Politik

Die Lage in Venezuela

Der Weg der Revolution ist noch offen

Lars Mörking (UZ) sprach mit Carolus Wimmer, Internationaler Sekretär der KP Venezuelas

UZ: Wie ist die Lage derzeit in Venezuela, so kurz vor den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung, die am 30. Juli stattfinden sollen?

Carolus Wimmer: Die Lage spitzt sich sehr zu. Das hat mehrere Gründe. Die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung sind natürlich ein Zeitpunkt, der auch für die USA wichtig ist.
Man hört, die wollen das Problem Venezuela, die Machtfrage, das Problem mit der Regierung in Venezuela, das sie haben, bis zum 30. Juli lösen. Man braucht aber nicht pessimistisch zu sein, denn schließlich versuchen sie seit 18 Jahren den Kurs, den das Volk von Venezuela eingeschlagen hat, zu ändern.
Es ist ein gutes Zeichen für unseren Kampf, dass die übermächtige Militärmacht USA doch nicht alles erreicht, was sie will. Wir sind zuversichtlich, dass auch diese Schwelle, die Wahlen am 30. Juli, überschritten werden kann. Wenn wir sagen, die Lage ist gefährlich, dann im Wissen um das Vorgehen der USA in Libyen, im Irak, in Afghanistan, Syrien – wo das Land einfach zerbombt wird. So etwas können sie ohne Schwierigkeiten machen.


UZ: Welche Bedeutung hat die Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung?

Carolus Wimmer: Wir haben als Kommunistische Partei die Teilnahme an der Verfassungsgebenden Versammlung beschlossen und wollen eine möglichst breite Allianz bilden. Von der Verfassunggebenden Versammlung und ihrer Zusammensetzung hängt wirklich alles ab. Wer die Mehrheit hat in dieser Versammlung, der hat die Autorität, die Macht, die Kraft alles zu ändern.
Theoretisch könnten rechte Kräfte die Oberhand bekommen und das würde bedeuten, dass viele der erkämpften sozialen Rechte, die jetzt existieren, von einem Tag auf den anderen verschwinden. Es könnte auch eine neue Regierung eingesetzt werden, es könnte zu einer Verfolgung kommunistischer und anderer fortschrittlicher Kräfte kommen. Das Ergebnis ist offen und das birgt natürlich auch Gefahren.

 

UZ: Was ist euer Herangehen an die Wahlen – als Kommunistische Partei?

Carolus Wimmer: Im Moment versuchen wir abzusichern, dass ein großer Teil der späteren Abgeordneten aus der Arbeiterklasse kommt. Das ist eine Frage der Mehrheitsverhältnisse und auch eine Klassenfrage. Diese Klassenfrage wurde in Venezuela bisher noch nicht gelöst. Viele Fehler, die gemacht wurden, sind darauf zurückzuführen, dass führende Persönlichkeiten der Sozialistischen Partei (PSUV) und auch der Regierung aus der Kleinbourgeoisie kommen und manchmal sehr radikal auftreten, dann aber wieder sehr egoistisch und individualistisch denken.

UZ: Nimmt die Opposition an den Wahlen teil?

Carolus Wimmer: Die Opposition hat zunächst angekündigt, sie wolle nicht an den Wahlen teilnehmen. Das würde bedeuten, dass die Wahl im Voraus gewonnen wird. Das war schon mal 2005 so, als die Opposition im letzten Moment alle ihre Kandidaten zu den Parlamentswahlen zurückzog. Begründet haben sie es damit, dass Venezuela eine Diktatur sei und es keine freien Wahlen gebe. Das ist natürlich damals vollkommen fehlgeschlagen. Wir waren praktisch fünf Jahre ohne Opposition im Parlament. Das könnte jetzt wieder so passieren.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Wenn das bedeutet, dass die Unruhen auf der Straße weitergehen, dass sie nicht unter Kontrolle gebracht werden, dann kann die Versammlung tausend Dinge entscheiden, aber die können dann vielleicht nicht in die Realität umgesetzt werden. Das wird dann zur Machtprobe.

