Jugend

1968 Gründung der SDAJ

5. Mai 1968, Grün­dungs­kon­gress der SDAJ

Porträt Walter Listl in Bundeswehr-Uniform (Plakat-Ausschnitt). Bildunterschrift: »Soldat Walter Listl«.

05.05.2010 | Am 5. Mai 1968 war der Grün­­dungs­­­kon­gress der SDAJ, der so­zi­a­­lis­­ti­­schen Deut­schen Ar­bei­­ter­ju­­gend. Der Ter­min war be­wusst ge­wählt. Es war zu­gleich der 150. Ge­burts­­tag von Karl Marx. Für Kom­­mu­­nis­­ten.de er­in­nert sich Wal­ter Listl, Grün­­dungs­­­mit­­glied der SDAJ, heu­te Spre­cher der DKP Süd­bay­ern:

Am 27./28. Ja­nu­ar 1968 er­schien ein »Auf­ruf zur Grün­dung ei­ner re­vo­lu­­ti­o­­nä­ren so­zia­lis­ti­schen Ju­gend­­or­ga­­ni­­sa­ti­on«, ei­nem der Grün­­dungs­­do­ku­­men­te der am 5. Mai 1968 dann ge­grün­­de­ten SDAJ. In dem Auf­ruf hei­ßt es:

Wir sind junge Arbeiter und Angestellte, junge lernende und studierende Bürger der Bundes­republik.

Wir sind aufgewachsen in einer Gesell­schaft, in der wenigen viel und vielen wenig gehört. Wir schaffen große Werte für unser Volk, die Früchte unserer Arbeit aber eignen sich andere an: Die Herren der Groß­in­dus­trie und der Groß­banken … Wir vertreten die revolutionären Ideen von Marx, Engels und Lenin. … Wir wollen an der Umgestaltung der Welt teil­nehmen. Wir engagieren uns für die Veränderung der gesell­schaft­lichen Verhält­nisse und setzen damit die Tradi­tionen der deutschen Arbei­ter­be­we­gung von Bebel, Liebknecht und Luxemburg fort.

Den Prozess der Bildung des Jugend­verbandes von diesem Aufruf im Januar bis zur SDAJ-Gründung im Mai 1968 habe ich aus einer besonderen Perspektive verfolgt: als Soldat der Bundeswehr.

Und das kam so:

Im Januar 1968 sollte ich zur Bundeswehr eingezogen werden. Auf Grund meiner Erziehung im Elternhaus kam das für mich nicht in Frage. Mit den Worten meiner Mutter im Ohr: »Lieber den Rest des Lebens trocken Brot, nur kein Krieg mehr« hatte ich zunächst geplant, den Wehrdienst zu verweigern.

Münchner Kommunisten, (die KPD war noch illegal) die ich als Maler­lehrling in der Gewerk­schaft kennen gelernt hatte, sagten zu meiner geplanten Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung: »Geh dahin, wo die Mehrheit der jungen Leute ist.«

Und ein Lied von Franz Josef Degenhard hatte mich beein­druckt. Der Lieder­text traf das, was ich dachte:

Also wenn du mich fragst Junge, soll ich gehen in die Armee, kann ich dir nur sagen Junge, wenn du stark genug bist geh.
Lern mit ihren Waffen kämpfen, wir gebrauchen sie einmal, lerne ihre Schwächen kennen, schwäche ihre Kampfmoral.

Genau das wollte ich. Nicht gleich mit Waffen kämpfen, aber die Richtung hat gestimmt.

Ich ging zur Bundeswehr. Aber dort fand meine militä­rische Lauf­bahn bald ein jähes Ende. Ich wurde vom Truppen­dienst­gericht zu 16 Tagen Arrest verur­teilt, weil ich angeb­lich gegen meine Pflicht zum treuen Dienen (§7SG) sowie gegen die Pflicht »… im und außer Dienst ein Verhalten zu zeigen, das der Stellung als Soldat gerecht wird«. In der Straf­formel hieß es weiter: »… er hat am Grün­dungs­kon­gress der Sozia­lis­ti­schen Deutschen Arbeiter­jugend in Uniform teil­genommen … und in einem Flug­blatt zur Eid- und Befehls­verwei­gerung aufge­rufen, sowie dazu, sich gegen legale Gesetze zu wehren«.

