Politik
Interview mit Peter Mertens, Präsident der PTB-PVDA
Wird sich die PTB 2019
an der Macht beteiligen?
14. November 2017 | Ist die PTB-PVDA (Partei der Arbeit Belgiens) bereit zu regieren? Die Meinungsumfragen in Belgien zeigen einen bedeutsamen Anstieg der radikalen Linken, die durch die PTB-PVDA repräsentiert wird. Peter Mertens, der Präsident der Partei, wird fast täglich aufgefordert, auf diese Frage zu antworten.
Der Anstieg der radikalen Linken ist keine einfache Angelegenheit. Gegenwärtig wird Belgien von einer rechten Koalition aus Liberalen, flämischen Nationalisten und Christdemokraten regiert, die eine unpopuläre neoliberale Agenda der Austerität, der Degradierung öffentlicher Dienstleistungen und der Liberalisierung des Arbeitsmarktes durchgesetzt haben.
Darüber hinaus wurde die dominierende Politik von zahlreichen Skandalen erschüttert. Der mächtige Führer der flämischen Nationalisten wurde wegen seiner Verbindugen zu Immobilienspekulanten kritisiert. Politiker der französischsprachigen sozialdemokratischen Partei (PS) haben sich schamlos an Mitteln, die für die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen (der PubliFin-Skandal) oder für die Hilfe für Obdachlose (der SamuSocial-Skandal) vorgesehen waren, bereichert. Liberale wurden im Skandal der Steueroasen und bei «Kazakhgate» erwähnt. Starke Vermutungen deuten darauf hin, dass sie Geld im Austausch für die Legalisierung der Immunität der wohlhabenden Freunde des Präsidenten Kazakh Nazarbayev akzeptiert haben.
In diesem Interview unterstreicht der Präsident der PTB-PVDA, Peter Mertens, das große Bedürfnis des Volkes nach einer politischen Veränderung, die sich in den Umfragen ausdrückt. Gleichzeitig weist er auf bestimmte Hindernisse und Herausforderungen hin, die die PTB-PVDA zu berücksichtigen hat, bevor sie eine Regierungsbeteiligung in Betracht zieht. Insbesondere verweist er darauf, dass augenscheinlich weder die Sozialdemokraten, noch die Ecolos – so heißt die grüne Partei in Belgien – einen fundamentalen Bruch mit der aktuellen Politik herbeiführen wollen. Hier einige klare Antworten bezüglich der Strategie der PTB-PVDA.
Aus Umfragen, die eine starke Zunahme der PTB-PVDA zeigen, ziehen viele Menschen die Möglichkeit in Betracht, dass sich die PTB-PVDA an der Macht beteiligt. Was halten Sie davon ?
Peter Mertens. Es gibt eine große Erwartung in der Bevölkerung, dass ein wirklicher Bruch mit der aktuellen Politik herbeigeführt wird. Ein Bruch mit der Austeritätspolitik, welche tausende von Rentnern ins Prekariat treibt, einen Bruch mit der Unterfinanzierung öffentlicher Dienstleistung, die es unmöglich macht, dass Busse und Züge störungsfrei arbeiten, oder ein Bruch mit der politischen Korruption, die die Grundlage der Skandale von Publifin, SamuSocial oder Kazakhgate ist. Der Bruch, den die PTB umsetzen will, ist keine leichte Angelegenheit.
Die Macht, welche wirklich das Thempo in unserem Land bestimmt, ist nicht neutral. Die heute ausgeübte Macht , die vom europäischen Establishment und hier, von der belgischen Regierung ausgeübt wird, ist eine Macht der Wirtschaft und er großen Finanzwelt.
Die Enthüllungen der Paradise-Papers bestätigen, dass es selbst auf der belgischen Ebene eine Wechselwirkung zwischen dem großen Finanzministerium und den Ministern sowie ihrem unmittelbaren Umfeld gibt. Unser Parlamentsabgeordneter Marco Van Hees hat es vor kurzem im Parlament verurteilt. Er hat auf Johan Van Overtveldt, den Finanzminister der N-VA hingewiesen, den man mittlerweile in den Minister im Dienst der großen Finanzen, umbenennen kann. Er zeigte auch die Verzahnungen zwischen dem Kabinett von Außenminister Didier Reynders und der Wirtschaft auf. Insbesondere mit der Anwesenheit von Alexia Bertrand, Chefin des Reynders Kabinetts und Tochter des Milliardärs Luc Bertrand. Dieser baute sein Vermögen an der Spitze der Holding Gesellschaft Ackermans und van Haaren auf, einer Beteiligungsgesellschaft der Paradise-Papers .
