Umwelt
Ein Meer von Plastik
Bayers Umweltsünden
Immer mehr Plastik-Abfälle gelangen in die Weltmeere, bilden dort riesige Müllteppiche und bedrohen das aquatische Ökosystem. Als einer der weltgrößten Kunststoff-Produzenten trägt Bayer maßgeblich zu diesem Umweltverbrechen bei.
Auf dem Pazifischen Ozean treibt ein Müllteppich, dessen Ausmaße diejenigen Indiens übertreffen. «Gewebt» vor allem aus Kunststoff-Abfällen, die unterschiedlichen Meeres-Strömungen zusammengetrieben haben, erstreckt er sich auf einer Fläche von 3,4 Millionen Quadratkilometern.
Durch die Hinterlassenschaften menschlicher Zivilisation in den Meeren hat sich sogar schon eine neue Gesteinsart gebildet. «Plastiglomerate» nennen GeologInnen die Gebilde aus Plaste & Elaste, Lava, Korallen-Teilen und Sand, wobei die Plastik-Komponenten oft noch Spuren ihres Vorlebens als Zahnbürste, Besteck oder Schnüre erkennen lassen. Aber nicht nur toter Materie rücken die Industrie-Produkte zu Leibe. Im Jahr 2012 wurde an der Südküste Spaniens ein lebloser Pottwal angespült, in dessen Magen sich unter anderem 30 Quadratmeter Kunststoff-Folie, viereinhalb Meter Schlauch, eine Leine, diverse Tüten und ein Kleiderbügel befanden. Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr bis zu 100.000 Meeressäuger an einer Überdosis Plastik. Auch See-Vögel verenden auf diese Weise. In 90 Prozent der Kadaver fanden WissenschaftlerInnen Zivilisationsmüll dieser Art.
Eine besondere Bedrohung stellen Kleinst-Partikel dar, die entweder schon so winzig in die Meere gelangt sind oder dort zermahlen wurden. Das Mikroplastik enthält nämlich nicht nur selbst Giftstoffe, es wirkt auch wie ein Magnet auf andere, denn seine wasserabweisende und fettlösliche Oberfläche lockt Schadstoffe wie Polychlorierte Biphenyle (PCB), Pestizide, Medikamenten-Rückstände, Quecksilber, Blei oder Chrom an.
Plastik im Fisch
Was die Teilchen in Muscheln anrichten, haben die Meeresbiologin Angela Köhler und ihre KollegInnen vom Alfred-Wegener-Institut untersucht. Die Kunststoff-Fragmente reichern sich im Magen und in der Leber an, bevor die Zellen sie wieder abstoßen. Erst an ihrem neuen Ort schlagen sie dann so richtig zu. «Das Interessante, was wir da gesehen haben, ist, dass diese entsorgten Plastik-Partikelchen im Umgebungsgewebe ganz extreme Entzündungsreaktionen auslösen und es zu einer Bildung bindegewebiger Kapseln kommt, um diese Fremdkörper einzuschließen. Die pathologischen Phänomene, die erinnern uns auch sehr an das, was man im Menschen als die Anfänge von Asbestosis beschrieben findet», berichtet die Wissenschaftlerin. Der Ökotoxikologe Stephan Pflugmacher-Lima, der an der Technischen Universität Berlin ebenfalls Muschel-Experimente durchgeführt hat, warnt deshalb: «Mikroplastik stellt auch für den Menschen eine Gefahr dar.» Zumal schon Mikroorganismen wie Zoo-Plankton die Stoffe aufnehmen und in die marine Nahrungskette einspeisen, von wo aus diese auch in die humane geraten können.
Die Abwasser-Reinigung ist nicht in der Lage, den Eintrag der Substanzen in die Gewässer zu verhindern. Das Alfred-Wegener-Institut überprüfte das gesäuberte Wasser von zwölf Kläranlagen in Norddeutschland und wies darin 86 bis 714 Mikroplastik-Fragmente pro Kubikmeter nach. Dazu kamen dann noch 98 bis 1.479 Kunststofffaser-Reste, die meistens von Fleece-Pullovern herrührten. Nur das Klärwerk, das über einen Tuchfilter verfügte, vermochte die Einträge weitgehend zu stoppen. So strömen dann allein von diesen Anlagen aus über die Flüsse rund zwölf Milliarden Plaste-Partikel und -Fasern pro Jahr in die Nordsee.
Und zu allem Übel gelangen die Kunststoffe nicht nur in die Gewässer. Der bei den Reinigungsprozessen anfallende Klärschlamm absorbiert ebenfalls Mikroplastik – und gibt es in seinem späteren Leben als Brennstoff oder Dünger auch nicht zu knapp wieder ab. Von den 1,2 bis 5,7 Milliarden Teilchen, welche die Klärschlamm-Jahresproduktion allein der Wasseraufbereitungsbetriebe Brake, Varel, Oldenburg, Scharrel, Holdorf und Schillig enthält, emittiert so ein ansehnlicher Scherflein wieder in die Umwelt, mit entsprechenden Konsequenzen für die menschliche Ernährung. In Bier, Milch, Mineralwasser und Honig stießen die Wissenschaftler schon auf Kunststoff-Spuren.