Das hat gestimmt. Bis auf die »legalen Gesetze«. Die Not­stands­gesetze waren damals nicht legal, sondern noch in Planung.

Als ich am Freitag, den 3. Mai nach Dienstschluss die Grenz­land­ka­serne der Bundeswehr bei Oberviechtach verließ, hatte ich meine Uniform in der Reisetasche. Am 4. und 5. Mai sollte in Essen die SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) gegründet werden. Dass ich dort in Uniform auftrete, war lange geplant und gründlich überlegt.

Es sollte auch eine Antwort darauf sein, dass seit vielen Jahren hohe Offiziere der Bundeswehr in Uniform bei so genannten Ver­trie­be­nen­treffen teil­nahmen, bei denen offen revan­chis­ti­sche Forde­rungen nach Korrektur der Ergeb­nisse des Zweiten Welt­krieges vertreten wurden. Neben diesem Auftritt beim Grün­dungs­kon­gress der SDAJ wurden mir vor allem zwei von mir verfasste Flugblätter zur Last gelegt.

SDAJ-Flugblatt 1967 (Vorderseite). Soldat mit Gewehr, mit dem Finger auf den Betrachter zeigend: »Auf dich muss ich schießen, Arbeiter, Student …«.

Darin hieß es unter der Überschrift:

»Auf dich muss ich schießen, Arbeiter und Student!

Ich habe geschworen, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. (Textpassage aus der Vereidigung)

Die Notstandsgesetzte aber richten sich gerade gegen Recht und Freiheit.

In Artikel 87, Absatz 3 der Not­stands­gesetze wird ausdrücklich fest­gelegt: »…die Streit­kräfte haben im Spannungs- und im Verteidi­gungs­fall die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgabe der Verkehrs­regelung wahr­zunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Vertei­di­gungs­auf­trages erforder­lich ist. Außerdem kann den Streit­kräfte im Vertei­di­gungs- und im Spannungs­fall der Schutz ziviler Objekte auch zur Unter­stüt­zung polizei­licher Maß­nahmen übertragen werden. Die Streit­kräfte wirken dabei mit den zustän­digen Behörden zusammen«.

SDAJ-Flugblatt 1967 (Rückseite): …wenn der Bonner Notstand blüht.

Die Notstandsgesetze erinnern an die Ermächtigungsgesetze von 1933…

Wenn also Arbeiter und Angestellte streiken, und wenn die Herrschen­den der Meinung sind, dass dies die Grund­ordnung gefährde – und die Reak­tionen auf die Demons­tra­tionen der vergangenen Monate zeigen, man ist schnell bei der Hand mit solchen Behaup­tungen, dann sollen wir Soldaten auf Euch schießen…

Wir werden aber niemals, auch im so genannten Spannungsfall nicht auf Arbeiter und Stundenten schießen, sondern das »Recht und die Freiheit tapfer verteidigen…

  • Wehren wir uns gegen diese Diktaturgesetze. Lassen wir es nicht zu, dass es ein zweites 1933 gibt.
  • Wir Soldaten wollen und werden nicht auf unsere Kollegen schießen.
  • Kameraden – nicht länger still­gestanden – rührt euch bevor es zu spät ist
  • Ich fordere als Bundes­wehr­soldat zum Ungehorsam auf
  • Kameraden in den Kasernen – verweigert den Eid
  • Verweigert Befehle bei Übungen, die sich gegen die Bevölkerung richten«

Zusammen mit vier weiteren Soldaten, die mit Bild und Uniform auf dem Flug­blatt zu sehen waren, hatten wir das Flug­blatt heraus­gegeben. Es folgten Vernehmungen beim Bataillonskommandeur. Er wollte wissen, wer wirklich hinter dem Text der Flugblätter steckt und welche Organisa­tion inner­halb der Bundes­wehr da aufgebaut werden soll. »Das grenzt an Meuterei« wurde mir bei einer Vernehmung vorgehalten.