Die politische Kaste steht im Dienst der Großaktionäre und beeinflusst alle Bereichen der Gesellschaft. Wir haben immer gesagt, dass wir radikal mit allen Bereichen brechen wollen, in denen dieser Einfluss ausgeübt wird. Aber ohne die Mobilisierung und Organisation von Menschen, ohne die Beteiligung und das Bewusstsein von Werktätigen und großen Teilen der Bevölkerung wird es unmöglich sein, einen solchen Bruch herbeizuführen. Es ist eine langfristige Aufgabe.
Das heißt, dass die PTB nicht an einer Machtbeteiligung interessiert ist?
Peter Mertens. Nein, wir sagen, dass wir eine Gegenmacht in der Bevölkerung aufbauen müssen, um der Macht des Kapitals die Stirn bieten zu können. Aber es hat sich heutzutage etwas stark festgesetzt: Es wird von oben propagiert, dass die Menschen alle fünf Jahre ihre Stimme der politischen Kaste von professionellen Politikern zur Verfügung stellen sollen und anschließend den Mund zu halten haben. Sie nennen das
«Das Primat der Politik». Aber warum sollten wir die Politik in die Hände dieser Berufspolitiker legen und so die Arbeiterklasse entwaffnen, indem wir sie jeder politischen Beteiligung berauben?
Wir wollen die Emanzipation der Menschen. Es bedeutet, dass sich Menschen organisieren, bewusst werden und mobilisieren. Es ist absurd, über Regierungsbeteiligung zu sprechen, ohne eine Gegenmacht aufzubauen. Wir sagen es noch einmal und daran arbeiten wir auch.
Wir hören eine Menge Leute sagen, dass sie die Politik der MR (Liberalen) und der N-VA (flämischen Nationalisten) nicht mehr ertragen, dass wir alles tun müssen, um sie zu hinaus zu werfen. Was antworten Sie ihnen?
Peter Mertens. Sie haben recht, die Nase voll von der Politik der MR und der N-VA zu haben. Es ist eine arrogante Politik, die im Dienst der herrschenden Klasse, der Aktionäre an der Spitze der großen Industrien, der großen Betrüger steht, die Briefkasten-Firmen in Panama besitzen. Sie führen Angriffe gegen die Gewerkschaften. Sie wollen eine ungebremste Politik der Privatisierung und Liberalisierung. Es ist selbstverständlich, dass die Menschen wütend werden und wollen, dass sie verschwinden. Und es ist selbstverständlich positiv. Wir haben die selbe Wut in Frankreich gegen Nicolas Sarkosy, den Präsidenten der ultra-reichen Franzosenn zwischen 2007 und 2012 erlebt. Aber hat uns sein Austausch gegen den Sozialdemokraten Francois Hollande, der den Krieg gegen die Finanzwelt führen wollte, ermöglicht, die Dinge zu verändern? Es hat überhaupt kein Bruch stattgefunden. Und im übrigen auch nicht mit dem neuen Präsidenten Emmanuel Macron. Daraus müssen wir lernen.
Wir brauchen eine seriöse, glaubhafte Alternative, die tatsächlich einen Bruch herbeiführt: Mit der Politik der Europäischen Kommission, mit ihrem Einfluss der Lobbies in allen Ministerien mit ihren Geschäftskreisen, die auch in die Arbeit der Parlamente eingreifen. Und im Moment erkennen wir in Belgien keine Signale, dass andere Parteien wirklich diesen Bruch herbeiführen wollen. Wir werden ständig gefragt, ob die PTB bereit ist, an die Macht zu gehen. Ich werde mit einer anderen Frage antworten: «Sind die PS und Ecolo bereit, ihre Politik radikal zu ändern? Sonst verkaufen wir neuen Wein in alten Schläuchen. Denn die PS hat nicht nur rechte Politik gemacht, weil sie in einer Koalition mit Rechts war, sondern weil sie selbst durch den Neoliberalismus infiziert war. Schauen Sie Hollande an, er hatte eine Mehrheit im Parlament. Schauen Sie sich die wallonischen Städte mit absoluter PS-Mehrheit an. Schauen Sie sich die deutschen Grünen an, wie sie bereit sind, um fast jeden Preis mit Merkel zu regieren.
