Frieden
Neue deutsche Kolonialpolitik
Neue deutsche Kolonialpolitik
Christoph Hentschel im Gespräch mit Jörg Kronauer
Der Soziologe und Journalist Jörg Kronauer ist Redaktionsmitglied bei www.german-foreign-policy.com und hielt auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung «junge Welt» in Berlin am vergangenen Wochenende einen Vortrag mit dem Thema «Deutscher Imperialismus von 1871 bis 2017, alte und neue Widersprüche bei den imperialistischen Hauptkräften. Und warum Fluchtursachen bekämpfen heißt: den Imperialismus bekämpfen».
UZ: Was sind die Interessen des deutschen Monopolkapitals in Afrika heute?
Kronauer: Es gibt unterschiedliche Ebenen. Es gibt nach wie vor an zentraler Stelle die ökonomischen Interessen in Afrika. Die beziehen sich, wie das schon immer in kolonialen und neokolonialen Verhältnissen war, auf den Bezug von Rohstoffen auf der einen Seite und auf der anderen Seite auf die Nutzung der Länder Afrikas als Absatzmarkt. Man muss dazu sagen, dass in den Gesamtbilanzen der deutschen Wirtschaft die Bedeutung Afrikas zurückgegangen ist. Im Export lag sie bei 6 Prozent in den 1950er Jahren, heute liegt sie nur noch bei 2 Prozent. Zum Beispiel kommen 14,7 Prozent der Metallerze aus Afrika, nicht mehr. Das bedeutet, dass Afrika weiterhin eine Bedeutung hat als Rohstofflieferant und Absatzmarkt. Es hat allerdings an Bedeutung gegenüber anderen Gebieten verloren, was zu dem Desinteresse an Afrika in Deutschland beiträgt. Gleichwohl ist es so, dass die Auswirkungen für die afrikanischen Staaten gleich geblieben sind, denn es findet nach wie vor, wenn auch von nicht ganz so hoher Bedeutung, eben die Ausbeutung der afrikanischen Länder statt.
UZ: In den 1990er Jahren wehrte sich Deutschland immer gegen einen Afrika-Einsatz des Eurokorps. Heute ist die Bundeswehr in Afrika aktiv. Was hat sich geändert?
Kronauer: Ich denke, was sich geändert hat sind die innereuropäischen Verhältnisse. Das ist ein bisschen wie Bismarck gesagt hat, «Meine Karte von Afrika liegt hier in Europa», und so ist es auch heute. In den 1990er Jahren war die Vormacht in Europa noch nicht endgültig geklärt. Frankreich wollte das Eurokorps nach Afrika schicken, um dort für seine Interessen eine Verstärkung zu kriegen. Das hat damals das Auswärtige Amt immer ganz konsequent verhindert. Selbst die Kongo-Einsätze in den 2000er Jahren sind nach einem halben Jahr pünktlichst beendet worden, was man sonst von keinem Bundeswehreinsatz sagen kann. Geändert hat sich seit 2010/11, als die Machtfrage in Europa geklärt war, dass Deutschland die Vormacht innehat und Frankreich allenfalls die Nummer zwei ist. Vor diesem Hintergrund versucht die Bundesregierung deutsche Soldaten nach Afrika zu schicken, allerdings nicht um für französische Interessen zu kämpfen, sondern um auf der Basis der gestiegenen eigenen Macht jetzt die eigene Machtposition in Afrika auszubauen.
UZ: Die Bundesregierung hat mehrere Projekte angeschoben, Pro-Afrika und Marshallplan für Afrika zum Beispiel. Was steckt dahinter?
Kronauer: Da steckt eigentlich ein doppeltes Bemühen dahinter. Auf der einen Seite versucht man, in Afrika insgesamt wieder stärker aktiv zu werden, um die eigene Rolle zu stärken, um die Fluchtbewegungen nach Europa einzudämmen, das ist der eine Punkt. Und der zweite Punkt ist, dass Deutschland bei der Nutzung Afrikas als Niedriglohnstandort im internationalen Vergleich stark zurückgefallen ist. Vor allem China wird immer stärker in Afrika. Und die Bundesregierung fürchtet, dass ihr in Afrika die Felle davonschwimmen. Was für eine Regierung, die Weltmachtpolitik betreiben will, ein schwerer Rückschlag wäre. Insofern versucht sie im Moment dort wieder Boden gutzumachen, deutsche Investitionen zu stärken. Das ist der erklärte Hintergrund dieser verschiedenen Programme.
UZ: Das trifft in Europa nicht nur auf Gegenliebe, wie man am Beispiel der Elfenbeinküste sieht.
Kronauer: Genau. Es ist in der Elfenbeinküste so, dass Frankreich nach wie vor sehr starken Einfluss hat. Dazu greift es auf seine neokolonialen Netzwerke zurück, wie das in vielen Ländern der Françafrique (Begriff, der die Politik Frankreichs gegenüber seinen ehemaligen Kolonien in Afrika seit Charles de Gaulle beschreibt, Anm. d. Red.) der Fall ist. Frankreich hat immer versucht, das Erstarken des deutschen Einflusses in der Elfenbeinküste, die eines der Wirtschaftszentren Westafrikas ist, zu verhindern. Darüber hat sich die deutsche Industrie immer beschwert und Frankreich wird sicherlich auch weiterhin versuchen, seinen Einfluss in der Elfenbeinküste aufrecht zu erhalten auch gegen die deutschen Versuche, da stärker zu werden.
