Jugend

Statt Kardiologe nun Klempner

Ver­­drän­­gungs­­­wet­t­­be­werb an den Hoch­schu­len

Grafik: Klempnerwerkstatt circa 1880.

Es wird keine Probleme an den Uni­ver­si­tä­ten, in Handel und Hand­werk geben! Das wusste die ehe­ma­lige NRW-Schul­mi­nis­te­rin Barbara (»Babsi«) Sommer (CDU) schon vor Jahren, als sie nach den Auswir­kun­gen des Ver­drän­gungs­wett­bewerb an den Hoch­schulen gefragt wurde. Im aktuel­len Winter­semes­ter müssen viele der insge­samt 632 500 Studen­tin­nen und Stu­denten an den 69 Hoch­schu­len um einen Platz in den Hör­sälen, Semi­nar­räu­men und Labo­ren drängeln, um an den Pflicht­veran­stal­tun­gen teil­neh­men zu können. Für 100 Stu­den­ten in Biele­feld gibt es Räume, die für 20 Teil­neh­mer zuge­las­sen sind.

Eine beson­dere Drän­gelei gibt es auch dann, wenn ein Platz in einem Stu­den­ten­wohn­heim gesucht wird. Meh­rere Monate Warte­zeit sind nor­mal. Und: bei stei­gen­der »Nach­frage« steigen auch die Mieten auf dem »freien Markt«. Damit das Gedrän­gel nicht so groß wird, können die Uni­ver­si­tä­ten auf den Nume­rus clau­sus zugrei­fen: Sie begren­zen die Zahl der zuzu­las­sen­den Stu­den­ten. Diese Methode greift aber nicht immer, und so bilden sich in vielen Uni­ver­si­tä­ten auch Schlan­gen bei der Aus­gabe der Mittag­essen.

Diese Studien­bedin­gun­gen sind ein Grund von mehre­ren, dass viele Stu­den­tin­nen und Studen­ten das Stu­dium ab­bre­chen. Von den 57 000 ange­hen­den Mathe­ma­ti­kern sind es vier von fünf. Bei Infor­matik, Natur­wis­sen­schaf­ten und Inge­nieur­stu­dien­gängen hält jeder Vierte nicht durch, jeder Zweite geht ohne Abschluss. So das Ergeb­nis einer Unter­su­chung des Stifter­ver­ban­des für die Deutsche Wissenschaft.

Eine »Lösung«: Die Probleme werden nicht beho­ben – sondern ausge­lagert. Otto Kentzler, Präsi­dent des Zentral­ver­ban­des des Deut­schen Hand­werks, will »ent­täusch­te Stu­denten« für das Hand­werk anwer­ben. Er lockt mit »klarer Orien­tie­rung, Gesellen­brief, Meister­brief, Selbst­stän­dig­keit«. Er schöpft damit die Kan­di­da­ten mit der relativ höchs­ten schu­li­schen Quali­fi­ka­tion ab: Abi­tu­rien­ten. Real­schüler und Haupt­schüler werden so zur zweiten und dritten Wahl. Sie sind einem neuen Ver­drän­gungs­wett­be­werb unter­wor­fen, fallen aus dem Topf, weil sie von »oben«, aus den Uni­ver­si­täten, ins Abseits gedrückt werden.

Ein Auffangtopf für Studenten, die an den Bedin­gun­gen in der Uni geschei­tert sind, ist IKEA, wo man »gleich im Handel Kar­riere« machen kann. Gewor­ben wird mit drei Abschlüs­sen der Indus­trie- und Han­dels­kam­mer nach drei Jahren als Kauf­mann im Einzel­han­del, mit dem Aus­bil­der­eig­nungs­schein und als Han­dels­fach­wirt. – In der Wer­bung steht nichts darüber, dass IKEA sich 35 Jahre lang gegen den Ab­schluss von Ta­rif­ver­trä­gen wehrte, die sonst im Ein­zel­han­del üblich sind. Erst vor drei Jahren ging IKEA dank des Engage­ments von Verdi und der Beschäf­tig­ten in die Tarif­bin­dung. Die Flucht zu IKEA ist nicht die Flucht ins Para­dies. – Außerhalb von IKEA gibt es zur Zeit offi­ziell mehr als drei Mil­lio­nen Arbeits­lose, davon sind 283 551 unter 25 Jahre alt.

Eine andere Möglichkeit, mit den Bedin­gun­gen an der Uni­ver­si­tät unter dem Vor­zei­chen von Stu­dien­ge­büh­ren kämp­fe­risch umzu­gehen, zeigt aktuell das Volks­begehren in Bayern: 1 354 984 bzw. 14,4 Pro­zent der Wahl­berech­tig­ten vo­tier­ten gegen Stu­dien­ge­büh­ren von bis zu 500 Euro pro Semes­ter. Jetzt könnte ein Volks­ent­scheid kommen. Nicht unwahr­schein­lich ist aber, dass sich die CSU eine Blama­ge erspa­ren will und die Stu­dien­ge­bühr – entge­gen den Verein­ba­run­gen im Koa­li­tions­ver­trag mit der FDP – selbst streicht.

Uwe Koopmann
Bild: Wikipedia


»Handwerk (von mittelhochdeutsch hant-werc, eine Lehnübersetzung zu lateinisch opus manuum und griechisch χειρουργία (cheirurgía))«, Wikipedia