Abschied von Gerd Humbach
Gerd ist am 27. April 2012 gestorben
»Wenn ihr an mich denkt, seid nicht traurig. Erzählt lieber von mir und traut euch ruhig zu lachen. Lasst mir den Platz zwischen euch da, wo ich ihn im Leben hatte«.
In der Tat kam es so, als seine Familie, Genossen und Freunde im Kalker Naturfreundehaus zusammenfanden. Peter Trinogga hatte in seiner Rede diesen Wunsch unterstellt und eingeschränkt: »Ganz wird sein Wunsch nicht in Erfüllung gehen, denn natürlich sind wir traurig, ihn verloren zu haben. Wirklich verloren ist aber nur der, dessen nicht mit Freude, Respekt, Wehmut gedacht wird.«
Helga hatte zur Trauerfeier wenige Tage vor dem 86. Geburtstag ihres Mannes eingeladen und viele waren der Einladung gefolgt.
Trauerrede
Liebe Helga, lieber Sascha, liebe Ulla, liebe Angela und Martha;
liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freunde, verehrte Anwesende,
wir sind heute hier zusammen gekommen, um eines Menschen zu gedenken, der uns Ehemann war, Vater, Schwiegervater oder Opa, Genosse oder Freund, den wir liebten und schätzten. Wir trauern um unseren Gerd, der nach kurzer Krankheit am 27. April verstarb und, wie es sein Wunsch war, in aller Stille und anonym beigesetzt wurde. Dass diese Feier gerade heute stattfindet, ist kein Zufall, denn so wie es sich Gerd, der Förmlichkeiten hasste, gewünscht hatte, ohne große Zeremonie zu Grabe getragen werden wollte, so wollte er doch auch, dass wir seiner in einer zu ihm passenden Art und Weise gedenken: »Wenn ihr an mich denkt, seid nicht traurig. Erzählt lieber von mir und traut euch ruhig zu lachen. Lasst mir den Platz zwischen euch da, wo ich ihn im Leben hatte«. Ganz wird sein Wunsch nicht in Erfüllung gehen, denn natürlich sind wir traurig, ihn verloren zu haben. Wirklich verloren ist aber nur der, dessen nicht mit Freude, Respekt, Wehmut gedacht wird. Und wann könnte man eines Menschen wie Gerd besser gedenken, als an seinem Geburtstag. Am 22. August, also am kommenden Mittwoch wäre Gerd 86 Jahre alt geworden, lasst uns das zum Anlass nehmen, um uns von ihm so zu verabschieden, wie er es sich gewünscht hat.
Gerd kam 1926 in Köln zur Welt. In ein linkes Elternhaus hineingeboren, seine Eltern Grete und Ferdi Humbach gehörten dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund und ab 1931 der KPD an, musste er in den Jahren 1933 und 1934 Haussuchungen und die Verhaftung seines Vaters, im Freundeskreis der Familie die immer weiter zunehmende Entrechtung und Verfolgung jüdischer Menschen erleben. Obwohl antifaschistisch erzogen wird er nach einer Ausbildung zum Fotographen zur Wehrmacht eingezogen und muss einem Staat dienen, den er zutiefst verabscheut. Gerd weiß in dieser Zeit nicht, dass seine Eltern und sein Bruder Heinz Ende November 1944 im Rahmen einer großangelegten Aktion der Gestapo zusammen mit vielen anderen Antifaschistinnen und Antifaschisten verhaftet, gequält und durch verschiedene Gefängnisse und Zuchthäuser geschleppt wurden. Die dramatischen Ereignisse, die seinen Vater das Leben kosten, Ferdi Humbach starb 1947 an den Folgen einer Tuberkuloseerkrankung, die er sich in der Haft zugezogen hatte, erfährt er erst nach seiner Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft im Sommer 1945.
