Betrieb & Gewerkschaft

Sonntagsöffnungen im Handel

Porträt Nils Böhlke. 

«Es reicht nicht, eine Hüpfburg vor ein Möbelhaus zu stellen»


Der Angriff auf die Sonntagsruhe von Seiten des Kapitals geht weiter. Vordergründig soll dies nur für den Handel gelten. Bisher durften verkaufsoffene Sonntage zu einem konkreten Anlass stattfinden. Wird dies verändert besteht die Gefahr, dass der Sonntag nicht nur dort zum normalen Arbeitstag wird.

Mit welchen Rechtfertigungen der Einzelhändler und Kommunen wird immer wieder versucht, den Arbeitsschutz am Sonntag zu beseitigen?

Nils Böhlke: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt einmal große Stadtfeste oder Messen. Oft aber auch sehr kleine Feste, die nur lokal und Stadtteilbezogen sind. Die aus wenigen Bretterbuden bestehen. Die Bandbreite ist riesig. Wo wir klagen, gibt es sichtliche Rechtsverstöße. Entweder fehlt die Prognose. Oder der Anlass der Veranstaltung ist nicht deutlich größer, um mehr Menschen in die Geschäfte im Vergleich zu den Werktagen zu bewegen.

In den letzten Jahren hat ver.di über 110 Verfahren veranlasst und die meisten gewonnen. Was sind die Hintergründe dieser Erfolge vor den Verwaltungsgerichten?

Nils Böhlke: Was die Städte oft angegeben haben ist nicht ausreichend begründet. Die Praxis, die sich in NRW und bundesweit etabliert hat, ist fern der Realität. Man meint, es reiche aus eine Hüpfburg vor ein Möbelhaus zu stellen, um Sonntagsöffnungen durchzusetzen. Ein solcher Wildwuchs wurde auf Grundlage des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes von November 2015 Einhalt geboten. Es gibt nämlich kaum Belege dafür, dass diese Veranstaltungen eine juristisch einwandfreie Öffnung zulassen.

Die juristische Auseinandersetzung ist der eine Weg. Welche Erfolge gibt es, wo über öffentlichkeitswirksame Aktionen die Befürworter der Ausweitung von Sonntagsarbeit in die Schranken gewiesen wurden?

Nils Böhlke: Beispielhaft ist natürlich der Bürgerentscheid in Münster, an dem wir uns beteiligt haben. Gemeinsam in einem Bündnis mit Kirchen und Parteien wurde dafür geworben, dass die Läden am Sonntag geschlossen bleiben. Mit Unterschriftensammlungen und vielen Auftritten in der Öffentlichkeit ist dies erreicht worden. Die Mehrheit der Bevölkerung in Münster ist der Auffassung, dass der Sonntag ein gemeinsamer Ruhetag ist.

Gibt es weitere Kommunen oder Bürgerinitiativen?

Nils Böhlke: Es gibt die «Allianz für den freien Sonntag» in verschiedenen Städten. Auf NRW-Ebene, wo wir uns demnächst wieder treffen. Dort wird geplant, was wir gegen das neue Entfesselungsgesetz der Landesregierung machen. Kleinere Kundgebungen und Veranstaltungen wird es geben. Beschäftigte und Gegner der Sonntagsöffnungen werden Briefe schreiben und Unterschriften sammeln. Also, wir versuchen auch auf der politischen Ebene zu agieren.

Die NRW Landesregierung fährt mit dem «Entfesselungspaket» einen harten Kurs zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Ziel ist die völlige Flexibilität der Arbeitszeiten in allen Branchen. Wie reagiert ver.di NRW darauf?

Nils Böhlke: Sowohl auf der medialen Ebene, etwa der Presse, wurde das Entfesselungspaketes der neuen nordrhein-westfälischen Landesregierung teilweise kritisch begleitet. Nach der Landtagsanhörung im Dezember war dies auch so. Ab dem 22. Januar beraten wir uns wieder mit den Kirchen. Um öffentlichkeitswirksame Aktionen zu besprechen. Ver.di wird dafür werben, dass möglichst viele daran teilnehmen. Das Gesetz soll in der dritten Märzwoche durch das Landesparlament.

