Betrieb & Gewerkschaft

Karstadt begeht Tarifflucht

Verdi-Fahne über angeschnittener Schrift »Karstadt«.Trickreiches aus Essen

Kosteneinsparungen beim Personal

 

Den Kar­stadt Be­schäf­tig­ten dro­hen wei­te­re fi­nan­zi­el­le Ein­bu­ßen. Mit dem Trick ei­nes Ta­rif­aus­stiegs, will der Mil­li­ar­där Ni­co­las Berg­gru­en den Ein­zel­han­dels­rie­sen auf Ma­xi­mal­pro­fit trim­men. Da­mit wird die Be­leg­schaft von künf­ti­gen Ta­rif­er­geb­nis­sen im Han­del ab­ge­schnit­ten. Um die­ses Ziel zu er­rei­chen, wur­den Mit­te Mai die Be­triebs­rä­te in die Zen­tra­le nach Es­sen ein­be­ru­fen.

 

Karstadt will aus Tarifbindung aussteigen

Zu hö­ren be­ka­men die In­ter­es­sen­ver­tre­ter dort die neus­te Ent­wick­lung des Han­dels­kon­zerns. Nach of­fi­zi­el­len Zah­len ist seit Ok­to­ber 2012 bis Fe­bru­ar 2013 nur 1,3 Mil­li­ar­den Eu­ro Um­satz ge­macht wor­den. 135 Mil­lio­nen Eu­ro we­ni­ger, fast zehn Pro­zent, ge­gen­über dem Vor­jah­res­zeit­raum. Schluss­fol­ge­rung für Berg­gru­en und sei­ner Rie­ge von Ma­na­gern: Wei­te­re Kos­ten­ein­spa­run­gen beim Per­so­nal. Ar­beits­di­rek­tor Kai-Uwe Weitz ver­kün­de­te dar­auf­hin, Kar­stadt wür­de aus der bis­he­ri­gen Ta­rif­bin­dung aus­stei­gen. Von dem Fron­tal­an­griff auf die Be­leg­schaft sind al­le Wa­ren- und Sport­häu­ser be­trof­fen.

 

Die Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft ver.di kri­ti­sier­te un­mit­tel­bar nach dem Be­schluss der Kar­stadt-Bos­se und der Un­ter­rich­tung an die Be­triebs­rä­te, den wei­te­ren Kahl­schlag. In ei­ner Pres­se­mit­tei­lung be­klag­te Ste­fa­nie Nut­zen­ber­ger, ver.di-Bun­des­vor­stands­mit­glied für den Han­del »mit dem Aus­stieg aus der Ta­rif­bin­dung stol­pert das Kar­stadt-Ma­nage­ment in sei­ne nächs­te Fehl­ent­schei­dung«. Nut­zen­ber­ger be­zeich­ne­te die Vor­ge­hens­wei­se als fal­sches Si­gnal an die Be­schäf­tig­ten und Kun­den. Berg­gru­en sol­le nicht an den Grund­fes­ten der be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­meran­sprü­che rüt­teln. Die Kar­stadt-Ge­schäfts­füh­rung ha­be mit der heu­ti­gen An­kün­di­gung das Ver­trau­en sei­ner Be­schäf­tig­ten end­gül­tig ver­spielt.

 

Kündigung der Manteltarifverträge

Kar­stadt hat in un­ver­ant­wort­li­cher Wei­se die Kün­di­gung al­ler Man­tel­ta­rif­ver­trä­ge mit Aus­nah­me von Ham­burg durch den Han­dels­ver­band ma­ß­geb­lich mit be­trie­ben. »Es ist des­halb nicht glaub­haft, wenn man nun sel­ber an­geb­lich an den Man­tel­ta­rif­ver­trä­gen fest­hal­ten wol­le«, warnt Nut­zen­ber­ger. »Die Men­schen kön­nen nach zehn Jah­ren, in de­nen sie auf Mil­lio­nen ver­zich­tet ha­ben, den Ver­spre­chun­gen ei­ner Ge­schäfts­füh­rung, kei­nen Glau­ben mehr schen­ken. Die Be­schäf­tig­ten brau­chen und er­war­ten zu Recht ei­ne plan­ba­re Zu­kunfts­per­spek­ti­ve – und da­zu ge­hört ein ver­bind­li­cher Ta­rif­ver­trag statt lee­rer Ver­spre­chun­gen«, so die Ge­werk­schaf­te­rin. De­ren Kri­tik an der Kon­zern­po­li­tik ist be­son­ders scharf. An­lass da­für ist, dass es bei meh­re­ren Se­kre­tä­ren im Han­del be­reits Wi­der­stand gibt, sich nicht er­neut über den Tisch zie­hen zu las­sen. Von ei­nem neu­en »Sa­nie­rungs­plan« auf Kos­ten der Be­schäf­tig­ten wol­len die­se nichts mehr wis­sen. Zu stark sind die Er­in­ne­run­gen an den jah­re­lang ver­ein­bar­ten Lohn­ab­bau, wel­cher mit Hil­fe der Ge­werk­schaft ab­ge­schlos­sen wur­de. 2004 hat­te sich ver.di mit ei­nem Ka­ta­log von Grau­sam­kei­ten in ei­nem Sa­nie­rungs­kon­zept oh­ne gro­ße Mo­bi­li­sie­rung der Be­schäf­tig­ten ein­ver­stan­den er­klärt. Der Il­lu­si­on hin­ge­ge­ben, den Ka­pi­ta­lis­mus mit­ge­stal­ten zu kön­nen.

