Betrieb & Gewerkschaft
30-Stunden-Woche
Die Debatte um weitere Arbeitszeitverkürzung in den Betrieben organisieren
21.06.2013 | Auf dem letzten ver.di Bundeskongress 2011 wurden eine Reihe von Anträgen behandelt, die sich mit dem Thema Arbeitszeitverkürung befasst haben. In der auf dem Kongress angenommenen Arbeitszeitpolitischen Entschließung wurde formuliert: »Die Verkürzung der Arbeitszeit und deren humane Gestaltung sind zentrale tarif- und gesellschaftspolitische Handlungsfelder der ver.di. ver.di hält daran fest, Arbeitszeitverkürzungen mit vollem Lohnausgleich und Personalausgleich durchzusetzen. Sie sind ein wichtiger Beitrag, um Arbeit menschlicher zu machen und Arbeit gerecht zu verteilen, sie sind erforderlich, um Beschäftigung zu sichern und Arbeitslosigkeit abzubauen… ver.di lehnt die arbeitszeitpolitische Rollback-Strategie der Arbeitgeber, die auf eine Verlängerung der Arbeitszeit, angefangen bei der Wochenarbeitszeit bis hin zur Lebensarbeitszeit, abzielt, entschieden ab. ver.di wird sich diesen Angriffen der Arbeitgeberseite betriebs- und tarifpolitisch entschieden entgegenstellen.«
In dem zentralen Beschluss werden dann unterschiedliche Formen der Arbeitszeitverkürzung aufgeführt, für die es gilt gewerkschaftliche, betriebliche und gesellschaftliche Aktivitäten zu entwickeln. Hierzu wurden auf dem Kongress eine Reihe von Anträgen beraten und beschlossen u.a. Anträge zur Reduzierung der Wochenarbeitszeit (35- bzw. 30- Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich), Anträge zur Eröffnung einer entsprechenden Debatte in den betrieblichen und gewerkschaftliche Strukturen von ver.di, bis hin zu Anträgen für Durchführung einer bundesweite Kampagne zur Arbeitszeitverkürzung. Im Antrag A115 wurde formuliert »ver.di wird daher einen neuen Vorstoß für eine Debatte um die Gestaltung der Arbeitszeit und einer Verkürzung der Arbeitszeit organisieren.. Der Bundesvorstand wird aufgefordert, die erforderlichen Bedingungen für eine intensive Diskussion zu organisieren und dafür Sorge zu tragen, dass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieser Debatte in künftigen Initiativen und Forderungen umgesetzt werden«.
Um diese Diskussion voranzubringen, trafen sich auf Initiative des Bereiches Tarifpolitik beim ver.di Bundsvorstand, ein Teil der Antragsteller der o.g. Anträge, sowie haupt- und ehrenamtliche Vertreter aus unterschiedlichen ver.di Bezirken und Fachbereichen am 23.05. 2013 in Berlin zu einem Workshop unter dem Titel »Arbeitszeitverkürzung ein Auslaufmodell oder Gestaltungsfeld demografischer Herausforderungen?«. Das Themenspektrum der Veranstaltung war aber breiter gespannt und im Verlauf des Workshops auch wesentlich konkreter bestimmt, als es der Titel der Veranstaltung vermuten lässt. So wurde in den Diskussionsrunden immer wieder das Thema 35- bzw. 30-Stunden-Woche aufgegriffen1.
In ihrer Begrüßung stellte die stellvertretenden ver.di Vorsitzende Andrea Kocsis, die im ver.di Bundesvorstand auch für den Bereich Tarifpolitik verantwortlich ist fest, dass die auf dem Bundeskongress gefassten Beschlüsse zum Thema Arbeitszeitverkürzung (AZV) mit Leben gefüllt werden müssen und zu klären ist, wie mit dem Thema AZV in der Gesamtorganisation und in den Fachbereichen in der nächsten Zeit umgegangen wird.
