Betrieb & Gewerkschaft

Konzerne und Leiharbeiter

Wettlauf von Hase und Igel

 

Symbolfoto: Leiharbeiter. Text: »Gleiche Arbeit – gleiches Geld«.

Koalitionsvertrag: Ein neues Spiel um Werkverträge und Leiharbeitsverhältnisse

 

Auf Sei­te 65 des Ko­ali­ti­ons­ver­tra­ges zwi­schen CDU und CSU und SPD steht der An­fang ei­nes Mär­chens – wenn nicht gar ei­ner faust­di­cken Lü­ge: »Wir wol­len Ar­beit für al­le, si­cher und gut be­zahlt.« Wenn hier der ver­meint­li­che Wunsch zur Wirk­lich­keit wer­den soll, müss­te sich al­ler­dings ganz viel än­dern – und das ei­gent­lich grund­sätz­lich und ra­di­kal. Zum Bei­spiel im Be­reich der Leih­ar­bei­ter und Werk­ver­trä­ge. Sie ste­hen ganz am En­de der ar­beits­recht­li­chen Si­cher­heit und der Ent­gelt­re­ge­lun­gen.

 

Schein­bar droht dem Fi­nanz­ka­pi­tal, den Kon­zern­zen­tra­len der Re­al­wirt­schaft und so­gar der Stadt Düs­sel­dorf durch den neu­en Ko­ali­ti­ons­ver­trag Un­ge­mach: »Rechts­wid­ri­ge Ver­trags­kon­struk­tio­nen bei Werk­ver­trä­gen zu­las­ten von Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mern müs­sen ver­hin­dert wer­den.« Und »ver­deck­te Ar­beit­neh­mer­über­las­sung (ist) zu sank­tio­nie­ren«. Schlie­ß­lich: »Der ge­setz­li­che Ar­beits­schutz für Werk­ver­trags­ar­beit­neh­me­rin­nen und –ar­beit­neh­mer muss si­cher­ge­stellt wer­den.« Al­lein die Auf­zäh­lung die­ser Ziel­set­zun­gen si­gna­li­siert, dass es re­ge­lungs­be­dürf­ti­ge »De­fi­zi­te« gab und gibt.

 

Da­mit die zu be­he­ben­den Ver­stö­ße we­nigs­tens in ei­nem zeit­li­chen Rah­men blei­ben, gibt es in Zu­kunft tem­po­rä­re Be­schnei­dun­gen. Nach dem Ar­beit­neh­mer­über­las­sungs­ge­setz (AÜG) soll die Über­las­sung nicht län­ger als 18 Mo­na­te dau­ern. Aus­weg: Über Ta­rif­ver­trä­ge, Be­triebs- und Dienst­ver­ein­ba­run­gen dür­fen »ab­wei­chen­de Lö­sun­gen ver­ein­bart wer­den«.

 

Z­um Lohn: Neun Mo­na­te lang darf un­ter Ta­rif be­zahlt wer­den. Erst dann folgt die An­glei­chung an die Löh­ne der Stamm­be­leg­schaft. Leih­ar­bei­ter dür­fen in Zu­kunft nicht mehr als Streik­bre­cher ein­ge­setzt wer­den. Die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen der Flug­ha­fen­per­so­nals kön­nen ein Lied da­von sin­gen. Die Ver­ga­be­ge­set­ze sol­len dar­auf ab­zie­len, dass öf­fent­li­che Auf­trä­ge nur an Un­ter­neh­men ge­ge­ben wer­den dür­fen, die sich an die Be­zah­lung nach Ta­rif hal­ten.

