Politik

Wie weiter in Venezuela

Venezuela nach dem Tod von Hugo Chavez und vor den Wahlen

Hugo Chavez mit vorwärts weisender Handbewegung.

12.03.2013 | Das Fest der venezo­la­ni­schen Oppo­si­tion zum Tode von Hugo Chavez in Miami und im Osten Caracas', dort wo die Schönen und Reichen wohnen und die Wach­mann­schaf­ten den Pöbel nicht durch­las­sen, war nur von kurzer Dauer. Das nicht enden wollende Meer an Menschen, die Abschied von Hugo Chavez nehmen wollten hat sie und sicher auch Washing­ton über­rascht, erschreckt und tief in ihrem Glauben erschüt­tert, den Prozess in Vene­zuela mit dem Tod von Chavez über Wahlen umkehren zu können und so wieder Kontrolle über die Ressour­cen und vor allem natür­lich den Ölkon­zern PdVSA zu erlangen.

Eigentlich hätten sie es wissen müssen. Die Regionalwahlen im Dezember 2012, und hier war Chavez bereits in Kuba in Behandlung, waren ein Desaster. 20 von 23 Teilstaaten gingen an die Linksregierung, darunter vor allem ihre Basis, der Bundesstaat Zulia – die Hauptölprovinz, bei der man sich immer separatistische Bestrebungen (»Kuwait in Südamerika«) offen hielt. Es scheint, als ob die Abwesenheit von Chavez , die offensichtliche Krankheit und die Gefahr seines Todes in der venezolanischen Bevölkerung die Notwendigkeit der Fortsetzung des revolutionären Prozess umso deutlicher gemacht haben.

Die venezolanische Opposition und ihre Medien bereiten ihre Anhänger und die Öffentlichkeit darauf vor, die kommenden Wahlen nicht anzuerkennen.

Solange Chavez in Behandlung war, forderte die Opposition permanent Neuwahlen, getragen von der Hoffnung diese gewinnen zu können. Jetzt stehen diese an – die Verfassung sieht Neuwahlen innerhalb von 30 Tagen vor – und es werden händeringend fadenscheinige Gründe gesucht, um die verfassungsmäßigen Abläufe in Frage zu stellen.

Ziel ist es zu verhindern, dass mit Nicolas Maduro der Wunschnachfolger von Hugo Chavez als Kandidat nominiert werden kann.

Der Konflikt lässt sich folgendermaßen umreißen:

Im Januar tauchte der Disput auf, ob der kranke Chavez zu einem bestimmten Zeitpunkt vereidigt werden müsste oder nicht. Der oberste Gerichtshof entschied damals, dass durch die Wiederwahl eine Kontinuität des Mandats eintrete und die Vereidigung damit auch auf später verschoben werden könne. Mit dieser Entscheidung waren alle zufrieden, selbst die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) erklärte ihr Wohlwollen zu dieser »weisen« Entscheidung. Auch die Opposition akzeptierte sie öffentlich.

Durch diese damals von allen getragene Kontinuität des Mandats sieht die Verfassung nun aber vor, dass der Vize-Präsident die Geschäfte des Präsidenten übernimmt, während bei einem Erstantritt (d. h. der gewählte Präsident hätte nach der Wahl nie sein Amt übernommen) der Parlamentspräsident dem Präsidenten nachfolgt. Nun beharrt die Opposition aber darauf, dass der Präsident sein Amt nie angetreten habe, obwohl sie die Kontinuität im Januar als solche bestätigte.

Die Konsequenzen sind folgende:

Die venezolanische Verfassung besagt, dass kein Minister oder Vize-Präsident als Kandidat für die Präsidentschaft antreten darf (Stichwort: Chancengleichheit der Kandidaten), dies gilt aber nicht für den Präsidenten, der für seine Wiederwahl kandidieren kann. Mit dem Tod des Präsidenten tritt nun aber der Vize-Präsident die Stelle des Präsidenten an und hört damit auf Vize-Präsident zu sein. Dies ist zumindest die Position der Linksregierung, basierend auf der Entscheidung des obersten Gerichtshofes.