Warum ist eine Konfrontation mit der Europäischen Union notwendig? Kann man nicht anfangen, in Belgien die Dinge zu verändern?
Peter Mertens. Nach der Krise von 2008 haben sich die Länder der Europäischen Union auf die Austeritätspolitik, die durch die Europäische Kommission festgesetzt wurde, eingelassen. Den Ländern der Peripherie Europas wird diese Austerität direkt von der Troika (der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds) auferlegt. In Griechenland können Sie von nun an nur bis zu 6% des nationalen Wohlstands für Gesundheitspolitik ausgeben. Es ist eine diktatorische Maßnahme, die von der Europäischen Kommission über die Troika auferlegt wurde. Eine solche Politik hätte man nicht direkt in den Kernländern Europas, wie Frankreich, Deutschland oder Belgien, durchführen können ... Also wird eine andere Strategie verfolgt. Zum Beispiel muss der Haushalt eines Landes jedes Jahr im Oktober zuerst der Europäischen Kommission vorgelegt werden, die dann dazu Stellung nehmen kann und den nationalen Parlamenten ihr Vorgehen diktiert. Wie zum Beispiel die Maßnahme, unsere Renten zu beschneiden. Im Jahr 2014 bekam Belgien die «Empfehlung» der Europäischen Kommission, bei der Lohnindexierung zu intervenieren. Die Michel-Regierung hat einen Indexsprung organisiert. Diese Richtung, das Rentenalter zu erhöhen, die Löhne zu senken, flexible Jobs zu organisieren ... wurde direkt von der Europäischen Kommission eingeschlagen, die den Weg des radikalen Neoliberalismus gegangen ist: zuerst die Sparpolitik, dann die Privatisierungen und anschließende Liberalisierungen sowie letztendlich die Unterwerfung der Arbeiterorganisationen, der Gewerkschaften.
Für die PTB heißt es, dass es eine Falle wäre, in einer Regierung zu sein, die die Sache der Werktätigen voranbringen soll, ohne mit dieser Politik zu brechen. Die PS und Ecolo haben bisher noch nie gesagt, dass sie bereit wären, in einer Regierung zu arbeiten, die sich den liberalen Dogmen der Europäischen Kommission entgegenstellt. Im Gegenteil, sie haben selbst einer großen Anzahl von europäischen Maßnahmen zugestimmt. Denken wir nur an die Liberalisierung des Energiesektors oder den Schienengüterverkehr. Die Beteiligung an der Regierung kann nur dann in Angriff genommen werden, wenn all das in Frage gestellt wird und wenn man sich klar macht, dass die Konfrontation mit der europäischen Elite sehr hart werden wird. Es reicht nicht, nur mit Worten eine progressive Regierung zu sein, sondern diese Regierung muss ebenso die Unterstützung der Werktätigen organisieren können, muss sie mobilisieren und sie in Bewegung bringen.
Aus dem Scheitern von Syriza müssen wir eine Lehre ziehen. Syriza war bei einer solchen Konfrontation sehr vorsichtig, sie wurde aber durch den aggressiven Wirtschaftskrieg der Frankfurter Finanzwelt geschwächt. Und nach dem Referendum vom 5. Juli 2015, als die Mehrheit der Griechen «Nein» zu den europäischen Sparmaßnahmen sagte, traute sich die Regierung Syriza nicht mehr, die Bevölkerung zu mobilisieren. Und heute ist Griechenland in ein neues Memorandum verstrickt, welches genau das Gegenteil dessen ist, was es wollte.
