Partei

Braucht die Linke eine kommunistische Partei?

Eine Antwort von Wolfgang Richter,
DKP-Mitglied und Ratsherr in Dortmund
Eine rhetorische Frage zu beantworten ist eine so überflüssige Übung wie leichte Aufgabe und könnte die Einleitung eines Dialoges zum Thema so kurz wie knackig halten: Ja, die braucht sie. Auch umgekehrt könnte daraus eine rhetorische Frage entstehen - braucht eine kommunistische Partei die Linke?
Die Antwort könnte ebenfalls so kurz wie knackig lauten: Ja, die braucht sie.

Aber die Frage ist keine rhetorische, vielmehr erscheint sie absichtsvoll ungenau gestellt. Nähert man sich ihr in analytischer Absicht, entfaltet sich eine Reihe von Unterfragen: 1. "Braucht die Linke ...?" Wer oder was ist diese Linke, die womöglich etwas braucht? Handelt es sich allgemein um die politisch und politikwissenschaftlich zumeist diffus beschriebene, aber unverdrossen so genannte gesellschaftliche Figur "die Linken", sind womöglich alle Linken im Lande gemeint, auch die unerkannten, auch die "Schläfer"? Handelt es sich um eine bestimmte Abteilung der Linken? Handelt es sich konkret um die Partei, die sich seit historisch sehr kurzem "Die Linke" nennt?

2. "Braucht ... eine kommunistische Partei?" Wer oder was ist diese kommunistische Partei, die womöglich gebraucht wird? Handelt es sich allgemein um die theoretisch mehrfach altmeisterlich beschriebene, aber praktisch undeutlicher gewordene Figur "kommunistische Partei", sind womöglich alle Kommunist/innen im Lande gemeint, auch die unerkannten, auch die "Schläfer"? Handelt es sich um eine bestimmte Abteilung der Kommunisten? Handelt es sich konkret um die Partei, die sich vor 40 Jahren "Deutsche Kommunistische Partei" nannte?

Unser Autor bei einer Aktion gegen Nazis am Antikriegstag 2008 in Dortmund - Foto: Sarbok

So viele Fragen. Didaktisch zu loben wäre es, sich vom Konkreten zum Allgemeinen vorzuarbeiten und mit dieser Anreicherung zurückzukehren zum Konkreten. Versuchen wir es.

1. "Die Linke" und die Linken

Das Konkrete im Meer des allgemein Linken ist hierzulande gewiss die Partei "Die Linke". In ihr erwacht und versammelt sich in einem unvergleichlich kurzen Weg die gesellschaftliche Figur "die Linken" in der äußerlich friedlich und doch gewaltförmig vergrößerten Bundesrepublik - insofern spiegelt die Partei diese Figur, diese Republik und ihre kurze Geschichte wider, die längere in der demokratischen nicht zu vergessen. In der politischen Organisierung der heimatlos gewordenen Linken hat die Partei ihre aktuelle und historisch wichtige Aufgabe gefunden. Ein großer Teil der Linken war seit Jahren und Jahrzehnten in Organisationen und Parteien der Arbeiterbewegung ruhiggestellt, die vom Klassenkampf gelassen haben und ihr Heil in der politischen Mitte suchen, oder war in Philosophie-, Soziologie- oder Geografie-Seminaren und -Zeitschriften verstrickt, die die Welt immer noch einmal zu erklären suchen, oder war an Kaminfeuern und um Jazzinstrumente versammelt, an denen "das Bürgerliche" auf kultivierte Weise verhohnepiepelt wird, in angenehm bürgerlichem Milieu. Da überall reanimiert und mobilisiert die Partei. Überall da räumt sie ab. Sehr erfolgreich, zu ihrer eigenen Überraschung, Verwunderung und leisen Beunruhigung. Die dieses Letztere spüren, ahnen, dass solcher Zulauf nicht ohne Folgen bleibt für Charakter und Wesen der Partei, die unversehens eine neue Volks- und Wahlpartei wird, eine linke, versteht sich.