16 Tage – viel Zeit zum Nachdenken wie alles kam.

Das ereignisreiche Jahr 1968 erlebte ich also von Januar bis August in der Bundeswehr. Die dienstfreien Wochen­enden waren ausge­füllt mit Kundgebungen und Demons­trationen, Diskus­sionen und Veranstal­tungen. Der Krieg gegen Vietnam empörte uns und das Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 empfanden wir wie einen Anschlag auf uns alle.

Wir waren in München eine Gruppe von Lehr­lingen (Auszu­bil­dende gab es damals noch nicht) aus der Gewerk­schaft Bau-Steine-Erden, Maler, Maurer, Fliesen­leger, kannten uns aus der Berufs­schule und gingen oft an den Wochen­enden zu einer Wohn­gemein­schaft von Studenten des SDS in der Münchner Knorr­straße. Dort gab es einen Versamm­lungs­raum in dessen Mitte ein großer Kohle­ofen stand um den herum Debatten entbrannten die von dem Boller­ofen schier angeheizt zu werden schienen.

Traditionalisten, Antiautoritäre, Maoisten und andere führten für uns Lehr­linge völlig unver­ständ­liche Debatten. Aber wir spürten, dass irgendwo in diesen Diskus­sionen eine Antwort auf die Frage verborgen liegt: Was kann man tun gegen den Imperia­lismus, gegen Nazis, Vietnam­krieg und Notstands­gesetze.

Irgendwann wurde beschlossen, die Auslieferung der Bild­zeitung in der Schelling­straße zu blockieren. Das war uns wichtig: Man kann was tun, man ist nicht ohnmächtig ausge­liefert. Was tun! Endlich was tun! Die Behinderung der Auslieferung der Bild­zeitung erlebten wir als einen großen Sieg, den ich aber nicht mehr ganz auskosten konnte, da ich zum Zapfen­streich wieder in der Kaserne sein, und also zum Zug musste.

Unsere Gruppe junger Arbeiter hatte schon 1967 begonnen, über einen marxisti­schen Jugend­verband nachzu­denken und wir hatten bundes­weite Kontakte zu anderen gleich­gesinnten Jugend­lichen. An den Ideen von Marx, Engels und Lenin sollte er sich orien­tieren und die Lehren der Geschichte der Arbeiter­jugend beherzigen: Bei Lenin über die Jugend hatten wir seinen Appell gelesen: Kapselt Euch nicht ab in Euren Zirkeln, verwandelt euch nicht in Prahler, die Losungen ausrufen.

Und Georgi Dimitroff in seiner Rede auf dem VII. Weltkongress:

Unsere Jugend­verbände sind in einer Reihe kapitalis­tischer Länder immer noch vorwiegend sektiere­rische, von den Massen losgelöste Organi­sationen. Ihre Haupt­schwäche besteht darin, dass sie immer noch bestrebt sind, die kommunis­tischen Parteien, die Formen und Methoden ihrer Arbeit zu kopieren und vergessen, dass der kommunis­tische Jugend­verband nicht die Partei der Jugend ist

1967 waren marxistisch orientierte Jugendliche in einem Netzwerk verbunden aus dem später die SDAJ entstand. So weit waren wir aber noch nicht. Zunächst gründeten wir in München, wie in vielen anderen Städten der BRD einen Jugendclub. In München in Anlehnung an Bert Brecht, den Drei-Groschen-Keller. Ein Jugendtreff, in dem diskutiert, getanzt und Musik gemacht wurde. Dort referierte z.B. Marcella Knipping zum Thema: »Wer befreit uns, Marx oder die Pille?« So weit ich mich erinnere, blieb die Frage offen.

