Politik

»Der Verfassungsschutz hilft beim Bruch der Verfassung«

Alte Berufsverbote als Beleg anhaltender »Schnüffelpraxis«

Konferenz, im Vordergrund Podium.

[update] »Der Ver­fas­sungs­schutz hilft beim Bruch der Ver­fas­sung. Der Auf­trag darf jetzt nicht dar­in be­ste­hen, den Bruch ›ge­schmei­di­ger‹ und ak­zep­ta­bler zu ge­stal­ten. Der Auf­trag muss lau­ten, die­sen In­lands­ge­heim­dienst, der sich als un­kon­trol­lier­bar er­wie­sen hat, auf­zu­lö­sen.« Zu die­ser For­de­rung ka­men die Teil­neh­mer der bun­des­wei­ten Kon­fe­renz im Ver.di-Haus in Han­no­ver, die in ih­ren Bio­gra­fi­en den Stem­pel »40 Jah­re Be­rufs­ver­bot« tra­gen.

Seit 1972 hat der Ver­fas­sungs­schutz als In­lands­ge­heim­dienst des Bun­des und der Län­der rund 3,5 Mil­lio­nen Über­prü­fun­gen der po­li­ti­schen Ge­sin­nung von Be­wer­be­rIn­nen und Be­schäf­tig­ten des öf­fent­li­chen Diens­tes vor­ge­nom­men. Die­se »Schnüf­fel­pra­xis« hat zu 11.000 Ver­fah­ren mit dem Ziel der Ent­las­sung aus dem öf­fent­li­chen Dienst ge­führt.

Mit sei­nen Ak­ti­vi­tä­ten stellt sich der Ver­fas­sungs­schutz ge­gen den Ar­ti­kel 33 des Grund­ge­set­zes, der ver­bie­tet, dass ei­nem Bür­ger we­gen »der Zu­ge­hö­rig­keit zu ei­nem Be­kennt­nis oder ei­ner Welt­an­schau­ung ein Nach­teil er­wach­sen« darf. Den­noch hat der Ver­fas­sungs­schutz 3,5-mil­lio­nen­fach re­cher­chiert, wel­che po­li­ti­sche Vor­stel­lun­gen de­mo­kra­tisch en­ga­gier­te Men­schen in die­sem Lan­de ha­ben. Wäh­rend er sei­ne Auf­merk­sam­keit ge­zielt auf das lin­ke Spek­trum rich­te­te, ver­nach­läs­sig­te er die Er­mitt­lung von neo­fa­schis­ti­schen Ak­ti­vi­tä­ten. Er för­der­te und be­zahl­te de­ren Kom­pli­zen so­gar – et­wa die aus dem NSU-Um­feld.

Rechts­an­walt Dr. Rolf Göss­ner, ein aus­ge­wie­se­ner Ken­ner der Ge­heim­diens­te, be­leg­te mit zahl­rei­chen Bei­spie­len, wie der Ver­fas­sungs­schutz in Ver­bre­chen der rech­ten Sze­ne in­vol­viert ist. Sein The­ma wa­ren da­bei nicht nur die Ge­set­zes­ver­stö­ße, son­dern auch die Maß­nah­men, um die­se Ver­stö­ße durch Ak­ten­ver­nich­tung, »Er­in­ne­rungs­lü­cken«, Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rung usw. zu ver­schlei­ern. Selbst der plötz­li­che Tod durch Er­hän­gen in der Ge­fäng­nis­zel­le führ­te da­zu, dass ein Zeu­ge nicht mehr aus­sa­gen konn­te. Göss­ners Schluss­fol­ge­rung: Die­ser Ver­fas­sungs­schutz hat sich über vie­le Jah­re als un­kon­trol­lier­bar er­wie­sen. Er hat die Ver­fas­sung nicht ge­schützt. Er hat sie be­schä­digt.

