Frieden
Der I. Weltkrieg und die Schweiz
Der I. Weltkrieg und die Auswirkungen auf die Schweizer Arbeiterklasse
Es gelang der Exekutiven der II. Internationalen innerhalb von drei Wochen aus Protest gegen den Ausbruch des Ersten Balkankrieges einen ausserordentlichen Kongress in Basel zu organisieren.(1) Am 24. November 1912 trafen sich 555 Delegierte aus 23 Ländern um halb elf morgens im Basler Volkshaus. Nachmittags zogen um die 10.000 GenossInnen aus der Schweiz, dem Elsass und Baden zum Basler Münster und hielten dort eine Friedenskundgebung ab. Im Münster sprachen Hugo Haase, Herman Greulich, James Keir Hardie, Victor Adler und Jean Jaurès. Auf dem Münsterplatz sprachen andere prominente Vertreter der sozialistischen Internationalen, wie u.a. Robert Grimm, Edouard Vaillant und Alexandra Kollontai. Der Kongress verabschiedete am folgenden Tag trotz z.T. kontroverser Debatte das Basler Friedensmanifest.
Manifest der Internationalen zur gegenwärtigen Lage
Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, unterstützt durch die zusammenfassende Tätigkeit des Internationalen Bureaus, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung des Klassenkampfes und der Verschärfung der allgemeinen politischen Situation naturgemäss ändern.
Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.(2)
Im Anschluss an den Basler Friedenskongress kam es in ganz Europa zu Massendemonstrationen. Der Friedensgedanke kam bei den ArbeiterInnen an, denn sie erkannten, dass sie die Hauptlast eines Krieges tragen würden. Trotzdem erfasste dieser herrschende Hurrapatriotismus auch die Arbeiterschaft und in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern meldeten sich scharenweise Arbeiter zu den Waffen.
Auch in der Schweiz standen viele hinter der Mobilmachung der Landesregierung. Während die Männer in den Schützengräben an der Landesgrenze waren, dadurch oft ihre Stelle verloren, herrschte in den Arbeiterfamilien grosse Not, denn vom Sold konnte frau keine Familie ernähren. Sie fanden Arbeit in den Fabriken, denen die Arbeiter fehlten, und arbeiteten unter unmenschlichen Bedingungen und meist schlechter bezahlt, als ihre Männer. Viele Arbeiterfamilien wohnten in Einzimmerwohnungen und teilten fliessendes Wasser und Klo mit vielen anderen. Die Arbeiterschaft war aufgewühlt und unzufrieden und ihre Lage verschlechterte sich im Verlaufe des Krieges von Woche zu Woche. Die Preise der wichtigsten Lebensmittel kletterten von August 1914 bis Herbst 1918 um das 2,2-fache. Die Soldatenfürsorge war sehr schlecht und Spekulanten und Schieber machten ihre Geschäfte. Die Arbeitslosigkeit stieg und es gab Lohnabbau. In vielen Industriezentren kam es zu ersten Massenprotesten. Die ersten Streiks wurden durch die Gewerkschaften und Sozialdemokraten organisiert.(3) Der Widerstand gipfelte in einem Generalstreik 1918 und Generalstreiks in Basel und Zürich 1919. Die Landes- und kantonalen Regierungen hatten darauf nur eine Antwort: den Einsatz von Polizei und/oder Armee, die auf Demonstranten und Streikende schossen. Es gab Tote und Verletzte.
In der Sozialdemokratischen Partei entbrannten in diesen Jahren heftige Debatten über die «Notwendigkeit» der Landesverteidigung, über die Frage von Klassenkampf, Massenbewegung und Generalstreik als ein geeignetes Kampfmittel, über die Teilnahme am Parlamentarismus und anderes. Grossen Einfluss auf die Debatte hatte die Zimmerwalder Konferenz 1915, die Kientaler Konferenz 1916 und ein Abschiedsbrief Lenins an die Schweizer Arbeiter.(4) Die Mehrheit der aktiven Mitglieder der SPS, aber insgesamt eine Minderheit in der Mitgliedschaft waren für den Beitritt in die III. Internationale. So kam es am 5./6. März 1921 in der «Eintracht» in Zürich, dem alten Gewerkschafts- und Parteihaus, das nur einige Schritte vom Haus lag, in dem Lenin sein Schweizer Exil verbrachte, zur Gründung der Kommunistischen Partei der Schweiz. (5)
Text und Foto: Irène Lang
(1) 1869 hatte die I. Internationale schon in Basel getagt
(2) Schweizerische Arbeiterbewegung, Limmat Verlag Genossenschaft Zürich, 1975
(3) 125 Jahre Sozialdemokratische Partei der Schweiz «Einig – aber nicht einheitlich», redboox Limmat, 2013
(4) Lenin Werke Bd. 23, Berlin 1960, S. 380f
(5) Zum 40. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei der Schweiz, Marino Bodenmann, Verlag der Partei der Arbeit der Schweiz-Zürich 1961
Anmerkung:
- Eindrücklich beschrieb Louis Aragon den Friedenskongress in seinem Roman «Die Glocken von Basel»
- 1972 führten die Basler Theater die Eröffnung des Friedenskongresses im Basler Münster in einer Uraufführung auf.