Politik

«Ohne die Arbeiterklasse läuft nichts Wesentliches…»

«Ohne die Arbeiterklasse läuft nichts Wesentliches, aber
mit ihr allein auch nicht» [1]

Demonstranten mit Fahnen.

Erwiderung auf den Artikel «Antimonopolistische Demokratie erscheint unrealistisch» von Björn Blach und Paul Rodermund in der UZ v. 24. Februar 2017 (s.u.)

Ich möchte mit meiner Antwort versuchen, einen Beitrag zur Strategiedebatte der DKP zu leisten. In dem Artikel von Blach und Rodermund geht es um nicht weniger als um die inhaltliche als auch sprachliche Entsorgung[2] einer seit über dreißig Jahren andauernden und geführten Strategiediskussion und Gesellschaftsanalyse in der gesamten nicht nur deutschen Arbeiterbewegung. Angesichts der Formierung eines zunehmend autoritär auftretenden bürgerlichen Staates, dessen Geheimdienste inzwischen anscheinend völlig «freie Hand» haben, sei aber schon zu Beginn die Frage erlaubt, wem dieser Verbalradikalismus nützt. Die im Text deutlich werdende Selbstüberschätzung führt geradewegs ins Sektierertum und damit in die Bedeutungslosigkeit einer deutschen kommunistischen Partei. Daher möchte ich Willi Gerns zitieren, der den selbsternannten Vertretern der Vorhut der Arbeiterklasse folgendes ins Stammbuch schrieb:

«Dabei wollen wir (um Missverständnisse zu vermeiden) zunächst klären, was unter Vortrupp (Avantgarde) zu verstehen ist. Mit dem Begriff wurde in der Vergangenheit von regierenden kommunistischen Parteien ja nicht wenig Schindluder getrieben. Aus ihm wurde der «Führungsanspruch», die Allwissenheit der Partei und die Bevormundung des ganzen gesellschaftlichen Lebens abgeleitet. Dieses Avantgardeverständnis hat wesentlich zur Entfremdung der Partei von den Massen und damit zur Niederlage des realen Sozialismus beigetragen.»[3]

Es geht in dem Beitrag von Rodermund und Blach um die Entsorgung des nach wie vor gültigen Parteiprogramms von 2006 – auf dessen Grundlage ich Mitglied der Partei wurde – und im Grunde um die Absage an jegliche Form von Strategie, mithin, der Entsorgung von Wissenschaftlichkeit und objektiver, materialistisch-dialektischer Analyse gesellschaftlicher Entwicklung überhaupt. Es scheint, dass diesbezüglich im Vorfeld des Parteitages nächstes Jahr ein Testballon gestartet werden soll. Auch wenn – wie ich vermute aus rein taktischen und im Kontext des Artikels nicht nachvollziehbaren Gründen – die Anti-Freihandelsbewegung aus der Nicht-Denkbarkeit (?) fortschrittlicher Bündnisse mit Teilen der nichtmonopolistischen Bourgeoisie ausgenommen wird, sei der Hinweis erlaubt, dass gerade meine Arbeit als Kommunist in der Bewegung gegen CETA und TTIP ein gutes Beispiel für die nach wie vor realistische strategische Ausrichtung auf eine antimonopolistische Demokratie ist.[4]

Der Marxismus ist stark genug, die revolutionäre Ungeduld in Schach zu halten und Widerstand dagegen zu leisten: Da ist zum Einen der Respekt vor den Realitäten als methodologischer Grundsatz, die wissenschaftliche Objektivität als ethisches Ideal. Marx und Engels haben vor allem darin das Erbe Hegels angetreten, dass es ihr erklärtes Ziel war, an den historischen Prozess keinerlei abstrakte, von außen hergeholte Postulate heranzutragen – auch keine Postulate sozialistischen Inhalts – , sondern ihn zum Gegenstand einer unbefangenen realistischen Tendenzforschung zu machen. Nur so konnten sie die mit der Realität gar nicht oder schlecht vermittelte Programmatik des utopischen Sozialismus hinter sich lassen, nur so an wirkliche Kämpfe anknüpfen und sich mit ihnen identifizieren – die die beiden Autoren Blach / Rodermund in ihrem Artikel zuerst ignorierten und anschließend verkannten – , nur so die kommunistische Zielsetzung aus der Analyse der wirklichen Bewegung der bürgerlichen Gesellschaft gewinnen. Und bei alledem befolgten Marx und Engels ernsthaft die Anforderungen strenger Wissenschaftlichkeit. Dies sei den beiden Autoren zur Beachtung empfohlen, die das Denken dadurch unergiebig machen – und noch unergiebiger für eine Revolution - , dass sie ihm ein Befolgen kurzfristiger, scheinbar praktikabler Parolen («Raus aus der Nato», «Raus aus der EU» «Stellungskrieg, Guerillakrieg»)  abverlangen.

