Versammlungsgesetz stoppen

Wir lassen sie ja laufen

Versammlungsfreiheit

„Tritt das Versammlungsgesetz für NRW wie vorgeschlagen in Kraft, würden die zentralen verfassungsrechtlichen Grundsätze der Versammlungsfreiheit, wie sie seit dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1985 bestehen, unterlaufen. Dazu gehören die Autonomie in der Ausgestaltung der Versammlung, die Staatsfreiheit, der freie Zugang zur Versammlung und die Abwesenheit von Observation und Registrierung.“ (Aus der Stellungnahme von Grundrechtekomitee, VdJ, RAV vom 5. Mai 2021)

Der Gesetzentwurf ist am 27. Januar 2021 eingebracht worden. Die SDAJ demonstrierte noch am selben Tag vor dem Landtag gegen Versuch, die Grundrechte einzuschränken. Und am folgenden Samstag, den 30. Januar, versammelten sich in Köln mehrere Hundert meist jugendliche Demonstrantinnen und Demonstranten auf dem Rudolfplatz. Aufgerufen hatte das Bündnis „Köln gegen Rechts“.

Mittlerweile gehören dem Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen! Grundrechte erhalten!“ weit über 100 Organisationen an. Mehr als 5000 Menschen sind dem Aufruf zur Demonstration am 28. August nach Düsseldorf gefolgt.

Bündnissprecherin Gizem Koçkaya zieht ein überwiegend positives Fazit. „Wir haben unseren Protest friedlich auf die Straße getragen, allerdings hat die Polizei wiederholt und mehrfach Teilnehmer:innen gefilmt, das ist rechtswidrig“. Anmelder Martin Behrsing „Wir zufrieden, dass es nicht abermals zu Polizeigewalt kam, wie bei unserer ersten Demo im Juni.“

Die Verfügung der Düsseldorfer Polizei, die Banner und Transparente auf eine Größe von einem Meter Höhe und sechs Meter Länge zu beschränken, war noch in der Nacht zuvor vom OVG als rechtswidrig gekippt worden. In der Tat: andernfalls würde die Entscheidung über die optische Wahrnehmbarkeit von Demonstrationen der Polizei überlassen. Damit dürfte sie überfordert sein.

Der ver.di Landesbezirk hatte den Polizeieinsatz vom 26. Juni kritisiert: Der legitime und demokratische Protest gegen das geplante Versammlungsgesetz NRW wurde am 26. Juni in Düsseldorf mit Polizeigewalt verhindert. Diesen rechtswidrigen Angriff auf die Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit nehmen wir nicht tatenlos hin! Jetzt erst recht werden wir den Protest konsequent und mit aller Entschlossenheit weiterführen! Am 28. August werden wir erneut gemeinsam, zahlreich, friedlich und kämpferisch unsere Ablehnung des autoritären und undemokratischen Versammlungsgesetzes NRW auf die Straßen Düsseldorfs tragen!

Teile der Demonstration am vergangenen Samstag wurden dennoch von einer dichten Reihe von Polizisten im Gänsemarsch begleitet. Ein Polizist im Gespräch: „Wir lassen sie ja laufen." Da klang ein wenig Enttäuschung sowie Verwirrung über die gegensätzliche Befehlslage im Juni und heute durch.

Im Demonstrationsaufruf heißt es:

Demokratie braucht lebendige Versammlungen – die Landesregierung plant mit ihrem Gesetzesentwurf einen Angriff auf die Zivilgesellschaft.