UZ: Was sagst du zu den Protesten? Wie stark ist die Opposition derzeit?

Carolus Wimmer: Die Verfassung gibt jedem das Recht zu protestieren. Aber diese Zerstörung von allem, was irgendwie sozial ist, dieser Angriff auf soziale Einrichtungen, die Zerstörung von Kindergärten, Angriffe und Zerstörung von Häusern, Angriffe und Zerstörung von Lebensmittellagern, auf alles Öffentliche wie das Verkehrswesen – das ist kein Protest. Das muss unter Kontrolle gebracht werden. Das ist Aufgabe der Regierung.
Derzeit hat die Opposition keine klare Mehrheit in der Bevölkerung. Sie hat vor zwei Jahren die Parlamentswahlen gewonnen und wir haben analysiert, dass das eigentlich mehr eine Protestwahl gegen die Fehler und ein Ausdruck der Unzufriedenheit gegenüber der Regierung war. Das Resultat war, dass das Regierungslager viele Wähler verloren hat, fast drei Millionen Stimmen. Diese Menschen sind kritisch – bei uns sagt man Chavisten, also sie folgen den Idealen von Hugo Chávez – die mit ihrer Kritik nicht für die Opposition gestimmt haben, aber auch nicht zur Wahl gegangen sind. Dieser Stimmenverlust führte dann zum Wahlsieg der Opposition, die ihre Wähler ungefähr halten konnte.

UZ: Was kritisieren Chavisten an der Regierung?

Carolus Wimmer: Korruption, Bürokratie und Ineffizienz. Das sind Mängel, die heute aktiv von breiten Bevölkerungsteilen bekämpft werden. Das gibt auch Hoffnung für unseren Kampf, auch für die Kommunistische Partei, denn wir wollen den revolutionären Weg weitergehen. Das Volk will mehr Revolution und keine Konterrevolution. Und da gibt es schon Kreise in der Regierung und in der Sozialistischen Partei, die eben im Moment den reformistischen Weg der bürgerlichen Demokratie gehen wollen.

UZ: Was ist aus Projekten geworden wie den Kooperativen, die staatlich gefördert wurden? Ist es die Korruption, die verhindert hat, dass diese Projekte erfolgreich waren? Warum ist Öl immer noch so bedeutend für Venezuela und die Abhängigkeit von Importen so hoch?

