Politik

Wie die Troika Landwirtschaft und Tourismus reglementiert

Porträt Stelios Stavrakakis mit Schlägel.

Ein Bei­trag zur Ka­pi­ta­lak­ku­mu­la­tion auf Kre­ta und den Ky­kladen

Tourismus und Landwirtschaft prägen die Wirtschaftsbilanz Griechenland so sehr wie in kaum einem anderen Land Europas. Die Drohungen aus Brüssel und Berlin haben dazu geführt, dass beide Wirtschaftszweige stärker unter Druck geraten sind. Trends zur Monopolisierung und »Liberalisierung« wurden zum Vorteil der Großunternehmen verstärkt. Stelios Stavrakakis, kommunistisches Urgestein aus der Nida-Ebene am Fuße des Psiloritis, steht dem entgegen: Er hütet seine Schafe, er macht den Käse in Handarbeit in seinem Mitato, dieser kunstvollen Trockenbaukonstruktion aus Bruchsteinen. Hier sind die Touristen, wenn welche kommen, auf der richtigen Seite der Klassenlinie. Sein alter Pickup lässt allerdings erkennen: Der Druck aus Brüssel und Athen ist angekommen.

Die mediale Begleitmusik zu den »faulen« oder »streikenden« Griechen hat die Effekte weiter verstärkt. Tourismus ist ein noch härteres Geschäft geworden. Das Ergebnis der Interventionen von Schäuble und Troika: Die armen Griechen sind ärmer, die reichen Hellenen vielfach reicher geworden.

Keller mit Käseregal. Stelios Stavrakakis betastet einen Käselaib.

Beispiel Landwirtschaft: Durch die von der griechischen Regierung auf Druck der Troika durchgesetzten Steuererhöhungen wird der Steuersatz für die Olivenbauern auf Kreta – und nicht nur dort – von 13 auf 26 Prozent erhöht. Diese Veränderungen führen im Handel zu Preissteigerungen zwischen 10 und 20 Prozent. Am Ende stehen die Bauern, da sie ihre Kosten nicht anderweitig minimieren können.

Beispiel Pauschaltourismus: Der »Spiegel« recherchierte schon vor fünf Jahren für das Bungalow-Hotel »Valley Village« in Matala im Süden Kretas eine Auslastung von nur 50 Prozent. Bei 70 Zimmern und einem Zimmerpreis von 40 Euro entstand in der Hauptsaison ein Minus von 2.400 Euro. Im Hotel »Xenophon« mit 30 Euro incl. Frühstück fiel der Preis um 30 Prozent. Die Folge: 400 Hotels, davon 44 auf Kreta, standen in Griechenland für einen Marktwert von 2,5 Milliarden Euro zum Verkauf. Andere Schätzungen gehen von 900 Hotels (5 Mrd. Euro Marktwert) aus. – Die Steuererhöhungen der Regierung treiben die Touristenzahlen auch aktuell nicht nach oben.

Die Tourismusbranche unterliegt den Klassenverhältnissen. Es gibt kleine Familienpensionen, die derzeit selbstausbeuterisch betrieben werden, ohne gesicherte Perspektive, ohne gesichertes Einkommen, aber für die Touristen von Vorteil, weil sie billiger sind und dichter an »Hellas«. Auf der anderen Seite gibt es Großkonzerne, deren Unternehmensspitze sich gar nicht in Griechenland befindet. Zum Beispiel die Carlson Rezidor Hotel Group. Der Sitz des Mutterkonzerns ist nicht in Heraklion/Kreta, sondern in Stockholm und Brüssel. Dort werden die Gewinne eingefahren. Umsatz: 925,7 Millionen Euro (2012) mit aktuell 213.000 Zimmern in 1.000 Hotels in 80 Ländern.

2014 wurde von der Hotel-Gruppe das Radisson Blu Beach Resort in Milatos auf Kreta angekündigt: 318 Gästezimmer. Eröffnung: 2. Quartal 2016. Die Eigentümer propagieren »authentisches Design, zwanglose Atmosphäre und bezahlbaren Luxus«. Für »unsere Mitarbeiter« sehen sie »mehr Karrierechancen«. Die großen Strandhotels sind in der Regel so ausgestattet, dass die Hotelgäste ihr »Resort« während ihres kompletten Aufenthaltes nicht mehr verlassen müssen: Pool statt Beach, Hotelbar statt Taverne, Hotel-Shop statt Laden im Nachbardorf. Arbeitsplätze unterliegen extremem Stress in der Saison und Entlassungen in den anderen Zeiten.

Die Konzerne werden die Steuererhöhungen über höhere Preise nur begrenzt auf die Touristen abwälzen können. Die Karawane aus Deutschland könnte sonst noch umfassender von Griechenland in die Türkei weiterziehen. Die Kosten können aber über den Grad der Ausbeutung gedrückt werden. Von der EU-Grundrechteagentur forderte Konstantinos Manolopoulos die EU-Staaten auf, stärker zu handeln: »Die Ausbeutung von Arbeitskräften, die durch ihre wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse gezwungen sind, sich auf unwürdige Arbeitsbedingungen einzulassen, ist nicht akzeptabel.« Ein frommes und fruchtloses Gebet angesichts der anhaltend horrenden Arbeitslosenzahlen.

Ausbeutung, Kapitalakkumulation und -konzentration auch unter den Rahmenbedingungen des Tourismus: Auf der Kykladeninsel Iraklia steht in Ufernähe seit 2007 eine Meerwasserentsalzungsanlage, die durch Wind- und Sonnenenergie vollkommen autark arbeiten könnte und die etwa 80 (im Winter) bis 150 Bewohner einschließlich der Touristen auf der Insel zu zwei Dritteln mit gesundem Wasser versorgen könnte. Tagesproduktion von Trinkwasser: 70 Kubikmeter. Das Wasser könnte sogar zu einem niedrigeren Preis an die Insulaner verkauft werden als das Wasser, das mit Versorgungsschiffen angeliefert werden muss und zudem staatlich subventioniert wird. Die Lieferung darf aber nur mit einer staatlichen Konzession erfolgen. Diese Konzession, welch ein »Zufall«, ist so ausgeschrieben, dass der Lieferant entweder alle kleinen Kykladeninseln beliefert – oder gar nicht. Alle kleinen Kykladeninseln zu bedienen, schafft die Anlage in Iraklia nicht. An die eigene Insel darf sie – ohne Konzession – auch nicht liefern. Also steht sie still. Ägäischer Kapitalismus 2015.

Um eine Konzession müssen sich die Bieter bei einer internationalen Ausschreibung bewerben. Die Bewerbungsfrist hatte eine Zeitspanne von genau einem Tag. 2013 gab es – noch ein »Zufall« – nur eine einzige private Firma, die ein Angebot abgab. Das war die von Christos Iliakidis. Und der hat das Monopol bereits seit 30 Jahren. Die Troika begrüßt die private Wasserversorgung, fordert sogar die gesamte Wasserversorgung in Griechenland zu privatisieren. »Vorbild« ist Portugal. Nestlé-Chef Peter Brabeck sieht in Wasser kein öffentliches Gut. Wasser soll »privat« verwertet werden. Nestlé ist der weltgrößte Abfüller von Trinkwasser. In der portugiesischen Region Paco de Ferreira stieg der Wasserpreis innerhalb weniger Jahre nach der Privatisierung um 400 Prozent. Griechenland ist noch nicht am Ende angekommen.

Uwe Koopmann
Fotos: Bettina Ohnesorge