Am 3. September 68 wurde ich also vorzeitig und unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen.

In der Entlassungsverfügung wurde folgende Begründung angeführt:

»Sie verletzten Ihre Pflicht zum treuen Dienen, indem Sie im Mai 1968 öffentlich in Wort und Schrift erklärten, dass Sie nicht gewillt seien, alle vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Dienstpflichten; insbesondere gehorsam zu sein und auch im Rahmen der Notstandsgesetzgebung unter Umständen ergehende Befehle auszuführen – zu erfüllen.

Sie riefen in Flugblättern, die in München und in Kasernen des Divisionsbereiches verteilt wurden die Soldaten der BW zum Ungehorsam auf.

Auf Grund Ihres Verhaltens fanden vor Kasernen der Bundeswehr Demonstrationen statt, bei denen Soldaten u.a. ebenfalls zum Ungehorsam und zur Zurückgabe ihrer Wehrpässe aufgefordert wurden.

In Ihrem Verhalten legten Sie somit nicht die Ihnen durch §15 des SG auferlegte Zurückhaltung an den Tag.

Sie gefährden damit ernstlich die Ordnung, Sicherheit und Disziplin der Truppe.

Wegen Ihrer Dienstverletzungen mussten Sie auch mit 16 Tagen Arrest bestraft werden…«

Ich – ein Sicherheitsproblem für die Bundeswehr – das war der Witz des Jahres. Wir waren vielleicht bundesweit 10 oder 15 Soldaten, mit ähnlichem politischem Hintergrund und in engem Kontakt miteinander. Aber bestimmt keine Gefährdung der Sicherheit der Bundeswehr. Die nervösen Reaktionen auf unsere Aktivitäten waren nur erklärbar mit der allgemeinen Verunsicherung der Vorgesetzten, durch die politische Dynamik der 68er Ereignisse. Aber es war auch das Ende meiner »militärischen Laufbahn« nach sechs Monaten. Der Rausschmiss kam mir nicht ungelegen, denn in der Zwischenzeit hatte sich viel getan.

Die neu gegründete SDAJ entwickelte sich stürmisch. In den ersten 160 Tagen nach ihrer Gründung traten bundesweit 1600 Jugendlich in die SDAJ ein. Im April 1968 hatte sich in München ein Aktionskomitee für die Wiederzulassung der KPD gegründet, die nun seit 12 Jahren verboten war. 12 Münchner Kommunisten traten mit einem Flugblatt an die Öffentlichkeit und luden ein zur Diskussion eines neuen Programmentwurfes der noch verbotenen KPD:

Fritz Feuerer, Josef Gauder, Max Gorbach, Ludwig Hankofer, Franz Heidacher, Jörg Högemann, Otto Huber, Hans Koller, Werner Ruhland, Ludwig Stark, Andreas Stöckl und Franz Xaver Stützinger. Letzterer hatte eine kleine Druckerei, die unsere Soldatenflugblätter druckte.

Das KPD-Verbot zu kippen gelang nicht, aber im September 1968 erfolgte die Neukonstituierung der Deutschen Kommunistischen Partei, DKP. Dies war möglich, weil die KPD auch in der Illegalität ihre Strukturen aufrechterhalten konnte, weil die BRD außer dem Griechenland der Putschisten und dem Spanien des Faschisten Franco das einzige Land in Europa war, in dem die KP verboten war und weil es eine politische Aufbruchstimmung gab, in deren Ergebnis dann auch eine sozialdemokratisch geführte Regierung mit ihrer neuen Ostpolitik entstand. Das war auch die sozialliberale Regierung, die weder sozial noch liberal dafür sorgte, dass mit Berufsverboten gegen Kommunisten die Bäume der neuen Partei nicht in den Himmel wuchsen.