Carolus Wimmer: Erdöl, das ist das leichte Geld. Alle Regierungen haben gesagt, wir müssen das Land produktiver machen. Es gab mal die Devise „Das Erdöl säen“, also es produktiv zu machen in Landwirtschaft und Industrie.
Einiges wurde da gemacht, aber es ist nun mal so, dass das auch im menschlichen Wesen drin ist. Wenn du eine Möglichkeit hast, leicht an Geld zu kommen, warum sollst du dann hart dafür arbeiten? Das ist der dialektische Widerspruch, der eigentlich nur durch eine Revolution gelöst werden kann. Eine Revolution, in der die Arbeiterklasse die entscheidende Kraft ist.
Das hat auch nicht nur mit Korruption zu tun, sondern ist auch ein Ergebnis von Politik, die nicht auf wissenschaftlicher Basis betrieben wird, die glaubt, dass eben ein Mann oder ein Wille das Land verändern kann. Viele Versuche wurden gemacht, du hast die Kooperativen genannt.
Die Planung dieser Projekte ist oft sehr stark getrennt von der Wirklichkeit. So einfach zu sagen, du hast irgendwie arme Leute oder hast Arbeitslose in den Städten, denen hilft man jetzt, indem man sie aufs Land bringt und zu Bauern macht – das funktioniert nicht. Du kannst tausend Schwierigkeiten haben in der Stadt, aber in der Stadt bleiben dir Träume. Du siehst in ein Schaufenster rein und siehst eben Dinge, die du willst, hast Kinos usw., die dir auf dem Land – am Anfang auf jeden Fall – total fehlen.
Dann war und ist es ein großer Fehler, diesen Prozess in Venezuela einen sozialistischen Prozess zu nennen. In Venezuela ist das Machtverhältnis trotz der großen sozialen Programme – guter Sozialprogramme – immer noch zugunsten der Bourgeoisie, des Kapitalismus. Wir als Kommunistische Partei beziehen uns positiv auf den politischen Prozess und bezeichnen ihn als Kampf oder Prozess der nationalen Befreiung. Das bedeutet, im Moment muss man die Unabhängigkeit behalten, die ist in Gefahr, wenn die USA mit Krieg drohen. Wir können das alles verlieren, wir brauchen ein breites antiimperialistisches Bündnis. Das ist unsere Politik, mit der wir auch Auseinandersetzungen hatten mit der Regierung. Warum? Weil sie sich schon im Sozialismus wähnen.
Es gibt natürlich Schwierigkeiten, wenn man den Arbeitern und Arbeiterinnen erklärt, dass wir im Sozialismus leben, aber da gibt es eben noch große Ausbeutung. Wir leben im Sozialismus, aber die sozialen Probleme wachsen täglich an. Wir leben im Sozialismus, aber die sozialen Ungerechtigkeiten bleiben. Warum? Weil es einfach kein Sozialismus ist.
Was sehr positiv ist und was teilweise eben schon das Werk von Präsident Chávez war, dass es ein hohes Interesse an Politik gibt, ein politisches Bewusstsein unter den breiten Volksmassen. Das gibt uns wirklich Hoffnung, dass der Kampf eben weitergeht unter den schwierigen Bedingungen – gegen den Kapitalismus, gegen den Imperialismus – und an den Sozialismus zu denken oder teilweise schon Versuche zu machen, wirkliche Schritte zum Sozialismus hin zu machen.

UZ: Du sagst, Venezuela sei kapitalistisch. Ihr habt den Erdölsektor in staatlicher Hand, habt kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung. Was muss der nächste Schritt sein?

Carolus Wimmer: Unsere Partei fordert die Verstaatlichung der Banken. Das ganze Finanzsystem ist in privater Hand oder ist abhängig vom kapitalistischen System. Natürlich muss auch die Industrie verstaatlicht werden, obwohl Schlüsselsektoren bereits verstaatlicht wurden, und das ist positiv. Dazu gehört der Erdölsektor, Erzbergbau, Schlüsselindustrien, die sind verstaatlicht. Aber sie wurden in vielen Fällen zu Staatsmonopolen, wo die Arbeiterklasse praktisch kein Mitspracherecht hat, wo sie ausgeplündert wird, wo Arbeiter ihre Arbeit verlieren, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren.
Es ist eben oft die Illusion kleinbürgerlicher Kreise, sie glauben, mit Worten oder radikalen Aktionen lasse sich das System verändern. Das System verändert man durch eine Revolution, die von der Arbeiterklasse geführt werden sollte. Mit Blick auf unsere ganzen Schwierigkeiten erinnern wir an und lernen wir von der Oktoberrevolution, ohne das als totales Modell zu nehmen. Aber was man doch mit Venezuela vergleichen kann, ist, dass es 1917 zwei Revolutionen gab. In Venezuela haben wir die bürgerliche Revolution, die wurde jetzt gemacht, mit vielen Fortschritten. Aber uns in Venezuela fehlt jetzt noch die Oktoberrevolution.

UZ: Manche Gesichter der venezolanischen Opposition kommen direkt aus Kapitalkreisen oder sind mit ihnen eng verbunden. Lebensmittelkonzerne wie Polar sind sehr dominant und könnten Versorgungsprobleme auslösen oder lösen helfen. Ist das nicht die eigentliche Stärke der Opposition heute?

