Politik
Belgien: PTB im Aufwind
Auf Erfolgskurs
29.03.2017 | Die belgische Partei der Arbeit (PTB/PvdA) ist nach dem jüngsten «Polit-Barometer», das am 24. März veröffentlicht wurde, weiter im Aufwind. In der Wallonie liegt sie bei 20,5 Prozent, in der Region Brüssel bei 14,1 Prozent. Der PTB-Vorsitzende Peter Mertens nennt Gründe für die positive Entwicklung.
Das «Polit-Barometer» wird im Abstand von drei Monaten auf der Grundlage einer repräsentativen Meinungsumfrage veröffentlicht, die das führende belgische Umfrageinstitut «Dedicated» im Auftrag des französischsprachigen belgischen Fernsehens (RTBF) und der Tageszeitung «La Libre Belgique» durchführt.
Nach den jüngsten Ergebnissen bei dieser Befragung kommt die PTB in der Wallonie, dem französischsprachigen Teil Belgiens, auf 20,5 Prozent, 2 % mehr als vor drei Monaten bei der letzten Barometer-Umfrage im Dezember 2016. Das wären, wenn jetzt gewählt würde, 12 Sitze im Regionalparlament. Bei der letzten Wahl im Mai 2014 lag die PTB hier noch bei 5,5 %. Damit gelang es der PTB, erstmals in Wallonien die zur Sozialdemokratie zählende «Sozialistische Partei» (Parti Socialiste – PS), die auf 20,3 % kommt, knapp zu überholen. Die PTB wird anstelle der PS zur zweitstärksten Partei in der Region hinter dem rechtsbürgerlichen «Mouvement Reformateur» (MR).
In der Hauptstadtregion Bruxelles (Brüssel und Umgebung, gemischtsprachig) erreicht die PTB laut dieser Umfrage mit 14,1 Prozent erstmals den dritten Platz hinter PS und MR, 4,5 % mehr als vor drei Monaten bei der Dezember-Umfrage. Das wären 3 Sitze im Regionalparlament. Damit konnte die PTB die Grünen überholen, obwohl auch diese gegenüber dem letzten «Barometer» um knapp 2 % auf 13,1 % zunahmen. Bei der letzten Wahl 2014 hatte die PTB in der Region Brüssel noch nur 3,8 % erhalten. Das heißt, die Zustimmung zur PTB hat sich hier in den letzten zwei Jahren fast vervierfacht.
Auch in der Region Flandern mit ihrer andersgearteten ökonomischen Struktur und politischen Landschaft aufgrund der traditionellen Stärke der flämischen Nationalisten erreicht die PTB (PvdA) ein positives Ergebnis. Sie kann mit 5,5 Prozent (1,3 % mehr als im Dez. 16) erstmals die Fünf-Prozent-Schranke übersteigen. Das bedeutet, sie könnte auch hier mit 5 Sitzen in das Regionalparlament einziehen (Wahlen 2014: 2,8 %).
Eine tolle Ermutigung mit neuen Anforderungen
Der PTB-Vorsitzende Peter Mertens sagte dazu in einer ausführlichen Betrachtung, dass diese Umfrageergebnisse «eine tolle Ermutigung für die Arbeit der 10 000 PTB-Mitglieder vor Ort» seien, die Partei aber zugleich auch vor große neue Herausforderungen stellt.
Mertens verwies darauf, dass es sich natürlich erst einmal nur um eine Umfrage handle und die Erfahrung gezeigt habe, dass solche Umfragen auch gewaltig irren können. Außerdem sei man noch anderthalb Jahre von den nächsten Kommunalwahlen, zwei Jahre von der nächsten Parlamentswahl entfernt. Bis dahin werde also «noch viel, viel Wasser unter den Brücken hindurchfließen».
Viele Menschen suchen nach einer authentischen Alternative
Der PTB-Vorsitzende nutzte die Gelegenheit aber, um anlässlich dieser Umfrageergebnisse eine Reihe von Betrachtungen zu den Gründen für die positiven Entwicklungen und zu den damit verbundenen neuen Herausforderungen und Aufgaben darzulegen.