MdB Ul­la Jelp­ke, in­nen­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Bun­des­tags­frak­ti­on der Par­tei Die Lin­ke, er­in­ner­te an die his­to­ri­schen Wur­zeln des In­lands­ge­heim­diens­tes, der na­he­zu sein kom­plet­tes Per­so­nal aus den NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen re­kru­tier­te. Auch sie lis­te­te ei­ne gro­ße An­zahl von kri­mi­nel­len Ak­ti­vi­tä­ten des Ver­fas­sungs­schut­zes auf. Be­rühmt­heit er­lang­te das »Cel­ler Loch«, bei dem Be­am­te des Ver­fas­sungs­schut­zes 1978 ein Loch in die Au­ßen­mau­er der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt spreng­ten, um da­mit den Ver­such zur Be­frei­ung ei­nes Ge­fan­ge­nen aus dem Hoch­si­cher­heits­trakt vor­zu­täu­schen. Die nie­der­säch­si­sche Lan­des­re­gie­rung un­ter Ernst Al­brecht (CDU) galt als vor­her in­for­miert. Gleich­zei­tig gab es un­ter Al­brecht die grö­ß­te An­zahl an Be­rufs­ver­bo­te­ver­fah­ren. Eng war die Ko­ope­ra­ti­on staat­li­cher Stel­len mit der Na­zi-Ka­me­rad­schaft »Thü­rin­ger Hei­mat­schutz«, aus der sich der NSU ent­wi­ckel­te. Ge­grün­det wur­de der »Hei­mat­schutz« von V-Mann Ti­no Brandt, der 200.000 Eu­ro Agen­ten­lohn be­kam.

Olaf Harms vom DKP-Parteivorstand unterstrich in einen Grußwort:

»Es ist schon ab­surd, dass in der Alt-BRD All die­je­ni­gen mit Be­rufs­ver­bot be­legt wur­den, die als ver­meint­li­che Staats­geg­ner gal­ten, wäh­rend 1990/91 nach Zu­sam­men­bruch und Zer­schla­gung des So­zia­lis­mus in der DDR All die­je­ni­gen mit Be­rufs­ver­bot be­straft wur­den, de­nen ei­ne gro­ße Nä­he zum Staat un­ter­stellt wur­de. Hier wird deut­lich, dass es sich im Kern um Klas­sen­aus­ein­an­der­set­zun­gen und Klas­sen­jus­tiz han­delt, die sich ge­gen die­je­ni­gen rich­tet, die den Ka­pi­ta­lis­mus nicht als En­de der Ge­schich­te be­grei­fen. Auch wenn heu­te kei­ne neu­en Fäl­le von Be­rufs­ver­bo­ten be­kannt sind, so exis­tiert der da­hin­ter ste­hen­de Geist in viel­fäl­ti­gen For­men. Ver­wie­sen sei hier nur auf die be­ab­sich­tig­te (in­zwi­schen ge­schei­ter­te) Än­de­rung hin­sicht­lich der steu­er­frei­en Ge­mein­nüt­zig­keit, die dann ent­fal­len soll­te, wenn Ein­rich­tun­gen im Be­richt der ›Ver­fas­sungs­schutz‹-Be­hör­den er­wähnt wer­den.

 Ge­gen die Be­rufs­ver­bo­te, aber auch ge­gen den da­hin­ter ste­hen­den Geist an­zu­ge­hen, war und ist Be­stand­teil der Po­li­tik der DKP. Dar­über hin­aus for­dern wir zu­sam­men mit der In­itia­ti­ve ge­gen Be­rufs­ver­bo­te die Re­ha­bi­li­tie­rung al­ler von Be­rufs­ver­bot Be­trof­fe­nen – ein­schlie­ß­lich al­ler dar­aus re­sul­tie­ren­den Fol­gen, wie z.B. Ent­schä­di­gun­gen.«

