Antifaschismus

Rede von Günter Bischoff

Gedenkfeier 19. April 2015

»70 Jahre Wenzelnberg – den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Mahnung«

Rede von Günter Bischoff, VVN-BdA Solingen

Günter Bischoff redet.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kameradinnen und Kameraden,
liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Frau Ministerin Löhrmann
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Feith,

wenn wir heute an das schreckliche Verbrechens der Nazis hier am Wenzelnberg vor 70 Jahren erinnern, dann tun wir das nicht allein, um der 71 Häftlingen zu gedenken, die kurz vor Kriegsende von der Gestapo und der SS ermordet worden sind.

Nein, zugleich erinnern wir 70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus durch alliierte Streitkräfte an die Verpflichtung der Überlebenden von Krieg, Holocaust, Rassenwahn und Willkür, alles zu tun um eine Wiederholung dieses schrecklichsten Kapitels der Menschheitsgeschichte zu verhindern.

Heute genau vor 70 Jahren am 19. April 1945 wurde auf dem Appellplatz des Konzentrationslagers Buchenwald ein Gelöbnis der überlebenden Häftlinge verlesen, der Schwur von Buchenwald.

Er lautet: »Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel«

Aus diesem Grunde wurde die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten nach dem Ende des Faschismus von ehemaligen Häftlingen gegründet.

Von der Einlösung dieses Vermächtnisses sind wir heute Welt noch weit entfernt.

Regionale Kriege mit hunderttausenden Toten, als Folge von imperialen Interventionen, ein sich anbahnender erneuter Kalter Krieg, Kraftmeierei statt Dialogbereitschaft und eine neue Phase der Hochrüstung auf der einen – Hunger, Seuchen, Armut und Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite, prägen das Bild unserer Nachrichten.

Mit dem Anwachsen der internationalen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisenerscheinungen, erstarken offen faschistische und rechtspopulistische Gruppierungen vor allem in Europa.

Auch in unserem Land nehmen rassistische und menschenverachtende Ideologien unter den Menschen zu.

Wenn die gewalttätigen Übergriffe von Nazis und Rassisten auf Asylbewerber, Ausländer und Andersdenkende, auch nach den Morden des NSU in Deutschland weiter zunehmen, die Nazis immer dreister auftreten, reagieren verantwortliche Politiker und Behörden reflexartig erstaunt, empört und betroffen.

Doch kommen diese Entwicklungen wirklich aus heiterem Himmel, ist hier alles in der Vergangenheit getan worden, ein Erstarken der extremen Rechten zu verhindern?

Um diese Frage zu beantworten, bedarf es eines Blickes in unsere jüngere Geschichte.

Nach der militärischen Niederlage des Faschismus bestand in breiten politischen Kreisen, der Wunsch nach Bestrafung der Täter, nach Aufarbeitung der Ursachen von Krieg, Faschismus und einem demokratischen Neuanfang. In einigen Länderverfassungen und in den damaligen Diskussionen der politischen antifaschistischen Ausschüsse in den Westzonen, finden sich hierzu viele Hinweise. In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wurden lediglich einige wenige führende Naziverbrecher verurteilt.

Hinter den Kulissen der Nürnberger Prozesse setzten sich vor allem britische und amerikanische Wirtschaftskreise für eine Freilassung oder geringe Bestrafung von Bankiers wie Hjalmar Schacht, der die Deutsche Wirtschaft für die Angriffskriege vorbereitet hatte und anderen Profiteuren von Zwangsarbeit und Kriegen, wie Flick und Krupp ein.

So wurden nur wenige Täter der Gestapo, der SS der Wehrmacht, der Justiz und Verwaltung, der Geheimdienste und der Wirtschaft zur Rechenschaft gezogen. Ihre »Erfahrungen« wurden jetzt wieder in der neuen westlichen Wertegemeinschaft benötigt. Sie wurden von den westlichen Militärbehörden als unentbehrliche Fachkräfte gebraucht. Ihre blutigen Hände spielten zu diesem Zweck keine Rolle. Ihre neuen Dienststellen und Unternehmen bekamen andere Namen, ihre Gegner blieben die Gleichen.

Der damals aufkommende Kalte Krieg, die Angst der Westmächte vor einem allzu großen sowjetischen Einfluss und einem Erstarken der Linkskräfte, zeigte erste Wirkungen auf die im Potsdamer Abkommen festgelegte »Demokratisierung der politischen Verhältnisse« in Deutschland.

Die Bekämpfung des Kommunismus erhielt angesichts des sich veränderten internationalen Kräfteverhältnisses jetzt einen völlig neuen Stellenwert, dem alles untergeordnet wurde. Beim Aufbau der Bundeswehr, der deutschen Geheimdienste, der Polizei, der Justiz und Verwaltung wurden die Karrieren deutscher Nazis nahtlos fortgesetzt.

Auch in den Nachkriegsregierungen der Bundesrepublik und in der Wirtschaft fanden namhafte Nazis und deren Unterstützer, wie Globke, Kiesinger, Quand, Thyssen, und viele andere ihre gutdotierten Posten, während Überlebende der Konzentrationslager, Frauen und Männer des Widerstands um ihre Rente kämpfen mussten.