Mertens erwähnt eingangs, dass die Umfrageergebnisse bestätigten, was auch die PTB-Mitglieder in ihrer täglichen Arbeit vor Ort in ihren Wohnorten oder an ihren Arbeitsstätten wahrnehmen. Eine zunehmende Zahl von Menschen glaube nicht mehr an das «Einheitsdenken dieses Systems», das allen schwere Einsparungen aufzwingt, aber dabei jedes Mal die großen Vermögen und Finanzkreise sorgfältig verschont. Viele Menschen seien auf der Suche nach einer authentischen Alternative. Alle Parteien, die an Regierungen beteiligt sind, werden von den Bürgern bestraft, auch die PS. Sowohl die zentrale belgische Föderationsregierung wie auch die wallonische Regionalregierung hätten heute nach der Umfrage keine Mehrheit mehr. Die Föderalregierung käme auf nur noch 68 von 150 Parlamentssitzen, die rechtsbürgerliche MR, die derzeit den belgischen Regierungschef stellt, repräsentiere nur noch ein Fünftel der Wähler in Wallonien, weniger als ein Fünftel in der Region Brüssel. Auch die von den «Sozialisten» geführte Koalitionsregierung in Wallonien käme nur noch 30 Prozent. Der Wille nach einer anderen Art von Politik wachse, und das äußere sich auch in den Umfragen. Das sei die Basis für das Anwachsen der Zustimmung zur PTB.
Dabei handle es sich sowohl um eine Zustimmung zu den von der PTB vertretenen konkreten Alternativen wie der «Millionärssteuer», der 30 Stunden-Woche und der «kostenlosen Medizin» für alle, als auch für die generelle Forderung nach einer anderen Art von Politik, «die nicht sich selbst bedient, sondern nach klaren Grundsätzen handelt. Mit Mandatsträgern, die wie die PTB-Abgeordneten von einem mittleren Arbeiterlohn leben, und mit aktiven Sektionen in den Stadtteilen und Wohnorten, die die Menschen in das gesellschaftliche Handeln einbeziehen.»
Neue Herausforderungen, Schwierigkeiten und Hindernisse
Die Aussicht, in Wallonien zweitstärkste, in der Region Brüssel drittstärkste Partei zu werden und auch in Flandern ins Parlament zu kommen, stelle die PTB aber vor enorme neue Herausforderungen, betonte Mertens weiter. Das rasche Wachsen der Partei und der schnelle Auf- und Ausbau der Parteiorganisation bringe neue große Aufgaben mit sich. «Wir sind in einer gewissen Weise auch mit den mit diesem Wachstum verbundenen Schwierigkeiten konfrontiert». Denn die PTB sei «eine Partei vor Ort und will es bleiben». Eine Partei, die vor Ort die Zusammenarbeit mit den Menschen sucht und sie sensibilisieren und mobilisieren kann. Sie dürfe nicht «ein Phänomen nur des Wahlmodus» werden. «Wir wollen die Dinge mit den Leuten verändern, indem wir Druck von unten machen».
Weiter erklärte der PTB-Vorsitzende: «Wir dürfen uns keine Illusionen machen. Wir stehen vor einer Periode von Turbulenzen: es genügt, an die Allmacht der multinationalen Konzerne und der Finanzakteure zu denken, die durch Fusionen und Kapitalakkumulation noch weiter wächst, an die neuen Finanzblasen, an die Destabilisierung des Mittleren Ostens, an die Kriegspolitik, an die Wahl von Trump, an die Flüchtlingswelle und dabei an das Anwachsen von Rassismus als Instrument, um die Leute zu spalten und die einen gegen die anderen aufzubringen».
Die PTB wolle einen Bruch mit der aktuellen Politik, und das sei genau der Grund, warum so viele Menschen ihr Vertrauen entgegenbringen. Aber eben deshalb müsse auch sehr klar gesagt werden: «Wir können diesen Bruch nicht verwirklichen ohne ein aktives Engagement von Zehntausenden. Weil die Spielräume für eine andere Politik immer kleiner werden». Das habe sich nicht zuletzt auch am Beispiel der Politik unter Präsident Hollande in Frankreich gezeigt, ebenso an der schmerzlichen Erfahrung von Syriza in Griechenland, die vom EU-Establishment zum Gehorsam gezwungen wurde.
Die EU-Verträge grundlegend verändern
Mertens weiter: «Heute ist im Rahmen der EU-Austeritätsdiktate keine alternative Politik möglich. Diese Union erzwingt ein striktes Joch bei der Haushaltspolitik, organisiert die Liberalisierung der öffentlichen Dienste und die Lohnkonkurrenz zwischen den Mitgliedsstaaten und auf diese Art auch das Sozialdumping. Gleichzeitig lässt man Milliarden und Abermilliarden Euro zu den großen Banken und den Aktionären der Großunternehmen fließen wie Flüssigseife für neue Finanzblasen.»