Die In­itia­ti­ve ge­gen die Be­rufs­ver­bo­te be­kräf­tig­te in Han­no­ver ih­re Ziel­set­zung, über die neu­en Mehr­hei­ten in den Lan­des­par­la­men­ten zu ei­nem Pa­ra­dig­men­wech­sel zu kom­men, mit dem die Lan­des­re­gie­run­gen nicht nur die Be­rufs­ver­bo­te-Er­las­se für un­gül­tig er­klä­ren sol­len. Sie müss­ten aus ih­ren Feh­lern auch Schluss­fol­ge­run­gen zie­hen: die voll­stän­di­ge Re­ha­bi­li­tie­rung der Be­trof­fe­nen. Un­ter­stützt wur­de die Kon­fe­renz in Han­no­ver durch das Ver.di-Bil­dungs­werk, den Lan­des­ver­band der Ge­werk­schaft Er­zie­hung und Wis­sen­schaft (GEW) und die Ro­sa-Lu­xem­burg-Stif­tung Nie­der­sach­sen. Ri­chard Lau­en­stein, Spre­cher der GEW Nie­der­sach­sen, be­ton­te, dass sei­ne Ge­werk­schaft ak­tiv die wei­te­ren Be­mü­hun­gen be­glei­ten wer­de.

Die Be­rufs­ver­bo­te char­mant zu recht­fer­tig­ten, ver­such­te üb­ri­gens Dr. Hans-­Joa­chim Go­er­ges aus dem In­nen­mi­nis­te­ri­um mit ei­nem ein­drucks­vol­len Gruß­wort. Die Sa­ti­re war so ge­lun­gen, dass selbst die Teil­neh­mer der Ver­an­stal­tung zu­nächst leicht ver­un­si­chert wa­ren, ob die­ser Dr. Go­er­ges im Kopf wohl noch ganz rich­tig war. Er war es na­tür­lich nicht. Da­hin­ter steck­te der Schau­spie­ler und Sän­ger Ben­gt Kie­ne mit ei­nem bra­vou­rö­sen Auf­tritt. Hef­ti­gen Bei­fall gab es für die­se kul­tu­rel­le In­ter­ven­ti­on.

Die Teil­neh­mer ver­stän­dig­ten sich auf ei­ne gan­ze Rei­he wei­te­rer Ak­ti­vi­tä­ten im ju­ris­ti­schen, po­li­ti­schen und in­ter­na­tio­na­len Be­reich. Da­bei geht es um das »ju­ris­ti­sche Tee­was­ser« im All­tag wie um ver­fassungs­recht­li­che Klä­run­gen, um po­li­tisch-kul­tu­rel­le Dar­stel­lun­gen und um die Wie­der­be­le­bung in­ter­na­tio­na­ler So­li­da­ri­tät. Hier dürf­ten die Be­rufs­ver­bo­te nicht als his­to­ri­sche Ein­schüch­te­rungs­maß­nah­me iso­liert be­trach­tet wer­den. Ihr Stel­len­wert müs­se viel­mehr im ak­tu­el­len Kon­text der Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung un­ter den Vor­zei­chen der eu­ro­päi­schen Kri­se ge­se­hen wer­den.

Uwe Koopmann
Foto: Bettina Ohnesorge


»Radio Flora« Hannovers web-radio hat fol­gen­de Bei­trä­ge der Ver­an­stal­tung auf­ge­zeich­net und ins Netz ge­stellt. Sie kön­nen dort an­ge­hört oder her­un­ter­ge­la­den wer­den:

  • Begrüßung: Matthias Wietzer
    (Initiative 40 Jahre Berufsverbote in Niedersachsen)
  • Grußwort: Richard Lauenstein
    (Geschäftsführer der GEW Niedersachsen)
  • Satirisches Grußwort: Dr. Goerges, alias Bengt Kiene
  • Vortrag: Ulla Jelpke
    (MdB, innenpolitische Sprecherin der Fraktion »Die Linke«)
  • Vortrag: Rolf Gössner
    (Rechtsanwalt, Buchautor)