse in der Krise zu suggerieren, dass es ihnen „ja viel besser geht, als in Griechenland, Italien und Spanien et cetera“. Unter dem Strich betrachtet ist das ja gar nicht falsch, beruht aber eben auf den Extraprofiten und der vorangegangenen Vertiefung der Spaltung durch die Agendapolitik. Die „profitierenden“ Teile der Arbeiterklasse sehen eine Interessenidentität mit der herrschenden Klasse, eine „Sozialpartnerschaft“, während die ausgegrenzten Teile der Arbeiterklasse noch stärker die Schuld bei sich selbst suchen. Schließlich gibt es ja arbeitende Menschen, denen es viel besser geht als den „Griechen“. Dies ist zumindest eine Erklärung dafür, dass die Gewerkschaftsbewegung unseres Landes der EU gegenüber tendenziell sehr positiv eingestellt ist. Vermutlich wird dies noch verstärkt durch den Fakt, dass die deutsche Gewerkschaftsbewegung stark geprägt ist durch den Teil der Klasse, der in „Lohn und Brot“ steht und dort wiederum durch den Teil, der auch tatsächlich Betriebs- und Personalräte wählt. Arbeitslose, Leiharbeiter, Werkvertragsarbeiter spielen bisher eine untergeordnete Rolle. Die Konkurrenz innerhalb der Klasse wird so teilweise in den Gewerkschaften reproduziert. Ideologisch wird das bestärkt durch Aussagen wie, „die EU ist (oder war) ein Friedensprojekt“. Aus meiner Sicht war sie dies nie. Gegründet als Waffe gegen den europäischen Sozialismus, weiterentwickelt zu einem Konstrukt der Vorherrschaft, Konkurrenz, Hinterhof des deutschen und französischen Imperialismus, mal in Loyalität, mal in Konkurrenz zum US-Imperialismus – die EU war nie friedlich, auch nicht nach 1989. Wir brauchen nur nach Jugoslawien zu schauen, zur Ukraine, nach Libyen, Syrien oder aktuell, wie Mazedonien der Weg in EU und NATO geebnet wurde, um die Aggression gegen Russland voranzutreiben. Die EU ist Fluchtverursacher wegen ihrer Kriegspolitik, aber auch wegen ihrer Freihandelsabkommen zum Beispiel mit afrikanischen Staaten, mit denen wiederum diese schwächeren Ökonomien ausgeplündert werden. Streit gibt es in der EU dann bestenfalls darüber, welche Methode besser ist, diese verursachte Flucht und Migration auszunutzen. Diejenigen, die darauf setzen, nur die Migranten reinzulassen, die direkt profitabel verwertbar sind und ansonsten die nationalen Grenzen zuzumachen, stehen dabei denen gegenüber, die unbegrenzte Migration als Mittel sehen, um die Konkurrenz unter den Ausgebeuteten zu erhöhen. Die Lage der Flüchtlinge und Migranten ist nicht Gegenstand des Streits – das zeigt die Zahl der Ertrunkenen im Mittelmeer genauso wie die Behandlung derer, die es zum Beispiel nach Deutschland geschafft haben. Mein Fazit: Ein Europa der Völker ist ohne die Überwindung der EU nicht zu haben.
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Ohne Ende
6 000 Milliarden Dollar – so viel kostet der „Krieg gegen den Terror“ von 2001 bis heute. Diese unvorstellbare Summe wurde für die Homeland Security in den USA und die Kriege weltweit ausgegeben. Die Streitkräfte der USA agieren in 40 Prozent der Länder der Welt, von den Dschungeln Kolumbiens bis zu den Dschungeln Thailands. In 80 Ländern trainieren die USA Truppen, fliegen Drohnen, werfen Bomben und kämpfen mit Sondereinheiten. Zur Überraschung selbst von Kongressabgeordneten kamen 2017 vier Soldaten einer Sondereinheit in einem Hinterhalt an der Grenze zwischen Mali und Niger um. Die Kongressabgeordneten hatten keine Ahnung, dass US-Soldaten auch an dieser Grenze im Einsatz waren. Die US-Streitkräfte haben mit den Milliarden Dollar Länder zerstört und Städte dem Erdboden gleichgemacht. Die Zerstörung des Irak hat den IS erst möglich gemacht. Die Vernichtung von Mossul im Irak und Raqqa in Syrien, die endlose Bewaffnung sogenannter „gemäßigter Rebellen“, die die syrische Regierung bekämpfen sollten und sich am Ende immer beim IS und al-Kaida wiederfanden – das alles erhöht die Zahl dschihadistischer Kämpfer weltweit. Der Krieg gegen den Terror ist nicht auf ein Ende hin angelegt. Homeland Security und Überwachung gedeihen. Es gibt Erfolge und Misserfolge im Krieg gegen den Terror – aber kein Ende. Je nach Interessen der „nationalen Sicherheit“ kann der Krieg verstärkt, abgeschwächt oder verlagert werden. Der kommandierende General der „Operation Inherent Resolve“ in Syrien, Patrick Roberson, beschrieb, wie es gelang, den IS an jeglichen militärischen Erfolgen zu hindern. Trump beschreibt in seiner Rede zur Lage der Nation, wie seit Beginn seiner Amtszeit das Gebiet unter Kontrolle des IS auf nahezu null reduziert wurde. Doch ein Top-General warnte im Februar, dass der IS im Falle eines Abzugs der US-Truppen aus Syrien wie Phönix wieder auferstehen würde. Der Senat klatschte Beifall und untersagte seinerseits den Rückzug. Trump wollte an einer einzigen von unzähligen Fronten im „Krieg gegen den Terror“ den Sieg erklären. Doch nicht, wenn es nach dem Sprecher der Senats-Mehrheit geht, der meint, der IS und al-Kaida müssen erst noch besiegt werden. Der Krieg wechselt die Schauplätze, aber er hat kein Ende. Der permanente Krieg verschlingt Länder – und gebiert Profite.