Würde der Parlamentspräsident das Amt des Präsidenten ausüben, wäre Maduro weiterhin Vize-Präsident und könnte damit nicht für das Amt kandidieren. Er könnte aber zurücktreten und wäre damit wieder wahlfähig.

Man könnte meinen, die Regierung hätte dieses Problem umgehen können, indem der Parlamentspräsident das Amt ausübt und der Vize-Präsident Maduro vom Amt des Vize-Präsidenten zurücktritt und damit kandidieren hätte können. Die Wahlen und der kurze Wahlkampf finden demnächst statt und der Präsident bereitet in der Zwischenzeit nur die Wahlen vor.

Aber dies würde zum einen dem Urteil des obersten Gerichtshofes widersprechen, zum anderen würde die Opposition die Legitimität dann sicher andersherum in Frage stellen. Also dass der Vize-Präsident laut Verfassung das Amt zu übernehmen habe und nicht der Parlamentspräsident, aufgrund der vom Gerichtshof festgestellten Kontinuität im Januar.

Mit den Zweifel an der Legitimität des Interimspräsidenten und des Kandidaten Maduro wären natürlich auch die nachfolgenden Wahlen zumindest in Zweifel gezogen.

Man sieht, die Verzweiflung der Opposition scheint groß und es besteht die Gefahr, dass sie sich, unterstützt von außen, zu Verzweiflungstaten hinreißen lässt.

Meiner Einschätzung nach gibt es nun zwei Szenarien:

  • Die Opposition boykottiert die Wahlen bzw. stellt gar keinen Kandidaten auf (und, oder)
  • versucht über ihre Anhänger Chaos und Bürgerkrieg zu inszenieren um damit einen normalen Ablauf der Wahlen schwierig oder gar unmöglich zu machen

Beides hat zum Ziel das Wahlergebnis in Zweifel ziehen zu können bzw. soll, im Falle von Unruhen, den Boden für einen Staatsstreich oder gar eine Militärintervention ebnen. Die Opposition strebt keine reguläre Wahl mehr an, in der sich Linksregierung und Opposition messen, sie kann dabei sicherlich wieder auf Unterstützung aus den USA und der EU rechnen, sowie die Mehrzahl der Medien weltweit.

Die Bolivarianische Republik Venezuela war Impulsgeber und Motor der lateinamerikanischen Integration und auch Schutzschirm für linke Regierungen in ganz Lateinamerika. So wurde nicht nur Kuba, Ecuador und Bolivien solidarisch unterstützt, selbst Argentinien hat durch den Aufkauf der Staatsschulden durch Venezuela erstmalig seit drei Jahrzehnten außen- und innenpolitische Handlungsfähigkeit zurückerhalten. Maduro scheint die Persönlichkeit zu sein, die diesen Prozess weiterführen kann und wird.

Sollte die Opposition und Washington es schaffen diese Wahlen zu verhindern oder breit zu delegitimieren, kämen auf die venezolanische Regierung schwierige Zeiten hinzu. Man hätte eine Situation wie vor 2003 bei der Niederlage der Opposition beim Abwahlreferendum gegen Chavez, als die Regierung de facto nicht regierte, sondern immer nur um Legitimation und das Überleben kämpfte.

Sollte die Opposition die Macht wieder erlangen, und da bleiben ihr nur nichtdemokratische Varianten, wird Venezuela wieder ein »normaler« Staat werden, wie bereits vor Chavez, in dem man sich keine »Folklore« wie Sozialprogramme oder Unterstützung von Nachbarstaaten leisten wird. Aber es wird auch politisch rauer für die anderen Linksregierungen in der Region, da sie durch die Fokussierung der Feindschaft der USA zu Venezuela aus dem Schussfeld waren.

Albert Köstler
Quelle: kommunisten.de


Der Autor lebt derzeit in Ecuador. Er ist Mitbegründer des Solidaritätsbündnis »Venezuela Avanza München«und war seit 2003 dreizehn Mal in Venezuela. Er ist Mitherausgeber eines Buches über den Bolivarianischen Prozess (»Aló Presidente«, Gesamtherausgeberin Sahra Wagenknecht, ISBN 978-3-360-01055-1). Er war zwei Mal offizieller Wahlbeobachter in Venezuela (Präsidentschaftswahlen 2006 und Referendum zur Verfassungsreform 2007)