UZ: Wie geht der deutsche Imperialismus damit um, dass China immer stärker wird in Afrika und dort ein anderes Konzept fährt?
Kronauer: China wird erst mal natürlich als Konkurrenz gesehen, dann auch als Gefahr in Afrika, einfach weil der chinesische Einfluss in Afrika immer stärker wird. China wird deswegen propagandistisch angegangen. Es wird hier in diesem alten kolonialen Zentrum immer China als Kolonialmacht in Afrika beschimpft, was wirklich bemerkenswert ist. Dann gibt es eben auch Versuche, wie jetzt die jüngsten Initiativen der Bundesregierung, selbst wieder stärker in Afrika aktiv zu werden. Die eigene Wirtschaft soll besser untergebracht werden, um die eigenen Positionen gegenüber China zu stärken. Es ist inzwischen punktuell auch so, dass Deutschland sogar mit China zusammenarbeitet, um die eigenen Positionen zu stärken. Es gibt Initiativen im entwicklungspolitischen Bereich, wo es deutsch-chinesische Absprachen gibt. Deutschland hängt sich an China dran.
UZ: Deutschland war ja auch in China als Kolonialmacht aktiv und hat dort ähnliche Verbrechen begangen wie in seinen afrikanischen Kolonien. Hindert das die Zusammenarbeit?
Kronauer: In China hat niemand vergessen, welche Rolle die europäischen Kolonialmächte gespielt haben. Und ich denke auch, den Verantwortlichen in China ist völlig klar, wie das Deutsche Reich damals in Qingdao (Tsingtao) gewütet hat und was für ein Rassenregime es dort errichtet hat. Ich würde die chinesische Politik so einschätzen, dass sie eine pragmatische, klar auf heute gerichtete ist, aber mit einem historischen Bewusstsein. Man macht sich nichts vor, welches Gewaltpotenzial in den kolonialen oder neokolonialen Mächten Europas steckt. Aber man arbeitet, wo es nötig ist, durchaus mit ihnen zusammen.
UZ: Was waren denn die besonderen Merkmale dieser Kolonialherrschaft in Afrika?
Kronauer: Es war ein brutales rassistisches Regime, das dort errichtet worden ist. Ein gewalttätiges Alltagsregime mit Prügelstrafen, das die Leute hart bestrafte und die Menschen in Ketten zur Zwangsarbeit schickte. Daneben ist es so gewesen, dass sehr brutale Kriege geführt worden sind. Der noch bekannteste ist der Herero-Aufstand und seine Niederschlagung ab 1904, die dann in den Genozid an den Herero und Nama mündete. Das war der erste Genozid des 20. Jahrhunderts, den die Deutschen begangen haben. Weniger bekannt, aber auch fürchterlich verheerend ist die Kriegführung in Ostafrika. Die Deutschen haben seit den 1890er Jahren vor allem im Maji-Maji-Krieg ab 1905 eine Strategie der verbrannten Erde betrieben. Das heißt: zivile Dörfer überfallen, beschossen, abgebrannt, Männer ermordet, Frauen und Kinder zur Zwangsarbeit verschleppt und in die Sexsklaverei getrieben. Dinge, bei denen man schon so ein bisschen eine Vorahnung kriegt von der Partisanenbekämpfung im 2. Weltkrieg, wenn man so will.
UZ: Wie geht die Bundesrepublik mit ihrem Erbe heute um?
Kronauer: Sie versucht es zu vergessen, so weit wie möglich. Das ist nicht allzu schwierig, denn die Öffentlichkeit weiß es nicht und die afrikanischen Staaten haben nicht die Macht, die notwendig wäre, um Deutschland zu irgendetwas zu zwingen. Es gibt Klagen aus Namibia von den Herero, aber die Bundesregierung versucht diese einfach auszuhebeln. Der Berliner Justizsenator nimmt die Prozessunterlagen einfach nicht an, weil nach Auffassung der Bundesregierung Zivilisten nicht bei ausländischen Gerichten gegen den deutschen Staat klagen dürfen.
Daneben gibt es das Projekt, eine Zukunftsstiftung zu errichten. Ähnlich wie den deutsch-griechischen Zukunftsfonds, wo kleine Entwicklungsprojekte gestartet werden, deutsche Solarenergie für Herero-Dörfer und Ähnliches, und wo ein bisschen Erinnerungskultur betrieben wird. Man fördert Gedenkstätten und Buchpublikationen über die deutsche Kolonialzeit, bringt ein paar deutsche Historiker und Historikerinnen in Lohn und Brot, aber die Nachfahren der Opfer haben faktisch nichts davon, außer ein paar warmen Worten und vielleicht einer Tasse Kaffee bei der Eröffnung der Gedenkstätte.
Interview: Christoph Hentschel, UZ vom 19.01.2018
Fotos: Bundeswehr, Tom Brenner
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