Politik
Verfassungssschutz »reformieren« oder abschaffen?
NPD-Verbot auf die lange Bank geschoben
12.07.2012 | Es will schon etwas heißen, wenn der Verfassungsschutz-Skandal die öffentliche Debatte provoziert, ob der Geheimdienst »reformiert« oder gänzlich in Frage gestellt werden soll. Die Tatsachen sprechen eher für Letzteres.
Nicht genug, dass vor Jahren, als der »NSU« seine rassistische Mordserie verübte, die betroffenen Ausländerfamilien als Täter verdächtigt und die Neonazis von Ermittlungen verschont wurden, stellt sich jetzt heraus, dass im Verfassungsschutz Akten, die den Hintergrund hätten erhellen können, vernichtet worden sind. Doch wird sofort die Tendenz erkennbar, die Vorgänge zu vertuschen. Dem Referatsleiter wird seine bürokratische Ausrede abgenommen, obwohl er den Aktenschredder just in dem Moment angeworfen hatte, als die »NSU«-Mordserie aufflog und dann noch das Datum fälschte. Will man die Peinlichkeit verbergen, dass nicht nur der Verfassungsschutz seine V-Leute bei den Neonazis hat, sondern diese auch Kumpane im VS-Apparat?
Der Mann wird vor der Öffentlichkeit sorgsam verborgen. Doch ist die Frage zu stellen: Was sind das für Leute, die dort anonym ihr Unwesen treiben können? So wie total anonym irgendwelche Schreiberlinge das Verdikt »verfassungsfeindlich« über Antifaschisten in VS-Berichte setzen können. Prompt finden sich Gleichgesinnte in Finanzbehörden, die willkürlich das Urteil des VS zum Anlass nehmen wollen, z.B. der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit abzuerkennen.
Wie abstrus im Verfassungsschutz gearbeitet wird, zeigt die Anordnung Schäubles, als er noch Innenminister war, im VS die Abteilungen »Rechts«- und »Linksextremismus« zusammenzulegen, weil ja beide »Extreme« gemäß der Totalitarismus-Theorie gleichermaßen zu bekämpfen sind. Wenn auch die formale Regelung wieder geändert wurde – die obskure Theorie gilt noch heute für den »Verfassungsschutz« und diverse Institutionen.
Den Nutzen haben allemal die Neonazis. Kommt man schon nicht umhin, sich mit dem Treiben der »NSU« zu befassen, wird die NPD offiziellerseits beflissen von der »NSU« unterschieden und ein NPD-Verbot auf die lange Bank geschoben. Und auf V-Leute will der VS keinesfalls verzichten.
Zwar muss im Falle der Aufklärung über den »NSU« ein »Versagen« des VS eingestanden werden, aber das Interesse, die Angelegenheit zu verharmlosen, ist unverkennbar. Es soll die Möglichkeit keinen Schaden nehmen, mittels Geheimdiensten Politik zu machen. Doch genau das ist nach allen Erfahrungen mit dem Verfassungsschutz in Frage zu stellen.
Gastkommentar von Gerd Deumlich aus der UZ vom 13.07.12
unsere zeit – Zeitung der DKP
Bild: Wikipedia