Politik

Verurteilt wegen einer Plastikfolie!

Benjamin Russ

«Schutzbewaffnung auf einer Kundgebung»

14.08.2020 |  Seit über fünf Jahren befindet sich der Münchner Benjamin Russ im Rechtsstreit mit der deutschen Justiz. Im März 2015 demonstrierte er gemeinsam mit zehntausenden anderen Menschen gegen die Austeritätspolitik der EZB in Frankfurt. Er band sich ein Stück transparente Plastikfolie vor die Augen, um sich gegen den unsachgemäßen Gebrauch von Pfefferspray durch die Polizei zu schützen. Das Landgericht Frankfurt verurteilte Russ wegen «Schutzbewaffnung auf einer Kundgebung». Das Bundesverfassungsgericht lehnte seine Klage gegen dieses Urteil ohne Begründung ab. Jetzt will Russ vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) klagen und brauche deshalb Hilfe. Wir dokumentieren sein Schreiben:

Ich will vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) klagen und brauche deshalb eure Hilfe.

Seit über fünf Jahren befinde ich mich in einem Rechtsstreit mit der deutschen Justiz. Ich wurde wegen des Tragens eines handelsüblichen, transparenten Stücks Plastikfolie auf einer Kundgebung rechtskräftig verurteilt. Im März 2015 demonstrierte ich gemeinsam mit zehntausenden anderen Menschen gegen die Austeritätspolitik der EZB in Frankfurt. Aufgerufen dazu hatte das #Blockupy-Bündnis. Es kamen Menschen aus ganz Europa. Ich band mir – wie viele andere an diesem Tag – ein Stück transparente Plastikfolie vor die Augen, um mich gegen den unsachgemäßen Gebrauch von Pfefferspray zu schützen. Solche Folien wurden damals zu hunderten unter den Demonstrant*innen verteilt.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt nahm die Anzeige durch die Polizei auf. Der Vorwurf: Schutzbewaffnung auf einer Kundgebung (§17a Versammlungsgesetz). Dabei setzte sie die Konstruktion aus einer Overhead-Folie und einem Gummiband mit einem schusssicheren Visier gleich, das zum Beispiel bei Baumfällarbeiten genutzt wird. Das Landgericht Frankfurt befand mich für schuldig. Meine Klage gegen dieses Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht wurde im März 2020 ohne Begründung abgelehnt.

Der letzte Schritt, der mir nun bleibt, ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Bis Ende September muss ich die Klage dort eingereicht haben. Ich bin bei meinem Kampf nicht allein. Momentan werde ich von meiner Familie, von Freund*innen, Aktivist*innen und Jurist*innen bei meinem Fall unterstützt. Dennoch sind wir bisher nicht in der Lage, die finanzielle Seite des Falles abzudecken. Deshalb bauen wir auf eure Unterstützung.

Ich wurde verurteilt, weil ich bei einer Demonstration meinen Körper vor Verletzungen schützen wollte.

Pfefferspray soll von Polizeibeamt*innen eigentlich dazu verwendet werden, um einzelne Personen auf nicht-tödliche Art zu neutralisieren. Die Anwendung soll dabei auf dem Brustkorb erfolgen. Das tut es im überwiegenden Großteil der Fälle aber nicht. Im Gegenteil: Die Polizei versprüht oft Pfefferspray in rauer Menge. Sei es auf Demonstrationen oder bei Fußballspielen. Die Beamt*innen sprühen das Pfefferspray entweder gezielt in die Augen oder in ganze Gruppen von Menschen hinein. Je nach Situation verwenden sie dabei auch mal auf dem Rücken befestigte Drucksprühgeräte.

Panik, Schocks, asthmatische Anfälle und starke Reizungen auf der Haut und in den Augen sind nur einige der möglichen Folgen. Allein in Deutschland sind in den letzten zwei Jahren mehrere Menschen bei Polizeieinsätzen mit Pfefferspray ums Leben gekommen (s. Quellen unten). Dabei ist der Einsatz von Pfefferspray im Krieg gemäß Genfer Konventionen sogar verboten.

Hier geht es schon lange nicht mehr nur um mich. Bleibt es bei diesem Urteil, dann vollzieht sich meiner Meinung nach damit ein Bruch der Verfassung. Denn wenn man sich gegen die unsachgemäße oder vielleicht auch bewusst falsche Anwendung des staatlichen Waffenarsenals durch die Polizei nicht schützen darf, dann ist unser Recht auf Versammlung nicht mehr gewährleistet. Unser Recht auf körperliche Unversehrtheit ist damit nicht garantiert. Wie können unter solchen Bedingungen beispielsweise Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen überhaupt noch zu Demonstrationen gehen?

Mir geht es bei dieser Klage nicht um die Reduzierung des Strafmaßes oder des Tagessatzes. Mir geht es um das Prinzip und um die Verteidigung unserer Rechte. Bitte unterstützt mich dabei! Neben Geldspenden freue ich mich natürlich über das Teilen dieser Spendenkampagne und Soli-Botschaften. Schreibt auch gerne, falls ihr ähnliche Fälle kennt oder falls ihr eventuell Kontakte zu Initiativen, Journalist*innen oder Expert*innen habt.

 

Bisherige Kostenaufstellung (Gesamt: 6964,98 €):

Anwaltskosten für Prozess: 763,98 €
Anwaltskosten für Klage vor dem Bundesverfassungsgericht: 3000 €
Anwaltskosten für Klage vor EGMR: 2000 €
Verfahrenskosten: 501 €
Strafe (10 Tagessätze à 30 €): 300 €
Fahrtkosten nach Frankfurt: ca. 400 €

Das sind die bisherigen, sicheren Kosten die auf mich zukommen. Es können jedoch noch zusätzliche Kosten entstehen. Überschüssige Spenden werden an die Oury Jalloh Initiative und an Refugee Struggle for Freedom weitergeleitet.

Spenden zur Deckung der Gerichtskosten:

https://www.gofundme.com/f/Plastikfolie/donate

oder

Rote Hilfe e.V. OG München
IBAN: DE61 4306 0967 4007 2383 06
BIC: GENODEM1GLS
GLS Bank
Stichwort: Plastikfolie

 

Quellen: gofundme.com/f/Plastikfolie
kommunisten.de