Für Gerd steht eines fest: Die faschistische Barbarei, die Millionen Menschen das Leben kostete, darf sich nie mehr wiederholen! Von seinen Eltern so erzogen, dass man für seine Überzeugungen auch aktiv eintreten muss, wird er sofort aktiv, gründet die Kölner Freie Deutsche Jugend mit und tritt sobald das möglich ist, in die Kommunistische Partei Deutschlands ein. Dort ist er aktiv gegen die Spaltung Deutschlands in zwei Staaten, gegen die zunehmende Remilitarisierung der Bundesrepublik und gegen die Restauration von gesellschaftlichen Verhältnissen, die den Faschismus nicht einmal 20 Jahre vorher ermöglichten. Bereits zu Beginn der fünfziger Jahre beginnt erneut eine Zeit der Verfolgung, diesmal aber durch die Adenauerregierung und nicht mehr unter Gefahr für Leib und Leben: 1951 wird die Freie Deutsche Jugend in Westdeutschland verboten, 1956 die KPD. Für viele derjenigen, die als Kommunistinnen und Kommunisten den Naziterror widerständig und unangepasst überlebt hatten, war klar, dass sie ein erneutes Verbot ihrer Partei erneut mit einer Fortführung ihrer politischen Aktivität im Untergrund beantworten und dafür notfalls auch wieder Verfolgung und Haft auf sich nehmen würden.
Gerd war, wie seine Mutter und sein Bruder Heinz einer dieser Menschen. Ich vermute, er hat gar nicht lange überlegt, mit welchen Risiken die illegale Parteiarbeit verbunden war – er hat wahrscheinlich einfach das getan, was in seinen Augen getan werden musste. In dieser Hochzeit des Kalten Krieges und der Kommunistenhysterie kam es zu Aktionen der Polizei und der Gerichte, die heute nicht nur so gut wie vergessen sind, sondern die uns Nachgeborenen auch völlig absurd erscheinen: Zu Beginn der sechziger Jahre hatten drei Männer in Köln eine legale linke Zeitung gegründet. Das zwei davon Kommunisten waren, reichte aus, um die Zeitung nach der zweiten Ausgabe zu verbieten und die Herausgeber vor Gericht zu zerren. Das Gerd in einem graphischen Betrieb arbeitete, in dem diese legale Zeitung gedruckt wurde, und zwar völlig offiziell gegen Rechnung, genügte, um auch ihn zum Angeklagten werden zu lassen und ins Gefängnis zu bringen.
Bei diesem Prozess der im Gerichtsgebäude am Appellhofplatz stattfand, passierte etwas, was Gerd und die Humbachs gewissermaßen chrakterisiert: Was am Tage im Gericht verhandelt wurde, erschien dank der beiden Brüder Humbach, von denen einer angeklagt war, als Bericht bereits am nächsten Morgen in einer illegalen Zeitung der KPD, die dem Gericht und den beteiligten Juristen per Post zugestellt wurde. Schneller konnte man vor der Entwicklung des Internet nicht arbeiten. Das Absurde an dieser Sache war, dass jedes dieser Flugblätter als Beweisstück aktuell im Gerichtssaal Wort für Wort verlesen wurde und damit, zumindest im begrenzten Rahmen des Gerichtssaales die Öffentlichkeit erreichte. Sowohl die Frechheit, als auch die Bereitschaft zu tun, was in ihren Augen getan werden musste, sind, glaube ich typisch für Gerd und seine Familie. Typisch für diese Haltung erscheint, was Helga über einen Spaziergang durch Köln vor ihrer Hochzeit mit Gerd berichtet:
Auf dem Weg trafen sie verschiedene weibliche Bekannte von Gerd, die er Helga in etwa so vorstellte: Das ist die und die, deren Mann sitzt und sie muss Zeitungen verkaufen. Und das ist die soundso, deren Mann sitzt auch. Und damit Du direkt Bescheid weißt, irgendwann werde ich auch verurteilt werden.