Carolus Wimmer: Vor zwei Jahren war diese Hoffnung da, da hat die Opposition klar gesagt, ihr wählt uns, und nächste Woche ist hier alles geregelt. Das war attraktiv. Attraktiv auch deshalb, weil die Regierung Fehler gemacht hat.
Die Unternehmen haben damals nicht an die Supermärkte verkauft, sondern an Schwarzmarkthändler, die dann Wucherpreise verlangten. Die Bourgeoisie hat diesen Schwarzmarkt mitgeführt oder mitproduziert – direkt durch die Hintertür die Produkte dem Schwarzmarkt gegeben und vorne waren die Regale leer. Das wurde von der Bourgeoisie, vom Klassenfeind, genutzt, um Gewinne zu machen. Die haben natürlich riesige Summen verdient, und es war auch eine politische Waffe.
Aber das hat sich jetzt wieder vollständig verändert. Wenn heute Bilder veröffentlicht werden – und sie erscheinen ja immer noch im Fernsehen –, die leere Regale zeigen, dann sind das alte, verfälschte Nachrichten. Heute ist das Problem ein anderes. Die Regale sind relativ voll, du kannst wieder alles kaufen, aber das meiste ist importiert. Das bedeutet – und das hängt vom Devisen-Schwarzmarkt ab, von Spekulationen im Wechselkurs –, die Regale sind voll, aber vieles können sich die Menschen nicht leisten. Das ist ein riesiger Rückschritt in die 1980er, 90er Jahre, wo wir diese Situation schon erlebt haben, und das muss überwunden werden. Trotz des Verfalls des Erdölpreises faktisch auf ein Viertel dessen, was zu Chávez‘ Zeiten der Preis war, werden die Sozialpläne und -programme aber durchgehalten.
Nehmen wir zum Beispiel den Mangel an Lebensmitteln: Den gab es vor zwei Jahren. Heute erhalten sechs Millionen Familien – wir sind 31 Millionen Venezolaner – monatlich ein Essenspaket. Das ist eine Schachtel, die kostet 10 000 Bolivar. Der Schwarzmarktpreis dafür liegt bei mindestens 200 000. Da ist nicht alles, sind aber doch die wichtigsten Nahrungsmittel drin, so dass dies allgemein als große Hilfe gesehen wird.
Die Opposition ist gegen die Ausgabe dieser Pakete, aber sie macht auch keine Vorschläge, wie die Versorgung verbessert werden kann. Die Schwäche der Opposition ist seit 18 Jahren, dass sie keine Vorschläge macht. Sie ist einfach gegen den Präsidenten und verspricht, wenn wir den Präsidenten stürzen – nicht abwählen, sondern stürzen – dann wird die Situation irgendwie besser. Vor zwei Jahren hat das noch funktioniert, da war die Situation der Familien so schwierig, dass manche nach irgendeinem Rettungsring griffen. Die Opposition stellt ja Gouverneure, Bürgermeister und so weiter, aber da ist niemand, über den man sagen kann, okay, die machen das besser.
Die Opposition hat keine Persönlichkeiten derzeit. In Venezuela braucht man irgendeine Persönlichkeit in der Politik. Alle ihre Gesichter sind alte Gesichter. Möglich, dass der Vorstandsvorsitzende des Lebensmittelkonzerns Polar, Lorenzo Mendoza, als „moderner Unternehmer“, langhaarig, dem Aussehen nach also irgendwie Anti-Establishment, vielleicht Präsidentschaftskandidat wird. Aber was vielleicht in den USA funktioniert, funktioniert nicht automatisch in Venezuela.
Bisher haben sie weder ein Programm noch sonst irgend etwas. Die Opposition spekuliert nur auf mehr und mehr Sabotageakte, Chaos, dass der Staat nicht mehr funktioniert und sie dann einen Putsch versuchen können. Bisher hat die Bevölkerung zu diesem Weg „Nein“ gesagt.

UZ: Das Militär spielt eine wichtige Rolle in Venezuela, auch politisch. Wie schätzt du die Haltung der Streitkräfte ein?