Karstadt, Kaufhof und die KaDeWe in Berlin sind die Hauptdrahtzieher beim Angriff auf den Schutz der Sonntagsruhe. Gibt es Betriebsräte in den entsprechenden Konzernen, die gemeinsam mit ver.di dagegen mobilmachen?

Nils Böhlke: Ja, die gibt es. Insgesamt herrscht bei den Betriebsräten große Unzufriedenheit. Das Vorpreschen der Warenhäuser bringt noch mehr Belastungen für das Personal. Sie wären die Hauptleidtragenden. Aufgrund der Lage der Häuser sind dort die meisten Sonntagsöffnungen zu erwarten. Es gibt keine zwei Meinungen zwischen ver.di und den Interessenvertretungen der Belegschaften. Man ist der Auffassung, dass weitere Initiativen außerhalb der Betriebe sinnvoll sind. Auf Betriebsversammlungen ist dies schon lange Thema. Gemeinsam wird dies dort mit ver.di, den Betriebsräten und Beschäftigten aufgegriffen und diskutiert.

Arbeiten Betriebsräte in Bündnissen und Initiativen mit?

Nils Böhlke: Auf der Landesebene ist dies noch nicht der Fall. Auf Bezirksebene, also den Kommunen, findet das individuell statt. Es wäre natürlich schön, wenn sich dort noch mehr engagieren würden.

Angriffe auf die Sonntagsruhe kamen auch von der alten Landesregierung unter Rot-Grün. Mit dem abgewählten Minister Duin (SPD) hatte ver.di bereits einen Leitfaden erarbeitet. Der hätte den Schutz der Sonn- und Feiertagsarbeit ebenfalls aufgeweicht. Fällt diese Bereitschaft gegenüber der SPD jetzt der Gewerkschaft nicht auf die Füße im Widerstand gegen Schwarz-Gelb?

Nils Böhlke: Nein, das würde ich so nicht sehen. Ich glaube, die Bereitschaft der ver.di auch darüber zu sprechen, wie eigentlich die Urteile der Verwaltungsgerichte auszulegen sind, war richtig. Damit hätte man eine weitere Aufweichung ausschließen können. Leider ist es zu keinem Ergebnis gekommen. Hätte man dies erreicht, gäbe es aber auch keine Gewährleistung, dass die Laschet-Lindner Regierung sich heute anders verhalten würde. Treibende Kraft für die Aufweichung des Arbeitsschutzes ist und bleibt die FDP. Die völlige Freigabe der Ladenschlusszeiten war immer das Bestreben dieser Partei. Bei den Koalitionsverhandlungen in NRW hat sich dies erneut gezeigt.

Es ist davon auszugehen, dass dieses «Entfesselungsgesetz» der Marktradikalen beschlossen wird. Was dann? Wird ver.di weiter klagen?

Nils Böhlke: Also, gerade dann. Die juristische Begründung für dieses Gesetz halten wir für sehr, sehr dünn. Das haben wir auch bereits gegenüber der Landesregierung betont. Weil, wenn dieses Gesetz durchkommt, es den Sonntagsschutz, wie bisher nicht mehr geben wird. Der ist aber im Grundgesetz verankert. Da kann sich die Landesregierung noch so querlegen. Das Grundgesetz gilt für alle Beschäftigten. Auch wenn CDU und FDP dies anders sehen. Die Gründe, die in dem Entfesselungsgesetz für eine Sonntagsöffnung zu finden sind, veranlassen uns regelrecht weiter den Klageweg zu beschreiten. Keine Ruhe zu geben.

Das Gespräch führte Herbert Schedlbauer
Das Interview erschien in der Wochenzeitung «unsere zeit» am 26.01.2018.
Foto: Dietrich Hackenberg