Politik

Das Thema »Berufsverbot« kommt in Berlin wieder in den Bundestag

Brei­te So­li­da­ri­tät für die Be­trof­fe­nen – An­trag an den Pe­ti­ti­ons­aus­schuss

Vor dem Kanzleramt: Protestgruppe mit Transparent: »Verfassungsschutz auflösen; 1972-2012  40 Jahre Radikalenerlass; Berufsverbot gegen Lins; Unterstützung von Neonazis; Gegen staatliche Repression!«.

Kanzleramtschef Ronald Pofalla machte deutlich, dass sich seine Haus­herrin nicht mit dem Thema »Berufs­ver­bot« befas­sen möchte. Das muss sie denn wohl doch, denn die Betrof­fenen dieser Politik und Justiz fanden passen­de Zugän­ge in den Bundes­tag, zum Kanzler­amt und über die Minister­präsi­den­ten der Bundes­länder. Das Ziel: erneute Behand­lung der Ange­le­gen­heit mit der Perspek­tive einer akzep­tab­len Lösung.

Anlässlich des 40. Jahrestages des »Radi­ka­len­er­las­ses« hatte sich eine Gruppe von Betrof­fenen in Berlin eingefunden, um auf den anhal­tenden Demo­kra­tie­ab­bau aufmer­ksam zu machen und Reha­bi­li­tie­rung einzu­for­dern. Gele­gen­heit gab es dazu, weil die Minister­prä­si­den­ten und die Kanz­lerin zu ihrer turnus­mäßigen Kon­ferenz in der Landes­ver­tre­tung von Schles­wig-Holstein zusam­men­ge­kom­men waren.

Personengruppe im Freien.

Vor dem Haus In den Minister­gärten 8 wurden die Forde­run­gen an Dr. Andreas Timmer­mann, stell­vert­re­tender Leiter der Landes­ver­tretung, über­reicht. Er sicherte zu, dass die Doku­men­tation an seinen neuen Minister­prä­si­denten Torsten Albig (SPD), an die anderen Länder­chefs und an die Bundes­kanz­lerin gehen wird.

Viel Aufmerk­samkeit – aber weniger Glück hatte die Dele­gation vor dem Kanz­ler­amt. Herr Pofalla ließ sie nicht durch den Zaun und auch nicht durch den Hinter­ein­gang blicken. Den­noch gelang es, den Brief an die Kanzle­rin auch hier abzu­geben, wenn auch nur an den stellver­tre­ten­den Leiter der Post­stelle. Mehr Aufmerk­sam­keit brachte da das große Trans­pa­rent, mit dem die Auf­he­bung der Berufs­ver­bote und die Abschaf­fung des schnüf­feln­den Verfas­sungs­schut­zes gefor­dert wurde. Es dürfte wohl die erste Aktion dieser Art seit 40 Jah­ren vor dem Kanzleramt gewesen sein. Willy Brandt resi­dier­te noch in Bonn.

Solidarischer waren die Begeg­nun­gen mit den Bundes­tags­ab­geord­neten der Partei Die Linke (Karin Binder, Wolfgang Gehrcke, Gregor Gysi, Ulla Jelpke, Paul Schäfer, Kersten Steinke) und von Bündnis 90/Grüne (Ingrid Hönlinger, Konstantin von Notz, Katja Dörner) im Bundes­tag. Von beiden Gruppen wurde unter­strichen, dass weitere Aktivi­täten ange­gangen werden können, zumal die Absprachen in der Vergangen­heit nicht als optimal ange­sehen wurden. Von den Grünen wurde ein neuer Antrag ins Gespräch gebracht, den ihre Fraktion einbrin­gen kann und dem vielleicht schon deshalb mehr Erfolg beschieden sein könnte, weil er nicht von der Linkspartei komme. Eine Aktivität für den Petitions­aus­schuss regte die Links­partei ergänzend an. Auf verfas­sungs­recht­liche Aspekte hatte zuvor bereits Professor Dr. Martin Kutscha, Berlin, bei einer Presse­kon­fe­renz hingewiesen.

Gruppe im Reichstagsgebäude.

Kersten Steinke, Vorsitzende des Peti­tions­aus­schus­ses, erläuterte das Verfahren. Karin Binder versicherte, dass ihre Fraktion das Anlie­gen der Betrof­fenen »in vollem Um­fang unter­stützen« wolle, um »wenigstens irgendeine Art der Wieder­gut­machung« zu errei­chen. Ulla Jelpke erinnerte daran, dass bei den Themen »Entschä­digung« und Reha­bi­li­tie­rung immer noch wie im Kalten Krieg argu­men­tiert werde. Gregor Gysi brachte seinen »hohen Respekt« für die Betrof­fenen zum Ausdruck und forderte sie auf, entschlos­sen weiter zu kämpfen, über das Unrecht zu sprechen und sich dem Zeit­geist entgegen­zustellen. Wolfgang Gehrcke und Paul Schäfer regten internatio­nale Soli­dari­tät und Aktivi­täten aus den Gewerk­schaften an.

Alle Anregungen aus der Fraktion von Bünd­nis 90/Grüne und aus der Links­partei wurden von den Betrof­fenen begrüßt. Vor dem Hinter­grund, dass bisher mehr als 250 Unter­zeich­ner unter­schied­licher Couleur sich hinter die Erklärung gegen die Berufs­ver­bote gestellt haben, gab es viele konstruk­tive Anstöße für die weitere Arbeit – zumal der Eindruck aufge­kom­men war, dass dem Thema über viele Jahre zu wenig Aufmerk­sam­keit und Engage­ment gewid­met worden sei.

In der Galerie der »Jungen Welt« gab es dagegen die volle Aufmerk­samkeit für eine »Revue«, die von den Berufs­verbots­betrof­fenen gestaltet wurde. Fast 20 Teil­neh­mer beleuch­teten das Thema aus sehr unter­schied­lichen Blick­winkeln – nachdenk­lich, humor­voll, zornig. In einem »Schluss­wort« verdeut­lichte Profes­sor Hein­rich Fink, dass es histo­risch, poli­tisch, geo­gra­fisch noch viel aufzudecken gelte, um der Soli­dari­tät eine ange­mes­sene Tiefe und Breite zu geben.

Uwe Koopmann
Fotos: Bettina Ohnesorge