Carolus Wimmer: Es gibt eine klare antiimperialistische Haltung in der Mehrheit des Volkes, sowohl in der Zivilbevölkerung als auch bei den Streitkräften. Bei den Streitkräften gab es große Änderungen durch Chávez. Die Tatsache, dass er aus dem Militär kam und es gut kannte, hat große Veränderungen möglich gemacht, sehr zu unseren Gunsten.
Früher waren die Streitkräfte vollständig unter Kontrolle der USA und der Bourgeoisie. Soldaten waren auch Dienstleute, Gärtner und Chauffeure der Reichen, billige oder kostenlose Arbeitskräfte. Das hat Chávez geändert. Er hat mehr Demokratie geschaffen und physische Strafen verboten.
Ein Drittel der Angehörigen derStreitkräfte sind jetzt Frauen. Außerdem waren die Streitkräfte geteilt in Marine, Luftwaffe, Heer und Nationalgarde, bei gegenseitiger Eifersucht und Konkurrenz. Chávez hat eine einheitliche Streitmacht geschaffen. Auch das gesamte Erziehungsprogramm wurde geändert. Vorher war es proimperialistisch, jetzt ist es antiimperialistisch. In diesem Erziehungsprogramm hat der Marxismus einen festen Platz – da wird Marx gelesen, da wird Lenin gelesen, das ist jetzt normal. Das ist natürlich auch eine große Chance für unsere Kommunistische Partei. Wir werden oft eingeladen zu politischen Workshops oder Vorträgen. Natürlich muss man sagen, wir leben im Kapitalismus, die Streitkräfte sind nicht revolutionär in sich, aber ein Großteil hat doch patriotische Ansichten und ein wahrscheinlich nicht unwichtiger Teil hat wirklich revolutionäre Ansichten. Es dürfte auch einen proimperialistischen Teil geben, aber die Tatsache, dass es den USA bisher noch nicht gelungen ist, ihre Pläne umzusetzen, beweist einfach, dass sie sowohl in der Zivilbevölkerung wie auch in den Streitkräften keine Mehrheit haben.

UZ: Kommen wir noch auf euren Parteitag der PCV zu sprechen, der Ende Juni stattgefunden hat. Welche Themen habt ihr beraten?

Carolus Wimmer: Wir haben über die Schwierigkeiten diskutiert, die wir jetzt in Venezuela haben. Unsere Einschätzung war und bleibt richtig, dass es ein großer Fehler ist, dass die Arbeiterklasse nicht teilhat an der Macht, nicht einbezogen ist in den politischen Prozess in Venezuela.
Unser Parteitag hat außerdem Einigkeit darüber erzielt, dass wir sehr intensiv an einem breiten Bündnis arbeiten müssen. Das bedeutet die Stärkung der Volksfront gegen den Imperialismus und gegen den Faschismus. Dieses Bündnis soll unterschiedliche soziale Schichten mit einschließen für die Etappe des Kampfes um die nationale Befreiung. Ich habe ja bereits gesagt, dass wir es ablehnen, die jetzige Etappe in Venezuela als Sozialismus zu definieren, weder als normalen Sozialismus noch als Sozialismus des 21. Jahrhunderts oder sonstiges – solche Bezeichnungen sind irreführend. Damit wird nur erreicht, dass man soziale Schichten, die gebraucht werden für den Kampf gegen die Bedrohung durch den US-Imperialismus, abschreckt.

UZ: Also ist derzeit nicht sozialistische Revolution in Venezuela auf der Tagesordnung, sondern jetzt steht für euch das Bündnis mit denen im Vordergrund, die bereit sind, die Errungenschaften des bolivarischen Prozesses zu verteidigen?