Arbeitszeitpolitische Initiative der jungen ver.di
Jörg Wiedemuth, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung von ver.di, zeichnete in seinem Beitrag die historische Linie von ver.di zum Thema Arbeitszeitverkürzung auf. Schwerpunkt bildete dabei die Arbeitszeitpolitische Initiative von ver.di aus den Jahren 2002 bis 2005, die zurückzuführen war auf eine Entschließung des ver.di Gründungskongresses von 2001. Geplant war für die Jahre 2002 bis 2005 ein Vorgehen in drei Phasen, eine Analysephase (Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten, Hemmnisfaktoren …) einer Aktivierungsphase (gemeinsamer Verständigungsprozess, Herausbildung eines Arbeitszeitbewusstseins …) und eine Mobilisierungsphase (Einmündung in ein gemeinsames tarifpolitisches Vorgehen). Während dieser Zeit entstanden eine Reihe von Publikationen, Aktionsvorschläge etc. die auch heute noch Bestand haben und mit denen weiterhin gearbeitet werden kann.
Dass diese Initiative vorerst scheiterte, lag u.a. an den unterschiedlichen Positionen der einzelnen FB innerhalb von ver.di zu dem Thema AZV und auch daran, dass andere Gewerkschaften im DGB diese Thema nicht aufgegriffen und offensiv verfolgt haben. Jörg Wiedemuth sprach in diesem Zusammenhang auch von einer arbeitszeitpolitischen Rollback-Strategie der Kapitalseite seit 2005 und machet dies u.a. an der Niederlagen der IG Metall im Streik um die Angleichung der Arbeitszeiten in den neuen Bundesländen im Bereich der Metall- und Elektroindustrie fest.
Sylvia Krabs, ebenfalls von der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung von ver.di, ging in ihrem Beitrag auf das Ergebnis einer Umfrage ein, die ver.di zum Thema AZV punktuelle in Betrieben und gewerkschaftlichen Gliederungen durchgeführt hat. Bei dieser Umfrage ging es darum den Stellenwert von Arbeitszeitverkürzung und Arbeitszeitgestaltung in den einzelnen Fachbereichen zu eruieren. Die Teilnehmer des Workshops in Berlin kritisierten die Tatsache, dass diese Befragung an der Basis der Organisation nicht angekommen sei und von daher diese Umfrage keinen repräsentativen Charakter haben können. Sylvia Krabs räumt dann auch ein, dass durch die punktuelle Befragung allenfalls Tendenz erkennbar geworden sind, jedoch nicht der tatsächliche gewerkschaftliche und betriebliche Wille bzgl. weiterer Arbeitszeitverkürzungen abgelesen werden kann. Von daher würde eine neue, umfassender Befragung zur gegebenen Zeit Sinn machen.
Ökonomische Rahmenbedingungen und notwendige gesellschaftliche Bündnisse
Der Kollege Norbert Reuter aus dem Bereich Wirtschaftpolitik beim ver.di Bundesvorstand ging in seinem Beitrage auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Arbeitszeitdebatte ein. Dabei veranschlagte der die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen in Deutschland bei ca. 4,6 Millionen. Reuter ging auch auf die sinkende Wachstums- und Produktivitätsentwicklung in Deutschland seit den 1950er Jahren ein und stellte feste, dass durch die herrschende Wachstumsfixierung der Unternehmen und der Bundesregierung die Arbeitslosigkeit nicht zu reduzieren, geschweige denn zu beseitigen sie, dies können nur durch eine signifikante Arbeitszeitverkürzung erreicht werden, somit sei das Thema AZV keineswegs überholt bzw. ein Auslaufmodell.
Die Kollegin Margareta Steinrücke, Referentin für Gleichstellungs- und Geschlechterpolitik der Arbeitnehmerkammer Bremen, stellet in ihrem Beitrag die Arbeit der Bremer Arbeitszeitinitiative2 dar, die getragen wird von Gewerkschaften, sozialen Verbänden und attac. Eine zentrale Forderung dieser Initiative sind menschen- und zukunftsgerechte Arbeitszeiten, dies setzt eine Arbeitsumverteilung statt weiterer Arbeitszeitverlängerung voraus. Deshalb setzt sich die Initiative für eine Umverteilung von Arbeit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, für die Verwirklichung partnerschaftliche Lebenschancen und für die Zukunftsperspektiven junger Menschen ein. Solche gesellschaftliche Bündnisse zur Reduzierung der Wochenarbeitszeit sind erforderlich, wenn es geling soll, der öffentliche und betriebliche Debatte um eine weitere, Wochenarbeitszeitverkürzung neuen Schwung zu verleihen.