So sollen voraussetzungslos Übersichtsaufnahmen (beispielsweise per Drohne oder Hubschrauber) zulässig sein und unter bestimmten Voraussetzungen auch verdeckte Ton- und Videoaufnahmen. Zudem sollen Anmelder:innen von Versammlungen zukünftig umfangreiche Angaben machen, werden zur Kooperation mit der Polizei gedrängt und müssen unter Umständen sogar die persönlichen Daten der Ordner:innen an die Polizei übermitteln. Durch die Aushöhlung der Polizeifestigkeit der Versammlung und die Befugnis zur voraussetzungslosen Errichtung von Kontrollstellen kann zukünftig der Zugang zu Versammlungen durch die Polizei erheblich erschwert oder gar unterbunden werden. Allein die Vermutung, dass Personen eine Versammlung stören wollen, könnte ausreichen, dass die Polizei sie und ihre Sachen durchsucht, ihre Identität feststellt und ihnen untersagt, an der Demonstration oder Gegenkundgebung teilzunehmen. Auch antifaschistische Gegenproteste werden durch ein erweitertes Störungsverbot erschwert. Einheitliche Kleidung, wie sie u.a. in der Klimagerechtigkeitsbewegung als Teil des Meinungsausdrucks getragen wird, kann mit dem sog. Militanzverbot kriminalisiert werden. Progressive Ideen, wie z.B. eine Abschaffung des strafbewehrten Vermummungsverbotes oder eine unabhängige Beobachtung der Polizeieinsätze finden sich nicht im Entwurf. Auch zentrale Prinzipien der Verfassungsrechtsprechung wurden nicht aufgenommen: etwa ein Deeskalationsgebot, die Ermöglichung von Gegenprotesten in Hör- und Sichtweite und die Pflicht für Zivilpolizist:innen, sich zu erkennen zu geben. Der ganze Gesetzestext atmet Misstrauen gegen Bürger:innen, die ihre Versammlungsfreiheit wahrnehmen.

Was Versammlungsfreiheit praktisch bedeutet, haben 100.000 Demonstrant:innen 1981 bei den Protesten gegen das AKW Brokdorf erkämpft und vor dem Bundesverfassungsgericht anschließend durchgesetzt. Das Verfassungsgericht bezeichnete in seinem wegweisenden Brokdorf-Beschluss Versammlungen als „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“. 40 Jahre später legt die Landesregierung die Axt an diese Grundsätze und verstärkt damit den gesellschaftlichen Rechtsruck. Damit ist der Entwurf ein Angriff auf die Demokratie – also auf uns alle! Dem stellen wir uns trotz aller Unterschiede in unseren Ansichten, Strategien und Aktionsformen gemeinsam entgegen!

 

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, VVN/BdA NRW

adressierte ihre Stellungnahme an die Landtagsabgeordneten. Darin heißt es:

Wir betrachten den Entwurf eher als „Versammlungsverhinderungsgesetz“ und legen Ihnen dringend nah, ihm nicht zuzustimmen. Stimmen Sie diesem Gesetzesentwurf zu, besteht die Gefahr, in Zukunft nicht mehr gegen den aktuell immer stärker werdenden Rechtsextremismus demonstrieren zu können. Bereits der Aufruf zur gewaltfreien Blockade von Aufmärschen neofaschistischer und rechtspopulistischer Parteien und Gruppierungen würde unter Strafandrohung von bis zu zwei Jahren stehen. Auch angemeldete Gegendemonstrationen wären davon betroffen. Gewinner wären nur rechte Parteien und Gruppierungen. Gegenüber Veranstalter*innen, Versammlungsleiter*innen, Order*innen und Teilnehmenden werden Hürden und eine strafbewehrte Drohkulisse aufgebaut, die offenbar vor der Anmeldung und Durchführung von öffentlichen Kundgebungen abschrecken oder diese zumindest erschweren soll. Davon wären dann nicht nur antifaschistische Kundgebungen betroffen, sondern auch Kundgebungen beispielsweise der Friedens-, Umwelt- und Klimabewegung, wie z.B. „Fridays for Future" oder „Ende Gelände". Der Gesetzentwurf schreibt vor, dass in der Einladung zu einer öffentlichen Versammlung der Name des Veranstalters oder der Veranstalterin anzugeben sei. Damit wird die anmeldende Person einer antifaschistischen Demonstration den Nazis zum Fraß vorgeworfen. Ferner soll aus jedem Grund, den die Polizei als „Gefahr für die öffentliche Sicherheit" annimmt, eine Liste mit Namen und Adressen der Ordner herausgeben werden müssen, unabhängig davon, ob die Gefahr aus der eigenen Demonstration oder von anderen Umständen ausgeht. Auch weitere Einschränkungen wie das sogenannte „Militanzverbot", die Einrichtungen von Kontrollstellen oder die Erleichterung von Teilnahmeuntersagungen gegenüber einzelnen Personen ohne versammlungsbezogenen Anlass eröffnen Tür und Tor für willkürliche Entscheidungen der Polizei.“

 

Auch die Fußballfans wehren sich.