Da der Kapitalismus auf privatem Eigentum an Produktionsmitteln beruht, muss sich jede Kritik an ihm mit der Eigentumsfrage befassen. Zwar hatten sich schon Marx und Engels im Kommunistischen Manifest über den Vorwurf lustig gemacht, dass sie »erarbeitetes, erworbenes, selbstverdientes Eigentum« abschaffen wollten, wo es doch in Wirklichkeit »die Entwicklung der Industrie« ist, die es täglich abschafft. Dies ist die mit der Zentralisation und Konzentration des Kapitals einhergehende permanente Enteignung von Kleinkapital. Somit sind Marxisten davon überzeugt, dass jeder kleine Restaurantbesitzer und Geschäftsinhaber und jeder Eigentümer eines auf Selbstausbeutung beruhenden Betriebs, versteht, dass nicht die Kommunisten seine Gegner sind, sondern das monopolisierte Kapital. Soviel zum schwankenden Kleinbürgertum im Artikel von Blach / Rodermund.

Unter der Überschrift Grundfragen der Aktionseinheit, wird es von Blach / Rodermund als Fehler bezeichnet, «die betriebliche durch eine gewerkschaftliche Orientierung zu ersetzen». Dabei gehe es darum, «die Gewerkschaften zu ändern» (!). Die bereits oben erwähnte Selbstüberschätzung und das Wunschdenken feiern auch hier fröhliche Urständ. Wie kann ich nun realistischerweise Gewerkschaftsmitglieder – ergo die Arbeiterklasse – von klassenbewussterem Handeln überzeugen? Wie sieht unsere Konzeption aus? Was kann an die Stelle der kapitalistischen Eigentumsverfassung treten? Mit solchen strategischen Fragen rückt die Frage des Eigentums in den Mittelpunkt der strategischen Debatte.

Mitarbeitergesellschaften, echte Mitbestimmung und ein umfassendes Genossenschaftswesen mögen alleine eine andere Wirtschaftsordnung nicht hervorbringen können. Diese neuen Eigentumsformen sollten aber dennoch wichtige Bestandteile einer neuen Ordnung sein, die – im Unterschied zum vergangenen Realsozialismus – auf der Pluralität unterschiedlichster Eigentumsformen beruhen müssen. Dies bedarf einer intensiven Debatte – auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung, unserem wichtigsten Verbündeten im Kampf für eine bessere Gesellschaft.

Beim Beharren auf einem weiten, politischen Klassenkampfbegriff befindet man sich in Übereinstimmung mit Lenin und hier vor allem mit dessen Aussagen in der Schrift Was tun?: «Die Aneignung von Klassenbewusstsein und die Teilnahme am revolutionären Klassenkampf hat das Verständnis der gesellschaftlichen Totalität in all ihren Aspekten zur Voraussetzung.»[5] Neben Lenin bezieht sich der italienische Philosoph und Marxist Losurdo auch auf Antonio Gramsci, der verlangt hatte, dass die Arbeiter auch «als Angehörige einer Klasse denken, die sich anschickt, die Bauern und die Intellektuellen zu führen, einer Klasse, die nur dann siegen und den Sozialismus aufbauen kann, wenn ihr die große Mehrheit dieser gesellschaftlichen Schichten hilft und ihr folgt. Gelingt ihr das nicht, wird das Proletariat nicht zur führenden Klasse.»[6]  Dies steht in eklatantem Widerspruch zu den Autoren Blach und Rodermund , die in der Aussage «fortschrittliche Bündnisse mit Teilen der nichtmonopolistischen Bourgeoisie …sind zumindest in absehbarer Zeit nicht denkbar» gipfelt.  Losurdo kommt hingegen zu folgender Schlussfolgerung: «Letztlich hat sich das Organisationsmodell der Internationale deshalb als inadäquat erwiesen, weil sie oftmals von einem Klassenkampf in seiner reinen Form ausging, der sich doch ziemlich selten so zutrug, und weil sie eine sozialistische Revolution in ebenfalls reiner Form erwartete, wie sie indes niemals eingetreten ist und auch niemals eintreten wird.»[7]