Von einigen wird das portugiesische Modell zur Sprache gebracht, wo es eine sozialdemokratische Regierung gibt, die unter anderem von den Kommunisten unterstützt wird. Kann dieses Modell in Belgien umgesetzt werden?
Peter Mertens. Lassen Sie uns zunächst klar stellen: Die Portugiesische Kommunistische Partei (PCP) beteiligt sich nicht an der Regierung und unterstützt nicht die gesamte Politik Regierung von außen, sondern nur einige konkrete Maßnahmen: diejenigen, die sich gegen die Austeritätslogik stellen. Man muss die besonderen Umstände kennen: Portugal wurde von der Krise im Jahr 2008 ernsthaft betroffen und fand sich anschließend unter dem Diktat der Troika wieder, welches drakonische, sozioökonomische Maßnahmen auferlegte. Ich habe sie in meinem Buch : «Wie können sie es wagen? «von 2012 beschrieben : Mehrwertsteuer erhöhen, privatisieren, Urlaubsgeld halbieren, Gesundheits- und Bildungsleistungen sparen und den Mindestlohn auf den niedrigsten in Europa senken, auf 420 Euro. Es liegt knapp über der Armutsgrenze, die in Portugal nur 360 Euro pro Monat beträgt.
Heute konnte die neue portugiesische Regierung von Antonio Costa die schlimmsten, drakonischen Maßnahmen der Troika unter dem Druck der Gewerkschaften, der kommunistischen Partei Portugals und des Links-Blocks verhindern. Das ist natürlich eine gute Nachricht. Aber man ist noch weit entfernt von einem wirklichen Bruch mit der europäischen Austeritäts- Politik. Keinen Moment stellt der sozialdemokratische Premierminister Costa die europäischen Verträge in Frage, nicht einmal rein rhetorisch. Es kann nicht geleugnet werden, dass Costa zum größten Teil ein Gefangener der Fesseln durch die europäischen Verträge bleibt. Zum Beispiel: Begrenzte soziale Maßnahmen wurden zu Lasten der öffentlichen Investitionen getätigt, was bedeutet, dass das Wachstum gering bleibt. Im Jahr 2010 betragen die öffentlichen Investitionen immer noch 5,1% des BIP ; 2016 betragen sie nur 1,5%. Wir brauchen aber massive Investitionen. Doch die sozialdemokratische Regierung traut sich nicht, die Superreichen anzugreifen und hat deshalb keine Ressourcen für eine öffentliche Investitionspolitik bereitgestellt, die eine nachhaltige Entwicklung gewährleisten kann. Das ist nicht unser Modell. Wir wollen nicht nur die schlimmsten Sparmaßnahmen aufheben, wir wollen eine vollständig andere Politik.
So, unter den derzeitigen Umständen, dort wo die PS und die Grünen zur Zeit stehen, ist es ein NEIN zu einer linken Koalition?
Peter Mertens. Wir wollen der PS nicht helfen, das gleiche zu tun, wie die SPD in Deutschland, nämlich Merkel bei der Umsetzung ihrer Politik zu helfen. Oder das, was Hollande in Frankreich gemacht hat. In ähnlicher Weise waren auch die Sozialdemokraten in den Niederlanden 2012 vor den Wahlen sehr linksgerichtet und haben den liberalen Rutte kritisiert. Nachdem die Wahlen allerdings gewonnen waren, haben sie eine Koalition mit ihm gebildet. Aber sie mussten dafür bezahlen, denn sie sind auf 7% gefallen.
In allen unseren Nachbarländern sind die Sozialdemokraten in der Opposition sehr linksgerichtet und voller Versprechungen gegenüber den Gewerkschaftsorganisationen. Sie behaupten sogar, eine Politik des Bruchs machen zu wollen. Sobald sie aber in der Regierung sind, gibt es überhaupt keinen Bruch mehr. Warum konnten denn rechtsextreme Organisationen wie die Front National von Marine Le Pen, die Partei von Geert Wilders in den Niederlanden oder die AfD in Deutschland so groß werden? Weil es eine wirkliche Enttäuschung der Arbeiter gegenüber den Regierungen mit sozialdemokratischen Parteien gegeben hat. Es ist unverantwortlich, diesen Weg zu verfolgen, wenn man behauptet links zu sein.