Klare Ansage von Mertens: «Man kann nicht erwarten, dass wir in eine Regierung eintreten würden, um das Rentenalter zu erhöhen, weiterhin die Jagd auf die Arbeitslosen zu betreiben und die Liberalisierung der öffentlichen Dienste fortzusetzen. Wir wollen die europäischen Verträge grundlegend ändern, und das ist nur möglich, wenn eine Regierung beschließt, gegen die gegenwärtigen Prinzipien der Konkurrenz und der Ungleichgewichte zu kämpfen und wenn diese Regierung dafür die aktive Unterstützung ihrer Bevölkerung sucht und bekommt. Heute sind wir (noch) ziemlich weit von dieser Situation entfernt.»
In Europa wie im eigenen Land sei die kulturelle Hegemonie derzeit noch immer bei den Rechten, sagte Mertens weiter. Das bedeute, dass das vorherrschende Denken das der herrschenden Klasse ist. Deshalb habe sich die PTB auf ihrem letzten Kongress 2015 dafür entschieden, «eine Gegen-Hegemonie von unten» zu entwickeln. «Eine neue emanzipatorische Kultur und eine Vision einer fortschrittlichen Welt auf der Grundlage von Solidarität zu schaffen, das ist ein Kampf für sich».
Appell zur Selbsttätigkeit der Menschen
Deshalb appelliere die PTB an alle potenziellen Wähler und Sympathisanten: «Nutzt eure eigenen Talente in aktiver Weise, um gemeinsam eine neue Kultur zu entwickeln. Organisiert euch in den Gewerkschaften, in den Jugend- und Studentenbewegungen, in den Bewegungen zur Verteidigung der Frauenrechte, zur Verteidigung der Umwelt, in den Bewegungen gegen Rassismus und für den Frieden, in Stadtteilkomitees, in Theater-, Musik- und Sportgruppen. Es geht um viel mehr als einer Partei die Stimme zu geben. Es geht darum, diese Stimme in eine kollektive, organisierende und kulturelle Kraft zu verwandeln. Wir sind sehr ungeduldig, weil die Ungerechtigkeit sehr hart zuschlägt bei allen, die Schwierigkeiten haben, sich daraus zu befreien, und weil eine Veränderung dringend ist. und zur gleichen Zeit sind wir geduldig, weil wir diese Änderung wirklich realisieren sollen und weil wir also Schritt für Schritt, Stein auf Stein aufbauen müssen».
Für eine Strategie der Veränderung im Bruch mit dem Neoliberalismus
In diesem Sinn hätten die Delegierten der PTB auf ihrem letzten Kongress beschlossen, für eine Strategie der Veränderung zu wirken, betonte Peter Mertens weiter. «Unsere Partei wächst rasch, aber das will nicht heißen, dass wir jedes Beliebige tun wollen, um oberflächliche Erfolge zu erreichen. Wir werden uns bei den Kommunalwahlen in einer begrenzten Anzahl von Kommunen präsentieren, da, wo wir starke und solide örtliche Sektionen aufbauen konnten. Wir wollen, dass jedes unserer Mitglieder ein bewusster Akteur der Veränderung ist und niemals nur ein Konsument von Politik. Wir wollen weder Karrieristen noch Opportunisten, wir wollen engagierte und selbstlose Akteure.»
Mertens schloss seine Betrachtung mit den Worten: «Die Pioniere der Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert haben unermüdlich dafür gearbeitet, eine strukturierte gesellschaftliche Bewegung politisch zu organisieren, die die Rechte der Arbeitenden verteidigt und Errungenschaften erreicht hat, indem sie ein entsprechendes Kräfteverhältnis in den Betrieben und Stadtvierteln des ganzen Landes geschaffen hat. An diesem Beginn des 21. Jahrhunderts ist die PTB dabei, eine solide, organisierte Partei aufzubauen, die für eine solidarische Gesellschaft im Bruch mit dem Neoliberalismus, mit dem Gesetz des Profits und mit dem Kapitalismus kämpft und die den dringlichen sozialen und ökologischen Erfordernissen entspricht. Aber wir brauchen viel, viel mehr Leute, um uns zu entwickeln. Wir appellieren an all diejenigen, die sich in unseren Ideen und in der Aktion der authentischen Linkspartei wiederfinden, sich uns anzuschließen.»
Text: Georg Polikeit
foto: PTB
Quelle: kommunisten.de