Carolus Wimmer: Wir sind keine Partei, die zwei Etappen vorsieht – erst gegen den Imperialismus kämpfen und dann für den Sozialismus. Das lehnen wir ab. Es handelt sich um parallele Abläufe. Darum haben wir zwei Formen der Bündnispolitik. Eine ist die breite, antiimperialistische Volksfront, aber daneben arbeiten wir für das Bündnis des revolutionären Volksblocks (Bloque Popular Revolucionario), das für den Sozialismus kämpft. Die Kräfte im revolutionären Volksblock sind weniger politische Organisationen, sondern hauptsächlich Kommunalräte, die den Sozialismus wollen und anerkennen, dass die kommunistische Partei eine wichtige Rolle spielen kann und soll. Inhaltlich dient es der Diskussion über revolutionäre Politik. Die breit angelegte und die revolutionäre Bündnisarbeit läuft gleichzeitig – das kostet viel Kraft, ist aber notwendig.

UZ: Worüber habt ihr auf eurem Parteitag noch beraten? Du sagtest, die Arbeiterklasse habe nicht teil an der Macht. Woran liegt das?

Carolus Wimmer: Das ist unsere Erfahrung aus den letzten Jahren und die große Schwäche des so wertvollen politischen Prozesses in Venezuela – dass die Arbeiterklasse nicht teilnimmt, keinen Platz hat in der Regierungsarbeit. Die Arbeiterklasse ist in unserem Land schlecht organisiert. Venezuela war in den 1970er und 80er Jahren, hauptsächlich von der sozialdemokratischen Partei getragen, das Modell für den Neoliberalismus. Um diese neoliberale Politik durchzusetzen, mussten die Massenorganisationen zerstört werden. Das wurde auf zwei Wegen geplant und durchgeführt – einerseits durch Korruption, also die Gewerkschaftsbosse wurden gekauft, und jeglicher Widerstand und jede Form gewerkschaftlicher Betätigung wurde stark reglementiert und unterdrückt. Eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche.
Die Bewegung, die mit Hugo Chávez angefangen hat, hatte darum das große Handicap, dass sie ohne organisierte Massenbewegung auskommen musste. Es wird oft kritisiert, dass es in Venezuela immer hieß „Hugo Chávez und das Volk“ – aber es war eben auch keine Organisation da. Unsere Partei konzentriert sich deshalb auf die Organisierung der Arbeiterklasse, die heute viel mehr umfasst als nur die Fabrikarbeiter. Das ist unsere Hauptaufgabe, unsere Verantwortung – diese Arbeit nimmt uns keine andere Partei in Venezuela ab.

UZ: Wie hat sich die PCV entwickelt?

Carolus Wimmer: Wir müssen an unserer eigenen Partei hart arbeiten. Wir sagen zwar – sehr selbstkritisch –, dass wir generell eine richtige Politik machen, aber wenn die Partei noch relativ schwach ist, lässt sich diese Politik eben nicht übertragen. Es wird oft nicht wahrgenommen oder anerkannt, dass wir doch eine Alternative darstellen zu den anderen Parteien. Deshalb müssen wir hart an unserer Organisation arbeiten, hart an unserer Bildungsarbeit.
Unser Vorteil ist, dass wir eine gute kommunistische Jugend haben, die uns in den nächsten Jahren neue Kader mit großer Erfahrung bringen wird. Im Unterschied zu neuen Mitgliedern bringen diejenigen, die aus unserer Jugendorganisation kommen, teilweise 10 bis 15 Jahre Erfahrung mit.
Wir sehen außerdem, dass wir große internationale Unterstützung bekommen. Das ist wichtig für unseren Kampf auch national. Wir haben zum Parteitag 71 Reaktionen von kommunistischen und Arbeiterparteien gezählt, davon kamen 25 mit eigenen Delegationen nach Venezuela, die anderen haben Grußbotschaften geschickt. Und das in einem Moment, wo es schwierig ist, überhaupt nach Venezuela zu reisen. Wenn man die Berichterstattung über das angebliche Chaos in Venezuela sieht, dann schickt man nicht so leicht einen Genossen dahin. Diese große Solidarität, auch von der DKP, die durch den Genossen Mario Berrios vertreten war, hat uns auch innerparteilich geholfen. Im harten täglichen Kampf zu sehen, dass unsere Anstrengung in der Welt anerkannt wird, dass man nicht allein ist, das ist wichtig für unsere Genossinnen und Genossen. Für uns war es auch eine Gelegenheit, unseren Bruderparteien zu zeigen, wie die Situation wirklich ist.