Die Zeitung «Le Soir» titelte am 8. November noch während des Interviews, dass die PTB «offen für eine rot-grüne Koalition» sei?
Peter Mertens. «Le Soir» hat beschlossen, eine eigene Schlussfolgerung zu ziehen. Ich habe im Interview nicht gesagt, dass die PTB einer rot-grünen Koalition gegenüber offen ist. Ich habe sogar das Gegenteil gesagt: Es ist derzeit nicht möglich, 2019 in eine Regierung einzutreten. Wir sehen weder dass Ecolo noch die PS bereit sind, eine wirksame linke Anti-Austeritätspolitik zu führen. Ecolo positioniert sich mehr und mehr in einem «weder links noch rechts» und fördert eine Politik der sogenannten Mitte, die nur ein Mit-Management der neoliberalen europäischen Politik sein kann. Das bedeutet natürlich nicht, dass es in jeder dieser Parteien keine ehrlichen Aktivisten und bedeutenden Kräfte gibt. Aber Sie müssen die PS-Führung und das Ecolo-Management fragen: «Sind Sie bereit für eine echte linke Politik gegen die Sparmaßnahmen?»
Die PS verwendet immer noch die Worte des PTB-Sprechers Raoul Hedebouw, dass «die PTB erst in 15 Jahren an der Macht sein wird». Was denken Sie?
Peter Mertens. Die PS verwendet diese Aussage, um jede kritische Überprüfung der Politik zu vermeiden, die ihre Führungskräfte in den letzten 25 Jahren durchgeführt haben. Das ist zu einfach. Wir halten nicht an einem konkreten Datum fest, denn die Welt ändert sich schnell, sehr schnell und ruckartig. Hätte man im Jahr 2012 gedacht, dass man 2017 in Europa Mauern errichten würde, dass die extreme Rechte die zweite politische Kraft in Frankreich wäre bei den Präsidentschaftswahlen, dass Präsident Trump in den Vereinigten Staaten gewählt würde, dass Großbritannien aus der Europäische Union austreten und der Separatismus im Mittelpunkt der politischen Debatte stehen würde?
Wir wissen daher nicht, was in den nächsten fünf Jahre geschieht. Es ist jedoch klar, dass sich mehrere Krisen überlagern (eine finanzielle, eine wirtschaftliche, eine demokratische, eine soziale und eine ökologische Krise) und diese sich verschärfen. Und dass die Geschichte nicht linear ist.
Drei Wege sind in Europa möglich: Entweder die Verfolgung der zentralisierten autoritären Politik der Europäischen Union oder der separatistische und nationalistische Weg oder der Weg der Gegenbewegung von unten, der einen radikalen sozialen, demokratischen und ökologischen Wandel anstrebt. Wir arbeiten entschlossen an dieser letzten Alternative. Aber ich wiederhole, diese Strategie braucht Zeit.
Was ist in Bezug auf die nächsten Kommunalwahlen, d.h. auf einer anderen politischen Ebene, die Vision der PTB?
Peter Mertens. Die PTB bereitet diese Wahlen zunächst mit einer großen Umfrage vor, die online unter www.grandeenquete.be verfügbar ist. Wir wollen einen Dialog mit der Bevölkerung in Dutzenden großer Städte im ganzen Land beginnen. Warum? Um festzulegen, welche Prioritäten auf lokaler Ebene geändert werden müssen. Wir sind konfrontiert mit der liberalen Politik der Städte, wo glitzernde Prestige-Projekte alles bestimmen. Die Vision, dass eine Stadt ein Supermarkt ist, in dem alles dem Markt überlassen werden muss, dominiert immer mehr. Eine Gemeinde ist für uns in erster Linie ein Ort, an dem Menschen zusammen leben, arbeiten oder sich gemeinsam entspannen. Im Wort «Kommune/Gemeinde» steckt das Wort «gemeinsam», nicht das Wort «Supermarkt».