 

Und zum Schluss sei auf ei­nen Be­reich ver­wie­sen, der ganz be­son­de­re Ar­beits­ver­trä­ge zwi­schen Staat und Kon­zer­nen oder an­de­ren »Ar­beit­ge­bern« be­trifft: die Zwangs­ar­bei­ter in der Na­zi­zeit. Un­ter sar­kas­ti­schen Vor­zei­chen könn­te no­tiert wer­den: Ih­re Ar­beit in den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern, Ghet­tos oder in den Koh­le­gru­ben von Krupp wa­ren »Zeit­ar­beit«, »Werkauf­trä­ge« und »Leih­ar­beits­ver­hält­nis­se«. Mit un­glaub­li­cher Un­ver­bind­lich­keit hei­ßt es da­zu im Ko­ali­ti­ons­ver­trag von CDU und CSU und SPD: »Wir sind uns der his­to­ri­schen Ver­ant­wor­tung (69 Jah­re nach En­de des NS-Sys­tems, UK) für die Über­le­ben­den des Ho­lo­causts, die in der NS-Zeit un­säg­li­ches Leid er­lebt ha­ben, be­wusst. Wir wol­len da­her, dass den be­rech­tig­ten In­ter­es­sen der Ho­lo­caust-Über­le­ben­den nach ei­ner an­ge­mes­se­nen Ent­schä­di­gung für die in ei­nem Ghet­to ge­leis­te­te Ar­beit Rech­nung ge­tra­gen wird.« Wenn die aus­ge­beu­te­ten Häft­lin­ge mit zehn Jah­ren zu ar­bei­ten be­gin­nen muss­ten, sind sie jetzt et­wa 80 Jah­re alt. Wie hoch ist ih­re Ren­te? Wie hoch ist ih­re Ent­schä­di­gung? Wann wer­den das ent­spre­chen­de Ge­setz, die er­gän­zen­den Ver­ord­nun­gen im Bun­des­tag ein­ge­bracht?

 

Die bun­des­deut­schen Kon­zer­ne konn­ten sich ih­rer Ver­ant­wor­tung hin­sicht­lich die­ser Fra­gen über Jahr­zehn­te ent­zie­hen. Sie sind da­bei, es un­ter nun an­de­ren po­li­ti­schen und öko­no­mi­schen Be­din­gun­gen mo­di­fi­ziert wie­der zu ma­chen. Der Ge­gen­stand bleibt: die Rea­li­sie­rung von Ex­tra­pro­fi­ten.

 

So­gar die Wirt­schafts­re­dak­ti­on der FAZ muss ein­räu­men, dass »Un­ter­neh­men« Aus­we­ge fin­den, um die neu­en Ge­set­ze zu un­ter­lau­fen, nach de­nen sie »Leih­ar­beit­neh­mer nur noch an­dert­halb Jah­re auf der­sel­ben Stel­le ein­set­zen« dür­fen: »Um dies zu um­ge­hen, trick­sen nun vie­le Ar­beit­ge­ber.« (FAZ, 28.11.2013) Als Bei­spiel nennt die FAZ den IT-Dienst­leis­ter T-Sys­tems Re­gio­nal Ser­vices & So­lu­ti­ons GmbH (T-Sys­tems RSS), ei­ne Toch­ter des Bon­ner Kon­zerns »Deut­sche Te­le­kom«. Die Spiel­re­gel: Die Leih­ar­bei­ter, die von der Fir­ma Rand­stad kom­men, wer­den ent­las­sen. Sie sol­len dann von ei­nem an­de­ren Ver­lei­her ei­nen neu­en Werk­ver­trag be­kom­men, mit dem sie auf den al­ten Ar­beits­platz zu­rück­keh­ren. Ge­mäß der al­ten Ge­setz­ge­bung, die kei­ne zeit­li­che Be­fris­tung vor­sah, be­schäf­tig­te T-Sys­tem RSS ei­nen Sys­tem­ad­mi­nis­tra­tor über sechs Jah­re am Stück. Jetzt steht das neue Ge­setz ins Haus. Jetzt kam die Kün­di­gung. In ei­ner Rand­stad-Nie­der­las­sung, nun mit dem Bü­ro-Schild Te­cops, kann er sich be­wer­ben, wie­der ein­ge­stellt wer­den und wie­der bei T-Sys­tem RSS die Ar­beit auf­neh­men. Von den Ak­ti­vi­tä­ten auf den Ver­schie­be­bahn­hö­fen mit Na­men Te­le­kom, Rand­stad und Te­cops sind al­lein in Düs­sel­dorf 50 Leih­ar­bei­ter be­trof­fen. Ins­ge­samt be­schäf­tigt Te­le­kom 1.800 Be­schäf­tig­te als Zeit- und Leih­ar­bei­ter.

