Politik
Gemeinsam Wind machen
Bundesregierung glaubt nicht an Energiewende
31.05.2012 | Der jüngst in Berlin stattgefundene Energiegipfel kann unter dem Motto »Außer Spesen nichts gewesen« abgehakt werden.
Selbst Angela Merkel gab sich nicht sonderlich viel Mühe, die Ergebnisse schön zu reden. Außer ihrem Hinweis, dass sie sich nun zwei Mal im Jahr mit den Ministerpräsidenten treffen wolle, um über den Fortgang der Energiewende zu beraten, kam nichts über ihre Lippen. Redseliger gaben sich über die Pfingsttage da schon einige Minister der Atom- und Kohle-Lobby. FDP-Fraktionsvorsitzender Rainer Brüderle, der ehemalige Wirtschaftsminister, säte öffentlichkeitswirksam grundsätzlich Zweifel am Gelingen der Energiewende. Über die »Welt am Sonntag« ließ er mitteilen: »Wir werden eine ganze Reihe von Gas- und Kohlekraftwerken bauen müssen – möglicherweise mehr, als wir zunächst dachten.« Und er fügte hinzu: »Es kann ja nicht sein, dass wir unsere Kernkraftwerke abschalten und dann Atomstrom aus Frankreich oder Tschechien importieren.« Und er fügte hinzu: »Es wird teurer für den Bürger.«
Mehr Gas- und Kohlekraftwerke? Einige Wirtschaftspolitiker in der CDU gehen noch einen Schritt weiter. So brachte Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs eine Verzögerung des Atomausstiegs ins Gespräch. »Es könne durchaus sein, dass das eine oder andere AKW doch länger laufen muss als geplant«.
Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir fasste die neuerliche Debatte um die Energiewende mit folgen Worten zusammen: »Das Grundproblem dieser Bundesregierung ist, dass sie nicht an die Energiewende glaubt.« Ob der neue Umweltminister Altmaier den Umbau der Energieversorgung wirklich vorantreiben könne, werde sich vor allem daran entscheiden, ob er sich gegen die Kohle- und Atomlobby in den eigenen Koalitionsreihen behaupte.
Nun ist es ja bekanntlich mit dem Glauben so eine Sache. Der Glaube kann ja vielleicht Berge versetzen – die Energiewende im Interesse der Mehrheit der BürgerInnen wird aber doch wohl nur durch den Widerstand gegen die Interessen der Stromkonzerne und der Netzbetreiber durchzusetzen sein. Die Stromkonzerne heißen Vattenfall, e.on, EnBW und RWE, die Betreiber der großen Überlandleitungen Tennet, Amprion, 50Hertz und TransnetBW. Nach deren Berechnungen werden für die Energiewende 3 800 km neue Höchstspannungsleitungen benötigt; den Schwerpunkt stellen dabei leistungsstarke Trassen dar, die Windstrom aus dem Norden zu den Hauptverbrauchsgebieten im Süden transportieren.
Wie widersprüchlich die Auseinandersetzung um die Energiewende vor sich geht, zeigt sich dieser Tage beispielhaft in Schleswig-Holstein. So hat die noch im Amt befindliche abgewählte CDU-FDP-Landesregierung als eine ihrer letzten Zuckungen beschlossen, das Atomkraftwerk Brokdorf wieder ans Netz gehen zu lassen. Das für die Reaktorsicherheit zuständige Justizministerium stimmte nach Abschluss der vorgezogenen Jahresrevision dafür, das Kernkraftwerk wieder anzuschalten. Knapp zwei Monate nach der Abschaltung wegen gravierender Sicherheitsmängel wird der Meiler also wieder hochgefahren. Für den Stromkonzern e.on als Brokdorf-Betreiber macht das durchaus Sinn. Für e.on ist Brokdorf eine wirtschaftliche Erfolgsstory. Bezogen auf die Jahresstromproduktion ist die Anlage zweimal »Weltmeister« gewesen. Da nimmt der Konzern schon mal in Kauf, dass sich (bekanntgewordene) Störfälle häufen und die unabhängige Bremer Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS e.V.) das AKW für eine erhöhte Häufigkeit von Krebsfällen in der Umgebung des Meilers verantwortlich macht. Auf der Demonstration der Atomkraftgegner am 11. März am AKW Brokdorf waren sich Anti-Atombewegung, Gewerkschaften, SPD, Grüne, SSW, Linke und DKP darin einig, dass das AKW Brokdorf sofort und endgültig abgeschaltet werden muss. An dieser Forderung wird sich auch die künftige Landesregierung messen lassen müssen.
Wie ver.di mitgeteilt hat, haben am heutigen Mittwoch im Rahmen der Tarifrunde des Bewachungsgewerbes der Kernkraftwerke die Beschäftigten des Bewachungsbereiches des AKW Brokdorf die Arbeit zwischen 14 und 16 Uhr niedergelegt. In einem Papier unter der Überschrift »Gemeinsam Wind machen« haben sich die Westküsten-Geschäftsführer, Bevollmächtigten und Bezirksleiter von DGB, ver.di, IG Metall und IG BCE aus Schleswig-Holstein mit der Aufforderung an eine künftige Landesregierung gewandt, landesweit mehr in den Ausbau der Windenergie zu investieren.
»So müssten – um im Plan der Bundesregierung zu bleiben – bis ins Jahr 2030 bis zu 8 500 Windenergieanlagen in der Nordsee errichtet werden – im Jahr 2020 müssten es rund 2 500 sein. Genehmigt sind davon aktuell Windparks im Umfang von 1 689 Windenergieanlagen; errichtet sind zur Zeit jedoch nur 34 davon, 100 weitere sind im Bau. Und mit den weltweit zur Verfügung stehenden Spezialschiffen könnten derzeit gerade mal rund 180 Windenergieanlagen pro Jahr errichtet werden«, so die Gewerkschafter.
Gemeinsame Initiativen sind so zum Beispiel nötig, um die Werften bei einer Produktionsumstellung zu unterstützen, damit sie Errichter- und Wartungsschiffe, aber auch Umspannplattformen oder Wohnschiffe bauen können. »Auch dies ist eine der Aufgaben, für die eine Stabstelle Offshore in der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei gebraucht wird« so Susanne Uhl, Regionsgeschäftsführerin des DGB Schleswig-Holstein Nordwest: »Die Problematiken des Energieumstiegs müssen in Schleswig-Holstein endlich zentral und mit allen Akteuren diskutiert und koordiniert werden.«
Gemeinsam Wind machen gegen Atomenergie – für den Ausbau regenerativer und dezentraler Energiekonzepte heißt aber auch, endlich den Sturm gegen die Energiewende-Verhinderer zu entfachen: Die heißen Vattenfall, e.on, EnBW und RWE. Diese Stromkonzerne haben Deutschland in vier »Besatzungszonen« aufgeteilt und wollen die Bedingungen für die Stromversorgung diktieren. Sie sind die Hauptblockierer einer Energiewende. Wird ihre Macht nicht beschnitten, wird eine Energiewende im Interesse der Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen scheitern.
Text: gst
Fotos: gst (1)
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