Als solche achtet die Partei sehr auf Vielfalt der Foren, Plattformen und Kommissionen auf der einen Seite und auf der anderen darauf, dass sie nicht fremd vereinnahmt, unterwandert, gar in "eine linke Ecke" gerückt werden kann. Gibt es doch Linke, die anderes in und mit der Partei vorhaben als mit ihr eine linke Volkspartei zu werden - da sind leider Aufnahmeverweigerungen, Unvereinbarkeitsbeschlüsse, Politikverbote und Ausschlüsse unvermeidlich. Sie sind angekündigt und bereits im Verfahren. Auch gibt es Linke, die das Angebot der Partei nicht annehmen wollen, in ihr heimatlich zu werden, die offenbar ebenfalls anderes wollen als sie und sich nicht die Aufgabe stellen, dies in ihr durchzusetzen, mag dies nun politisch mehr sein oder weniger, radikaler oder bequemer. Kurz und gut: Zur Gänze spiegelt die konkrete Partei Die Linke die allgemeine Linke im Lande in ihren Qualitäten und Defiziten denn doch nicht wieder. Aber als neue Partei der Linken in der Republik erfüllt sie in hohem Maß und höchst verdienstvoll die Aufgabe, die politischen, sozialen und kulturellen Ansprüche, die von links an die Gestaltung der bürgerlichen Klassengesellschaft zu richten sind, wieder zu mobilisieren, ihnen ein geschärftes Profil zu geben und sie neu zu politisieren. Die Verhältnisse schreien danach, dass dies geschieht -dem stellt sich die Partei mit großem Herzen und viel Sachverstand. Sie "kommt an", in den Verhältnissen und bei den Menschen. Dies hat die unter dem langanhaltenden Diktat von Kapital- und Finanzinteressen innerlich erstarrte und nur äußerlich differenzierte Politikszene aufgemischt, es ist wieder Leben und Angriff in Rathäuser, Landtage und in den Bundestag eingezogen, das beginnt auch in Schulen und Hochschulen, es ist noch vergleichsweise wenig in Betrieben und Gewerkschaften und auf Straßen und Plätzen angekommen. Die Entwicklung ist nicht zu Ende. Die Erwartungen sind hoch, innerhalb und außerhalb der Partei.

Die Bündnisfähigkeit der Partei ist eingeschränkt, weil sie sich selbst als das Bündnis begreift und darüber hinaus gehenden Bedarf eher rhetorisch als politisch wirksam vorträgt.

2. Die DKP und die Linken

Die konkrete kommunistische Partei im eher kleinen Gewässer des allgemein "Kommunistischen" ist hierzulande gewiss die DKP. Die ältesten Kommunist/innen in ihr haben Faschismus und Krieg, in Westdeutschland das KPD-Verbot, die Illegalität, die Neugründung der kommunistischen Partei vor 40 Jahren und den Verlust des Sozialismus nebenan vor bald 20 Jahren organisiert erlebt, mitgestaltet und überlebt. Die älteren Kommunist/innen in ihr haben die DKP (und die SDAJ) gegründet und organisiert entwickelt, sie waren dem Sozialismus nebenan prinzipiell - so unverbrüchlich wie unzulänglich - verbunden und wurden mit seinem Scheitern in ihren Grundannahmen erschüttert, aber nicht aus ihrer Weltanschauung geworfen. Die jüngeren Kommunist/innen in ihr sind "trotz alledem" gekommen, um sich zu organisieren für ihre Ideen. Die Partei beruft sich auf die weitreichenden Ideen von Marx, Engels und Lenin und sucht sich deren Weiterentwicklung und Anwendung für ihre Politik mühsam zu erarbeiten. Sie sieht die Existenz von Klassen und den Widerspruch zwischen ihnen als Auftrag, sich organisiert daran zu beteiligen, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist". In ihrem Programm formuliert sie diesen Anspruch bis hart an die Grenze der latenten Verbotsdrohung durch die Klassenjustiz.

Die konkrete DKP spiegelt damit aber keineswegs das Allgemeine wieder. Sich als Kommunist/in zu verstehen hat - vor allem im Kontext der Aufgabe des Sozialismus nebenan - auch viele andere Formen gefunden: Abspaltungen, Zirkel, Vereinzelungen ebenso wie das Finden von Parteiersatz in restradikalen Inseln in Gewerkschaften, Vereinen, Initiativen und Bewegungen, auch in Parteien. Überall dort begegnen wir "Kommunist/innen", die sich offen und gerne, oft ungefragt, als solche bekennen - ich nenne sie respektvoll Kommunist/innen des Herzens und vermeide, sie Kommunist/innen des Bauches zu nennen, obwohl der Bauch auch in dieser Frage realistischerer Ratgeber als das Herz sein kann. Gar nicht so wenige von ihnen treffen wir "natürlich" auch in der Partei "Die Linke" wieder. Die Älteren unter ihnen haben vielerorts Geburtshilfe geleistet, in Erinnerung an die bunte und schöne Aufbauphase der DKP vor 40 Jahren und aus diesem Erfahrungsschatz freigebig weitergebend. Die Jüngeren unter ihnen suchten schnellen "Erfolg". Manche, vor allem jüngere Orts- und Kreisverbände der Partei "Die Linke" verstehen sich mehrheitlich als "kommunistisch", in der Regel ohne sich erarbeitet zu haben, worum es da wohl ginge.