UZ: Du hast anfangs gesagt, der US-Imperialismus will noch vor den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung eine Klärung – also im Sinne einer Eskalation, eines Putsches oder Bürgerkriegs – herbeiführen. Welche möglichen Entwicklungen siehst du für die nahe Zukunft angesichts dieser Bedrohung?

Carolus Wimmer: Na ja, das erscheint in der UZ, und dann werden die Genossen in ein paar Wochen kontrollieren, ob das wahr geworden ist oder ob ich etwas Falsches gesagt haben – darum kann ich eigentlich keine Antwort darauf geben. Aber für den Imperialismus ist es logisch, dass er nach Möglichkeiten sucht, wie er einen Machtwechsel durchsetzen kann. Eine Möglichkeit des US-Imperialismus besteht darin, einen militärischen Angriff durchzuführen, direkt durch das US-Militär oder über die OAS – die Organisation Amerikanischer Staaten – durch lateinamerikanische Truppen. Das wäre für die USA der elegantere Weg, wenn sie sich die Hände nicht schmutzig machen, aber trotzdem ihre Politik durchsetzen.
Eine andere Gefahr ist die des Bürgerkrieges. Diese Gefahr ist groß. Eine weitere Möglichkeit sind terroristische Anschläge vor den Wahlen. Es gibt bereits terroristische Aktionen, aber nicht wie in London, Paris oder Berlin mit vielen Toten. Bisher blieb es immer noch bei einem Toten täglich, als wäre das geplant. Zufällig stehen dann auch immer schon die Kameras bereit, bevor etwas passiert. Und diese Morde werden nicht bestraft. Das wird sogar geschützt, mit dem Verweis auf das Demonstrationsrecht, auf das Recht, zu protestieren. Wenn dann einer stirbt, hat angeblich entweder keiner Schuld oder die Regierung hat Schuld. US-Politiker reden sogar von einer Million Kommunisten und Chávisten, die umgebracht werden müssten, um etwas zu verändern in Venezuela. So ein antikommunistisches Massaker, eine Welle massenhafter politischer Gewalt, ist also auch möglich bzw. gewollt.
Eine weitere Möglichkeit ist der reformistische Weg, speziell rechtssozialdemokratischer Kräfte – sowohl in der Opposition als auch aus dem bolivarischen Bündnis. Das sind Kräfte, die keinen Sozialismus wollen, die einen Kompromiss suchen. Das wird momentan von der Arbeiterklasse und im Volk als Verrat angesehen, denn diese Politik kennen wir aus den 1980er und 90er Jahren. Hugo Chávez ist ja überhaupt nur bekannt geworden, weil die Leute mit dem alten Zwei-Parteien-System Schluss machen wollten. Darum ist diese Politik im Volk nicht sehr beliebt. Aber z. B. die EU sucht und fördert Kräfte, die diesen Weg gehen wollen – Frieden herstellen, den Kapitalismus absichern, eine Form der bourgeoisen Scheindemokratie.
Die dritte Möglichkeit ist der Weg der Revolution, der immer noch offen und möglich ist.
Die Bevölkerung hat in den letzten Jahren so große Opfer gebracht, dass man merkt, die geben das so leicht nicht auf. Der Lebensmittelmangel hätte in einem anderen Land vielleicht sofort zu riesigen Unruhen geführt, nicht so in Venezuela. Es gibt viel Kritik, aber die Leute standen stundenlang in Schlangen, waren geduldig. Der Terrorismus kommt nicht aus dem Volk, sondern von privilegierten Mittelschichten, die eigentlich nur darum kämpfen, auf Kosten der Arbeiterinnen und Arbeiter ihre alten Privilegien zurückzugewinnen. Sie schüren die Unruhen – die Mittelschicht, Jugendliche, denen es eigentlich sehr gut geht. Die Krawalle passieren hauptsächlich in ihren eigenen Wohnvierteln. Die bestrafen sich selbst. Die bauen Barrikaden, und die Anwohner können dann 20 oder 30 Stunden nicht aus ihrem Haus raus. In dieser Mittelschicht ist ein großer Fanatismus vorhanden, die geben die Parole aus, dass sie durchhalten müssen, bis die Regierung gestürzt ist.