 

Die Re­gel bei BMW ent­hält noch ein paar Ne­ben­be­stim­mun­gen: 3.000 Zeit­ar­beits­stel­len wer­den ge­stri­chen. 3.000 neue Stel­len mit fle­xi­bel ver­län­ger­ten Ar­beits­zei­ten und ver­kürz­ten Pau­sen sind das Äqui­va­lent. Die Ar­beits­zeit­kon­ten wer­den nach Ar­beit­ge­ber­art ge­führt. (Quel­le: SZ, 27.10.2013) Noch ein­mal BMW: Das Er­folgs­re­zept im Werk Leip­zig stützt sich auf »schlecht be­zahl­te Ar­beits­kräf­te von Fremd­fir­men.« (Quel­le: Zeit-On­line, 19.11.2013) Auf dem Ge­län­de ar­bei­ten 6.000 Leu­te, da­von ge­hö­ren 3.700 zur Stamm-Be­leg­schaft. In kei­ner deut­schen Au­to­mo­bil­fa­brik ist der An­teil der Men­schen, die gar nicht zur Be­leg­schaft ge­hö­ren, so hoch. Bei BMW gibt es noch zwei wei­te­re »Klas­sen« mit ab­ge­stuf­ten Ver­trä­gen.

 

»Fremd­ar­bei­ter« aus der Fir­ma Wi­sag Pro­duk­ti­ons­ser­vice pro­du­zie­ren in der BMW-Fa­brik in Leip­zig für Thys­sen­Krupp Au­to­mo­ti­ve Sys­tems, Toch­ter von Thys­sen­Krupp (Es­sen), Ach­sen, die dann in den BMW ein­ge­baut wer­den. Die Zah­len der IG Me­tall für die Au­to­her­stel­ler in Deutsch­land ins­ge­samt: 763.000 »Fes­te«, 100.000 Leih­ar­bei­ter und 250.000 mit Werk­ver­trä­gen.

 

Noch ein Bei­spiel aus der Fahr­zeug-Pro­duk­ti­on: der »Sprin­ter« von Mer­ce­des aus Düs­sel­dorf. Mit­te letz­ten Jah­res hieß es in der Be­triebs­zei­tung der IG Me­tall: Die Fremd­ver­ga­be »führt zu gro­ßer Un­si­cher­heit, schürt Exis­tenz­ängs­te, lässt Wut auf­kom­men und die of­fe­nen Fra­gen kann nie­mand be­ant­wor­ten. Der Mensch als Mit­ar­bei­ter ist nur noch ein Kos­ten­fak­tor und wird als Hu­man­ka­pi­tal ge­se­hen.«

 

Die Ant­wor­ten auf Fra­gen zur Leih­ar­beit, zu Werk­ver­trä­gen und zu »Prak­ti­ka« mö­gen an­rü­chig er­schei­nen, so dass sie lie­ber nicht ge­ge­ben wer­den. So hat­te die Frak­ti­on der Links­par­tei im Per­so­nal- und Or­ga­ni­sa­ti­ons­aus­schuss der Stadt Düs­sel­dorf am 6. Sep­tem­ber 2013 erst­mals an­ge­fragt, wie es um die Leih­ar­beit in städ­ti­schen Be­trie­ben be­stellt sei. Nur die Hälf­te der Fir­men ant­wor­te­te, wo­bei die Ant­wor­ten teil­wei­se lü­cken­haft aus­fie­len. Das The­ma ist nicht be­en­det.

 

Uwe Koopmann
Bild: IG Metall


Der 185-seitige Vertrag zum Nachlesen (pdf)