Antifaschismus

Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus

Kultur in Trümmern

Die Antoniterkirche ist überfüllt.

Köln, 27. Januar 2015. Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus anlässlich des Gedenktages der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee. Wie jedes Jahr endet der Aufruf mit dem Schwur der Überlebenden des KZ Buchenwald: »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel«.

Ein Vermächtnis, das heute nichts an Aktualität verloren hat.

Die Antoniterkirche ist überfüllt.

Pfarrer Mathias Bonhoeffer eröffnet und verweist auf die »Schwebende«, eine Plastik von Ernst Barlach, im Nordschiff der Kirche. Es handelt sich um einen Zweitguss der Plastik von 1927, deren Original im Dom zu Güstrow als entartete Kunst von den Nazis eingeschmolzen wurde. Der Eintrag auf der Platte unterhalb der »Schwebenden«, vordem »1939 bis 1945«, heißt seit einigen Jahren »1933 bis 1945«.

Bürgermeistern Elfi Scho-Antwerpes bezieht sich in ihrer Ansprache auf gegenwärtige rassistische Umtriebe und die Notwendigkeit, dagegen Zeichen zu setzen.

Musikalisch begleitet wird die folgende Textcollage, die Maria Ammann, Axel Gottschick und Josef Tratnik vortragen, durch Markus-Reinhardt und sein Ensemble.

In diesem Jahr gilt das Gedenken den Kölner Kulturschaffenden, die in ihrer künstlerischen Produktivität gehindert, ins Exil oder in den Tod getrieben wurden, sowie den Schwierigkeiten des kulturellen Neuanfangs 1945.

Ausstellungstafel mit Bildern von Bücherverbrennung, Naziaufmarsch, Lagerzaun und Schrift: »Kultur in Trümmern. Köln, 1920er Jahre bis 1948. Bücherverbrennung, Entlassung, Innere Emigration, Malverbot, Exil, Folter, Lagerorchester, Vernichtung, Sprachlosigkeit.«.

1928 gründeten vier Aktivisten in Köln »Die Blauen Blusen«: der Volksschullehrer Jean Mattlener und seine Frau Hanne, Gertrud Linnig und der Arbeiter Hermann Heymann. Derartiges Agitprop-Theater trug zu Wahlerfolgen der KPD bei. Ein »Lied der Hakenkreuzler« greift den Antisemitismus der Nazis an, ein anderes verweist auf den drohenden Krieg.

»Das ist euch eingedrillt/Und wer nicht gutgewillt/Wird abgekillt und wir marschieren drüber weg/In den frisch-fromm-fröhlichen nächsten Krieg/Und wir sorgen, dass ihr allesamt dabei seid.«

Der Maler Peter Paffenholz half bei der Regie. Paffenholz’ Schicksal und Wirken kommt zur Sprache. Beeindruckende Arbeiten werden gezeigt.

Die Kölner Schriftstellerin Irmgard Keun charakterisierte in ihrem belgischen Exil die Nazis, denen sie gerade entkommen ist:

»Immer noch zögerte ich, nun selbst mit dem Schreiben anzufangen und für mein Buch ein Deutschland der Nationalsozialisten lebendig werden zu lassen mit braunen SA-Männern, fischäugigen Gestapo-Mördern und schwachsinnig-fanatischen ›Stürmer‹-Verkäufern. Ein Deutschland, in dem Kolonialwarenhändler und Feldwebelwitwen Nietzsches Philosophie vollstreckten. Ein Deutschland mit unfrohen, rohen Gesängen und drohenden Rundfunkreden, mit der künstlichen Dauer-Ekstase von Aufmärschen, Partei-Tagen, Heil-Jubeln und Feiern. Ein Deutschland voll berauschter Spießbürger. …«

»Berauscht, weil sie es sein sollten – berauscht, weil man ihnen Vernunftlosigkeit als Tugend pries – berauscht, weil sie gehorchen und Angst haben durften, und berauscht, weil sie Macht bekommen hatten. Genügte nicht ein Gang zur Gestapo, um sämtliche Stammtischgenossen zumindest ein bisschen unter Verfolgung zu setzen? Ein Deutschland zynischer Geschäftemacher, breit behäbiger Gleichgültigkeit und lauer Zufriedenheit mit dem eigenen Wohlergehen. …

Nun ade, mein lieb Heimatland – nein, ich wollte mich noch nicht zurück leben. Nur einige Stunden entfernt saß ich von diesem quälenden und gequälten Land in einem fremden und traumhaften Frieden und wollte so gern noch eine ganz kurze Zeit verzaubert bleiben. Mein Gott, sogar die Sterne am Himmel hatten mir in Deutschland zuletzt verändert geschienen – als seien sie bräunlich geworden und hätten Hakenkreuzform angenommen.«

Die Nürnberger Gesetze vom September 1935 erklärten Sinti und Roma zu Nichtariern. Angehörige der Sinti-Familie Reinhardt-Steinberger wurden gezwungen, in dem Kölner »Zigeunerlager« am Schwarz-Weiß-Platz in Bickendorf zu leben. Auch die Musiker unter ihnen wurden zu Zwangsarbeit herangezogen. Im Juni 1938 kamen mindestens acht Kölner Sinti-Musiker in das Konzentrationslager Sachsenhausen, nur zwei überlebten. Phillip Reinhardt erinnerte sich:

»Wie ich weggekommen bin, war ich elf Jahre alt. Das waren bestimmt fünfhundert Personen, nur von Köln. … Morgens früh ist … bei uns alles umstellt worden, also da kamen viele Polizisten und SS-Leute, und einer der Obersten hat dann gesagt, wir kommen nach Polen, wegen den Bombenangriffen. Wir haben das zuerst geglaubt…

Wir haben ja keine Ahnung gehabt, weshalb, also was für Menschen wir sein sollten. Wir sind ja alle in Deutschland geboren, die Eltern, die Urgroßeltern. Wie wir dann nach Polen gekommen sind, ist uns gesagt worden, weil wir Zigeuner sind, – und die sind Juden. Und die Rassen werden vernichtet. …«

Markus Reinhardt, der Sohn, sagt: es ist gut, dass ich heute hier bin.

Nach der Veranstaltung sammeln sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem Mahngang zum ehemaligen Wallraf-Richartz-Museum. Hier berichtet der Schriftsteller Dogan Akhanli von seiner eigenen Flucht nach Deutschland, von der Solidarität aus Köln, die ihn 2010 vor dem Gefängnis in der Türkei bewahrte. Er mahnt, wir haben nicht das Recht, die Augen vor der Lage der gegenwärtigen Flüchtlinge zu verschließen.

Text und Fotos: Klaus Stein