UZ: Du hast von der Gefahr des Bürgerkrieges, der Gefahr gezielter politischer Morde gesprochen. Wie geht ihr als Kommunistische Partei damit um?

Carolus Wimmer: In der Partei besprechen wir das ganz offen und suchen nach Lösungen. Das ist auch eine Frage der politischen Bildung. Angst zu haben, ist ja menschlich. Aber die Mitglieder müssen Vertrauen haben in die Partei, damit die Genossen nicht vereinzelt und inaktiv werden, sich einschließen aus Angst vor Angriffen. Unsere Partei hat historisch bewiesen, dass sie fähig ist, mit allen Kampfformen gegen den Kapitalismus umzugehen. Es gab in der Geschichte Venezuelas viele linke Parteien, Organisationen, von denen manche radikaler waren, aber die sind jetzt verschwunden. Die älteste politische Partei in Venezuela, die einzige linke Partei, die jetzt seit 86 Jahren besteht und immer noch attraktiv und jung ist, das ist die Kommunistische Partei.
Wir müssen Vertrauen haben, dass die Partei – nicht für jeden Einzelnen, aber kollektiv – Wege findet, sich und ihre Mitglieder zu schützen und zu verteidigen. Ein Zeichen dafür war der Parteitag, der bedroht war. Ziel der Angriffe, die es derzeit gibt, kann eben auch das Gebäude des ZK werden. Ein Anschlag auf 397 Delegierte und 34 internationale Delegierte, das hätte ein großes Medienecho gegeben. Wir haben als revolutionäre Partei jedoch Mittel und Wege gefunden, den Parteitag trotz der gegenwärtigen Situation erfolgreich abzusichern.

Quelle: UZ Ausgabe vom 21. Juli 2017
Foto: kommunisten.de

 


Jorge Rodríguez in TV-Sendung.

Opposition feiert ihren Triumpf!?

 
Während der internen Anhörung des MUD gab es Wiederholungen der Stimmen und die Änderung der angeblichen Ergebnisse.
 
Der sozialistische Führer, Jorge Rodríguez sagte am Montag, dass das verfassungswidrige Plebiszit der selbsternannten «Democratic Unity Runden Tisch» (MUD) am Sonntag hat gezeigt, dass eine Reihe von Unregelmäßigkeiten und Wiederholungen der Stimmen und Veränderungen der Ergebnisse vorhanden seien.

Beim «Policy Program Divan» des Staatlichen Kanals «Venezolana de Television» (VTV) übertragen, zeigte Rodriguez ein audiovisuelles Material, wie der Sekretär der Partei Primero Justicia in Aragua, Filiberto Colmenares, und der stellvertretenden Sekretär des MUD, José Gregorio Hernández, die Ergebnisse des Plebiszits beeinflussen.

Veröffentlicht am 17.07.2017 (vorläufig nur auf Spanisch)

Conversación entre Filiberto Colmenares, secretario de Primero Justicia en el estado Aragua, y José Gregorio Hernández, secretario de la Mesa de la Unidad Democrática (MUD) en el mismo estado. Colmenares intenta explicarle a Hernández cómo cuadraron los números del plebiscito para el estado Aragua añadiendo 50 mil votos, pero se enrieda todo. Presentado en el programa «La Política en el Diván» con Jorge Rodríguez.

Volksbefragung: Quadrierung der Zahlen