Die NRW Fanhilfen (Fanhilfe Dortmund, Fanhilfe Fortuna, Fanhilfe Mönchengladbach, Fanhilfe Münster, Kölsche Klüngel, Kurvenhilfe Leverkusen) und die LAG Fanprojekte NRW kritisieren: „Denkbar wäre es, dass die Versammlungsbehörde zukünftig die Veranstaltung, Leitung und Teilnahme von und an Fanmärschen untersagen könnte, bei denen Fußballfans, wie im Stadion auch üblich, bekleidet in gleichfarbigen Trikots ihrer Mannschaft gemeinsam zum Stadion gehen.

Darüber hinaus werden auch hier mit der Formulierung „der Größe und Unübersichtlichkeit der Versammlung“ unbestimmte Rechtsbegriffe eingeführt, die eine klare Abgrenzung, wann eine Veranstaltung groß und unübersichtlich sei, und somit die Anfertigung von „Übersichtaufnahmen“ zulässig sei, nur schwierig ermöglichen.“

Und sie sehen in den neu geschaffenen formalen Hürden – schriftliche Anmeldepflicht, der Mitteilung von Ordnerlisten, der Pflicht zur Anmeldung der Versammlung 48 Stunden vor der Versammlung – weitere Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 8.

 

In der ver.di-Stellungnahme heißt es:

Mitten in der Pandemie plant die schwarz-gelbe Landesregierung einen erheblichen Angriff auf unsere Versammlungsfreiheit. Anstatt polizeiliche Eingriffe strikter Kontrolle zu unterstellen, um (rassistische) Polizeigewalt, Einschüchterung und Überwachung zu unterbinden, greift der Gesetzesentwurf massiv in unser aller Freiheiten ein und muss daher unbedingt gestoppt werden! Nach dem Entwurf soll die Videoüberwachung von Demonstrationen durch Übersichtsaufnahmen (z.B. per Drohne oder Hubschrauber) aber auch verdeckt aus der Menge heraus möglich sein. Anmelder:innen sollen zukünftig umfangreiche Angaben machen, werden zur Kooperation mit der Polizei gedrängt und müssen unter Umständen sogar die persönlichen Daten der Ordner:innen an die Polizei übermitteln. Durch die Aushöhlung der Polizeifestigkeit der Versammlung und die Befugnis zur voraussetzungslosen Errichtung von Kontrollstellen und Durchsuchungen kann zukünftig der Zugang zu Versammlungen durch die Polizei erheblich erschwert oder gar unterbunden werden.

 

Auch antifaschistische Gegenproteste werden durch ein erweitertes Störungsverbot erschwert. Einheitliche Kleidung, wie sie u.a. in der Klimagerechtigkeitsbewegung getragen wird, kann mit dem sogenannten „Militanzverbot“ kriminalisiert werden. Progressive Ideen, z.B. die Abschaffung des strafbewehrten Vermummungsverbotes oder eine unabhängige Beobachtung der Polizeieinsätze sowie die Pflicht für Zivilpolizist:innen sich erkennen zu geben, finden sich nicht im Entwurf. Der ganze Gesetzestext atmet Misstrauen gegen Bürger:innen, die ihre Versammlungsfreiheit wahrnehmen. Die Versammlungsfreiheit zählt in der parlamentarischen Demokratie zu den zentralen Grundrechten, weil sie es Bürger:innen ermöglicht, ihre Anliegen auf die Straße zu tragen und Missstände anzuprangern. Demokratie braucht lebendige Versammlungen. Die Landesregierung plant mit ihrem Gesetzesentwurf einen Angriff auf die Zivilgesellschaft – also auf uns alle! Dem stellen wir uns trotz aller Unterschiede in unseren Ansichten, Strategien und Aktionsformen gemeinsam entgegen.

Text: Klaus Stein
Foto: Dirk Stehling


Fotos:  I. Lang, Jens  O., Dirk St., Berndt B.

Rede: Gabriele Schmidt