Der kalte Krieg, die Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse und die erneute Frontstellung gegen die Sowjetunion benötigten jetzt keine Aufarbeitung des Faschismus sondern ein klares Feindbild. Der Hauptfeind stand schließlich Links.

Und so wanderten viele der Naziopfer und Widerstandskämpfer nach dem erneuten Verbot der KPD unter der Regierung Konrad Adenauer, wieder in die Gefängnisse, während ihre früheren Peiniger in Wirtschaft und an den politische Schaltstellen saßen.

Massenmörder wie Eichmann, Mengele, Barbie wurden mit Unterstützung deutscher Behörden und Geheimdienste in sichere südamerikanische Diktatorenstaaten gebracht, dort betreut und versteckt- Anzeigen gegen Naziverbrecher und KZ-Schergen durch extra geschaffene Gesetze oder die Justiz verhindert oder hintertrieben. So lebten tausende Nazis, bis zu ihrem Lebensende in diesem Land, ausgestattet mit einer stattlichen Pension.

Die Verbrechen der Nazis und ihrer Hintermänner wurden in dieser Zeit systematisch relativiert oder verleugnet, so auch in deutschen Schulbüchern und der Presse. Im Zuge dieses revanchistischen und politisch aufgeheizten Klimas konnten Naziparteien wie die NPD erneut Mandate in westdeutschen Landtagen erringen.

Die neugeschaffene Nato hatte inzwischen mit dem Aufbau von Geheimarmeen, sogenannte Stay behind -Organisationen in Europa begonnen. So wurden unter der aktiven Mithilfe von ehemaligen Nazis und Geheimdiensten diese Organisationen in der Bundesrepublik zu Sabotage- und Terrorzwecken für den Krisenfall installiert.

Die Verwicklung dieser, gegen linke Volksbewegungen gerichteten Geheimtruppe in die Terroranschläge auf dem Oktoberfest am 26. September 1980 in München und am 2.August 1980 in Bologna mit insgesamt 95 Toten war offensichtlich, wurde offiziell jedoch nie aufgeklärt.

Erst 30 Jahre danach soll jetzt, die in Deutschland von offizieller Seite hartnäckig vertretene Einzeltäterthese überprüft werden.

Damalige Beweise, wie Verbindungen des angeblichen Einzeltäters zur Wehrsportgruppe Hoffmann und zu den in der Lüneburger Heide gefundenen Waffendepots mit militärischem Sprengstoff, angelegt durch einen Stay-Behind Agenten, wurden nach dem Attentat genauso ignoriert, wie die Aussagen von Zeugen, die weitere Beteiligte vor der Tat gesehen hatten.

Die in den 90ziger Jahren hysterisch angefachte Asyl- und Flüchtlingsdebatte führte in Folge zu einem massiven Anstieg der Übergriffe von Nazis und rechtem Mob auf Asylbewerber und Flüchtlingsunterkünfte mit vielen Toten.

Mölln, Hoyerswerda, Solingen, Rostock-Lichtenhagen- brennende Asylunterkünfte und Wohnhäuser, rassistisch motivierte Mordtaten, begleitet von deutschen Qualitätsmedien und dem »Das Boot ist voll«- Geschrei von verantwortlichen Politikern.

In Solingen waren Agenten des Verfassungsschutzes im unmittelbaren Umfeld der Täter anzutreffen. Auch hier verschwanden bereits Akten auf unerklärliche Weise, wurde die Rolle des Verfassungsschutzes vertuscht.

184 Menschen sind von 1990 bis 2012 nach umfangreichen Recherchen der Amadeu Antonio Stiftung Opfer von rechter oder rassistischer Morden in unserem Lande geworden. Die Bundesregierung hat hier eine eigene Zählweise, auf Grundlage von Polizeistatistiken und ignoriert schlicht 120 davon, obwohl die Zahl der Toten weiter wächst.

Wo war denn hier der Verfassungsschutz in all den Jahren, der doch nach eigenen Aussagen die rechte Szene mit all seinen Nazi-V-Leuten offensiv überwacht? Eine Antwort darauf geben die Enthüllungen zur Mordserie des NSU, der unbehelligt 10 Jahre mordend durch Deutschland ziehen konnte.

Der Thüringer Untersuchungsausschuss kommt hier zu dem Ergebnis, das die vielen Fehler und Pannen der Behörden kein Zufall sein können und wirft den Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten vor, die Mitglieder des NSU begünstigt und aktiv unterstützt zu haben.

In anderen Ländern würden solche Ergebnisse zu einer Staatskrise führen, nicht so bei uns. Verfassungsschutz und Geheimdienste werden stattdessen massiv ausgebaut und gestärkt.

Welch‘ eine Verhöhnung der Opfer rassistischer und rechter Gewalt.

Diese staatlichen Unterstützer und Finanzies der Rechtsterroristen, deren Mitglieder sich zeitgleich an Tatorten aufhalten, müssen als Unterstützer einer terroristischen Vereinigung strafrechtlich belangt werden. Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft!

