Jugend
Statt Kardiologe nun Klempner
Verdrängungswettbewerb an den Hochschulen
Es wird keine Probleme an den Universitäten, in Handel und Handwerk geben! Das wusste die ehemalige NRW-Schulministerin Barbara (»Babsi«) Sommer (CDU) schon vor Jahren, als sie nach den Auswirkungen des Verdrängungswettbewerb an den Hochschulen gefragt wurde. Im aktuellen Wintersemester müssen viele der insgesamt 632 500 Studentinnen und Studenten an den 69 Hochschulen um einen Platz in den Hörsälen, Seminarräumen und Laboren drängeln, um an den Pflichtveranstaltungen teilnehmen zu können. Für 100 Studenten in Bielefeld gibt es Räume, die für 20 Teilnehmer zugelassen sind.
Eine besondere Drängelei gibt es auch dann, wenn ein Platz in einem Studentenwohnheim gesucht wird. Mehrere Monate Wartezeit sind normal. Und: bei steigender »Nachfrage« steigen auch die Mieten auf dem »freien Markt«. Damit das Gedrängel nicht so groß wird, können die Universitäten auf den Numerus clausus zugreifen: Sie begrenzen die Zahl der zuzulassenden Studenten. Diese Methode greift aber nicht immer, und so bilden sich in vielen Universitäten auch Schlangen bei der Ausgabe der Mittagessen.
Diese Studienbedingungen sind ein Grund von mehreren, dass viele Studentinnen und Studenten das Studium abbrechen. Von den 57 000 angehenden Mathematikern sind es vier von fünf. Bei Informatik, Naturwissenschaften und Ingenieurstudiengängen hält jeder Vierte nicht durch, jeder Zweite geht ohne Abschluss. So das Ergebnis einer Untersuchung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft.
Eine »Lösung«: Die Probleme werden nicht behoben – sondern ausgelagert. Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, will »enttäuschte Studenten« für das Handwerk anwerben. Er lockt mit »klarer Orientierung, Gesellenbrief, Meisterbrief, Selbstständigkeit«. Er schöpft damit die Kandidaten mit der relativ höchsten schulischen Qualifikation ab: Abiturienten. Realschüler und Hauptschüler werden so zur zweiten und dritten Wahl. Sie sind einem neuen Verdrängungswettbewerb unterworfen, fallen aus dem Topf, weil sie von »oben«, aus den Universitäten, ins Abseits gedrückt werden.
Ein Auffangtopf für Studenten, die an den Bedingungen in der Uni gescheitert sind, ist IKEA, wo man »gleich im Handel Karriere« machen kann. Geworben wird mit drei Abschlüssen der Industrie- und Handelskammer nach drei Jahren als Kaufmann im Einzelhandel, mit dem Ausbildereignungsschein und als Handelsfachwirt. – In der Werbung steht nichts darüber, dass IKEA sich 35 Jahre lang gegen den Abschluss von Tarifverträgen wehrte, die sonst im Einzelhandel üblich sind. Erst vor drei Jahren ging IKEA dank des Engagements von Verdi und der Beschäftigten in die Tarifbindung. Die Flucht zu IKEA ist nicht die Flucht ins Paradies. – Außerhalb von IKEA gibt es zur Zeit offiziell mehr als drei Millionen Arbeitslose, davon sind 283 551 unter 25 Jahre alt.
Eine andere Möglichkeit, mit den Bedingungen an der Universität unter dem Vorzeichen von Studiengebühren kämpferisch umzugehen, zeigt aktuell das Volksbegehren in Bayern: 1 354 984 bzw. 14,4 Prozent der Wahlberechtigten votierten gegen Studiengebühren von bis zu 500 Euro pro Semester. Jetzt könnte ein Volksentscheid kommen. Nicht unwahrscheinlich ist aber, dass sich die CSU eine Blamage ersparen will und die Studiengebühr – entgegen den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag mit der FDP – selbst streicht.
Uwe Koopmann
Bild: Wikipedia
»Handwerk (von mittelhochdeutsch hant-werc, eine Lehnübersetzung zu lateinisch opus manuum und griechisch χειρουργία (cheirurgía))«, Wikipedia