Weiterhin führte die Kollegin Steinrücke aus, das die Arbeitnehmerkammer Bremen in Zusammenarbeit mit ver.di, der IG Metall, der NGG und des Bremer Forums für Arbeit den Entwurf für ein Gesetz zur Beschäftigungsförderung durch Arbeitsumverteilung (BFAU) in Auftrag gegeben hat. Als Begründung hierfür führte sie eine anzustrebende geschlechtergerechte Neuverteilung aller Arbeit (Erwerbs- und Haus- und Sorgearbeit) an, so wie sie das Referat Gleichstellungspolitik der Arbeitnehmerkammer fordert. Eine drastische Verkürzung der Normalarbeitszeit auf eine 30-Stunden-Woche für Männer und Frauen sei ein entscheidender Schritt dorthin.
Die politische Debatte in den Betreiben organisieren
Steffen Lehndorf vom Institut Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen ging in seinem Beitrag auf das Thema »Arbeitszeitpolitik: Gesellschaftspolitik im Betrieb« ein und zeigte die aktuellen Ausgangsbedingungen und Herausforderungen aus seiner Sicht auf.
Lehndorf stellte fest, dass in den Betrieben das Thema Wochenarbeitszeitverkürzung aktuelle kaum präsent sei. Während laut einer Allensbacher Umfrage 61% der Beschäftigten in der Bundesrepublik von den Gewerkschaften erwarten, dass sie sich für höhere Löhne einsetzten, erwarten lediglich 9% der Beschäftigten, dass sich die Gewerkschaften für eine kürzere Arbeitszeit einsetzen. Dies ist sicherlich zum einen durch die defensive gewerkschaftliche Tarifpolitik der vergangenen Jahre zu erklären, die es u.a. zugelassen hat, dass sich ein riesiger Niedriglohsektor in Deutschland etabliert konnte und die Binnenkaufkraft stagniert bzw. gesunken ist. Zum anderen hängt dies aber auch damit zusammen, dass es in den vergangenen Jahren keine wahrnehmbare arbeitszeitpolitische Debatte in den bundesdeutschen Gewerkschaften gegeben hat.
S. Lehndorf plädierte daher für eine Debatte um, und für die Durchsetzung von neuen Arbeitszeitmodellen, die gemeinsam mit den Beschäftigten zu entwickeln seien. Ihm ist zuzustimmen, dass die Betriebe das zentrale Handlungsfeld beim Thema Arbeitszeitverkürzung und Arbeitszeitgestaltung sind, ohne eine entsprechende klare zentrale Beschlusslage der Gewerkschaft(en) und eine starke gesellschaftliche Unterstützung gerade auch der sozialen Bewegungen beim Thema Arbeitszeitverkürzung, wie dies auf dem Kongress in Berlin »Umverteilen – Macht – Gerechtigkeit« (siehe UZ vom 31.05.13) der Fall war, wird eine weitere, relevante Verkürzung der Wochenarbeitszeit jedoch nicht zu haben sein.
Mitte September soll es eine Fortsetzung des Arbeitszeitworkshops geben, dann sollen konkrete Schritte bzgl. der weiteren Themensetzung, der Forderungsentwicklung, der weiteren Analyse der aktuellen betrieblichen und gewerkschaftlichen Bedingungen, sowie der gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Bündnismöglichkeiten diskutiert und festgelegt werden.
In den Betrieben muss »ver.di wieder die tarifpolitische Kraft entwickeln, allgemeine Arbeitszeitverkürzungen in allen ver.di Branchen durchzusetzen«, so wie dies im Tarifpolitischen Programm von ver.di formuliert ist. Deshalb muss nun die gewerkschaftliche und vor allem die betriebliche Debatte um eine weitere Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich, mit dem Ziel einer 30-Stunden-Woche vorangetrieben werden.
Falk Prahl
Quelle: kommunisten.de
1 Bezug wurde hier genommen auf eine Broschüre von Heinz-J. Bontrup/Mohssen Massarat (Hrsg.) »Arbeitszeitverkürzung jetzt!
30-Stunden-Woche fordern« pad Verlag 2013
2 http://www.bremer-arbeitszeitinitiative.de/cms/