Wir sehen auch, dass immer mehr Bibliotheken oder lokale Schwimmbäder in der nahen Umgebung schließen, öffentliche Plätze wegen Personalmangels nicht mehr gut instand gehalten werden und sich der Zustand öffentlichen Schulen verschlechtert, weil nicht genug Geld vorhanden ist. Unterfinanzierung drängt Städte und Gemeinden dazu, Sparmaßnahmen bei allen lokalen Dienstleistungen durchzuführen.
Angesichts dieser Realität möchten wir die Meinung der Bevölkerung bezüglich ihrer Vision von Stadt erfragen. Wie sehen ihre Lösungsvorschläge aus? Was sind die wichtigsten Streitfragen für die Bürger? Wir wollen ihre Meinung zu unseren konkreten Vorschlägen erfahren, die sämtlich auf dem Recht auf Stadt für alle Einwohner basieren.
Und was die Machtbeteiligung in den Gemeinden angeht?
Peter Mertens. Für Städte und Gemeinden wollen wir auch auf lokaler Ebene eine Politik des Bruchs. Die PTB wird niemals einer lokalen Koalition beitreten, um Sparmaßnahmen zu ergreifen. Wir wollen eine ganz andere Demokratie als die übliche arrogante Machtpolitik, keine Umverteilung von unten nach oben, die die Menschen nicht beteiligt. Diese Punkte sind wichtig und wir sind bereit, mit den Parteien zu sprechen, die auf lokaler Ebene ihren Kurs ändern wollen. Aber in einer Stadt wie Lüttich scheint das alles schwierig zu sein. Die PTB sieht keine Möglichkeit, sich mit der PS Lüttich zu verbünden, der das gesamte System Publifin organisiert hat. Es scheint schwierig, sich mit der PS Brüssel zu verbünden, die das System SamusSocial organisiert hat.
Es ist klar, dass wir niemals eine Koalition eingehen, die solche Praktiken erlaubt.
Vor einigen Monaten besuchte ich mit einer PTB-Delegation die Stadt Barcelona. Eine der ersten Maßnahmen seiner linken Bürgermeisterin, Ada Colau, ist die vollständige Transparenz der Mandate und Vergütungen aller Mitglieder des Stadtrats von Barcelona. Sie reduzierte ihr eigenes Gehalt von 8.000 auf 2.000 Euro. Sie hat in Barcelona ein Verfahren eingeführt, welches Personen erlaubt, Korruptionsskandale zu melden und ernsthafte Ermittlungen durchzuführen. Alle Ratsfrauen und Stadträte von Barcelona müssen alle zwei Wochen in jedes Viertel gehen. Das sind kleine Maßnahmen, aber auch wir brauchen sie auf kommunaler Ebene.
In Antwerpen, im Landkreis Borgerhout, kooperiert die PVDA-PTB nach wie vor mit sp.a und Groen (flämischen Sozialdemokraten und Grünen).
Peter Mertens. Borgerhout ist ein Bezirk mit viel weniger Zuständigkeiten. In diesem Viertel mit 45.000 Einwohnern leisten wir gute Arbeit. Aber für uns war die inhaltlich-programmatische Ausrichtung sehr wichtig. Welches Programm für die Bevölkerung könnte in Borgerhout realisiert werden? Wir haben die Priorität auf die Jugend gelegt. Wir haben noch nicht über Job-Sharing diskutiert. Wir haben freiwillig damit begonnen, ein Programm zu erstellen. Es kann auch andere Gemeinden geben, in denen ein ähnlicher Ansatz möglich ist. Aber wir werden zuerst die Bevölkerung mit Hilfe unserer großen Umfrage hören. Wir werden das Ergebnis zwischen Februar und März vorliegen haben. Dann wird die Situation von Fall zu Fall analysiert.
Und selbst in Borgerhout wird die Arbeit der PVDA-PTB nicht allein von unserer Stadträtin Zohra Othman geleistet, sondern durch die Präsenz unserer Mitglieder vor Ort und von der gegenseitigen Interaktion mit der Bevölkerung. Das nennen wir «Straße-Rat-Straße». Unser politisches Handeln beginnt bei den Menschen und den lohnabhängigen Arbeiterinnen und Arbeitern. Deshalb hören wir ihnen mit Hilfe der großen Untersuchung zu, die wir gerade durchführen. Von hier aus greifen wir mit unserer Forschungsabteilung, unseren konkreten Alternativvorschlägen und mit der Mobilisierung der Bevölkerung ein. Wir wenden uns an die Bevölkerung, um das Ergebnis unserer Überlegungen vorzustellen. Es ist unsere Art, Dinge zu erledigen. Um dies zu erreichen, brauchen wir eine starke Organisation, eine PVDA-PTB, die vor Ort verankert ist.