Diese Berufsverbote waren eine Reaktion auf den schnell wachsenden Einfluss der DKP bei Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, bei Lehrern und Erziehern, bei Schriftstellern und bildenden Künstlern. Briefträger, Lockführer, Lehrerinnen, Sozialarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz, weil sie Mitglied der DKP waren.

Es schien wieder so weit. Ehemalige Nazirichter als Ministerpräsidenten und Berufsverbotsvollstrecker wieder gegen Kommunisten.

Die Position der DKP zum Einmarsch der Armeen des Warschauer Paktes in die CSSR 1968 war eine Zäsur und für uns, wie eine Feuer­taufe. Von der Springer­presse bis zu unseren Weg­ge­fährten und Verbün­deten aus der Anti­viet­nam­kriegs­be­we­gung schlug uns ein Hass und eine Feind­schaft entgegen, die uns junge Kom­munis­ten mit der selben Vehemenz und um so mehr diesen Ein­marsch verteidigen ließ.

Aber unser Schwerpunkt als DKP-ler in der SDAJ war die »Arbeiter­jugend­politik«, die Mobi­li­sierung von Lehr­lingen und jungen Arbeitern, gegen schlechte Ausbil­dung und Ausbeu­tung in der Lehr­zeit. Damals galt noch die so genannte Reichs­gewerbe­ord­nung aus der Jahr­hundert­wende, die den »Lehr­herren« berechtigte, sich »Lehrlinge zu halten«.

Zur Vorbereitung einer bundes­weiten Demons­tra­tion der Gewerk­schafts­jugend gegen die Reichs­gewerbe­ord­nung in Köln hatte die SDAJ zahlreiche Aktionen durch­geführt, mit denen die Miss­stände der beruf­lichen Bildung ange­prangert wurden

Wolf Branasky, ein Münchner Liedermacher, hatte einen »Lehrlingssong« geschrieben:

Der Schüler Fritz, der wollte gern ein Werkzeug­macher sein,
die Blech­fabrik sucht Lehr­linge, sie stellt den Fritz auch ein,
er ist jetzt bald zwei Jahre da, ihr werd's nicht glauben woll'n
er darf im zweiten Lehr­jahr schon für alle Brot­zeit hol`n.
Botzeit­holen ist nicht Sache also protes­tiern – Lehr­linge zusammen­halten, Lehr­linge zusam­menhalten und organisier'n…
Da war erst jüngst ein schönes Fest beim Siemens Großkonzern,
die Lehrlinge, die sollten da hübsch frei gesprochen wer'n
mit Streichquartatt und Blumentopf und einer Festansprach,
da war'n so viele Lügen drin, uns war's ganz schlecht danach
Die Lehrlinge, die hätten sich auch noch bedanken sol'n,
sie ha'm gesagt, wir tun es nicht, weil wir es nicht tun woll'n
Und einer ist ans Mikrophon, da war es gut zu hör'n,
wir wolln uns nicht bedanken, nein wir wollen uns beschwer'n
Danke sagen ist nicht Sache, also protestiern
Lehrlinge zusammenhalten und organisier'n.
Die Herrn sind, wenn wir es woll'n wie Altpapier im Wind
es lebe die Aktionseinheit, die zeigt wie stark wir sind
Wir wollen nicht mehr Knechte sein, wir bieten jetzt die Stirn
Und wisst ihr was bei Lenin steht, das müsst ihr mal probier'n.
Knecht sein ist nicht un'sre Sache also protestiern,
Lehrlinge zusammenhalten, Lehrlinge zusammenhalten und organisier'n.

Diese Siemens-Freisprechungsfeier, die im Lied besungen wird, hatte mächtig Staub aufgewirbelt. Sie wurde von den frei­zu­spre­chen­den Lehr­lin­gen umfunk­tio­niert in eine Anklage gegen die Mängel der Berufs­aus­bildung. Eine Frei­sprechungs­feier zu sprengen – das gab es in der »Siemens­familie« noch nie, dass die undank­baren »Kinder« sich auch noch beschweren. So genannte Arbei­ter­jugend­tri­bunale, bei denen die miserable Ausbildung in Betrieben und Berufs­schulen angepran­gert wurden, fanden in vielen Städten statt. Richtig mit Ankläger, Verteidigern, Sachver­ständigen und Richtern. Klar wie die Urteile immer ausfielen.