Die lohnabhängig Beschäftigten müssen sich angesichts des staatsmonopolistischen Kapitalismus mit den unteren Schichten der Bourgeoisie (mit kleinen Gewerbetreibenden, kleinen Selbstständigen und Freiberuflern sowie Landwirten) verbünden. Und schließlich müssen wir uns an vier Schichten der Bevölkerung wenden, die in einer progressiven Konvergenz zu besonderen Verbündeten der Arbeiterklasse werden können: Junge Menschen, Studenten, Intellektuelle und Künstler. Dies steht im krassen Gegensatz zur Haltung der Autoren Blach und Rodermund, bei denen «Schwankende Schichten wie die Intelligenz oder kleine Selbständige … ebenfalls gewonnen oder neutralisiert (!) werden [müssen].»

Der historische Materialismus bietet, da er von der Natürlichkeit der Menschen, von ihren Elementarbedürfnissen ausgeht, durchaus die Möglichkeit der Entwicklung jenes Gesellschaftsentwurfs, mit dessen Hilfe der innere Zusammenhalt der Welt als auch die Perspektive ihrer Entwicklung beschrieben werden können. Es gibt daher auch keinen Anlass, sich von ihm zu verabschieden oder ihn gar zu entsorgen (s.o.). Daher möchte ich mit einem Zitat von Robert Steigerwald aus dem schon im Titel zitierten Buch[8] schließen: 

«…Aber die Arbeiterklasse allein wird die Dinge nicht schultern, und das braucht sie auch nicht, bei der Lösung sehr entscheidender Fragen hat sie ernste Bündnispartner! Denn Anfangen mit der Lösung unserer Aufgaben sollte man nicht, indem man sich gegen die anderen [eben angeführten] Bewegungen stellt…»

Text: Wolfgang Reinicke-Abel, M.A. phil.päd.,
Liège/Köln, 28.02.2017
Foto: Toni Tripp



[1]     Robert Steigerwald in: E. Lieberam / J. Miehe (Hg.): Arbeitende Klasse in Deutschland, Bonn 2011, S. 7. Im Februar 2003 begann eine Wissenschaftlergruppe der Marx-Engels-Stiftung mit der Arbeit an dem Projekt Klassenanalyse@BRD. Dies ist der fünfte Band ihrer Analysen.
[2]     z.b. Antimonopolistische Bündnispolitik, Gewerkschaftliche Orientierung, Rolle der Intelligenz und kleiner Selbständiger sowie mittelständischer Unternehmer etc.
[3]     Willi Gerns, Revolutionäre Strategie in nichtrevolutionären Zeiten, Essen 2016, S.256
[4]     Wolfgang Reinicke-Abel, Marxistische Blätter 5_2016: CETA & TTIP gefährden die Daseinsvorsorge, S. 31 ff.,

        Global Brutal – Freihandel als Fluchtursache, S. 39 ff.; UZ-Artikel vom 29. Juli 2016, S. 3: TTIP- ein toter Gaul?;

        études marxistes N° 116, Brüssel 2016: Le CETA & le TTIP mettent en danger les services publics, p. 70-82
[5]     «Notwendig ist ῾eine Organisation von Revolutionären (…), die fähig sind, den gesamten Befreiungskampf des Proletariats zu leiten.» Lenin, Was tun, in: Werke (LW) Band 5, S. 474
[6]     Antonio Gramsci, La costruzione del partito communista, Turin1971, S. 145
[7]     Domenico Losurdo, Der Klassenkampf oder die Wiederkehr des Verdrängten? Köln, 2016, S. 210
[8]     Robert Steigerwald in: E. Lieberam / J. Miehe (Hg.): Arbeitende Klasse in Deutschland, Bonn 2011, S. 15.


«Antimonopolistische Demokratie erscheint unrealistisch»
von Björn Blach und Paul Rodermund in der UZ v. 24. Februar 2017