Diese Gegenkraft, die die PTB aufbauen will, gilt auch auf lokaler Ebene?
Peter Mertens. In der Tat ist dies auch auf lokaler Ebene wichtig, uch wenn es auf andere Weise geschieht. Wir sehen in den letzten Jahren viele lokale Mobilisierungen in den Gemeinden. Dies scheint uns bei unserer Analyse entscheidend zu sein. In welchen Städten kämpften die Menschen, um ihre örtliche Bibliothek oder ihre örtliches Schwimmbad zu erhalten? In welchen Städten hat sich die Bevölkerung für eine Verbesserung der Mobilität in Verbindung mit einer ökologischen Vision der Stadt eingesetzt? In vielen Gemeinden gibt es zivile Organisationen, lokale Verbände, Nachbarschafts-Komitees ... Wir brauchen diese lebendige Demokratie. In vielen Gemeinden wird alles vom Rathaus aus bestimmt und verordnet und jede Volksinitiative wird erstickt. Das Rathaus muss im Dienst der Bevölkerung stehen, es muss eine echte Nähe zur Bevölkerung geben. Nicht nur eine Nähe, um ihre Maßnahmen besser zu erklären, sondern um die Meinungen und Vorschläge der Menschen besser hören zu können.
Der Aufbau einer solchen Gegenkraft braucht Zeit und Energie. Halten Sie deshalb an der Notwendigkeit fest, die PTB noch stärker zu machen?
Peter Mertens. Wir haben eine große Verantwortung. In unseren Statuten und Kongresstexten sagen wir, dass die PTB nicht alles stellvertretend für die Menschen löst. Allein bei diesem Punkt sind wir eine ganz andere Partei. Wir glauben nicht, dass Menschen ihre Kapazitäten, ihre Möglichkeiten, ihre Autonomie, ihre Fähigkeiten auf eine Kaste von professionellen Politikern delegieren sollten, die alles für sie lösen werden. Diese Emanzipationsarbeit ist in unserer DNA eingeschrieben. Wir wollen die Fähigkeit zur Organisation, Sensibilisierung und Mobilisierung von Menschen für viele Themen gewinnen. Bei den sozioökonomischen Themen ist dies offensichtlich. Beispielsweise will die Regierung eine Rente nach einem Punktesystem einführen, eine «Renten-Tombola»», bei der niemand weiß, wieviel er bekommen wird, wenn er in Rente geht. Wir haben eine Kampagne www.pastoucheanospensions.be gestartet, um das Bewusstsein zu schärfen und gegen diesen neuen Angriff auf unsere Renten zu mobilisieren. Einige sagen, die einzige Lösung wären die Wahlen von 2019, und bis dahin wird die Mobilisierung nicht viel helfen. Wir meinen, dass das Kräfteverhältnis jetzt verändert werden muss, um die «Reform» der Rente nach Punkten zu stoppen.
Wir wollen diese Arbeit auch zu vielen anderen Themen durchführen: zum Thema Rassismus, zur Gleichstellung der Geschlechter, zu demokratischen Fragen oder zum Zugang zur Justiz. Der Widerstand gegen das Rentensystem nach Punkten erfordert eine starke soziale Bewegung. Das Klima braucht eine Mobilisierung wie die, die gerade in Bonn zum Klimagipfel stattfindet. Wir brauchen Mobilisierungen zu verschiedenen Themen. Aber wir brauchen auch eine Partei mit einem starken Rückgrat, die Prinzipien hat, und die den Bruch mit der von der Macht der Finanzen beherrschten Politik organisieren will.
Quelle: ptb.be
Foto Solidair, Salim Hellalet
von Christine Reinicke und Wolfgang Reinicke-Abel ins Deutsche übersetzt.
Kampagne www.pastoucheanospensions.be