Höhepunkte der Arbeit der SDAJ waren die Konzerte der Rock­gruppe Floh de Cologne Anfang der 70er Jahre.

Der Münchner Schwabinger Bräu (inzwischen abgerissen) war mit 2000 Jugend­lichen, die noch bis ins Treppen­haus und auf die Straße standen restlos über­füllt als die »Flöhe« mit ihrer Rockoper »Profit­geier« auftraten.

Das Saallicht ging aus, der Vorhang auf, ein inferna­lisches Furioso eröffnete mit dem Text mit dunkler Stimme gesprochen:

»Als der Sprössling Andt Krupp von Bohlen und Reibach starb, da war man sich im Volke einig: Dies war seine sozialste Tat.« Die Hälfte des nächsten Stückes war von Beifall übertönt:

»Wir haben euch die Preise erhöht, wir haben euch die Mieten erhöht, wir haben euch die Steuern erhöht« und dann mit überschnappender Stimme: »Wir haben euch alles, alles, alles erhöht. Aber jetzt auch noch die Löhne?«

Ich weiß nicht mehr wie wir damals alles organisiert haben ohne Handy, E-Mail oder facebook. Wir hatten nur Wachsmatrizen mit denen wir Flugblätter hektografierten, machten Plakate eigenhändig im Siebdruckverfahren und mussten drauf achten, dass die Telefonkosten nicht zu hoch wurden.

Dennoch hatten wir in Bayern über 20 SDAJ-Gruppen, die sich regelmäßig trafen. Und unsere anti­mili­ta­ris­ti­sche Arbeit bei den Bundes­wehr­sol­daten ging weiter. Regel­mäßig zum Termin der Einbe­rufung neuer Soldaten in die Kaser­nen standen wir dort und verteil­ten Flug­blätter an die künf­tigen Soldaten, mit denen sie über ihre Rechte als Soldat aufge­klärt wurden und darüber, dass dieses Flug­blatt ihr persön­liches Eigentum sei und nicht abge­nommen werden dürfte. Es bildete sich die Gruppe »Soldat 70«, demokra­tische und anti­mili­ta­ris­tisch einge­stellte Soldaten und Mann­schafts­dienst­grade enga­gier­ten sich gegen den mili­ta­ris­ti­schen Ungeist in der Bundeswehr.

Später, 1983, bildeten damals 20 Unter­off­i­ziere und Offi­ziere das »Darm­städter Signal« und veröffent­lichten einen Aufruf, mit dem sie sich gegen die geplante Statio­nierung von Atom­raketen in der Bundes­republik aus­sprachen, für eine nicht­angriffs­fähige Bundes­wehr plädier­ten und den Abzug aller Massen­ver­nich­tungs­waffen von deutschen Boden forderten.

Darin sehe ich eine Fortsetzung dessen, was wir damals versucht haben.

Vielleicht ist die SDAJ die einzige Jugend­organi­sation, die als Ergebnis der »68er-Bewegung« entstand und bis heute überlebt hat. Dank Wolf Branasky oder Volker Donath und ihren Liedern, dank Gruppen wie Floh de Cologne aber auch Dank einer mühsamen und geduldigen Kleinarbeit eines Neuauf­baues nach der Nieder­lage 1989/90 von jungen Genos­sinnen und Genossen der DKP und anderen.

Uns jedenfalls haben diese Jahre der politischen Arbeit geprägt und gestärkt. Die damalige Aufbruch­stimmung gibt uns bis heute Kraft, weiterzumachen. Trotz alledem.

Walter Listl
Quelle: www.kommunisten.de/