 

Warnstreiks

Auf die von Kar­stadt an­ge­kün­dig­te »Ta­rif­pau­se« ant­wor­te­te die Be­leg­schaft wäh­rend der be­gon­ne­nen Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zung im Han­del be­reits mit ers­ten Warn­streiks. So will der Be­triebs­rat, trotz der Flucht aus dem Flä­chen­ta­rif des Wa­ren­haus­kon­zerns, für Lohn­er­hö­hun­gen kämp­fen. »Dies gin­ge zum Bei­spiel über Haus­ta­ri­fe. Hier wer­de ver.di von dem Un­ter­neh­mern kurz­fris­tig Ter­mi­ne ein­for­dern«, so ein ver.di Spre­cher. Auch be­stün­de die Mög­lich­keit in der ak­tu­el­len Ta­rif­run­de wei­te­re Warn­streiks durch­zu­füh­ren, soll­te Kar­stadt sich wei­gern zu ver­han­deln. Zu­sätz­lich den­ke man über wei­te­re Ak­tio­nen nach. Ers­te Flug­blät­ter an die Kun­den wur­den in Hes­sen ver­teilt. In­for­ma­tio­nen gab es dar­in über den »Ta­rif­aus­stieg« und die Ar­beits­be­din­gun­gen beim Han­dels­kon­zern. Auf­ge­klärt wur­de auch in Rich­tung »Be­dien­in­ten­si­tät«. Bei wei­te­rer Stel­len­ver­nich­tung dro­he die Ab­wan­de­rung von Kun­den. Ei­ne ge­ho­be­ne Preis­ge­stal­tung ha­ben bis­her vie­le Kon­su­men­ten ak­zep­tiert, wenn die Be­ra­tung stimm­te. Blie­be da­für aber in Zu­kunft noch we­ni­ger Zeit, gä­be es auf­grund des Ver­drän­gungs­wett­be­werbs im Han­del ge­nü­gend Aus­weich­mög­lich­kei­ten im SB-Be­reich.

 

Un­ter­stüt­zung be­kom­men die Kar­stadt Be­triebs­rä­te auch vom Kauf­hof. De­ren Be­leg­schafts­ver­tre­ter be­ton­ten, dass es rich­tig sei, sich nicht aus der Ta­rif­run­de zu ver­ab­schie­den. Des­halb müs­se in die Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zung ak­tiv und ge­mein­sam ein­ge­grif­fen wer­den. An die Adres­se von ver.di ge­rich­tet, be­tont die stell­ver­tre­ten­de Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de, Ma­ri­on Bar­tusch, Kauf­hof Düs­sel­dorf-Wehr­hahn: »Ver.di darf kei­nen Ta­rif­ab­schluss im Han­del oh­ne die Rück­nah­me der Zwangs­ta­rif­pau­se bei Kar­stadt ab­schlie­ßen.«

 

Be­reits vor ei­nem Jahr kün­dig­ten die Wa­ren­haus­bos­se den Ab­bau von rund 2000 Voll­zeit­ar­beits­plät­zen bis 2014 an. Ge­mes­sen am ho­hen Teil­zeit­an­teil dürf­ten es tat­säch­lich um die 4000 sein. Kar­stadt hat­te 2009 In­sol­venz an­ge­mel­det. Berg­gru­en kauf­te 2010 im Herbst den Wa­ren­haus­kon­zern sym­bo­lisch für ei­nen Eu­ro. Die neus­ten Nach­rich­ten aus der Zen­tra­le des Han­dels­rie­sen zei­gen, dass auch beim jet­zi­gen Ei­gen­tü­mer Berg­gru­en, ri­go­ros der Per­so­nal­ab­bau wei­ter lau­fen soll. Das Kon­zept der Kon­zern­spit­ze, mit der Ta­rif­flucht Ru­he in die Fi­lia­len zu brin­gen, ist of­fen­sicht­lich. Dies muss durch­schaut wer­den. Wo, wenn nicht in die­ser Ta­rif­run­de, kann da­zu am bes­ten Wi­der­stand ent­wi­ckelt und mo­bi­li­siert wer­den. Er­in­nert wer­den muss da­bei auch an die Be­schlüs­se des letz­ten ver.di Bun­des­kon­gres­ses. Zahl­rei­che An­trä­ge be­fass­ten sich mit der Zu­sam­men­füh­rung von Warn­streiks und Ar­beits­kämp­fen der un­ter­schied­li­chen ver.di Fach­be­rei­che. Die For­de­rung ei­ner Ar­beits­zeit­ver­kür­zung bei vol­lem Lohn- und Per­so­nal­aus­gleich, bei gleich­zei­ti­ger Ver­rin­ge­rung der La­den­öff­nungs­zei­ten, ge­hört in die Aus­ein­an­der­set­zung. Sie wä­re ei­ne of­fen­si­ve Ant­wort auf das ka­pi­ta­lis­ti­sche Stre­ben, Ar­beit im­mer bil­li­ger zu ma­chen.

 

Herbert Schedlbauer