Auch nach den NSU-Enthüllungen nehmen rechte und rassistisch motivierte Angriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte, auf Ausländer und Andersdenkende stetig zu.

Nachdem bereits 2013 die Anzahl der Gewalt und Propagandadelikte massiv angestiegen war, stieg sie 2014 lt. Pro Asyl auf einen neuen Höchststand mit 35 Brandstiftungen und 80 Attacken auf Einzelpersonen und insgesamt 270 Aufmärschen gegen Flüchtlingsunterkünfte.

Die Geschehnisse der letzten Tage sprechen für sich:

Morddrohungen gegen Politiker und Bürger die sich für Flüchtlinge einsetzen überall in unserem Land, erneute Brandanschläge und Schüsse gegen Flüchtlingsheime und Moscheen, Messerattacken auf Andersdenkende.

Und wieder mal Betroffenheit, Angst um den Wirtschaftsstandort Deutschland, Ahnungslosigkeit, bei Politikern und Behörden. Die Ermittler haben kaum verwertbare Aussagen und Spuren.

Von 2012 bis heute hat sich die Zahl von rechten Angriffen versechsfacht, begleitet von Aufmärschen der Pegida und Co. und verbalen Attacken gegen das Asylrecht vor allem aus Teilen der CDU/CSU und der AFD.

Auch die bergische Region bleibt von rechten Provokationen und Gewalttaten nicht verschont. In Wuppertal, Radevormwald, Velbert, Leichlingen und Leverkusen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder rechtsmotivierte Straftaten begangen, so wie in der letzten Woche als eine Flüchtlingsunterkunft in Solingen mit Hakenkreuzen beschmiert wurde.

Geahndet werden sie, wenn überhaupt, wie im Fall des Überfalls auf das Cinemax in Wuppertal mit geringfügigen Geldstrafen gegen stadtbekannte Neonazis.

Stattdessen wird der Widerstand gegen Nazis auf der Straße durch Justiz und Polizei immer wieder kriminalisiert und verleumdet, während Nazischläger oft unbeschadet davonkommen.

Nein, die Verantwortlichen in diesem Land blieben in der Regel untätig, wenn es um das Zurückdrängen alter und neuer Nazis und das Eindämmen von rechtspopulistischen Strömungen geht. Die Geschichte unseres Landes kann nicht nur mit »Wirtschaftswunder« und »Exportweltmeister« beschrieben werden. Zu Ihr gehören auch 70 Jahre Verdrängen, Vertuschen, Verleugnen und Beschönigen der eigenen Geschichte und des Naziterrors gestern und heute.

Beispiele dafür, gibt es auch in unserer Stadt. Die Widerstandsgruppe um den Kommunisten Karl Bennert, hat bis heute keine öffentliche Würdigung erfahren, obwohl sie durch eine mutige und lebensgefährliche Aktion die Zerstörung des Stadtteils Solingen -Wald und weitere Todesopfer verhindert hat. Diese Organisation sorgte durch die Entwaffnung der NSDAP-Leitung im Walder Rathaus dafür, dass zum Zeichen des Friedenswillens weiße Tücher auf der Spitze des Walder Kirchturms und an den Häusern gehisst wurden. So konnte der Stadtteil Solingen-Wald den amerikanischen Truppen übergeben werden.

Seit 2004 bemühte sich die VVN-BDA Solingen, eine Straße nach Karl Bennert zu benennen Vergeblich!

Im März 2015 stimmte nun die Bezirksvertretung Solingen-Wald unserem Antrag mit einem finanziellen Zuschuss zu, für Karl Bennert und seine Widerstandsgruppe eine Stele zur Erinnerung, zur Mahnung und zur Ermutigung zu errichten.

Von diesem Ort aus möchten wir allen Mitgliedern der Bezirksvertretung danken, die für unseren Antrag votiert haben. Diese Stele wird leider nicht durch weitere städtische Mittel gefördert. Nicht nur die Herstellungskosten muss unsere Organisation, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistischen tragen, sie ist auch für die zukünftige Pflege und Reinigung verantwortlich. Deshalb ist diese Stele nur durch Spenden von Organisationen, Parteien und Antifaschisten zu finanzieren. Daher bitten wir um ihr Verständnis, dass wir im Anschluss an diese Gedenkkundgebung am Ausgang um Spenden bitten werden.

Am 8. Mai, zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus werden wir in Solingen Wald diese Stele einweihen. Sie sind alle herzlich eingeladen. 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,

der 8. Mai ist nicht nur der Tag des Kriegsendes oder des Gedenkens an die Opfer der alliierten Bombenangriffe auf unsere Städte.

Krieg, Bomben, Konzentrationslager, Holocaust, Millionen von Toten auch hier am Wenzelnberg, waren die Ergebnisse der verbrecherischen Politik Nazideutschlands.

Der 8. Mai war und ist für alle friedlichen und humanistisch denkenden Menschen der Tag der Befreiung von dieser Barbarei.

Vielen Dank


 Massaker am Wenzelnberg