Jugend
Die Rettung der Bildung aus den Klauen der Kleptokraten
Bundesweit Demonstrationen und Kundgebungen von Schülern und Studenten
Tausende Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten demonstrierten am 17. November gegen die Herrschaft der Plünderer im Bildungswesen der Bundesrepublik.
Der Protest war so deutlich, dass er nicht nur von der lokalen Presse in Berlin, Köln und in vielen anderen Städten, sondern auch von bürgerlichen Medien wie Tagesschau und Focus in den Brennpunkt der aktuellen Berichterstattung gerückt werden musste. – Ein Hauch von Griechenland wehte in den letzten Tagen über die Straßen und Plätze, durch Hörsäle und Schulen.
In der bildungspolitischen Auseinandersetzung ging es darum, ob sich die Mechanismen zur Steuerung des Produktionsprozesses von wissenschaftlich ausgebildetem »Humankapital« zerschlagen lassen – oder nicht. Die Stoßrichtung der Koalition von Kapital und Kabinetten in Berlin und in den Bundesländern sei eindeutig: Verkürzung der Phasen der schulischen und universitären Wissensvermittlung, Zunahme des Leistungsdrucks und frühere Verwertung von Wissen und Fertigkeiten. Ein »klassischer« Bildungsbegriff, der auf eine allseitige Entwicklung der Persönlichkeit abzielt oder gar an einem am Klasseninteresse orientierten Bildungsbewusstsein geschult wird, stehe für diese Koalition nicht auf der Agenda. Es sei denn, es gehe um die Ausprägung von Herrschaftsbewusstsein.
Die Demonstranten nannten in der Form sehr laut und basierend auf ihren Erfahrungen die Kritikpunkte, die ihnen das Lernen erschweren, ohne auch gleich nach alternativen Inhalten zu sehen. Da ging es um das »Turbo-Abi« nach acht Jahren, das ein Jahr eher als bisher den Zugang zur Universität mit einem »Doppeljahrgang« eröffnen soll. Dahinter steht die Angst der deutschen Wirtschaft, die befürchtet, dass deutsche Jungmanager »zu spät« auf dem Arbeitsmarkt ankommen. Ein weiterer »quantitativer« Kritikpunkt: die Klassen sind in den Schulen immer noch deutlich zu groß. Da ändert sich auch nichts grundsätzlich in den Bundesländern.
Die Schülerinnen und Schüler machten deutlich: Ihre Schule darf insgesamt nicht länger zum »Nürnberger Trichter« verkommen: Schnelle, unkritische Aufnahme von Wissensstoff und mechanisches »Auskotzen« bei der nächsten Prüfung (»Bulimie-Didaktik«). Ähnlich sehen es die Studentinnen und Studenten, wenn sie die Bachelor-Studiengänge kritisieren: schnelles Pauken für einen schnellen Abschluss.
Die Demonstranten zeigen auf, dass diese Beschleunigungen längst ihre Kehrseiten in Schulen und Universitäten zu erkennen gegeben haben. Die »Verdichtung« des Unterrichts führe zu einer Reduzierung des Zeitbudgets. Soziales, politisches, kulturelles Engagement bleibe auf der Strecke. Vereine, Parteien gehe der Nachwuchs aus. Es fehle sogar an »Freizeit«. In der Uni könne nicht mehr frei gewählt werden, Veranstaltungen seien überfüllt, Wartezeiten würden verlängert.
Anatol Gunkel, Schülersprecher am Schiller-Gymnasium in Köln kritisiert insbesondere das Turbo-Abitur nach acht Jahren. Leistungskurse seien mit 30 Schülerinnen und Schülern überfüllt, Unterricht dauere teilweise von 8 bis 18 Uhr. Gunkel: »Das dreigliedrige Schulsystem ist überholt und ungerecht.« Er fordert, Geld in die Bildung zu stecken statt hunderte Milliarden Steuergelder an die Banken zu verteilen.
Wie Hochschulpolitik mit der Androhung von Strafanzeigen durchgesetzt wird, zeigte sich an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München. Dort sicherte die Polizei Hörsäle vor einer Besetzung. Besonders wütend sind Studentinnen und Studenten in Bayern, weil sie dort immer noch Studiengebühren zahlen müssen.
Welche Klasseninteressen die Konzerne in dieser Auseinandersetzung verfolgen, wiederholte Klaus Stein als Vertreter von »Occupycologne« auf dem Rudolfplatz in Köln: »Wir sind Teil der Bewegung, die in den vergangenen Wochen überall in der Welt große Aktionen zustande gebracht hat. Wir demonstrieren gegen die Macht der Banken. Wir finden es falsch, dass die Regierungen Riesensummen für die ohnehin schon Reichen rausschmeißen. Das ist unsozial und undemokratisch. Wir wollen Demokratie jetzt.« Dezidiert kritisierte er die Rolle des Bertelsmann-Konzerns, der politische, ideologische und ökonomische Vorgaben liefere: Das »Hochschulfreiheitsgesetz« öffnet den Konzernen über die Hochschulräte den Zugriff auf die Universitäten.
Stein: »Wir erkennen, dass die herrschende Politik nicht im Interesse kommender Generationen handelt, sondern nur Löcher im derzeitigen System stopft. Banken und Konzerne, aber auch die Bundeswehr haben an den Schulen und Hochschulen nichts zu suchen. Wir wollen eine demokratische Allgemeinbildung statt nur kurzfristig verwertbarer Qualifikationen. Schule darf nicht weiter nach Arm und Reich sortieren. Wir wollen Bildung für alle!«
Für diese Forderungen wurden deutliche Signale gesetzt. Jetzt fordern neben vielen anderen Organisationen auch Gewerkschafter, die SDAJ und die DKP, dass der Druck verstärkt werden muss.
Ernst Engels