Die meisten Rückstände finden sich allerdings in Fischen, denn die Ozeane müssen Unmengen von Mikro- und Makroplastik aufnehmen und haben schwer daran zu schlucken – der Abbau-Prozess kann bis zu 500 Jahre dauern. Die US-amerikanische Umweltingenieurin Jenna Jambeck und ihr Team haben nur die in Küstennähe eingeleiteten Frachten näher untersucht und taxieren die jährlich in die Meere fließenden «Plaste & Elaste»-Abfälle auf bis zu 12,7 Millionen Tonnen. Nach Berechnungen der UNO-Umweltagentur UNEP tummeln sich dort in toto schon 142 Millionen Tonnen Kunststoffe. Der Bundesregierung zufolge haben diese chemischen Substanzen am gesamten Meeresmüll-Aufkommen einen Anteil von 75 Prozent. «Wenn wir uns den marinen Bereich anschauen, dann geht das dort, denke ich mal, schon in Richtung Desaster», sagt Stephan Pflugmacher.
Mikroplastik von Bayer
Ein Großteil der Plastik-Abfälle gelangte erst in den letzten Jahrzehnten in die Gewässer. Betrug die globale Jahresproduktion Mitte der 1950er Jahre noch ca. 1,5 Millionen Tonnen, stellen die Konzerne jetzt bereits 280 Millionen Tonnen her. Bayer leistet einen gehörigen Beitrag zu diesem Kunststoff-Berg. Einige Substanzen, wie das Polycarbonat und das TDI, entstammen sogar den Laboren des Leverkusener Multis. Entsprechend rund laufen die Geschäfte mit den Konzern-Erfindungen. Bei Polycarbonaten und MDI, das bei der Produktion von Hartschaumstoffen Verwendung findet, ist der Leverkusener Multi weltweit der größte Hersteller. Bei TDI kommt er auf einen Marktanteil auf rund 25 Prozent.
Und selbstverständlich hat das Unternehmen auch Mikroplastik im Angebot. So hält es etwa für die Kosmetik-Industrie Produkte der BAYCUSAN-Reihe bereit. In Haarpflege- und Haarstyling-Mitteln, Lotions, Sonnen- und Hautcremes, Wimperntusche und anderen Schmink-Utensilien kommen die Polyurethane (PUR) zum Einsatz. Das Polyurethane-32 etwa soll dafür sorgen, dass sich Gesichtsmasken besser ablösen lassen. Das Polyurethane-34 und das Polyurethane-48 versprechen laut Bayer exzellenten Locken-Halt sowie hohen Glanz, während das Polyurethan-35 Kosmetika angeblich zu einer sehr guten Wasserbeständigkeit verhilft und ihnen «ein natürliches Hautgefühl» verleiht. Der Leverkusener Multi hat den Schönheitsmarkt erst vor relativ kurzer Zeit entdeckt, sich aber zum Ziel gesetzt, in diesem Jahr die Top-Position bei den Mikroplastik-Zulieferern einzunehmen. «Wir wollen uns bis 2015 den Hauptanteil der PUR-Technologie sichern. Als Newcomer muss man in dieser hart umkämpften Branche forsch auftreten», hieß es 2009 zum Produktionsstart von Baycusan.
Aber auch auf anderen Feldern kommen die Mini-Kunststoffe des Konzerns noch zum Einsatz. So setzt er etwa einigen Medikamenten wie dem Bluthochdruckmittel Adalat oder dem Kontrazeptivum Jaydess Polyethyle zu, um eine kontrollierte, sich auf einen längeren Zeitraum erstreckende Wirkstoff-Abgabe zu ermöglichen. In der Knochenabbau entgegenwirkenden Arznei Bonefos erfüllt Polyvinyl-Alkohol diese Funktion. Arznei-Verpackungen mischt der Multi ebenfalls Mikroplastik wie Polypropylen bei. Zudem stellt er Moskito-Netze her, die aus insektizid-haltigen Polypropylen-Fasern bestehen. Darüber hinaus enthalten viele Lackrohstoffe des Unternehmens die kleinen Kunststoff-Partikel. So findet sich dann Mikroplastik made by Bayer in vielen Meeren wieder, wo sie dann zusammen mit den Kleinstkunststoff-Hinterlassenschaften aus Reifen, Fleece-Pullovern, Fischernetzen, Zahnpasten und Seifen ihr Unwesen treiben. Und zu allem Überfluss beschränken sich die Einleitungen des Leverkusener Multis in die Gewässer nicht auf Plaste & Elaste aller Gewichtsklassen. Auch mit Pestizid-Wirkstoffen, Schwermetallen, organisch gebundenen Kohlenstoffen, Phospor, Stickstoff und anderen Substanzen setzt er ihnen zu.