In den sechziger Jahren lernt Gerd den Kölner Klingelpütz, das Zuchthaus, das damals noch in der Innenstadt lag und an das heute nur noch der Name eines Parks erinnert kennen und das Gefängnis in Gemünd in der Eifel, in der die beiden Inhaftierten von der Frau des Direktors bekocht werden. Besuche in Gemünd waren dann möglich, wenn der Untersuchungsrichter mit seiner Familie am Wochenende in die Eifel fahren wollte. Nach dem ersten Prozess war vor dem zweiten Prozess und erst gegen Mitte der sechziger Jahre, als das gesellschaftliche Klima sich veränderte, zaghaft über Gespräche mit der DDR und den anderen sozialistischen Staaten Europas nachgedacht wurde, normalisierte sich das Leben für Gerd und seine inzwischen hinzugekommene Familie. Gerd hatte Helga, die es aus Lüneburg ins Rheinland verschlagen hatte kennen- und liebengelernt. Es muss beiden schnell klar geworden sein, dass sich da zwei getroffen hatten, die zusammen gehörten, denn nur vier Monate nach dem Kennenlernen wurde geheiratet. Schell vergrößerte sich die Kleinfamilie, Dieter, Gerds Sohn aus einer früheren Beziehung kam in die Familie seines Vaters und wenig später kam Sascha auf die Welt. Nebenbei: Was die politische Verfolgung von Linken in der frühen Bundesrepublik an Belastungen und auch materieller Not für ihre Familien bedeutete, ist bis heute nicht aufgearbeitet und wird aus der Betrachtung der Geschichte völlig ausgeblendet. Schlimmer noch, die politische Justiz der Adenauerzeit ist den allermeisten Menschen heute völlig unbekannt.
1968 entsteht wieder eine legale kommunistische Partei in der Bundesrepublik Deutschland, in der Gerd und Helga aktiv arbeiten. Gerd wird Mitarbeiter beim Parteivorstand der DKP und gestaltet unzählige Broschüren und Plakate, stattet Parteitage und Pressefeste der UZ mit Dekorationselementen aus. Die Zahl der Transparente und Sandwiches, die er im Laufe seines Lebens malte ist unbekannt, aber jeder, der Gerds Handschrift kennt, kann seine Transparente auf alten Fotos sofort identifizieren – seine Handschrift ist absolut unverwechselbar.
1989 bricht das sozialistische Staatensystem in Europa zusammen und mit ihm, viele Gewissheiten derjenigen, die sich mit dem Kapitalismus und seinen Geburtsfehlern nicht abfinden wollten. In einem plötzlichen und ungeheuer schmerzhaften Prozess mussten sie lernen, dass der erste sozialistische Versuch auch und nicht zuletzt an seinen eigenen Fehlern, Dummheiten und Unvollkommenheiten gescheitert war und , viel schlimmer, dass in seinem Namen, im Namen der Vernunft und des Humanismus schlimme Verbrechen begangen worden waren. Und auch die eigene Partei konnte auf ein gerüttelt Maß an Dummheiten und Fehlern zurückblicken. Wer dennoch Kommunist blieb, brauchte Wissen, Herz, Mut und Standhaftigkeit, auch eine gewisse Portion Sturheit konnte nicht schaden. Gerd war so einer – desillusioniert aber nicht resigniert, geschlagen aber nicht besiegt. »Immer wieder aufstehen, immer wieder sagen es geht doch« - die Zeile aus dem Lied der Gruppe Fehlfarben hätten auf ihn gemünzt sein können. Gerd bleib aktiv solange es seine Gesundheit zuließ, also bis wenige Monate vor seinem Tod. Vielleicht kann man mit einiger Berechtigung sagen, dass die Politik sein Leben war.