Die kommunistische Partei hat lernen müssen, in der Begleitung so vieler "draußen" agierender Kommunist/innen zu leben und macht wenig Anstalten, alle aufnehmen oder wieder aufnehmen zu wollen. Sie hält - nicht ohne erkennbare Bemühungen und innere Auseinandersetzungen - an ihrer Weltanschauung und der daraus abgeleiteten Arbeitsweise fest. In Theorie und Praxis gibt sie die Organisiertheit als prägendes, letztlich entscheidendes Moment in den Klassenkämpfen nicht her. Bis heute und auch noch für morgen konstatiert die kommunistische Partei: "Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen." Diese konkrete kommunistische Partei in der Republik sieht sich bei aller Vielfalt und allem Streit um ihre aktuellen politischen Ideen, ihre notwendigen Arbeitsfelder und ihr aufgezwungene Fronten als politische Einheit und Gemeinschaft der Kämpfenden. Aus dieser eher verschlossen klingenden Position heraus bietet sie offen und offensiv Bündnisfähigkeit an und erneuert Aktionseinheitspolitik, wo immer dazu Anlass, Bereitschaft und Kraft ist. Auch darüber spricht das neue Programm der DKP verlässlich.

3. Eine mögliche Antwort

Die ungenaue und zugleich rhetorisch erscheinende Frage war: Braucht die Linke eine kommunistische Partei? Jetzt kann genauer gefragt werden: Braucht diese Linke diese kommunistische Partei?

Zunächst einfach wieder: ja. Denn "Die Linke" in der Republik trägt die neu gewonnene und neu gestaltete rote Fahne, die ziemlich ungenau für "eine andere", "eine bessere", "eine gerechtere" Welt weht, einigermaßen ungesichert, was die Programmatik anbetrifft, dorthin zu gelangen. Diese so ohne belastbaren Grund optimistische Linke hofft mitten in den andauernden Unbilden und den anwachsenden Katastrophen der kapitalistisch organisierten und imperialistisch handelnden Klassengesellschaft, die unter dem Diktat des Privateigentums, der privaten Ausbeutung der Arbeitskraft als Ware und der Vernichtung der natürlichen Ressourcen entwickelten Widersprüche bändigen und auflösen zu können. Die wirklich barbarischen gesellschaftlichen Verhältnisse sollen in politische, soziale und kulturelle "Verträglichkeit" verwandelt werden, verwandelt werden können. Die Partei "Die Linke" erarbeitet und feiert vor Ort wichtige und unschätzbare Erfolge. Mit Blick auf die geschundene Klasse und auf die Endlichkeit der geschundenen Welt erscheinen sie eher als nichtige Erfolge. Es fehlt eine politische Theorie, die über die (wichtige) unmittelbare Erfahrung sozialer Beziehungen hinausreicht. Es fehlt eine politische Praxis, die über die (wichtige) alltägliche vor allem eben leider parlamentarisch "denkende" Arbeiterei hinausreicht. "Die Linke" braucht tatsächlich, will sie nicht wie andere vor ihr von den überlebten, aber noch überlebenden, herrschenden Prinzipien ideenmäßig verschlissen, wohldotiert aufgesogen und politisch ruhiggestellt werden, eine auf Sozialismus als notwendige Formation insistierende Kraft neben sich. Sie braucht dementsprechend inhaltlich und methodisch unbeirrbaren Druck von außen. Sie braucht die Möglichkeit von Aktionseinheits und Bündnispolitik mit der kommunistischen Partei. Sie braucht die verlässliche Kooperation mit ihr auf der Grundlage ihrer je eigenen Ansprüche und Ziele. Theorie und Praxis der DKP sind nicht die der Linken. Theorie und Praxis der Partei "Die Linke" sind nicht die der Kommunist/innen. Es ist gut, sich dessen zu vergewissern. Es ist dies keine Absage, sondern die Grundlage für jede Zusage.

Die Antwort auf die mir aufgegebene Frage, so einfach festgestellt und so direkt gegeben, gebiert die andere Frage -ist es diese kommunistische Partei, die "Die Linke" braucht? Hat die DKP heute den notwendigen Mut und die zupackende Kraft, die programmatische Ausstrahlung und die organisatorische Wirkmächtigkeit, die ideologische Festigkeit und die ihr dialektisch entsprechende Offenheit, solchem sprunghaft gewachsenen und neuerdings galoppierenden Anspruch politisch gerecht zu werden? Es ist dies die eigentliche Frage. Wir selbst plagen uns mit Zweifeln und nicht erfüllten Ansprüchen. Um die Beantwortung der Frage mit ja muss gekämpft werden. Ich denke, durchaus mit Blick auf die hier diskutierte Frage und in Ansehung der Linken im Lande und in Berücksichtigung der Klassenkämpfe muss es gerade auch nach ihrem 40. Geburtstag heißen: Macht die Deutsche Kommunistische Partei stark!

Impulsreferat bei einer Veranstaltung "40 Jahre DKP" in Hamburg
Foto: Sarbok