Politik bleibt untätig
Trotzdem hat Bayer von Seiten der Politik nicht viel zu befürchten. CDU und SPD bekennen im Koalitionsvertrag zwar: «Wir werden die EU-Kommission beim Kampf gegen die Vermüllung der Meere unterstützen, insbesondere beim Vorgehen gegen Plastik-Einträge», aber wehtun möchten sie den Unternehmen dabei nicht. Als die Grünen in einer kleinen Anfrage zum Thema «Wirksamer Meeresschutz» von der Bundesregierung wissen wollten, welchen Beitrag die Kunststoff-Industrie nach Meinung der Großen Koalition leisten müsse, um das in der Meeres-Rahmenrichtlinie der Europäischen Union formulierte Ziel einer Abfall-Reduktion erreichen zu können, blieben CDU und SPD die Antwort schuldig.
Die Kosmetik-Industrie will Berlin ebenfalls nicht in die Pflicht nehmen; gesetzliche Maßnahmen in Sachen «Mikroplastik» bleiben ihr erspart. Stattdessen beabsichtigen Merkel & Co., die Hersteller in einem Dialog zu einem freiwilligen Verzicht auf die umstrittenen Substanzen zu bewegen. Das Übrige regelt aus ihrer Sicht das Kreislaufwirtschaftsgesetz mit seinen Recycling-Vorschriften. Der Umgang mit Industrie-Produkten am Ende ihres Lebenszyklusses ist in den Augen der Bundesregierung nämlich «ein weiterer wichtiger Aspekt für den Meeresschutz». Dass der Kunststoff-Kreis bei all dem Plaste-Müll, der allein aus deutschen Landen in die Ozeane treibt, nicht allzu rund sein kann, ficht Christ- und SozialdemokratInnen dabei nicht an. Ein Rückbau der Plastikwelt, mehr Müll-Vermeidung oder wenigstens eine Vorschrift zur obligatorischen Ausstattung von Klärwerken mit Tuchfiltern steht nicht auf ihrer Agenda.
Unterlassungssünden bescheinigt der Bundesrepublik auch die EU. Den Bericht der Bundesregierung über den Zustand der Nordsee, der als Handlungsgrundlage für einen besseren Schutz der Meere dienen sollte, bezeichnete die Europäische Kommission als nicht ambitioniert genug. Eine Schutzgebietsverordnung für dieses Meer gemäß der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie haben die GroßkoalitionärInnen ebenfalls noch nicht erlassen, weshalb Brüssel zur Zeit ein Vertragsverletzungsverfahren prüft.
Der einzige Sektor, der sich unter Schwarz-Rot auf neue Regularien einstellen muss, ist die Landwirtschaft. Hier planen die beiden Parteien, das Düngen mit Klärschlamm zu verbieten. Ansonsten verweisen sie in ihrer Antwort auf die kleine Anfrage der Grünen bloß noch auf ihre Mitwirkung an den Meeresschutz-Übereinkommen «Ospar» und «Helcom». In deren Rahmen haben die Länder zwar schon Aktionspläne verabschiedet, aber rechtlich verbindliche Vorschriften enthalten die Schriftstücke nicht. Zum Mikroplastik-Eintrag in die Meere heißt es vage, er «soll verhindert werden», die Produktion nachhaltigeren Kunststoffes schlagen die Vertragsparteien lediglich vor, und die Reinigung von Stränden, des Meereswassers und des Meeresbodens ist gar nur «angedacht».
So dürfte «die neueste globale Gefahr unserer Zeit», als die der Ozeanograf Charles J. Moore die Kunststoff-Belastung der Weltmeere bezeichnet, kaum zu bannen sein. Eine Fortsetzung des Kurses «in Richtung Desaster» scheint deshalb vorprogrammiert, sollte nicht eine breite Gegenbewegung entstehen, wie es sie Anfang der 1980er Jahre schon einmal gab. Damals unternahmen Coordination gegen BAYER-Gefahren, Greenpeace und andere Initiativen spektakuläre Aktionen gegen die Verklappung von Dünnsäure in der Nordsee, was 1990 schließlich auch dazu führte, Bayer & Co. diesen Entsorgungsweg zu untersagen.
Jan Pehrke
Karikatur: Berndt A. Scott
Quelle: Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG)
Foto: Engelberger | Wikipedia
Creative-Commons-Lizenz «Namensnennung 3.0 nicht portiert»
«Ein Meer von Plastik», arte Film auf youtube