Frieden
Unverklemmter Imperialismus
»Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Rindvieh nicht erlaubt«, hieß es bei den alten Lateinern, wenn man zum Ausdruck bringen wollte, dass, was dem einen recht ist, dem anderen noch längst nicht billig sein darf. Der Mann, der das höchste Staatsamt der Bundesrepublik Deutschland bekleidete, musste diese bittere Erfahrung machen, als er im Mai d. J. wegen seiner unbedachten Äußerungen über die Rolle der Bundeswehr zur Verteidigung der Handelsinteressen des Exportweltmeisters entnervt seinen Hut nehmen musste.
Sein Fauxpas hatte darin bestanden, den schon anderweitig formulierten Anspruch Deutschlands auf militärische Absicherung von Handelswegen und Rohstoffinteressen in einem Interview für den Deutschlandfunk etwas naiv-ungeschickt zu Protokoll gegeben zu haben. »Im Zweifel«, so holperte Horst Köhler damals, »im Notfall« sei »auch militärischer Einsatz notwendig, (…) um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege«. Als nun Verteidigungsminister zu Guttenberg anlässlich einer in Berlin durchgeführten »Sicherheitskonferenz« ähnliches in nicht weniger klare Worte fasste, ging weder ein Aufschrei durch die Medien noch interessierte sich die politische Klasse dafür. Vom Rang her steht der Verteidigungsminister mindestens drei Stufen unter dem Bundespräsidenten. Dass er sich dennoch unbeschadet etwas herausnehmen konnte, was dem obersten Repräsentanten des Landes Kopf und Kragen kostete, hat wohl mit zwei Dingen zu tun. Erstens gehört der angesprochene Sachverhalt zum Ressort des Verteidigungsministeriums; zu Guttenberg argumentierte also in eigener Zuständigkeit. Zweitens ist er derzeit ungleich populärer als irgendein anderer Politiker, ein Sympathieträger ob seiner adligen Herkunft, seines schneidigen Auftretens und seiner allgegenwärtigen Medienpräsenz. Mit ihm legt sich weder die Presse noch die politische Konkurrenz an. Bei einem Mann, dessen politische Karriere scheinbar unaufhaltsam weiter nach oben führt, will offenbar niemand in Ungnade fallen.
Freiherr zu Guttenberg, Hausherr im Bendlerblock in Berlin und auf der Hardthöhe in Bonn, hat in seiner denkwürdigen Rede am 9. November die Aufgaben der ihm unterstellten Armee auf den Punkt gebracht: »Die Sicherung der Handelswege und der Rohstoffquellen sind ohne Zweifel unter militärischen und globalstrategischen Gesichtspunkten zu betrachten«. Und es müsse doch möglich sein, den Zusammenhang von nationalen Wirtschaftsinteressen und regionaler Sicherheitspolitik überall in der Welt »offen, ohne Verklemmung« auszusprechen – so wie das der unglückliche Horst Köhler vor Monaten getan habe.
Guttenberg hat sogar Recht. Längst gehört zu den Grundlagen der deutschen »Sicherheits«-Strategie, wirtschaftliche Interessen weltweit zu verteidigen. 1991 waren solche Gedanken in der Römischen Erklärung der NATO erstmals formuliert worden, ein Jahr später, im November 1992 übernahmen die »Verteidigungspolitischen Richtlinien« (VPR) des Geschäftsbereichs des Verteidigungsministeriums die Aufgabenbeschreibung der NATO für die Bundeswehr. Die Weißbücher der Bundesregierung von 1994 und 2006 wiederholten ebenso wie die VPR von 2003 die neue Sicherheitsstrategie. Deren Kern besteht in der militärischen Bekämpfung des internationalen Terrorismus, der Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und in der Sicherung des freien Welthandels sowie des freien Zugangs zu Rohstoffen, worunter seit einigen Jahren vor allem auch die fossilen Energierohstoffe wie Öl und Erdgas verstanden werden.
Kann sich Guttenberg einerseits also auf die seit fast 20 bestehende Sicherheitsdoktrin berufen, so setzt er sich gleichwohl ins Unrecht. Denn einmal bindet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Bundeswehr strikt an den Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung (Art. 87a) und verbietet in Art. 26 jegliche Aktivitäten zur Vorbereitung eines Angriffskrieges. Ein Angriffskrieg liegt aber ganz eindeutig dann vor, wenn ein Staat oder ein Staatenbündnis einen anderen Staat wegen irgendwelcher wirtschaftlichen Interessen mit Krieg überzieht. Die UN-Charta, das »Grundgesetz« der internationalen Staatengemeinschaft verbietet ausdrücklich jegliche Anwendung oder Androhung von Gewalt (Art. 2 Abs. 4). Der Einsatz militärischer Gewalt ist vom Völkerrecht nur in zwei eng definierten Fällen gedeckt: Zur individuellen oder kollektiven Verteidigung gegen eine militärische Aggression nach Art. 51 ( »Recht auf Selbstverteidigung«) oder falls die internationale Sicherheit und der Weltfrieden bedroht sind (Art. 39). In diesem Fall kann der UN-Sicherheitsrat die UN-Mitgliedstaaten zu abgestuften Maßnahmen auffordern, die schließlich auch militärische Zwangsmaßnahmen sein können (Art. 42). Wirtschaftliche Gründe zur Einleitung militärischer Maßnahmen geltend zu machen, ist also sowohl völkerrechtlich als auch verfassungsrechtlich ein Ding der Unmöglichkeit.
Das weiß irgendwo auch der Verteidigungsminister. Nur: Das wussten auch schon seine Vorgänger von Stoltenberg über Rühe und Scharping bis zu Struck und Jung. Keiner von ihnen ist jemals wegen dieser offenkundigen Missachtung des Grundgesetzes zur Rechenschaft gezogen worden – auch dann nicht, als den papierenen und verbalen Verfassungsbrüchen reale Verstöße gegen das Grundgesetz folgten: beim völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien 1999 oder bei der Intervention in Afghanistan vor neun Jahren. Das Gefährliche an dem Guttenbergschen Vorstoß liegt darin, dass er die Transformation der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee in eine »Armee im Einsatz« nun auch offen von ihrer wirklichen Zielsetzung her benennt: Es geht um imperiale Projekte der »Sicherung« bzw. Aneignung fremder Rohstoffe und Energiequellen – nicht mehr versteckt hinter Floskeln wie Menschenrechtsschutz oder Verhinderung einer »humanitären Katastrophe«, sondern »offen, ohne Verklemmung«. Auf Dauer, so scheint es mir, ist die Durchsetzung einer imperialistischen Kriegspolitik im Rahmen der NATO oder der EU nicht mehr unter verschämtem Verschweigen ihrer wirklichen Ziele möglich. Vielmehr bedarf es einer forschen Rhetorik, welche die künftigen Kriege um Rohstoffe und Energien innenpolitisch als Stärkung der deutschen Wirtschaft verkauft. Auf diese Weise, so das Kalkül der Herrschenden, lasse sich vielleicht die in der Bevölkerung weit verbreitete Kriegsskepsis überwinden. Und wer, wenn nicht die »Lichtgestalt« Guttenberg, kann diese ideologische Offensive zu einem guten Ende bringen?
Peter Strutynski
Quelle: UZ vom 19.11.2010
Zur Person: Peter Strutynski, Kassel, Politikwissenschaftler und Friedensforscher, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag; www.ag-friedensforschung.de