Aber sie war natürlich nicht sein ganzes Leben. Gerds Leben bestand auch und nicht zuletzt aus seiner Familie und seinen vielen Freundinnen und Freunden. Aus dem Wohnwagen auf dem Campingplatz in Abenden an der Rur in der Eifel, aus Karneval und Feiern, die oftmals bis sehr spät in der Nacht dauern konnten, aus seinem Interesse an seiner Heimatstadt Köln und ihrer Geschichte, aus seiner Koronarsportgruppe, aus Konzertbesuchen, aus Sportereignissen im Stadion und vor dem Fernsehgerät, vor allem den Spielen des 1. FC Köln. Vielleicht speisten sich seine lebenslange politische Aktivität und seine unverbrüchliche Treue zum FC ja sogar aus der gleichen Quelle: in beiden Fällen ist schließlich eine mal mehr mal minder große Leidensfähigkeit, ja sogar Leidensbereitschaft Voraussetzung.
Liebe Anwesende,
ich möchte an dieser Stelle eine möglicherweise provozierend klingende Frage stellen, die aber für viele von uns, eine sehr wichtige Frage ist: Das meiste von dem, was Gerd politisch erreichen wollte, hat er nicht erreicht. Als es um ein einiges Deutschland auf friedlicher und demokratischer Grundlage ging, entstanden zwei deutsche Staaten. Der, in dem er lebte, steckte ihn ins Gefängnis, wie der Vorgängerstaat seine Eltern und seinen Bruder ins Gefängnis gesteckt hatte. Als es gegen die Wiederaufrüstung ging, kam die Bundeswehr und nur knappe 30 Jahre später, führte diese Bundeswehr wieder Krieg auf dem Balkan und in Afghanistan. Der Kapitalismus scheint stärker denn je zu sein, allerdings auch krisengeschüttelt. Die sozialen Verhältnisse sind für Millionen Menschen schlecht oder werden schlechter und doch herrscht mehr oder weniger Ruhe im Land. Stellt sich also die Frage: War Gerds Leben, waren seine Bemühungen und das, was er als politischer Mensch erleiden musste vergeblich?
Ja es stimmt, Gerd und diejenigen, die ein Leben führten, dass dem seinen ähnlich war, scheinen nicht viel erreicht zu haben. Eines aber haben sie erreicht und das sollten wir nicht unterschätzen: Sie haben einige (und gar nicht so wenige) jüngere und junge Menschen geprägt, die die Ziele, für die Gerd eintrat, weiterverfolgen werden. Sie werden weiter für die Gleichheit der Menschen kämpfen, gegen Not und Erniedrigung, gegen Faschismus und Krieg. Gerd wollte mit Sicherheit nie ein Vorbild sein – die große Geste lag ihm ganz und gar nicht. Und doch ist er uns ein Vorbild, ein stilles, zurückhaltendes und heiteres Vorbild. Ein Vorbild dahingehend, dass er tat, was er tun musste, da war, wo es getan werden musste und dass ihm keine praktische Kleinarbeit zu lästig oder nicht wichtig genug gewesen wäre. Und wie das Leben eines Menschen, der Vorbild für andere war, sinnlos gewesen sein? Im Gegenteil, es hatte genau den Sinn, den ein aktives Leben haben kann.
Gerd weilt jetzt seit dem 27. April nicht mehr unter uns – Zeit genug, zu fühlen und zu wissen, was wir an ihm hatten und was uns jetzt fehlt. Es fehlen der Gatte, Vater und Großvater, es fehlt der Freund und Genosse. Und es fehlt seine stille, ruhige, zurückhaltende Heiterkeit. Kurz nach Gerds Tod schrieb ein Genosse, es hätte aber auch jeder andere aus Gerds Freundeskreis sein können an Helga: »Ich mochte Gerd, weil er über meine blöden Witze lachen konnte«. Ich finde, diese Aussage trifft den Nagel auf den Kopf: Gerd war ein Mensch, der über blöde Witze, fremde und eigene Torheiten lachen konnte – und das nicht auf verletzende Weise, nicht hämisch sondern zutiefst freundschaftlich und manchmal auch nachsichtig. Dieses freundliche Wesen und seine lebenslange politische Beharrlichkeit, werden dafür sorgen, dass er auch in Zukunft unter uns weilt, auch wenn er körperlich nicht mehr dabei sein kann.
Ich danke für Ihre und Eure Aufmerksamkeit.