Politik

30 Euro für ein Fährticket würden vor dem Tod in der Ägäis bewahren

Kriegsschiff im Hafen.

Politiker nehmen den Tod der Flüchtlinge billigend in Kauf

Die Abwehrmaßnahmen der EU, mit denen die Flucht aus der Türkei nach Griechenland verhindert werden soll, zeigen sarkastische Erfolge: Die «Einreise» von 344 Flüchtlinge auf Schlepperbooten misslang allein im vergangenen Januar. Sie erreichten die griechischen Strände nicht – es sei denn als Tote. Dabei hätte sie alle nicht sterben müssen. Das Fährticket für die «Zehra Jale» vom türkischen Ayvalık nach Mytilene auf Lesbos kostet 30 Euro pro Person. Aber den Flüchtlingen wird kein Fährschein verkauft. Ihre Alternative: 600 Euro für den Schlepper an der Küstenlinie.

Dabei wäre die Überfahrt auf der Fähre so sicher: Die knapp 40 Meter lange Fähre stammt aus dem Jahr 2004 und bringt es auf eine Geschwindigkeit von bescheidenen 11 Knoten. Das sind rund 20 Kilometer pro Stunde. Fahrtdauer: 90 Minuten. Heute, Donnerstag, 11. Februar, wäre die Abfahrt um 17 Uhr, also bei Tageslicht. Der Wetterbericht hatte die Tagestemperatur bei etwa 15° C berechnet, dazu «leichte Bewölkung» und eine Regenwahrscheinlichkeit von 30 Prozent. Die Windstärke beträgt 2 Beaufort, also eine leichte Brise für eine schwach bewegte See mit kleinen kurzen Wellen. Der leichte Wind ist im Gesicht spürbar. Die Oberfläche der Ägäis erscheint glasig, aber nicht einmal Schaumköpfe sind zu sehen. – Bestes Wetter für eine sichere Fahrt mit der Fähre. Aber auf die Fähre kommt dank der Zollkontrolle von Ayvalık kein einziger Flüchtling.

Die Alternative auf dem Landweg gäbe es im Nordosten Griechenlands im Bereich der griechischen Provinz Thrakien und dem türkischen Thrakien (Doğu Trankya). Beide Teile werden über 159 Kilometer durch den Grenzfluss Evros (Meriç) getrennt. Da, wo der Fluss auf beiden Ufern durch Griechenland läuft, hat Griechenland einen mehr als zehn Kilometer langen Zaun errichtet, der weitgehend unüberwindbar ist. Seine Höhe: 4 Meter. Der Drahtzaun misst 20.700 Meter Länge, der Stacheldraht 140.000 Meter. Die abschließende «Eröffnung» des Bauwerks war am 15. Dezember 2012, also zu einem Zeitpunkt, als Alexis Tsipras (Syriza) noch nicht seine Amtsgeschäfte als Ministerpräsident in Athen angetreten hatte. Zuständig ist jetzt Tsipras «Ministerium für öffentliche Ordnung und Zivilschutz». Der Zaun kostete 3,16 Millionen Euro. Die EU lehnte eine Mitfinanzierung ab, weil sie den Griechen nicht zutraute, dass der Zaun so gebaut würde, dass er die Flüchtlinge wirklich abhält. Das waren 2011 nach Angaben von FRONTEX 55.000 Personen. Der Zaun war «erfolgreich», und die EU irrte sich diesmal. Seitdem fließt der Flüchtlingsstrom statt durch Thrakien nun durch die Ägäis – tot oder lebendig. Das bringt mehr Tote als am Evros. Dort waren es 400 in 20 Jahren. Das schafft Lesbos dank der Abschottung durch Tsipras, Frontex, NATO, EU, Kanzleramt und Co. in einem Jahr. Allein im Januar diesen Jahres waren es nach Angaben des WDR und Frontex 200 in der Ägäis.

Durchlässig wäre die Grenze bei Kipoi (İpsala) am Delta des Evros – nur für Fahrzeuge, nicht für Fußgänger. Ein weiterer Grenzübergang liegt weiter im Norden bei Kastaneon (Pazarkule), westlich von Edirne. Auch hier ist für Flüchtlinge kein Durchkommen.

Das soll nun noch «besser» werden. Das Personal von Frontex soll aufgestockt werden. 2000 Grenzschützer sind als Reserve eingeplant. Griechenland droht eine «schnelle Eingreiftruppe». Die griechische Regierung bat die EU zum Jahreswechsel um Hilfe. Darauf wurde die Mission «Poseidon» ins Leben gerufen: Rund 300 Beamte und 14 Boote kamen. «550 zusätzliche Mitarbeiter sollten es aber mindestens sein», meint Frontext-Chef Fabrice Leggerie. Was sich wie Grenzpolizei anhören könnte, das ist bei Hans-Werner Sinn schon eine «europäische Armee». Und bei AfD-Petry wird bereits geschossen. Wenn Griechenland seine diesbezüglichen «Hausaufgaben» nicht mache, droht ihm Thomas de Maizière mit dem Ausschluss aus dem grenzkontrollfreien Schengen-Raum. Es bleibt nur ein kleiner Schritt von sinkenden Flüchtlingszahlen zu sinkenden Flüchtlingen.

Uwe Koopmann
Foto: Ohnesorge